TE Vwgh Erkenntnis 2003/9/17 2000/20/0553

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Veröffentlicht am 17.09.2003
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Index

41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §1 Z4;
AsylG 1997 §7;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
FlKonv Art1 AbschnC;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Waldner und die Hofräte Dr. Nowakowski, Dr. Sulzbacher, Dr. Grünstäudl und Dr. Berger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Trefil, über die Beschwerde des D in M, geboren 1970, vertreten durch Dr. Reinhard Armster, Rechtsanwalt in 2344 Maria Enzersdorf, Franz Josef-Straße 42/Hauptstraße 35, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 21. August 2000, Zl. 217.473/0-VII/43/00, betreffend §§ 7 und 8 AsylG (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer reiste am 5. Dezember 1999 in das Bundesgebiet ein und ersuchte um Gewährung von Asyl. Vor dem Bundesasylamt gab er am 29. Februar 2000 niederschriftlich an, er sei "in Minsk UdSSR" geboren und habe, weil er die UdSSR im Jahr 1986 mit seinen Eltern "von Tscheljabinsk" aus nach Bulgarien verlassen habe, weder Dokumente noch eine Staatsbürgerschaft. Der Beschwerdeführer habe sich, nachdem sein Vater in Bulgarien verstorben sei, seit 1992 illegal in Rumänien, Ungarn, Bulgarien und Polen aufgehalten und habe dabei seine ebenfalls aus Weißrussland stammende Lebensgefährtin kennen gelernt. Im Jahr 1999 sei er für zwei Monate nach Weißrussland zurückgekehrt und habe versucht, Dokumente für seine Lebensgefährtin zu beschaffen. Weil der Beschwerdeführer aber selbst nicht im Besitz von Dokumenten gewesen sei, habe man ihn in Weißrussland zweimal, zunächst fünfzehn Tage und dann fünf Tage lang, in Haft genommen. Obwohl er versucht habe, zu erklären, weshalb er keine Dokumente besitze, habe die Polizei mit Gummiknüppeln auf ihn eingeschlagen und ihn ausgelacht. Der Beschwerdeführer habe daher Angst, nach Weißrussland zurückzukehren und könne, weil er erschöpft sei, nicht mehr "durch die Welt herumirren". Befragt zum Grund der genannten Ausreise im Jahr 1986 gab der Beschwerdeführer an, sein Vater habe bis 1986 in Afghanistan am Krieg bei einer Panzereinheit teilgenommen, wo er verletzt worden sei. Er sei dann kurz nach Hause zurückgekommen, bevor er mit seiner Familie das Land verlassen habe. Später habe sein Vater erwähnt, dass man aus ihm einen "politischen Verbrecher" gemacht habe.

Das Bundesasylamt wertete das Vorbringen des Beschwerdeführers über seine Inhaftierung in Weißrussland als unglaubwürdig und wies den Asylantrag des Beschwerdeführers mit Bescheid vom 24. Mai 2000 gemäß § 7 AsylG ab. In einem weiteren Spruchteil stellte die Erstbehörde gemäß § 8 AsylG fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Weißrussland" zulässig sei.

In seiner gegen diesen Bescheid erhobenen Berufung wies der Beschwerdeführer darauf hin, dass er in Weißrussland nur geboren worden sei und dieses Land verlassen habe, als er noch "sehr klein" gewesen sei. Sein Vater sei (damals) an einen neuen Dienstort, nämlich in die vom Beschwerdeführer erwähnte Stadt Tscheljabinsk, versetzt worden. Dort "lebten wir bis zur Emigration nach Bulgarien" an einer vom Beschwerdeführer näher genannten Adresse. Da der Beschwerdeführer einen vermeintlichen Irrtum der Behörde aufklären wolle, weise er darauf hin, dass Tscheljabinsk ein großes Industriezentrum im Uralgebirge "auf dem Gebiet Rußlands" sei. Dieses Land habe er, wie er schon erwähnt habe, gemeinsam mit seinen Eltern aus großer Angst vor politischer Verfolgung verlassen. Weil man seinem Vater die ganze Schuld für Fehler ranghöherer Kommandeure zugeschrieben habe, hätten diesem das Kriegstribunal sowie die Erschießung und seiner Familie - dem Beschwerdeführer und seiner Mutter - Repressalien gedroht. Die rechtliche Grundlage dafür habe sich bis heute nicht geändert.

Zu seiner Inhaftierung in Weißrussland im Jahr 1999 führte der Beschwerdeführer in der Berufung aus, er sei von den "60 Tagen, die ich in Weißrußland verbrachte", 20 Tage in einem Gefängnis und in ständiger Angst gewesen. Der Beschwerdeführer sei zur Gruppe der Obdachlosen geraten, "zu jener Kategorie von Menschen", die die Miliz in Weißrussland loswerden wolle. Die Miliz habe ihn gewarnt, dass er, wenn er noch einmal käme, sehr lange im Gefängnis sein werde.

In der Berufungsverhandlung wies der Beschwerdeführer eingangs erneut darauf hin, er habe im Jahr 1986 Russland mit seinen Eltern verlassen. Konkret sei seinem Vater vorgeworfen worden, er habe Geheimdokumente über militärische Geräte, die auf Panzerlastkraftwagen montiert und mit einer Chiffriereinrichtung versehen seien, gestohlen. Diese Geräte seien nicht veraltet und würden noch heute zur Bewachung eingesetzt, weshalb der Beschwerdeführer Angst habe, bei den Behörden vorzusprechen. Er befürchte, man würde ihm zur Last legen, dass er die genannten Dokumente von seinem Vater erhalten hätte. Im Weiteren wiederholte der Beschwerdeführer in der Verhandlung das Vorbringen über seine Verhaftung während des zweimonatigen Aufenthaltes in Weißrussland. Von dort sei er in einem Lkw versteckt geflohen. Die belangte Behörde hielt am Ende der Verhandlungsschrift fest, der Beschwerdeführer habe "einen durchaus glaubwürdigen Eindruck vermittelt und bei der Schilderung seiner Misshandlungen im Gefängnis starke emotionale Bewegung gezeigt".

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 21. August 2000 wies die belangte Behörde die Berufung des Beschwerdeführers gemäß § 7 AsylG ab und stellte gemäß § 8 AsylG in Verbindung mit § 57 FrG erneut fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers "nach Weißrussland" zulässig sei. Der Beschwerdeführer gehöre der russischen Volksgruppe an, sei staatenlos und sei "im Heimatstaat zuletzt wohnhaft in Minsk" gewesen. Erwiesen sei, dass der Beschwerdeführer in Minsk, weil er für seine Frau Dokumente habe besorgen wollen, im Jahr 1999 zweimal in Haft genommen worden sei. Hingegen könne nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer wegen angeblich von seinem Vater entwendeter Geheimdokumente gesucht oder als Obdachloser verfolgt werde.

In ihrer Beweiswürdigung hielt die belangte Behörde fest, die getroffenen Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers beruhten auf dessen "glaubwürdigen und widerspruchsfreien" Aussagen. Hingegen habe der Beschwerdeführer für das Vorbringen über die von seinem Vater gestohlenen Geheimdokumente "keinerlei Anhaltspunkte" dartun können, sodass diese Angaben bloß als Vermutung des Beschwerdeführers zu werten seien. Der Beschwerdeführer habe daher nicht glaubhaft machen können, dass ihm "in Weißrussland" eine an asylrechtlich relevante Merkmale anknüpfende Verfolgung drohe. Zur Entscheidung nach § 8 AsylG meinte die belangte Behörde ergänzend, es sei trotz der zugegebenermaßen nicht günstigen wirtschaftlichen Lage in Weißrussland nicht davon auszugehen, dass dem Beschwerdeführer dort im Fall seiner Rückkehr jedwede Lebensgrundlage fehle.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Der Beschwerdeführer macht u.a. geltend, dass er sich seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren zufolge in Weißrussland nur sehr kurz und vorübergehend aufgehalten habe, sodass dieser Staat nicht als sein "Herkunftsstaat" angesehen werden könne und eine Abschiebung des Beschwerdeführers dorthin nicht zulässig sei.

Dieses Vorbringen führt die Beschwerde zum Erfolg:

Der Beschwerdeführer hat, wie erwähnt, sowohl im Berufungsschriftsatz als auch in der Berufungsverhandlung wiederholt und ausdrücklich darauf hingewiesen, er sei zwar in Weißrussland geboren worden, sei aber schon im Kindesalter mit seinen Eltern nach Russland gezogen, wo er bis 1986 gelebt habe. Im Jahr 1986 habe er von Russland aus die damals noch existierende UdSSR verlassen und habe in den Jahren danach in mehreren Staaten Osteuropas gelebt, was (auf Grund des zwischenzeitigen Zerfalls der Sowjetunion) zur Staatenlosigkeit des Beschwerdeführers geführt habe.

Gemäß § 7 AsylG hat die Behörde Asylwerbern auf Antrag mit Bescheid Asyl zu gewähren, wenn glaubhaft ist, dass ihnen im Herkunftsstaat Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) droht und keiner der in Art. 1 Abschnitt C oder F der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Endigungs- oder Ausschlussgründe vorliegt.

Gemäß § 1 Z 4 AsylG ist Herkunftsstaat der Staat, dessen Staatsangehörigkeit Fremde besitzen, oder - im Falle der Staatenlosigkeit - der Staat ihres früheren gewöhnlichen Aufenthaltes.

Die belangte Behörde hat im angefochtenen Bescheid die Angaben des Beschwerdeführers, er besitze keine Staatsangehörigkeit, als den Tatsachen entsprechend zugrundegelegt und sein Fluchtvorbringen in Bezug auf den angenommenen Herkunftsstaat Weißrussland beurteilt. Mit dem Vorbringen des Beschwerdeführers über seinen jahrelangen Aufenthalt in den erwähnten Staaten Osteuropas und seinen Angaben, er habe Weißrussland schon als Kind verlassen und sei in diesen Staat im Jahr 1999 (lediglich) für die Dauer von zwei Monaten zurückgekehrt, hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid, offensichtlich ausgehend von einer unrichtigen Rechtsansicht, nicht weiter auseinander gesetzt. Indem es die belangte Behörde daher unterlassen hat, zunächst die Frage zu prüfen, in welchem der vom Beschwerdeführer genannten Staaten dieser zuletzt seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte und welcher Staat insoweit gemäß § 1 Z 4 AsylG als Herkunftsstaat des staatenlosen Beschwerdeführers anzusehen wäre, hat sie den angefochtenen Bescheid mit einem (sekundären) Verfahrensmangel belastet, der einen im Asylverfahren für die richtige rechtliche Beurteilung maßgeblichen Punkt betrifft.

Die Entscheidung der belangten Behörde wird im Übrigen aber auch davon abhängen, ob der Beschwerdeführer, soweit seinen diesbezüglichen Fluchtgründen nicht - in schlüssiger Weise - die Glaubwürdigkeit zu versagen ist, bereits bei Verlassen der UdSSR im Jahr 1986 Flüchtling wurde und seither ein Endigungsgrund (Art. 1 Abschnitt C der Genfer Flüchtlingskonvention) eingetreten ist.

Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 17. September 2003

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2003:2000200553.X00

Im RIS seit

27.10.2003
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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