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58 Berg- und EnergierechtNorm
B-VG Art7 Abs1 / GesetzLeitsatz
Zulässigkeit des Individualantrags einer erdölimportierenden Gesellschaft auf Aufhebung einer Bestimmung betreffend die Verpflichtung zur Haltung von Pflichtnotstandsreserven im Inland; kein Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem primärem und sekundärem Gemeinschaftsrecht; keine unsachliche oder unverhältnismäßige Maßnahme im Hinblick auf das öffentliche Interesse an der Gewährleistung einer Versorgung im KrisenfallSpruch
Der Antrag wird abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Mit einem auf Art140 Abs1, letzter Satz, B-VG gestützten Individualantrag begehrt die antragstellende Gesellschaft die Aufhebung der Wortfolge "im Inland" in ArtII §3 Abs1 des Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetzes 1982, BGBl. 546/1982 idgF.
2. ArtII §3 Abs1 Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz 1982, BGBl. 546/1982 idF BGBl. 383/1992 (die angefochtene Bestimmung blieb durch die nachfolgenden Novellen - zuletzt BGBl. I 179/1998 - unberührt; im folgenden: EBMG) hat folgenden Wortlaut:
"§3. (1) Vorratspflichtige haben ab 1. April jeden Jahres je 25% des Importes an Erdöl und den einzelnen Erdölprodukten im vorangegangenen Kalenderjahr als Pflichtnotstandsreserven im Inland zu halten."
3.1. Die antragstellende Gesellschaft ist Importeurin von Erdöl bzw. Erdölprodukten und als solche gemäß ArtII §2 Abs1 EBMG nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen zur Haltung von Pflichtnotstandsreserven verpflichtet. Die antragstellende Gesellschaft begründet ihre Antragslegitimation damit, daß ihr durch die in ArtII §3 Abs1 EBMG normierte Verpflichtung der Haltung von Pflichtnotstandsreserven im Inland die Möglichkeit genommen werde, ihrer Vorratshaltung durch Einlagerung der vorgeschriebenen Menge in den Lagern ihrer in Marghera bei Venedig ansässigen Vertragspartnerin nachzukommen. Mit der in Marghera bei Venedig ansässigen Firma bestünde ein privatrechtlicher Vertrag iSd ArtII §4 Abs1 Z3 EBMG, durch den sie, gäbe es die Einschränkung auf die Haltung der Pflichtnotstandsreserven im Inland nicht, ihrer Bevorratungspflicht entsprechen könnte. Es liege jedenfalls ein unmittelbarer und aktueller Eingriff in ihre Rechtssphäre vor, ohne daß es hiefür einer behördlichen Entscheidung bedürfe.
Durch die angefochtene Wortfolge erachtet sich die antragstellende Gesellschaft in ihren verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf Privatautonomie, Unversehrtheit des Eigentums sowie Gleichheit vor dem Gesetz verletzt. Weiters sei die Wortfolge "im Inland" in ArtII §3 Abs1 EBMG mit Art30 EGV (nunmehr Art28 EGV) unvereinbar.
3.2. Im einzelnen führt die antragstellende Gesellschaft aus, daß die Privatautonomie und damit die marktwirtschaftliche Ordnung durch ArtII §3 Abs1 EBMG insofern krass verletzt würden, als der Abschluß einer Vereinbarung nach ArtII §4 Abs1 Z3 EBMG nur mit einem Vertragspartner im Inland zulässig sei. In diesem Zusammenhang wird von der antragstellenden Gesellschaft darauf verwiesen, daß sich ihr Firmensitz in Völkermarkt befinde und demnach die Entfernung nach Wien-Schwechat, wo eine Möglichkeit der Lagerhaltung bestehe, einerseits bzw. nach Marghera bei Venedig andererseits praktisch ident sei. Ein sachlicher Grund, der eine Auferlegung der Lagerung im Inland erforderlich mache, sei spätestens seit dem Vollbeitritt Österreichs zur Europäischen Union nicht mehr gegeben, da die Freiheit des Warenverkehrs durch die Art9 ff. EGV (nunmehr Art23 ff. EGV) gewährleistet sei, wobei Einschränkungen für den Krisenfall im Sinne des EBMG nicht vorgesehen seien. In der Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (68/414/EWG), ABl. Nr. L 308/14, sei ausdrücklich die Möglichkeit der Haltung der Mindestvorräte an Erdöl bzw. Erdölerzeugnissen außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes vorgesehen worden. Diese Richtlinie ließe erkennen, daß die Freiheit des Warenverkehrs auch bei Vorliegen einer Versorgungskrise in bezug auf Erdöl und Erdölprodukte gewährleistet sei. Ein sachlicher Grund zur Aufrechterhaltung des Lagerungserfordernisses im Inland sei daher spätestens seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union nicht mehr gegeben.
Im Recht auf Unversehrtheit des Eigentums erachtet sich die antragstellende Gesellschaft deswegen verletzt, weil die Lagerhaltung in Italien deutlich billiger komme als jene in Schwechat. Die angefochtene Wortfolge entbehre weiters einer sachlichen Rechtfertigung, weil nicht einzusehen sei, warum nicht die in Oberitalien gelegenen Erdöl-Lagerstätten jenen in Österreich gleichgestellt werden sollen. Zudem stehe die von ihr bekämpfte Verpflichtung in Widerspruch zu Art30 EGV (nunmehr Art28 EGV), da sie im Sinne der vom EuGH entwickelten "Dassonville-Formel" eine Maßnahme gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Beschränkung darstelle und sohin das Grundrecht der Freiheit des Warenverkehrs verletze.
3.3. Die Bundesregierung hat aufgrund ihres Beschlusses vom 5. Mai 1998 eine Äußerung erstattet, in welcher sie beantragt, den Gesetzesprüfungsantrag als unzulässig zurückzuweisen bzw. die angefochtene Wortfolge nicht als verfassungswidrig aufzuheben.
Zur behaupteten Verletzung des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums führt die Bundesregierung aus, daß der Gesetzgeber die Grenzen der rechtspolitischen Gestaltungsfreiheit in bezug auf ArtII §3 Abs1 EBMG gewahrt habe. Es bestehe insbesondere ein gravierendes öffentliches Interesse an einer Sicherung der Energieversorgung in Krisenzeiten durch eine ausreichende Reserve an Erdöl und Erdölprodukten. Das angesprochene öffentliche Interesse an einer im Inland gelegenen Erdöl-Bevorratung ließe sich bereits aus dem Bekenntnis Österreichs zur umfassenden Landesverteidigung in Art9a B-VG ableiten. Weiters sei Österreich im Jahre 1976 dem Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm, BGBl. 317/1976, beigetreten, dessen Kapitel I "Selbstversorgung in Notständen" jene Regelungen enthielte, nach denen die Teilnehmerstaaten eine gemeinsame Selbstversorgung mit Öl in Notständen schaffen. Zu diesem Zwecke seien die Teilnehmerstaaten verpflichtet, ausreichende Notstandsreserven zu unterhalten, um ohne Netto-Öleinfuhren den Verbrauch mindestens 90 Tage lang decken zu können. Das angesprochene Übereinkommen enthielte allerdings keine ausdrückliche Regelung, ob die Pflichtnotstandsreserven lediglich im Inland oder auch im Ausland gehalten werden könnten.
Korrespondierend zum Übereinkommen über ein Internationales Energieprogramm sei innerhalb der Europäischen Gemeinschaft die Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (68/414/EWG), ABl. Nr. L 308/14, ergangen, wonach die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um ständig Vorräte in einer bestimmten Höhe zu halten. Diese Vorräte müßten sich vorbehaltlich der Bestimmungen des Art6 Abs2 im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates befinden. Art6 Abs2 dieser Richtlinie sehe vor, daß für die Durchführung dieser Richtlinie im Rahmen besonderer zwischenstaatlicher Übereinkünfte Vorräte im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates für Rechnung von Unternehmen angelegt sein könnten, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hätten. Es liege daher im Ermessen des Mitgliedstaates, solche besonderen zwischenstaatlichen Übereinkünfte abzuschließen. Das Bestehen eines (bilateralen) Vertrages zwischen Mitgliedstaaten sei daher Grundvoraussetzung für die Lagerung von Pflichtnotstandsreserven in einem anderen Mitgliedstaat. Österreich sei jedoch - wie einige andere EU-Mitgliedstaaten auch - keine Verträge über eine Pflichtnotstandsreservenhaltung in einem anderen Mitgliedstaat eingegangen. Denn Österreich wäre es in einer allfälligen Krisensituation sowohl auf Grund seiner geographischen Lage als auch wegen der Versorgung über eine einzige Erdölpipeline (AWP-Pipeline) - etwa 70 % des heimischen Marktes würden über diese Pipeline versorgt werden - nicht möglich, seinen Bedarf kurzfristig über Vertriebswege zu decken, die anderen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stünden. Schließlich weist die Bundesregierung darauf hin, daß gegenwärtig in der Europäischen Union eine den zwischenzeitig geänderten Rahmenbedingungen Rechnung tragende, neue Erdölbevorratungsrichtlinie in Ausarbeitung stehe. Aber auch dieser Entwurf gehe grundsätzlich von der inländischen Pflichtnotstandsreservenhaltung aus und eröffne den Mitgliedstaaten lediglich die Option, bilaterale Vereinbarungen über die Haltung von Pflichtnotstandsreserven mit anderen EU-Mitgliedstaaten zu schließen.
Der Behauptung, ArtII §3 Abs1 EBMG verletze die Freiheit des Warenverkehrs gemäß Art9 ff. EGV (nunmehr Art23 ff. EGV), hält die Bundesregierung entgegen, daß Art36 EGV (nunmehr Art30 EGV) die Grundlage für "Ausnahmen nicht-wirtschaftlicher Art" von dem hier maßgeblichen allgemeinen Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung gemäß Art30 leg.cit. (nunmehr Art28 EGV) biete, welche ua. aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit getroffen werden dürften. Es handle sich dabei um wesentliche Interessen des Staates, zu denen nach der Rechtsprechung des EuGH auch die Versorgung mit Erdölerzeugnissen zähle.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Zur Zulässigkeit:
1.1. Gemäß Art140 B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auch auf Antrag einer Person, die unmittelbar durch diese Verfassungswidrigkeit in ihren Rechten verletzt zu sein behauptet, sofern das Gesetz ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides für diese Person wirksam geworden ist.
Voraussetzung der Antragslegitimation ist sohin einerseits, daß der Antragsteller behauptet, unmittelbar durch das angefochtene Gesetz - im Hinblick auf dessen Verfassungswidrigkeit - in seinen Rechten verletzt worden zu sein, dann aber auch, daß das Gesetz für den Antragsteller tatsächlich und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides wirksam geworden ist. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation ist, daß das Gesetz in die Rechtssphäre des Antragstellers nachteilig eingreift und diese - im Falle seiner Verfassungswidrigkeit - verletzt.
Nicht jedem Normadressaten aber kommt die Anfechtungsbefugnis zu. Es ist darüber hinaus erforderlich, daß das Gesetz selbst tatsächlich in die Rechtssphäre des Antragstellers unmittelbar eingreift. Ein derartiger Eingriff ist jedenfalls nur dann anzunehmen, wenn dieser nach Art und Ausmaß durch das Gesetz selbst eindeutig bestimmt ist, wenn er die (rechtlich geschützten) Interessen des Antragstellers nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigt und wenn dem Antragsteller kein anderer zumutbarer Weg zur Abwehr des - behaupteter Weise - rechtswidrigen Eingriffes zur Verfügung steht (VfSlg. 12.227/1989).
1.2. Nach ihrer unwidersprochen gebliebenen Behauptung ist die antragstellende Gesellschaft Erdölimporteurin, welcher nach ArtII §2 Abs1 iVm ArtII §3 Abs1 EBMG die Verpflichtung auferlegt ist, Pflichtnotstandsreserven im Inland zu halten. Diese gesetzlich normierte Verpflichtung trifft die antragstellende Gesellschaft unmittelbar, ohne daß es eines konkretisierenden richterlichen oder verwaltungsbehördlichen Aktes bedarf oder ein solcher vorgesehen ist.
1.3. Unzulässig wäre der Antrag im Hinblick auf den auch vom Verfassungsgerichtshof wahrzunehmenden Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts aber auch dann, wenn der bekämpften Norm unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht entgegenstünde, weil in diesem Fall auszuschließen wäre, daß der Antragsteller durch die bekämpfte Norm iSd Art140 Abs1 B-VG in seinen Rechten verletzt sein könnte. Anders als bei der Entscheidung der Präjudizialitätsfrage in von Amts wegen eingeleiteten Normenprüfungsverfahren (vgl. VfSlg. 15.215/1998 zum Bgld. Tourismusgesetz) kann ein Individualantrag nach Art140 Abs1 B-VG nur dann als zulässig angesehen werden, wenn feststeht, daß der Anwendbarkeit der bekämpften Norm nicht unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht entgegensteht (vgl. Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts8 (1996), Rz 246/30; Vcelouch, Auswirkungen der österreichischen Unionsmitgliedschaft auf den Rechtsschutz vor dem VwGH und dem VfGH, ÖJZ 1997, 721 ff. (724); Korinek, Die Bedeutung des Gemeinschaftsrechts für das verfassungsgerichtliche Verfahren, in: Holoubek/Lang (Hrsg.), Das verfassungsgerichtliche Verfahren in Steuersachen (1998), 31 ff. (40); Öhlinger/Potacs, Gemeinschaftsrecht und staatliches Recht (1998), 154; Potacs, Die Europäische Union und die Gerichtsbarkeit öffentlichen Rechts,
14. ÖJT I/1 (2000), 62).
Der Verfassungsgerichtshof sieht keinen Anlaß zu Bedenken, daß der Vorschrift des ArtII §3 Abs1 EBMG unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht entgegenstünde.
Die Vorschrift des ArtII §3 Abs1 EBMG steht nicht in Widerspruch zu sekundärem Gemeinschaftsrecht. Gemäß Art6 Abs1 der Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (68/414/EWG), ABl. Nr. L 308/14, müssen sich die Mindestvorräte an Erdölerzeugnissen grundsätzlich im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaates befinden. Eine Ausnahme davon normiert Abs2 der genannten Bestimmung, wonach im Rahmen besonderer zwischenstaatlicher Übereinkünfte Vorräte im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats für Rechnung von Unternehmen angelegt sein können, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Die Richtlinie schließt damit die Vorratshaltung im (EU-)Ausland nicht aus, stellt sie aber den Mitgliedstaaten frei. Die in ArtII §3 Abs1 EBMG verankerte Forderung nach einer Vorratshaltung im Inland steht somit offenkundig nicht in Widerspruch zum sekundären Gemeinschaftsrecht. Daran hat auch die Novellierung der zitierten Richtlinie durch die Richtlinie 98/93/EG des Rates vom 14. Dezember 1998, ABl. Nr. L 358/100, nichts geändert. Diese hat die geschilderte Rechtslage inhaltlich unverändert gelassen und Art6 Abs2 sogar noch um den Satz ergänzt: "Es ist Sache der Regierung des jeweiligen Mitgliedstaats, darüber zu befinden, ob ein Teil dieser Vorräte außerhalb des Staatsgebiets gehalten werden soll."
Der Vorschrift des ArtII §3 Abs1 EBMG steht aber auch unmittelbar anwendbares primäres Gemeinschaftsrecht nicht entgegen. Es kann in diesem Zusammenhang dahin gestellt bleiben, ob - wie die antragstellende Gesellschaft vermeint - eine Regelung, die Vorschriften über den Ort der Lagerung bestimmter Waren aufstellt und hiebei Erzeugnisse anderer Mitgliedstaaten nicht diskriminiert, überhaupt unter das Verbot des Art30 EGV (nunmehr Art28 EGV) fällt. Selbst wenn dies zutreffen sollte, hat der Verfassungsgerichtshof nämlich keine Zweifel, daß eine solche Regelung ihre Rechtfertigung in den in Art36 EGV (nunmehr Art30 EGV) genannten Gründen findet. Im Urteil vom 10. 7. 1984 in der Rechtssache 72/83, "Campus Oil Limited", Slg. 1984, 2727 ff., hat der EuGH die Auffassung vertreten, daß eine Unterbrechung der Versorgung mit Erdölerzeugnissen und die sich daraus für die Existenz eines Staates ergebenden Gefahren seine öffentliche Sicherheit, deren Schutz (der damals maßgebende) Art36 EGV ermöglicht, schwer beeinträchtigen könne (Rdnr. 34). Die Absicht, jederzeit eine Mindestversorgung mit Erdölerzeugnissen sicherzustellen, könne somit ein Ziel darstellen, das unter den Begriff der öffentlichen Sicherheit fällt (Rdnr. 35). Nach Auffassung des EuGH ist eine Regelung, die Importeure verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihres Bedarfes bei einer in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Raffinerie durch Käufe zu amtlich festgesetzten Preisen zu decken, zwar eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung (und daher nach dem damals maßgebenden Art30 EGV grundsätzlich untersagt), doch kann sich ein Mitgliedstaat in diesem Fall auf Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne des (damals maßgebenden) Art36 EGV berufen, wenn seine Versorgung mit Erdölerzeugnissen vollständig oder fast vollständig von der Einfuhr abhängt. Der Verfassungsgerichtshof hält es angesichts dieser Judikatur für ausgeschlossen, daß eine Regelung wie die des ArtII §3 Abs1 EBMG, die es (in Übereinstimmung mit der RL 68/414/EWG) einem Mitgliedstaat erlaubt, offensichtlich aus Gründen der Versorgungssicherheit die Erdölvorratshaltung im Inland zu verlangen, im Widerspruch zum Prinzip des freien Warenverkehrs stehen könnte.
Der Verfassungsgerichtshof geht daher davon aus, daß der Anwendung der bekämpften Norm unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht nicht entgegensteht, der Antragsteller somit iSd Art140 Abs1 B-VG durch die bekämpfte Norm in seinen Rechten verletzt sein könnte.
1.4. Da auch die übrigen Prozeßvoraussetzungen vorliegen, ist der Antrag zulässig.
2. In der Sache:
2.1. Gemäß ArtII §4 Abs1 Z3 EBMG hat der iSd ArtII §2 Abs1 leg.cit. Vorratspflichtige die Möglichkeit, seine Verpflichtung zur Haltung von Pflichtnotstandsreserven nicht nur durch eigene Lagerhaltung, sondern auch durch den Abschluß eines privatrechtlichen Vertrages zu erfüllen, mit welchem der Vertragspartner verpflichtet wird, eine bestimmte Menge an Erdöl oder Erdölprodukten zur Verfügung zu halten. Durch ArtII §3 Abs1 leg.cit. wird diese Möglichkeit nur insoferne eingeschränkt, als Pflichtnotstandsreserven jedenfalls im Inland zu halten sind, der Vertragspartner demnach eine Lagerhaltung in Österreich vornehmen muß.
2.2. Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 9189/1981, 12.227/1989, 12.998/1992) gilt der erste Satz des Art5 StGG ebenso für Eigentumsbeschränkungen, auf die sich allerdings auch der im zweiten Satz des zitierten Artikels festgelegte Gesetzesvorbehalt erstreckt. Der Gesetzgeber kann daher verfassungsrechtlich einwandfreie Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unversehrtheit des Eigentums berührt oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstößt (vgl. VfSlg. 9189/1981), soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liegt (vgl. VfSlg. 11.402/1987, 12.227/1989) und nicht unverhältnismäßig und unsachlich ist (VfSlg. 14.075/1995, 14.503/1996). Die Eigentumsgarantie des Art5 StGG gewährleistet auch die Privatautonomie.
Der auch den Gesetzgeber bindende Gleichheitsgrundsatz verlangt Regelungen, die sachlich gerechtfertigt werden können, normiert also ein umfassendes Sachlichkeitsgebot, wobei unverhältnismäßige Regelungen zur Unsachlichkeit führen können (vgl. z. B. VfSlg. 14.503/1996).
2.3. Bereits in seinem Erkenntnis VfSlg. 8813/1980 und daran anschließend im Erkenntnis VfSlg. 12.227/1989 vertrat der Verfassungsgerichtshof die Auffassung, daß die Sicherung der Energieversorgung Österreichs auch in Krisenzeiten ein wirtschaftspolitisches Ziel darstelle, dessen Erreichung im öffentlichen Interesse gelegen sei und das dem Sachlichkeitsgebot nicht widerstreite. Der Verfassungsgerichtshof bleibt auch bei der bereits in den zitierten Erkenntnissen vertretenen Meinung, daß eine ausreichende Reserve an Erdöl und Erdölprodukten im Inland jedenfalls die Grundlage für die Sicherung des Wirtschaftsablaufes beim Auftreten von Importschwierigkeiten bildet. Der Verfassungsgerichtshof stimmt auch mit der vom EuGH im bereits zitierten Urteil (Rdnr. 34) geäußerten Auffassung überein, daß "Erdölerzeugnisse wegen ihrer außerordentlichen Bedeutung als Energiequelle in der modernen Wirtschaft wesentlich sind für die Existenz eines Staates, da nicht nur das Funktionieren seiner Wirtschaft, sondern vor allem auch das seiner Einrichtungen und seiner wichtigen öffentlichen Dienste und selbst das Überleben seiner Bevölkerung von ihnen abhängen. Eine Unterbrechung der Versorgung mit Erdölerzeugnissen und die sich daraus für die Existenz eines Staates ergebenden Gefahren können somit seine öffentliche Sicherheit ... schwer beeinträchtigen".
Die die Haltung von Pflichtnotstandsreserven an Erdöl und Erdölprodukten regelnden Vorschriften des EBMG entsprechen seit dem EU-Beitritt den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, insbesondere der Richtlinie des Rates vom 20. Dezember 1968 zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten der EWG, Mindestvorräte an Erdöl und/oder Erdölerzeugnissen zu halten (68/414/EWG), ABl. Nr. L 308/14. Deren Art1 verpflichtet die Mitgliedstaaten, geeignete Rechts- und Verwaltungsvorschriften zu erlassen, um ständig Vorräte an Erdölerzeugnissen in einer bestimmten Höhe zu halten. Art6 Abs2 der genannten Richtlinie überläßt - wie oben bereits dargestellt - den Mitgliedstaaten die Entscheidung darüber, ob die Vorratshaltung in ihrem Staatsgebiet oder aufgrund zwischenstaatlicher Übereinkünfte in einem anderen Mitgliedstaat erfolgen soll. (Die Richtlinie 98/93/EG des Rates vom 14. Dezember 1998 zur Änderung der Richtlinie 68/414/EWG, ABl. Nr. L 358/100, hat - wie erwähnt - an dieser Rechtslage inhaltlich nichts geändert.)
Zur Frage, warum Österreich von der in der genannten Richtlinie enthaltenen Ermächtigung nicht Gebrauch gemacht hat, sondern weiterhin die Vorratshaltung im Inland verlangt, führt die Bundesregierung folgendes aus:
"Österreich ist jedoch - wie einige andere EU-Mitgliedstaaten auch - keine Verträge über eine Pflichtnotstandsreservenhaltung in einem anderen Mitgliedstaat eingegangen. Denn Österreich wäre es in einer allfälligen Krisensituation sowohl auf Grund seiner geographischen Lage als auch wegen der Versorgung über eine einzige Erdölpipeline (AWP-Pipeline) - etwa 70 % des heimischen Marktes werden über diese Pipeline versorgt - nicht möglich, seinen Bedarf kurzfristig über Vertriebswege zu decken, die anderen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen. ... Es ist daher schon auf Grund der gebotenen Sicherheit des Vorhandenseins der Vorräte an Erdöl und Erdölprodukten sowie angesichts der heimischen Versorgungsstruktur unabdingbar erforderlich, daß die Pflichtvorräte im Interesse der heimischen Volkswirtschaft in Österreich selbst gehalten werden und - im Krisenfall - nicht erst aus dem Ausland unter den Bedingungen eingeschränkter Transportkapazitäten und langer Vertriebswege nach Österreich verbracht werden müssen."
Der Verfassungsgerichtshof hält diese Erwägungen, die auf die Gewährleistung einer Versorgung im Krisenfall einerseits, die geographische Lage und die Versorgungsstruktur andererseits abstellen und daher offensichtlich unabhängig vom Beitritt Österreichs zur EU Gültigkeit haben, für plausibel. Mit ihnen wird auch ein hinreichendes öffentliches Interesse an der Haltung von Pflichtnotstandsreserven im Inland dargetan. Daß die Verpflichtung zur Vorratshaltung im Inland im Hinblick auf das im öffentlichen Interesse liegende Ziel der Versorgungssicherheit unverhältnismäßig wäre, kann der Gerichtshof nicht finden. Wenn der Gesetzgeber somit das Halten von Pflichtnotstandsreserven an Erdöl und Erdölprodukten im Inland vorgeschrieben hat, so handelt es sich dabei um eine im öffentlichen Interesse gelegene, sachlich gerechtfertigte und nicht unverhältnismäßige Maßnahme, die verfassungsrechtlichen Bedenken weder unter dem Gesichtspunkt der Unversehrtheit des Eigentums noch des Gleichheitssatzes begegnet.
Da die Bedenken der antragstellenden Gesellschaft nicht zutreffen, erweist sich der Antrag als unbegründet; er war deshalb abzuweisen.
III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4, erster Satz, VerfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Energierecht, Erdöl, EU-Recht Richtlinie, VfGH / IndividualantragEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:G46.1998Dokumentnummer
JFT_09999685_98G00046_00