TE Vfgh Erkenntnis 2000/6/29 WI-8/99

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Veröffentlicht am 29.06.2000
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Index

82 Gesundheitsrecht
82/03 Ärzte, sonstiges Sanitätspersonal

Norm

B-VG Art141 Abs1 dritter Satz
B-VG Art141 Abs1 lita
B-VG Art144 Abs1 / Allg
ÄrzteG 1998 §68 Abs1
ÄrzteG 1998 §75 Abs5
ÄrzteG 1998 §76
ÄrzteG 1998 §77 Abs1
Ärztekammer-WahlO §33
VfGG §67
VfGG §68 Abs1

Leitsatz

Zulässigkeit der Anfechtung der Wahl in die Wiener Ärztekammer durch die Wählergruppe "Interessengemeinschaft Ärzte-Senioren"; Abweisung der Wahlanfechtung mangels Präjudizialität der als verfassungswidrig erachteten Bestimmungen über das aktive Wahlrecht im Ärztegesetz bei Behandlung der Wahlanfechtung durch den Verfassungsgerichtshof; Anwendbarkeit dieser Bestimmungen im administrativen Einspruchsverfahren zur Erstellung der Wählerliste; Bekämpfbarkeit der Ergebnisse dieses Verfahrens mit Beschwerde gemäß Art144 B-VG, hingegen keine Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Prüfung der Richtigkeit der Wählerlisten im Rahmen einer Wahlanfechtung

Spruch

Die Wahlanfechtung wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Am 8. Mai 1998 fand in Wien eine Wahl in die Vollversammlung der Ärztekammer für Wien statt, zu der unter anderem die "Interessengemeinschaft Ärzte-Senioren" als Wählergruppe Wahlvorschläge für die Kurie der niedergelassenen Ärzte sowie für die Kurie der Zahnärzte eingebracht hatte und bei der diese Wählergruppe eines der insgesamt 100 Mandate für sich gewinnen konnte.

2. Die "Interessengemeinschaft Ärzte-Senioren" ficht diese Wahl beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art141 B-VG an und beantragt, der Verfassungsgerichtshof möge "das Verfahren zur Wahl in die Ärztekammer für Wien am 8. Mai 1999 ... von der Erstellung der Verzeichnisse der nach Wahlkörpern zusammengefaßten Kammerangehörigen an als rechtswidrig aufheben".

2.1. Begründend wird vorgebracht, daß im Wahlverfahren verfassungswidrige Bestimmungen des Ärztegesetzes 1998 und der darauf gestützten Ärztekammer-Wahlordnung angewendet worden seien. Gemäß §77 Abs1 und 2 des Ärztegesetzes komme das aktive und passive Wahlrecht in die Ärztekammer ausschließlich den ordentlichen Kammerangehörigen zu. Die ordentliche Kammerangehörigkeit wiederum bestimme sich nach §68 des Ärztegesetzes. Während das Ärztegesetz 1984 noch vorgesehen habe, daß jeder - und damit auch jeder pensionierte - Arzt ordentliches Kammermitglied und damit zugleich automatisch wahlberechtigt gewesen sei, sehe §68 Abs1 erster Satz Ärztegesetz 1998 nunmehr vor, daß der Bezug einer Alters- oder Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds der ordentlichen Mitgliedschaft in der Kammer entgegenstehe. Eine Ausnahme von dieser Regel bestehe nur für jene Versorgungsberechtigten, die aufgrund regelmäßiger ärztlicher Tätigkeit fortlaufend Beiträge zum Wohlfahrtsfonds und in die Kammerumlage entrichteten. Korrespondierend dazu bestimme §10 Abs1 der Ärztekammer-Wahlordnung, daß aktiv wahlberechtigt alle am Tag vor der Wahlausschreibung in die Ärzteliste eingetragenen Kammerangehörigen seien, welche die Voraussetzung gemäß §77 Abs1 Ärztegesetz 1998 erfüllten.

2.2. Im Jänner 1999 sei 965 bisher wahlberechtigten pensionierten Kammerangehörigen die Bezahlung eines (Jahres-)Betrages von je S 17.370,-- bescheidmäßig vorgeschrieben worden. Nur 76 der betroffenen Pensionisten hätten diesen Betrag bezahlt, die übrigen hätten von der Bezahlung Abstand genommen, womit sie automatisch ihres aktiven und passiven Wahlrechts verlustig gegangen und dementsprechend von vornherein von der Eintragung in das Wahlverzeichnis ausgeschlossen worden seien. Einsprüche, die gegen die Streichung der Betroffenen aus der Wählerliste erhoben worden seien, seien zurückgewiesen worden. Dadurch habe sich der Kreis der wahlberechtigten Ärztesenioren drastisch verkleinert, was vornehmlich zu Lasten der wahlanfechtenden Gruppe gehe, da es deren erklärtes Ziel sei, die Interessen der Senioren zu wahren.

2.3. Die in den maßgeblichen Bestimmungen des Ärztegesetzes (insbes. §68 Abs1) und der Ärztekammer-Wahlordnung sohin normierte Koppelung des aktiven Wahlrechts pensionsbeziehender Ärzte an eine Beitragsleistung sei, so die Anfechtungsschrift mit näherer Begründung, verfassungswidrig. Die Wahlbehörde wäre daher verpflichtet gewesen, das Wählerverzeichnis unter Außerachtlassung der verfassungswidrigen Bestimmungen zu erstellen.

Überdies wird es als verfassungswidrig erachtet, daß infolge von Änderungen der Beitragsordnung und der Umlagenordnung des Wohlfahrtsfonds der Ärztekammer für Wien nunmehr Bezieher einer Altersversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds verpflichtet würden, jährlich S 10.800,-- zum Wohlfahrtsfonds bzw. S 5.000,-- in die Kammerumlage zu zahlen.

3. Die belangte Wahlbehörde hat die Akten des Wahlverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die bekämpften Bestimmungen verteidigt und den Antrag stellt, der Verfassungsgerichtshof möge die Wahlanfechtung als unbegründet abweisen. Im übrigen führt die Behörde aus, daß es zu keinen "Streichungen" aus den Wählerlisten gekommen sei, sondern jene ordentlichen Kammerangehörigen, die an dem Stichtag nach der Ärztekammer-Wahlordnung wahlberechtigt gewesen seien, in die Wählerlisten aufgenommen worden seien.

Die übrigen wahlwerbenden Gruppen haben sich am verfassungsgerichtlichen Verfahren nicht beteiligt.

Die Anfechtungswerberin hat auf die Gegenschrift der Wahlbehörde repliziert.

II. 1. Die maßgebliche Rechtslage stellt sich wie folgt dar:

1.1. Bei der Österreichischen Ärztekammer ist nach §27 Ärztegesetz 1998, BGBl. I 1998/169, (im folgenden kurz: ÄrzteG) eine Ärzteliste zu führen, in welche die zur Ausübung des ärztlichen Berufes berechtigten Ärzte über Anmeldung eingetragen werden. Die ärztliche Tätigkeit darf nach §27 Abs7 zweiter Satz ÄrzteG erst nach Erhalt der Bestätigung über die Eintragung (Ärzteausweis) aufgenommen werden; der Nachweis der Eintragung ist Voraussetzung für die selbständige Ausübung des ärztlichen (§§4, 5 ÄrzteG) und des zahnärztlichen (§§18, 19 ÄrzteG) Berufes.

Gemäß §68 Abs1 erster Satz ÄrzteG gehört einer Ärztekammer als ordentlicher Kammerangehöriger jeder Arzt an, der gemäß den §§4, 5, 18 oder 19 (betreffend die Voraussetzungen selbständiger ärztlicher oder zahnärztlicher Tätigkeit) in die Ärzteliste eingetragen wurde, seinen Beruf im Bereich dieser Kammer ausübt und keine Alters- oder ständige Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds bezieht. Gemäß dem zweiten Satz dieser Bestimmung sind allerdings Bezieher einer Alters- oder ständigen Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds dann ordentliche Kammerangehörige, wenn sie auf Grund regelmäßiger ärztlicher Tätigkeit fortlaufend Beiträge zum Wohlfahrtsfonds und die Kammerumlage entrichten.

Damit kennt §68 Abs1 ÄrzteG zwei Fallgruppen ordentlicher Kammermitgliedschaft, nämlich einmal jene Gruppe von Ärzten, die in die Ärzteliste eingetragen wurden, ihren Beruf im Bereich der Kammer ausüben und keine Alters- oder Invaliditätsversorgung aus dem Wohlfahrtsfonds bezieht und die Gruppe der aus dem Wohlfahrtsfonds Versorgungsberechtigten (somit an sich pensionierten) Ärzten, die aufgrund ihrer ausgeübten ärztlichen Tätigkeit weiterhin (augenscheinlich aber nicht mehr verpflichtend) tatsächlich Beiträge zum Wohlfahrtsfonds und die Kammerumlage entrichten.

1.2. Nach §73 Abs1 Z1 ÄrzteG ist die Vollversammlung ein Organ der Ärztekammer. Gemäß §70 Abs1 ÄrzteG sind die ordentlichen Kammerangehörigen berechtigt, nach Maßgabe des Ärztegesetzes die Mitglieder der Vollversammlung (die Kammerräte) zu wählen. Der Bundesminister für Arbeit, Gesundheit und Soziales hat nach Anhörung der Österreichischen Ärztekammer eine Wahlordnung zu erlassen, die u. a. Näheres über "das Wahlverfahren für die Wahlen in die Vollversammlung, insbesondere über die Ausschreibung der Wahlen, die Erfassung und Verzeichnung der Wahlberechtigten, die Wahlbehörden, den amtlichen Stimmzettel, das amtliche Wahlkuvert, das Abstimmungs- und Ermittlungsverfahren ... (und) die Einberufung der gewählten Kammerräte" zu regeln hat. Aufgrund dieser Ermächtigung erging die Verordnung der Bundesministerin für Arbeit, Gesundheit und Soziales über die Durchführung der Wahlen in die Ärztekammern in den Bundesländern (Ärztekammer-Wahlordnung; im folgenden kurz: ÄK-WO), BGBl. II 1998/474.

1.3. Wahlberechtigt für die Wahl in die Vollversammlung sind nach §77 Abs1 ÄrzteG bzw. §10 Abs1 erster Satz ÄK-WO alle ordentlichen Kammerangehörigen (Verweis auf §68 Abs1 und 2 ÄrzteG), die entweder am Tag der Wahlausschreibung zum Nationalrat wahlberechtigte Staatsbürger oder solche Staatsangehörige von Vertragsparteien des Europäischen Wirtschaftsraumes sind, die nachweislich am Tag der Wahlausschreibung in ihrem Herkunftsstaat nicht vom Wahlrecht zu einer gesetzgebenden Körperschaft ausgeschlossen sind.

1.3.1. Nach §2 ÄK-WO sind die Wahlen in die (zu ergänzen wäre: Vollversammlung der) Ärztekammer in den Bundesländern für jede Landesärztekammer gesondert durchzuführen. Zur Durchführung und Leitung der Wahlen ist am Sitz jeder Landesärztekammer eine gemeinsame Wahlkommission für alle Wahlkörper zu bestellen (§6 Abs1 ÄK-WO). Für die Durchführung der Wahlen im Bereich der Ärztekammer für Wien kann, wie es hier auch geschehen ist, auf Antrag des Wahlkommissärs von der Landesregierung die selbständige Durchführung bestimmter Wahlverfahrensteile am Sitz der Ärztekammer für Wien nach Wahlkörpern gesondert und räumlich getrennt zugelassen werden (§22 Abs1 ÄK-WO). Innerhalb jeder Landesärztekammer ist je ein Wahlkörper für die Kurie der angestellten Ärzte, die Kurie der niedergelassenen Ärzte sowie die Kurie der Zahnärzte zu bilden (§3 Abs1 ÄK-WO). In Landesärztekammern mit mindestens 3000 Mitgliedern, oder wenn es die Satzung vorsieht, sind je Kurie die entsprechenden Sektionen (im Sinn von §72 Abs1 ÄrzteG) als Wahlkörper einzurichten (§3 Abs2 ÄK-WO).

1.3.2. Die Zugehörigkeit eines ordentlichen Kammerangehörigen zu einem Wahlkörper sowie sein aktives Wahlrecht für diesen Wahlkörper richtet sich nach seiner Eintragung in die Ärzteliste am Tag vor der Wahlausschreibung (§§3 Abs3 erster Satz, 10 Abs1 zweiter Satz ÄK-WO). Die Landesärztekammer hat der Wahlkommission binnen einer Woche nach Ausschreibung der Wahl je ein Verzeichnis der nach Wahlkörpern zusammengefaßten Kammerangehörigen vorzulegen (§3 Abs4 ÄK-WO), wobei jeder Wahlberechtigte nur einmal in einer Wählerliste eingetragen sein darf und nur eine Stimme hat (§10 Abs2 ÄK-WO). Die Wahlkommission hat nach §12 Abs1 ÄK-WO diese Verzeichnisse spätestens zwei Wochen nach der Wahlausschreibung als Wählerlisten an ihrem Sitz öffentlich aufzulegen. Sie hat die Bekanntmachung über die Auflegung der Wählerlisten im Presseorgan der jeweiligen Landesärztekammer unter Hinweis darauf zu veröffentlichen, daß Wahlberechtigte innerhalb von zwei Wochen ab Auflegung der Wählerlisten bei der Landesärztekammer Einspruch erheben können (§14 erster Satz ÄK-WO).

1.3.3. Über solche Einsprüche entscheidet die Wahlkommission nach §15 Abs1 ÄK-WO endgültig. Jeder Einspruch ist zu begründen und darf nur eine einzelne Person betreffen; betrifft er gleichzeitig mehrere Personen, ist er von der Wahlkommission zurückzuweisen (Abs2 leg. cit.). Vom ersten Tag der Auflegung der Wählerlisten an dürfen Änderungen an diesen mit Ausnahme von Schreib- und Rechenfehlern und diesen gleichzuhaltenden Unrichtigkeiten nur mehr im Wege des Einspruchsverfahrens vorgenommen werden (§15 Abs3 ÄK-WO). Der Wahlkommissär hat Personen, gegen deren Aufnahme in die Wählerliste Einspruch erhoben worden ist, hievon binnen zwei Tagen nach Einlangen des Einspruchs zu verständigen; Einwendungen der Betroffenen können nur berücksichtigt werden, wenn sie innerhalb von fünf Tagen nach Zustellung dieser Verständigung bei der betreffenden Landesärztekammer eingelangt sind (Abs4 leg. cit.). Über Einsprüche entscheidet die Wahlkommission binnen acht Tagen nach Ablauf der Einspruchsfrist endgültig, auch wenn bis dahin eine Äußerung des vom Einspruch Verständigten nicht eingelangt ist (Abs5 leg. cit.). Die Wahlkommission hat ihre Entscheidung dem Einspruchswerber und dem durch die Entscheidung Betroffenen spätestens an dem der Entscheidung folgenden Tag schriftlich bekanntzugeben (Abs6 leg. cit.). Erfordert eine Entscheidung der Wahlkommission eine Richtigstellung oder Ergänzung der Wählerlisten, so hat die Wahlkommission die entsprechende Richtigstellung und Abänderung unverzüglich selbst durchzuführen (Abs7 leg. cit.).

1.3.4. Nach Abschluß des Einspruchsverfahrens hat die Wahlkommission die Wählerlisten abzuschließen. Die abgeschlossenen Wählerlisten sind gemäß §15 Abs8 ÄK-WO der Wahl zugrunde zu legen. An der Wahl dürfen sich nach §20 Abs1 ÄK-WO nur Ärzte beteiligen, deren Namen in den abgeschlossenen Wählerlisten eingetragen sind.

2. Die Anfechtung ist zulässig.

2.1. Gemäß Art141 Abs1 lita B-VG erkennt der Verfassungsgerichtshof über die Anfechtung von Wahlen zu den satzungsgebenden Organen (Vertretungskörpern) der gesetzlichen beruflichen Vertretungen, zu denen auch die Ärztekammer gehört. Da gemäß §80 Z9 ÄrzteG der Vollversammlung als Organ der Ärztekammer die Erlassung der Satzung obliegt, ist die gegenständliche Wahl in die Vollversammlung der Ärztekammer anfechtbar nach der genannten Bestimmung des B-VG (vgl. auch VfSlg. 12.500/1990 mwN).

2.2. Die Anfechtung hat gemäß §67 Abs1 VerfGG 1953 den begründeten Antrag auf Nichtigerklärung des Wahlverfahrens oder eines bestimmten Teiles desselben zu enthalten. Der Verfassungsgerichtshof wertet den Antrag, die Wahl "von der Erstellung der Verzeichnisse der nach Wahlkörper zusammengefaßten Kammerangehörigen an als rechtswidrig aufzuheben", als Antrag auf Nichtigerklärung der Wahl im genannten Umfang (vgl. auch VfSlg. 14.080/1995). Die Anfechtungswerberin ist eine Wählergruppe, die gemäß §67 Abs2 zweiter Satz VerfGG 1953 bei der Wahlbehörde durch ihren zustellungsbevollmächtigten Vertreter rechtzeitig Wahlvorschläge für die angefochtene Wahl vorgelegt hatte. Die Wahlwerberin ist daher zur Anfechtung berechtigt.

2.3. Die der Wahlwerberin durch §75 Abs5 ÄrzteG bzw. §33 Abs1 ÄK-WO eingeräumte Möglichkeit, die Gültigkeit der Wahl innerhalb von zwei Wochen nach Verlautbarung des Wahlergebnisses bei der Landesregierung anzufechten, steht der Zulässigkeit der Anfechtung nicht entgegen. Gemäß Abs2 leg. cit. überprüft die Landesregierung das Wahlergebnis nach einem solchen Einspruch aufgrund der ihr vorliegenden Schriftstücke lediglich im Hinblick auf die Richtigkeit oder Unrichtigkeit der Ermittlung und hat das Ergebnis allenfalls richtig zu stellen. Findet die Landesregierung keinen Anlaß zur Richtigstellung, hat sie den Einspruch nach Abs3 leg. cit. abzuweisen. Der somit eingerichtete Instanzenzug ist damit (nur) gegen die ziffernmäßige Ermittlung der Wahlbehörde gerichtet und steht daher der Anfechtung der Wahl vor dem Verfassungsgerichtshof bezüglich aller anderen Rechtswidrigkeiten des Wahlverfahrens - weil insofern ein zunächst zu durchlaufender Instanzenzug im Sinn des §68 Abs1 VerfGG 1953 nicht eingerichtet ist - nicht entgegen (vgl. VfSlg. 10.610/1985, 11.732/1988, 12.459/1990).

2.4. Maßgebender Zeitpunkt für den Beginn des Laufs der vierwöchigen Anfechtungsfrist ist die Beendigung des Wahlverfahrens (zB VfSlg. 12.938/1991), das ist - sofern es, wie hier, nicht um die Anfechtung ziffernmäßiger Ermittlungen geht (vgl. VfSlg. 12.646/1991) - die Verlautbarung des Wahlergebnisses durch die nach Wahlkörpern getrennte Kundmachung der Namen jener, die als gewählt erklärt wurden, im Presseorgan der Ärztekammer für Wien (§30 Abs5 und 6, §33 Abs1 ÄK-WO).

Aus den vorgelegten Wahlakten ergibt sich, daß die Sonderausgabe der Mitteilungen der Ärztekammer für Wien, mit dem diese Kundmachung erfolgte, am 18. Mai 1999 versendet wurde. Die am 7. Juni 1999 zur Post gegebene Anfechtung ist daher auch rechtzeitig im Sinn des §68 Abs1 VerfGG 1953.

3. Die Anfechtung ist aber nicht begründet:

3.1. Gemäß Art141 Abs1 dritter Satz B-VG hat der Verfassungsgerichtshof einer Wahlanfechtung stattzugeben, wenn die behauptete Rechtswidrigkeit eines Wahlverfahrens erwiesen wurde und auf das Wahlergebnis von Einfluß war. Der Verfassungsgerichtshof vertritt in ständiger Rechtsprechung, daß er ein Wahlverfahren und dessen behauptete Rechtswidrigkeit nur innerhalb der durch die Anfechtungserklärung gezogenen Grenzen zu überprüfen hat (VfSlg. 12.738/1991, 14.556/1996, 15.033/1997; jeweils mwN), wobei diese Grenzen auch für die Anwendung allfälliger ihm verfassungsrechtlich bedenklich erscheinender Gesetzesstellen maßgeblich sind (VfSlg. 14.556/1996).

3.2. Die Anfechtungswerberin erblickt die Rechtswidrigkeit der angefochtenen Wahl der Sache nach ausschließlich darin, daß der Wahl verfassungswidrige Bestimmungen, nämlich jene betreffend die ordentliche Mitgliedschaft von Ärzten, die Versorgungsleistungen des Wohlfahrtsfonds beziehen, zur Ärztekammer und jene, die - an diese Bestimmungen anknüpfend - das aktive Wahlrecht für diesen Personenkreis regeln, zugrundelägen.

Sie verkennt dabei aber, daß diese Bestimmungen, namentlich §§68 Abs1 und 77 Abs1 ÄrzteG (bzw. §10 ÄK-WO), nur in einem Abschnitt des Wahlverfahrens zur Anwendung kommen, welcher der Kognition des Verfassungsgerichtshofes im Rahmen der Wahlanfechtung nach Art141 B-VG entzogen ist und vielmehr nur in einem Bescheidbeschwerdeverfahren gemäß Art144 B-VG zu prüfen wäre:

3.2.1. Der Gerichtshof hat wiederholt über Beschwerden gemäß Art144 B-VG gegen Bescheide abgesprochen, mit denen - in das jeweilige Wahlverfahren eingebettete - Verwaltungsverfahren abgeschlossen wurden, welche die Frage der Streichung, Eintragung oder Nichteintragung von Wahlberechtigten in ein Wählerverzeichnis zum Gegenstand hatten (vgl. zB VfGH 11. März 1999, B2516/97 betreffend die Bgld. GdWO; VfSlg. 15.339/1998 betreffend die Nö. LandtagsWO; VfSlg. 11.220/1987 betreffend die NRWO). Der Gerichtshof hat auch ausgesprochen, daß die Frage, ob bestimmte Personen fälschlich nicht in das Wählerverzeichnis eingetragen wurden, im hiefür vorgesehenen Einspruchs- und Berufungsverfahren (dort: den ''28 ff. NRWO) zu relevieren, im Wahlanfechtungsverfahren darauf hingegen nicht einzugehen sei (VfSlg. 14.556/1996, Pkt. 3.33.3.).

3.2.2. Auch im vorliegenden Fall einer Wahl in die Vollversammlung einer Ärztekammer sieht die ÄK-WO im Rahmen der Ermächtigung des §76 Z1 ÄrzteG betreffend die Erfassung und Verzeichnung der Wahlberechtigten ein solches Administrativverfahren vor. Danach ist vom Zeitpunkt der Auflegung der Wählerlisten an allen Wahlberechtigten die Möglichkeit eröffnet, binnen zwei Wochen Einspruch bei der Landesärztekammer zu erheben, über den die Wahlbehörde binnen acht Tagen nach Ablauf der Einspruchsfrist (endgültig) zu entscheiden hat. Daraus, daß die Behörde die Wählerlisten nicht nur richtigstellen, sondern auch ergänzen kann, wird ersichtlich, daß auch die - eben durch Richtigstellung behobene

-

Nichtberücksichtigung in der Wählerliste beeinsprucht werden kann. Die schriftlich mitzuteilende Entscheidung der Wahlbehörde (siehe auch die vergleichbare Anordnung des §30 NRWO) ist ein beim Verfassungsgerichtshof gemäß Art144 B-VG bekämpfbarer Bescheid, der im Ergebnis darüber abspricht, ob der Betroffene am Tage vor der Wahlausschreibung - in Anwendung der Bestimmungen über das aktive Wahlrecht bzw. die daran anknüpfende ordentliche Kammermitgliedschaft

-

wahlberechtigt war und (daher) zu Recht oder zu Unrecht nicht in das von der Landesärztekammer erstellte Verzeichnis der nach Wahlkörpern zusammengefaßten Kammerangehörigen, das die Wahlkommission (unverändert) als Wählerliste zu veröffentlichen hat, aufgenommen (bzw. nicht aufgenommen) wurde. In einem Beschwerdeverfahren gegen einen solchen Bescheid wären die genannten Bestimmungen daher präjudiziell; auf diesem Weg könnten somit allfällige verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Festlegung des Kreises der Wahlberechtigten an den Verfassungsgerichtshof herangetragen werden.

3.4. Die Bestimmungen über das aktive Wahlrecht sind nur in dem beschriebenen administrativen Einspruchsverfahren zur Erstellung der in weiterer Folge bindenden Wählerliste anzuwenden. Nach Abschluß dieses Verfahrens hat die Wahlbehörde die Wählerlisten abzuschließen und sie der Wahl zugrunde zu legen. Die Berechtigung zur Teilnahme an der konkreten Wahl richtet sich daher auch für die Wahlbehörde bindend nur mehr nach der Eintragung in diese Wählerliste und nicht danach, ob die darin eingetragenen Ärzte nach den maßgeblichen Verhältnissen am Tag vor der Wahlausschreibung zu Recht als ordentliche Kammerangehörige gemäß §68 Abs1 ÄrzteG und damit aktiv wahlberechtigt nach §77 ÄrzteG beurteilt worden sind.

3.5. Damit erweist sich aber, daß die von der Anfechtungswerberin als verfassungswidrig erachteten Bestimmungen über das aktive Wahlrecht für die im Gegenstand angefochtenen Wahlen in die Vollversammlung der Ärztekammer für Wien nicht präjudiziell gewesen sind und sie der Verfassungsgerichtshof bei seiner Entscheidung über die Wahlanfechtung auch nicht anzuwenden hätte, da ihm eine Prüfung der Richtigkeit der Wählerlisten im Rahmen einer Wahlanfechtung nicht möglich ist. Dies trifft offensichtlich auch auf die von der Wahlwerberin als verfassungswidrig gerügten Bestimmungen der Beitragsordnung und der Umlagenordnung der Ärztekammer für Wien zu.

Die wahlanfechtende Gruppe behauptet auch nicht, daß in die Wählerliste aufgenommene Ärzte nicht zur Wahl zugelassen worden oder daß sonstige Verstöße gegen die Bestimmungen über die Durchführung der gegenständlichen Wahlen vorgekommen seien.

4. Der Anfechtung war daher nicht stattzugeben.

5. Diese Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung gefällt werden (§19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953).

Schlagworte

Ärztekammer, VfGH / Präjudizialität, VfGH / Zuständigkeit, Wahlen, berufliche Vertretungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2000:WI8.1999

Dokumentnummer

JFT_09999371_99W00I08_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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