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E2D Assoziierung Türkei;Norm
61989CJ0192 Sevince VORAB;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sauberer und die Hofräte Dr. Robl, Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Grünstäudl als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Winter, über die Beschwerde des C, vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in 6900 Bregenz, Wolfeggstraße 1, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg vom 31. Mai 2001, Zl. Fr-4250c-10/96, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.172,88 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit dem zitierten, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wies die belangte Behörde den Beschwerdeführer, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 33 Abs. 1 iVm § 31 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, aus dem Bundesgebiet aus.
Zur Begründung dieser Maßnahme führte sie im Wesentlichen aus: Der Beschwerdeführer sei am 15. November 1988 nach Österreich eingereist. Mit Bescheid vom 20. Dezember 1990 sei gegen ihn ein bis 31. Dezember 1995 befristetes Aufenthaltsverbot erlassen worden. Sein Asylantrag vom 21. Dezember 1990 sei letztinstanzlich mit Bescheid vom 5. März 1996 abgewiesen worden. Mit Schriftsatz vom 25. September 1991 habe er erstmals einen Vollstreckungsaufschub beantragt, der ihm unter bestimmten Auflagen und Bedingungen bis zum 30. Juni 1993 gewährt worden sei. Ein Abschiebungsaufschub sei ihm am 15. September 1993 - längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Asylverfahrens - erteilt worden. Sein Antrag vom 14. Dezember 1995 auf Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung sei abgewiesen, die dagegen erhobene Berufung letztlich zurückgewiesen worden. Auch sein Antrag vom 7. Oktober 1998 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung sei abgewiesen worden.
Der Beschwerdeführer sei seit 25. September 1991 durchgehend in Österreich beschäftigt. Von einer "ordnungsgemäßen Beschäftigung" im Sinn des Art. 6 Abs. 1 ARB (des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation EWG-Türkei) könne keine Rede sein, weil eine solche im Einklang mit den ausländerbeschäftigungs- und aufenthaltsrechtlichen Vorschriften des jeweiligen Mitgliedstaates stehen müsse. Beschäftigungszeiten, die bloß während eines aufenthaltsrechtlichen "Schwebezustandes" erworben worden seien, seien nicht als Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung im genannten Sinn zu verstehen. Der Beschwerdeführer habe während der Dauer seines Asylverfahrens nicht einmal über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht verfügt, sondern es seien ihm lediglich jeweils befristete Abschiebungsaufschübe erteilt worden. Er halte sich somit seit seiner illegalen Einreise am 15. November 1988 unrechtmäßig in Österreich auf. Von der Möglichkeit einer Ausweisung werde Gebrauch gemacht, weil sich ansonsten Fremde ihren weiteren Aufenthalt dadurch erzwingen könnten, dass sie sich - wie der Beschwerdeführer - weigerten, den gesetzeskonformen Zustand durch eine freiwillige Ausreise herzustellen.
Die Ehefrau des Beschwerdeführers sei in seinem Heimatland. Er sei im Besitz eines gültigen Befreiungsscheines nach § 15 Abs. 1 des Ausländerbeschäftigungsgesetzes. Die Integration, welche auf Grund seines langjährigen unrechtmäßigen Aufenthaltes erfolgt sei, könne er sich nicht zu Gute halten lassen. Die Ausweisung sei zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten, weil ein geordnetes Fremdenwesen für den österreichischen Staat von eminentem Interesse sei. Eine Legalisierung des Aufenthaltes sei vom Inland aus nicht möglich.
Die gegen diesen Bescheid an den Verfassungsgerichtshof gerichtete Beschwerde trat dieser nach Ablehnung ihrer Behandlung mit Beschluss vom 25. September 2001, B 1065/01-6, dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die ergänzte Beschwerde nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen:
Angesichts der unbestritten festgestellten rechtskräftigen Abweisung seines Asylantrags und des Fehlens eines Aufenthaltstitels hegt der Verwaltungsgerichtshof gegen die Auffassung der belangten Behörde, dass die Voraussetzung des § 33 Abs. 1 FrG vorliege, keine Bedenken.
Betreffend eine allfällige Berechtigung nach dem ARB sei bemerkt, dass der Erwerb der Berechtigungen nach Art. 6 Abs. 1 ARB eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt voraussetzen; dies ist etwa nicht der Fall, wenn dem türkischen Staatsangehörigen lediglich die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die Verweigerung einer Aufenthaltserlaubnis zuerkannt worden ist (Urteil des EuGH vom 20. September 1990, Rechtssache C-192/89 "Sevince"). Nach den behördlichen Feststellungen wurde vorliegend der Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich lediglich (teilweise) durch Bewilligung von "Vollstreckungs-" und Abschiebungsaufschüben geduldet. Von einer gesicherten aufenthaltsrechtlichen Position kann somit keine Rede sein, weshalb die weitwändigen, auf den genannten ARB bezogenen Beschwerdeausführungen ins Leere gehen. Soweit der Beschwerdeführer das Urteil des EuGH vom 30. September 1997, Rechtssache C-98/96 "Ertanir", auf seinen Fall angewendet sehen möchte, übersieht er, dass der dort zu Grunde liegende Sachverhalt sich wesentlich von dem hier vorliegenden unterscheidet. Dort hat der türkische Staatsangehörige nämlich eine (bedingte) Aufenthaltsbewilligung erhalten und es waren nur kurze Zeiträume fraglich, in denen er keine gültige Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis besessen hat und die gemäß dem genannten Urteil dann nicht zu Lasten des Fremden in den Anwendungsbereich des Art. 6 Abs. 2 des ARB fallen, wenn die zuständigen Behörden des Aufnahmemitgliedstaats eine neue Aufenthalts- oder Arbeitserlaubnis erteilt haben.
Mit dem Hinweis auf den langen Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich und seine Berufstätigkeit zeigt die Beschwerde jedoch eine inhaltliche Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides in Bezug auf die Beurteilung der belangten Behörde nach § 37 Abs. 1 FrG auf. Es kommt zwar - worauf die belangte Behörde zutreffend hingewiesen hat - den die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften und deren Befolgung durch den Normadressaten aus der Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ein hoher Stellenwert zu. Die belangte Behörde maß aber im vorliegenden Fall den persönlichen Interessen des Beschwerdeführers an einem Verbleib im Bundesgebiet nicht das ihnen gebührende Gewicht zu. Bis zum maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Bescheides hielt sich der Beschwerdeführer nämlich bereits zwölfeinhalb Jahre in Österreich auf, wobei während der langen Dauer des Asylverfahrens (bis zum Jahr 1996) sein Aufenthalt zumindest zum Teil geduldet wurde. Angesichts dieses derart langen inländischen Aufenthaltes reichen die fremdenrechtlichen Verstöße des Beschwerdeführers nicht aus, um die Ausweisung als dringend geboten im Sinn des § 37 Abs. 1 FrG werten zu können, zumal die belangte Behörde dem Beschwerdeführer eine berufliche Integration zubilligte.
Aus diesen Erwägungen war der angefochtene Bescheid wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die beantragte Durchführung einer Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z. 4 VwGG unterbleiben.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 4. September 2003
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2003:2001210159.X00Im RIS seit
25.09.2003Zuletzt aktualisiert am
15.11.2011