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19/05 Menschenrechte;Norm
FrG 1997 §36 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des Z in Wien, geboren 1979, vertreten durch Dr. Günther Neuhuber, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Himmelpfortgasse 14, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 16. Juli 2002, Zl. SD 369/02, betreffend Erlassung eines befristeten Aufenthaltsverbots, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.088,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 16. Juli 2002 wurde gegen den Beschwerdeführer, einen mazedonischen Staatsangehörigen, gemäß § 36 Abs. 1 iVm Abs. 2 Z. 1 Fremdengesetz 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot für die Dauer von zehn Jahren erlassen.
Der Beschwerdeführer sei am 14. Juni 1992 erstmals nach Österreich eingereist. Seither verfüge er durchgehend über Aufenthaltstitel. Zuletzt sei ihm ein unbefristeter Aufenthaltstitel erteilt worden.
Am 6. Juli 2000 sei der Beschwerdeführer wegen §§ 83 Abs. 1, 15, 105 Abs. 1 StGB zu einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 22. Jänner 2000 und am 18. März 2000 insgesamt drei Personen durch das Versetzen von Schlägen und Tritten gegen Kopf und Körper verletzt sowie am 18. März 2000 eine der verletzten Personen mit der Äußerung, dass er sie umbringen werde, sollte sie die Polizei alarmieren, zum Absehen von der Erstattung einer Anzeige zu nötigen versucht habe.
Am 5. Dezember 2000 sei der Beschwerdeführer gemäß §§ 83 Abs. 1 und 107 Abs. 1 und 2 StGB zu einer unbedingte Freiheitsstrafe in der Dauer von sechs Monaten rechtskräftig verurteilt worden. Diesem Urteil liege zu Grunde, dass der Beschwerdeführer am 19. Oktober 2000 eine andere Person durch das Versetzen von Tritten gegen die Beine am Körper verletzt und diese Person in wiederholten Angriffen gefährlich mit dem Tod bedroht habe, indem er zu ihr gesagt habe, er werde sie und ihren Vater sowie die ganze Familie umbringen. Dabei habe er wiederholt mit seinem Finger angedeutet, der Bedrohten die Kehle durchzuschneiden.
Es könne sohin kein Zweifel daran bestehen, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG verwirklicht sei.
Das dargestellte gesamte Fehlverhalten des Beschwerdeführers gefährde die öffentliche Ordnung und Sicherheit in höchstem Maß, sodass die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme gerechtfertigt sei.
Auf Grund des langjährigen rechtmäßigen Inlandsaufenthalts des Beschwerdeführers und seiner familiären Beziehungen - er lebe mit seinem Bruder und seinen Eltern in Haushaltsgemeinschaft - sei das Aufenthaltsverbot mit einem Eingriff in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers verbunden. Auf Grund der in den Straftaten des Beschwerdeführers zum Ausdruck kommenden krassen Missachtung der körperlichen Sicherheit anderer Menschen sei das Aufenthaltsverbot zum Schutz der öffentlichen Ordnung, zur Verhinderung strafbarer Handlungen sowie zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer (Art. 8 Abs. 2 EMRK) dringend geboten und daher im Grund des § 37 Abs. 1 FrG zulässig.
Im Rahmen der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 2 FrG sei darauf Bedacht zu nehmen, dass sich der Beschwerdeführer seit etwa zehn Jahren im Bundesgebiet aufhalte und (regelmäßig) einer Beschäftigung nachgehe. Gleichzeitig sei jedoch zu berücksichtigen, dass einer daraus ableitbaren Integration insofern kein entscheidendes Gewicht zukomme, als die dafür erforderliche soziale Komponente durch das strafbare Verhalten erheblich gemindert werde. Dies umso mehr, als der Beschwerdeführer innerhalb kurzer Zeit einschlägig rückfällig geworden sei. Die Bindung zu den Eltern und zum Bruder werde dadurch relativiert, dass der Beschwerdeführer bereits volljährig sei. Den zwar nach wie vor "engen" in einem wesentlichen Bereich jedoch geschmälerten privaten und familiären Interessen des Beschwerdeführers stünden die - hoch zu veranschlagenden - öffentlichen Interessen gegenüber. Die Auswirkungen des Aufenthaltsverbots auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie wögen keinesfalls schwerer als die gegenläufigen öffentlichen Interessen.
Angesichts des dargestellten gesamten Fehlverhaltens des Beschwerdeführers und im Hinblick auf das Fehlen besonderer, zu dessen Gunsten sprechender Umstände habe von der Erlassung des Aufenthaltsverbots auch nicht im Rahmen des der Behörde insoweit zukommenden Ermessens Abstand genommen werden können.
Was die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots betreffe, erscheine die von der Erstbehörde vorgenommene Befristung auch nach Ansicht der belangten Behörde gerechtfertigt. In Anbetracht des aufgezeigten Gesamt(fehl)verhaltens des Beschwerdeführers könne - auch unter Bedachtnahme auf die familiäre Situation - ein Wegfall des für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Grundes, nämlich der Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch den Aufenthalt des Beschwerdeführers im Bundesgebiet, nicht vor Verstreichen des festgesetzten Zeitraumes erwartet werden.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Auf Grund der unstrittig feststehenden rechtskräftigen Verurteilungen des Beschwerdeführers begegnet die Ansicht der belangte Behörde, dass der Tatbestand des § 36 Abs. 2 Z. 1 FrG erfüllt sei, keinen Bedenken.
2. Nach den Feststellungen der belangten Behörde im Zusammenhang mit den bei den Verwaltungsakten erliegenden gekürzten Urteilsausfertigungen hat der Beschwerdeführer am 22. Jänner 2000 zwei Frauen durch Versetzen von Schlägen und Tritten gegen Kopf und Körper vorsätzlich am Körper verletzt, wodurch eines der Opfer eine Rötung am Oberschenkel und das andere Opfer ein Hämatom mit Hautabschürfung am linken Oberschenkel und eine Schwellung im Bereich des Schambeines erlitten hat. Am 18. März 2000 hat er einer anderen Frau, nämlich C., wobei es sich nach dem Vorbringen des Beschwerdeführers um seine frühere Lebensgefährtin handelt, durch Schläge und Tritte gegen Kopf und Körper eine Prellung am rechten Auge und eine Brustkorbprellung rechts zugefügt. Am selben Tag hat er C. durch die Äußerung, er werde sie umbringen, falls sie die Polizei alarmiere, durch eine gefährliche Drohung zum Absehen von der Erstattung einer Anzeige genötigt.
Nur etwas mehr als drei Monate nach der rechtskräftigen Verurteilung wegen dieser Taten ist der Beschwerdeführer am 19. Oktober 2000 neuerlich in einschlägiger Weise straffällig geworden. Er hat C. durch das Versetzen von Tritten Hautabschürfungen, einen Bluterguss mit Schwellungen und Schmerzen an verschiedenen Stellen im Bereich der Beine zugefügt. Weiters hat er C. mehrmals mit dem Tod bedroht, um sie in Furcht und Unruhe zu versetzen. Dabei hat er nicht nur verbal damit gedroht, C. und deren Vater sowie die gesamte Familie umzubringen, sondern auch wiederholt mit dem Finger angedeutet, die Kehle von C. durchzuschneiden.
Daraus ist ersichtlich, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Menschen handelt, der nicht davor zurückschreckt, in Konfliktsituationen - auch gegenüber Frauen - Gewalt anzuwenden und sogar mit dem Tod zu drohen. Soweit der Beschwerdeführer als Motiv für seine Tat Eifersucht ins Treffen führt, ist ihm entgegenzuhalten, dass er damit keine Minderung der von ihm ausgehenden Gefahr dartut, kann er doch jederzeit wieder in die Lage kommen - begründet oder unbegründet - eifersüchtig zu sein.
Der Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens, dass die Drohungen nicht ernst gemeint gewesen seien und es sich hiebei daher nur um "milieubedingte Unmutsäußerungen" gehandelt habe, steht die Rechtskraft der diesbezüglichen Verurteilungen entgegen.
Weiters macht der Beschwerdeführer geltend, dass die Auseinandersetzungen mit C. von dieser provoziert worden seien. Er sei im Zug der Tätlichkeiten vom 22. Jänner 2000 selbst schwer verletzt worden.
Im Verwaltungsverfahren hat der Beschwerdeführer zu seinen Straftaten ausgeführt, dass er die Opfer jeweils nur leicht verletzt habe und er die - nicht ernst gemeinten - Drohungen im Zorn und unter Alkoholeinfluss ausgestoßen habe. Aus den gekürzten Urteilsausfertigungen ist weder eine Provokation durch die Verletzte noch eine eigene Verletzung des Beschwerdeführers ersichtlich, insbesondere wurden derartige Umstände bei der gerichtlichen Strafbemessung nicht als mildernd gewertet. Das diesbezügliche Vorbringen ist somit als Neuerung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtlich (vgl. § 41 Abs. 1 VwGG).
Schließlich ist dem Vorbringen, dass "beide Verurteilungen mit Bezug auf eine einzige Person geschehen" seien, zu entgegnen, dass der Beschwerdeführer am 22. Jänner 2000 nicht C., sondern zwei andere Frauen durch Schläge und Tritte gegen Kopf und Körper vorsätzlich verletzt hat.
Im Hinblick auf den raschen Rückfall des Beschwerdeführers ist der seit der zuletzt begangenen Straftat verstrichene Zeitraum von eindreiviertel Jahren - in dem der Beschwerdeführer nach seinem Vorbringen einen Teil der verhängten Freiheitsstrafe verbüßt hat - ungeachtet der ohne nähere Konkretisierung vorgebrachten "absolute(n) Läuterung nach dem Verspüren des Haftübels", viel zu kurz, um auf einen Wegfall oder eine entscheidende Minderung der vom Beschwerdeführer ausgehenden Gefahr schließen zu können.
Die Ansicht der belangten Behörde, die in § 36 Abs. 1 FrG umschriebene Annahme sei gerechtfertigt, kann aus den dargestellten Gründen nicht als rechtswidrig erkannt werden.
3. Bei der Interessenabwägung gemäß § 37 Abs. 1 und Abs. 2 FrG hat die belangte Behörde berücksichtigt, dass sich der Beschwerdeführer seit Juni 1992, sohin seit etwas mehr als zehn Jahren, berechtigt im Bundesgebiet aufhält. Weiters hat sie dem Beschwerdeführer die Haushaltsgemeinschaft mit den Eltern und einem Bruder sowie die regelmäßige Beschäftigung zugute gehalten. Beim Vorbringen, der Beschwerdeführer lebe auch mit zwei weiteren Brüdern in Haushaltsgemeinschaft, handelt es sich um eine im verwaltungsgerichtlichen Verfahren unbeachtliche Neuerung, hat der Beschwerdeführer doch in der Berufung ausdrücklich ausgeführt, nur mit einem seiner Brüder im gemeinsamen Haushalt zu leben. Der weiters vorgebrachte Umstand, dass der Beschwerdeführer seine Lehre als Zimmerer erfolgreich abgeschlossen habe, bewirkt keine im vorliegenden Fall den Ausschlag gebende Verstärkung der privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im Bundesgebiet.
Den insgesamt sehr gewichtigen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers steht die auf Grund seiner Straftaten aus seinem weiteren Aufenthalt resultierende Gefährdung öffentlicher Interessen gegenüber. Im Hinblick auf das große öffentliche Interesse an der Verhinderung der Gewaltkriminalität begegnet die Ansicht der belangte Behörde, dass das Aufenthaltsverbot zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele (Verhinderung strafbarer Handlungen, Schutz der Rechte und Freiheiten anderer) dringend geboten sei (§ 37 Abs. 1 FrG) und die Auswirkungen dieser Maßnahme auf die Lebenssituation des Beschwerdeführers und seiner Familie nicht schwerer wögen als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung (§ 37 Abs. 2 leg. cit.), keinen Bedenken.
Dem Vorbringen des Beschwerdeführers betreffend die wirtschaftlich schlechte Lage und die "bruderkriegsartige(n) Zustände" in Mazedonien, in welchem Land er überdies keine Verwandten habe, ist zu entgegnen, dass mit dem Aufenthaltsverbot nicht ausgesprochen wird, dass der Fremde in ein bestimmtes Land auszureisen habe oder dass er (allenfalls) abgeschoben werde (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 17. Dezember 2001, Zl. 2001/18/0231), und durch § 37 FrG die Führung eines Privat- und Familienlebens außerhalb Österreichs nicht gewährleistet wird (vgl. etwa das hg. Erkenntnis vom 6. November 2001, Zl. 2000/18/0202).
4. Unter Zugrundelegung der vorstehenden Erwägungen kann der Verwaltungsgerichtshof nicht finden, dass die belangte Behörde von dem ihr gemäß § 36 Abs. 1 FrG eingeräumten Ermessen, von der Erlassung des Aufenthaltsverbots Abstand zu nehmen, Gebrauch zu machen gehabt hätte, zumal weder aus der Beschwerde noch aus dem angefochtenen Bescheid im Zusammenhang mit dem übrigen Akteninhalt besondere Umstände ersichtlich sind, die für eine derartige Ermessensübung sprächen.
5. Mit seinem Vorbringen, die belangte Behörde habe den Sachverhalt nicht ausreichend ermittelt, macht der Beschwerdeführer schon deshalb keinen relevanten Verfahrensmangel geltend, weil er nicht dartut, welche weiteren - entscheidungserheblichen - Feststellungen zu treffen gewesen wären.
Soweit der Beschwerdeführer der Behörde vorwirft, den angefochtenen Bescheid - im Bereich der Frage der Zulässigkeit des Aufenthaltsverbots und der Dauer dieser Maßnahme - nur zum Schein und ohne Bezug zum konkreten Sachverhalt begründet zu haben, ist ihm zu entgegnen, dass die belangte Behörde in der Begründung ihres Bescheides ausreichend auf die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers und die konkret begangenen Straftaten eingegangen ist.
6. Dennoch ist der Beschwerde Erfolg beschieden. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. etwa das Erkenntnis vom 1. März 2001, Zl. 98/18/0128) ist ein Aufenthaltsverbot - unter Bedachtnahme auf § 39 Abs. 1 FrG - für jenen Zeitraum zu erlassen, nach dessen Ablauf vorhersehbarerweise der Grund für seine Verhängung weggefallen sein wird. Die Annahme der belangten Behörde, dass dies erst nach zehn Jahren der Fall sein werde, vermag der Verwaltungsgerichtshof bei Würdigung der für die Erlassung des Aufenthaltsverbots maßgeblichen Umstände, insbesondere der beträchtlichen persönlichen Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib in Österreich, nicht zu teilen. Die belangte Behörde hat somit bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer des Aufenthaltsverbots die Rechtslage verkannt und damit den angefochtenen Bescheid mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.
7. Da es sich bei der Festsetzung der Gültigkeitsdauer nach der hg. Rechtsprechung (vgl. das bereits zitierte Erkenntnis, Zl. 98/18/0128) um einen vom übrigen Bescheidinhalt nicht trennbaren Abspruch handelt, war der angefochtene Bescheid zur Gänze gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
8. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 28. Jänner 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2002180166.X00Im RIS seit
08.05.2003