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41/02 Passrecht Fremdenrecht;Norm
FrG 1997 §57 Abs1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Stummer, über die Beschwerde des I, geboren 1959, vertreten durch Dr. Arthur Wolff, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Johannesgasse 23, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien vom 1. Juli 1998, Zl. SD 427/98, betreffend Feststellung gemäß § 75 Abs. 1 Fremdengesetz 1997, zu Recht erkannt:
Spruch
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
Der Beschwerdeführer hat dem Bund Aufwendungen in der Höhe von EUR 332,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
I.
1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Wien (der belangten Behörde) vom 1. Juli 1998 wurde gemäß § 75 Abs. 1 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, festgestellt, dass keine stichhaltigen Gründe für die Annahme bestünden, dass der Beschwerdeführer, dem Bescheid zufolge ein iranischer Staatsangehöriger, im Iran gemäß § 57 Abs. 1 oder Abs. 2 leg. cit. bedroht sei.
Der Beschwerdeführer habe in seiner Berufung gegen ein gegen ihn (nach Ausweis der vorgelegten Verwaltungsakten: mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 12. Februar 1997) erlassenes Aufenthaltsverbot und in seinem Feststellungsantrag vom 7. April 1997 übereinstimmend angegeben, im Jahr 1980 von der iranischen Armee desertiert zu sein, weil er den Kampf gegen das kurdische Volk und einen möglichen Einsatz gegen den Irak aus Überzeugungs- und Gewissensgründen nicht hätte mittragen können. In seiner Stellungnahme vom 2. Dezember 1997 habe er seine Angaben dahingehend abgeändert, dass er im Juli 1979, und zwar zwei Tage nach dem Sturz des diktatorischen Schah-Regimes und der Machtergreifung Khomeinis im Iran, in der Stadt K. bei einer Panzerdivision stationiert gewesen wäre und damals den Befehl erhalten hätte, die Verpflegung dieser Division zu übernehmen. Als er von dem - vorerst geheim gehaltenen - Befehl an die Panzerdivision, einen Einsatz gegen kurdische Freiheitskämpfer durchzuführen, erfahren hätte, wäre er (dem erstinstanzlichen Bescheid vom 6. März 1998 zufolge, auf dessen Gründe im angefochtenen Bescheid verwiesen wird: trotz enormer Schwierigkeiten Hals über Kopf) desertiert und hätte sich nach Pakistan abgesetzt. Weder in diesem Staat noch in Indien oder in Nepal, wo er sich aufgehalten hätte, hätte er Flüchtlingsstatus erlangt. Nach seiner Einreise in Österreich im Jahr 1990 hätte er erst gar nicht um Asyl angesucht, weil er damals bereits mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet gewesen wäre. Er würde damit rechnen, wegen seiner Desertion zur Verantwortung gezogen zu werden, weil die Armee bei Deserteuren, deren sie wieder habhaft würde, verschiedene Mittel der Folter anwenden würde, weil sie Deserteure generell verdächtigte, für eine ausländische Macht spioniert zu haben. Auch bei einem Gerichtsverfahren hätte er mit unmenschlicher Behandlung bzw. mit Folter zu rechnen.
(Im erstinstanzlichen Bescheid wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer zwar nicht kurdischer Nationalität wäre, aber es in seinem Bekannten- und Verwandtenkreis zahlreiche Personen gäbe, die sich aktiv für die kurdische Sache und die Gründung eines kurdischen Staates einsetzten. Er wäre daher zur Überzeugung gelangt, dass es sich beim Freiheitskampf des kurdischen Volkes um eine gerechte Sache handelte, die der Unterstützung aller friedliebenden Menschen bedürfte. Im Fall einer Rückkehr in den Iran würde er als gewöhnlicher Deserteur auch nach 16 Jahren noch vor ein Militärgericht gestellt werden. Die Verfahren der Militärgerichte würden bei weitem nicht den international anerkannten Grundsätzen eines fairen Prozesses entsprechen. In einem solchen Verfahren sollte es zu keiner Gegenüberstellung mit dem Ankläger kommen und hätte der Angeklagte kein Berufungsrecht oder sonstiges Rechtsmittel. Die Prozesse sollten entweder im Geheimen oder als große Schauprozesse stattfinden. Massengerichte, bei denen die Verfahrensdauer fünf Minuten betrüge, sollten üblich sein. Dabei sollten in diesen Fällen üblicherweise langjährige Gefängnisstrafen, harte Körperstrafen oder unter Umständen sogar die Todesstrafe verhängt werden.)
Begründend führte die belangte Behörde weiter aus, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers mehrere Widersprüche erkennen lasse. So sei zunächst von einer Desertion im Jahr 1980 die Rede gewesen und sei dies später auf Juli 1979 geändert worden. Auch die Aussage "im Juli 1979, 2 Tage nach Sturz des Schahregimes" stehe mit den historischen Daten im Widerspruch. Tatsache sei vielmehr, dass der damalige Schah im Jänner 1979 aus dem Iran geflohen und Khomeini am 1. Februar 1979 in den Iran zurückgekehrt sei sowie am 11. Februar 1979 die Macht im Staat übernommen habe. Der 11. Februar gelte als "Tag der Revolution", bis heute als nationaler Feiertag im Iran. Bereits diese Widersprüche hätten die Angaben des Beschwerdeführers hinsichtlich seiner Fluchtgründe in nicht unbeträchtlichem Ausmaß unglaubwürdig gemacht.
Ferner habe der Beschwerdeführer entgegen seiner Verpflichtung, das Bestehen einer aktuellen Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen und diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun, keine Bescheinigungsmittel vorgelegt, die seine Angaben zu untermauern geeignet gewesen wären. Außer der sehr allgemein gehaltenen Angabe, in der Stadt K. bei einer Panzerdivision stationiert gewesen zu sein, deren Verpflegung er zu übernehmen gehabt hätte, fänden sich keine Hinweise oder Belege dafür, dass er überhaupt Militärdienst geleistet habe und in welcher Form er diesen versehen habe (da er mit der Verpflegung betraut gewesen sei, könnte er auch Koch gewesen sein). Auch habe die Erstbehörde festgestellt, dass der Beschwerdeführer keine Verfolgung oder Gefährdung im Sinn des § 57 Abs. 1 und 2 leg. cit. bis zu seiner Ausreise aus dem Iran behauptet habe. Diese Verfolgung oder Gefährdung habe er nur aus seiner behaupteten Desertion abgeleitet, ohne jedoch nachvollziehbar darzutun, dass diese Bedrohung auch noch zum heutigen Zeitpunkt, d.h. etwa 19 Jahre später, aktuell und konkret wäre. Bedeutsam sei der belangten Behörde vielmehr erschienen, dass der Beschwerdeführer trotz Betreuung durch den UNHCR unmittelbar nach seiner Flucht in mehreren Staaten nicht als Flüchtling anerkannt worden sei. Zur Beurteilung der Frage, ob er gemäß § 57 Abs. 2 leg. cit. bedroht wäre, habe dieser von ihm behauptete Umstand nur als Hinweis dafür dienen können, dass eine solche Bedrohung eben nicht vorgelegen sei. Die belangte Behörde verkenne nicht, dass es im Iran wiederholt zu Menschenrechtsverletzungen komme, die auch Gegenstand internationaler Kritik seien. Es sei jedoch anzumerken, dass auch nach der Rechtsprechung des EGMR die bloße Möglichkeit einer dem Art. 3 EMRK widersprechende Behandlung in jenem Staat, in den ein Fremder abgeschoben werde, nicht genüge, um die Abschiebung des Fremden in diesen Staat unter dem Gesichtspunkt des § 57 FrG als unzulässig erscheinen zu lassen. Vielmehr müssten konkrete Anhaltspunkte dafür gegeben sein, die aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers jedoch nicht erkennbar seien. Selbst unter der Annahme, dass er tatsächlich Militärdienst geleistet habe und desertiert sei, habe er nicht glaubhaft darlegen können, dass er auch nach 19 Jahren deswegen noch verfolgt würde. Dies auch angesichts der Tatsache, dass er bis dato keiner behaupteten Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Weder seine Rasse noch seine Religion, seine Nationalität oder seine Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe sei von ihm als Grund für eine Verfolgung im Sinn des § 57 Abs. 2 leg. cit. geltend gemacht worden. Eine Verfolgung aus politischen Gründen sei aus der Aktenlage ebenfalls nicht ableitbar. Auch wenn es zutreffend sein sollte, dass er den kurdischen Freiheitskampf für eine gerechte Sache halte, und sich in seinem Verwandtenkreis Personen befänden, die sich aktiv für die Gründung eines kurdischen Staates einsetzten, sei eine unmittelbare Bedrohung von Leben oder Freiheit des Beschwerdeführers im Fall der Rückkehr in den Iran aus diesen Gründen nicht erkennbar.
Das Vorliegen einer Bedrohungssituation gemäß § 57 Abs. 1 leg. cit. leite er aus einschlägigen UNO-Berichten und entsprechendem Material oppositioneller Kreise ab. Durch seine widersprüchlichen und nicht prüfbaren - sohin dem Konkretisierungsgebot nicht entsprechenden - Angaben, habe er eine Verbindung zwischen seinem konkreten Fall und diesen Berichten nicht herstellen können.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.
3. Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes hat der Fremde im Rahmen eines Feststellungsverfahrens nach § 75 FrG das Bestehen einer aktuellen, also im Fall der Abschiebung des Fremden in den von seinem Antrag erfassten Staat dort gegebenen, durch staatliche Stellen zumindest gebilligten oder infolge nicht ausreichenden Funktionierens der Staatsgewalt nicht abwendbaren Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 und/oder Abs. 2 FrG glaubhaft zu machen, wobei diese aktuelle Bedrohungssituation mittels konkreter, die Person des Fremden betreffender, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerter Angaben darzutun ist. Ebenso wie im Asylverfahren ist auch im Verfahren nach § 75 FrG die konkrete Einzelsituation in ihrer Gesamtheit, gegebenenfalls vor dem Hintergrund der allgemeinen Verhältnisse, in Form einer Prognose für den gedachten Fall der Abschiebung des Fremden in diesen Staat zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist nicht unmaßgeblich, ob etwa allenfalls gehäufte Verstöße der in § 57 Abs. 1 FrG umschriebenen Art durch den genannten Staat bekannt geworden sind. (Vgl. zum Ganzen etwa das Erkenntnis vom 20. Juni 2002, Zl. 2002/18/0097, m.w.N.)
2. Die belangte Behörde hat die Angaben des Beschwerdeführers zu seinen Fluchtgründen als unglaubwürdig erachtet und darüber hinaus die Auffassung vertreten, dass er selbst unter der Annahme, dass er vom Militär im Iran desertiert sei, nicht glaubhaft gemacht habe, dass er nach 19 Jahren deswegen noch verfolgt würde. Zur Begründung, warum sie seinen Angaben keinen Glauben schenke, verwies die belangte Behörde auf mehrere Widersprüche in seinen Angaben. Darüber hinaus habe der Beschwerdeführer auch keine Bescheinigungsmittel zur Untermauerung seiner allgemein gehaltenen Angaben vorgelegt.
Die Beschwerde geht auf diese - im Einzelnen in der Sachverhaltsdarstellung (I.1.) wiedergegebenen - Überlegungen der belangten Behörde nicht ein und zeigt keine Unschlüssigkeit der beweiswürdigenden Erwägungen auf. Diese Beweiswürdigung begegnet im Rahmen der dem Verwaltungsgerichtshof zukommenden Überprüfungsbefugnis (vgl. etwa das hg. Erkenntnis eines verstärkten Senates vom 3. Oktober 1985, Zl. 85/02/0053) keinen Bedenken.
3. Wenn die Beschwerde als Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt, es hätten im Hinblick auf die Eingabe des Vereins zur Unterstützung iranischer Flüchtlinge (vom 10. Dezember 1997) weitere Ermittlungen, insbesondere zur Frage, ob gegen den Beschwerdeführer neben seiner Desertion weitere Belastungsmomente gegen ihn vorlägen, durchgeführt werden müssen, so zeigt sie mit diesem Vorbringen schon deshalb keine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf, weil diese Eingabe die Behauptungen des Beschwerdeführers zu seiner Lebensgeschichte zusammenfassend wiedergibt und darüber hinaus keine konkreten, die Person des Beschwerdeführers betreffenden, durch entsprechende Bescheinigungsmittel untermauerten Angaben enthält, die die behauptete Desertion des Beschwerdeführers von der irakischen Armee glaubhaft machen. Im Übrigen hat der Beschwerdeführer nach Ausweis der Verwaltungsakten in seiner gegen den erstinstanzlichen Bescheid erhobenen Berufung vom 3. Juni 1998 angekündigt, er werde sich in Erfüllung der ihm obliegenden Konkretisierungspflicht in nächster Zeit bemühen, der Behörde entsprechendes Material vorzulegen, das als Grundlage der Berufungsentscheidung dienen könne, und um Gewährung einer Frist von "ca. 3 Wochen" ersucht. Obwohl die belangte Behörde den angefochtenen Bescheid erst am 1. Juli 1998 gefasst und erst am 7. Juli 1998 (Zustellung an den Beschwerdeführer) erlassen hat, wurden bis dahin die angekündigten Unterlagen nicht vorgelegt. Auch die Beschwerde behauptet nicht, dass der Beschwerdeführer im Berufungsverfahren solche Unterlagen vorgelegt habe. Der behauptete Verfahrensmangel ist daher nicht gegeben.
4. Demzufolge kann die Ansicht der belangten Behörde, es sei dem Beschwerdeführer nicht gelungen, eine Gefährdung oder Bedrohung im Sinn des § 57 Abs. 1 oder 2 FrG für den Fall seiner Abschiebung in den Iran glaubhaft zu machen, nicht als rechtswidrig erkannt werden.
5. Die Beschwerde erweist sich daher als unbegründet, weshalb sie gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen war.
6. Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 501/2001.
Wien, am 10. April 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:1999180220.X00Im RIS seit
08.05.2003