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L7 WirtschaftsrechtNorm
B-VG Art133 Z4Leitsatz
Verstoß gegen Art6 EMRK durch Verletzung des äußeren Anscheins der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des über zivilrechtliche Ansprüche entscheidenden Vergabeamtes aufgrund der Überschneidung dienstlicher Aufgabenbereiche einzelner - als Organwalter weisungsgebundener - Mitglieder mit der Tätigkeit im VergabeamtSpruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren nach Art6 EMRK verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Tirol ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zuhanden ihres Rechtsvertreters die mit S 21.600,-- bestimmten Prozeßkosten binnen vierzehn Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Der Müllabfuhr- und Abfallbeseitigungsverband Osttirol (dessen Rechtsnachfolger der Abfallwirtschaftsverband Osttirol ist) führte im Jahr 1989 ein Vergabeverfahren zur Altpapierentsorgung im Bezirk Lienz durch. Dieses Vergabeverfahren mündete in einen auf unbestimmte Zeit abgeschlossenen, von jedem der Vertragsteile aber unter Einhaltung einer sechsmonatigen Kündigungsfrist bis September jeden Jahres schriftlich aufkündbaren "Abfuhrvertrag" zwischen dem auftraggebenden Verband und einem Entsorgungsunternehmen. Vertraglich vereinbart wurde zudem, daß der Verband auf die Ausübung des Kündigungsrechts bis September 1999 verzichten würde, solange nicht wichtige Kündigungsgründe die Auflösung des Vertrages erzwingen würden.
In einem 1992 abgeschlossenen Vertrag kam es zu einer einvernehmlichen "Ergänzung" bzw. "Neufassung" des bestehenden Vertrages und es wurde erneut vereinbart, daß der Auftraggeber (nunmehr der Abfallwirtschaftsverband Osttirol) bis Ende September 1999 auf die Ausübung des Kündigungsrechtes unter der Bedingung des Nichteintretens wichtiger Kündigungsgründe verzichten würde.
Mit Schreiben vom 16. Juni 1999 trat das beauftragte Entsorgungsunternehmen an den Abfallwirtschaftsverband mit dem Ersuchen um Erneuerung des mit Ende September 1999 befristeten Kündigungsverzichtes heran. In einer Sitzung des Verbandsausschusses wurde die Auffassung vertreten, daß kein Grund bestehe, den bestehenden und in seiner Abwicklung ohne Beanstandung funktionierenden Vertrag zu kündigen und beschlossen, den mit Ende September 1999 terminisierten Kündigungsverzicht auf weitere fünf Jahre zu verlängern.
Diese Entscheidung wurde über Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft mit Bescheid des Tiroler Landesvergabeamtes (in der Folge: TVA) vom 28. Oktober 1999, ZVG76/15, nichtig erklärt.
2. Mit Antrag vom 15. Mai 2000 beantragte die beschwerdeführende Gesellschaft die Nachprüfung der nach der Nichtigerklärung des Kündigungsverzichtes gewählten Vorgangsweise des Auftraggebers: Der nichtigerklärte Verbandsbeschluss sei tatsächlich nicht aufgehoben bzw. eine Kündigung des Vertrages nicht ausgesprochen worden. Die rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen des zwischen dem Auftraggeber und dem Auftragnehmer bestehenden Vertrages seien aber faktisch dergestalt verändert worden, daß ein gesondertes Vergabeverfahren hätte durchgeführt werden müssen, was bis dato aber nicht geschehen sei.
Mit Bescheid vom 15. Juni 2000, ZVG76/20, wies das TVA diesen Antrag ab.
3. Gegen diesen Bescheid wendet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte sowie die Verletzung in Rechten wegen Anwendung verfassungswidriger genereller Normen behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des Bescheides begehrt wird.
4. Das TVA legte die Verwaltungsakten vor und erstattete eine Gegenschrift, in der es beantragte, der Verfassungsgerichtshof möge die Beschwerde als unbegründet abweisen und der beschwerdeführenden Gesellschaft die Kosten des Verfahrens auferlegen. Auch der dem Verfahren als mitbeteiligte Partei beigezogene Auftraggeber erstattete eine Äußerung, in der er den Beschwerdebehauptungen entgegentrat und die kostenpflichtige Zurück- bzw. Abweisung der Beschwerde beantragte.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Art6 EMRK verlangt, daß in Angelegenheiten, die als civil rights zu qualifizieren sind, ein unabhängiges und unparteiisches Tribunal tätig wird. Der Verfassungsgerichtshof hat dazu in Kongruenz mit der Judikatur des EGMR mehrfach ausgesprochen, daß ein Tribunal derart zusammengesetzt sein muß, daß keine berechtigten Zweifel an der Unabhängigkeit seiner Mitglieder entstehen; bei dieser Beurteilung ist auch der äußere Anschein von Bedeutung (vgl. etwa VfSlg. 10.701/1985, 11.131/1986, 12.074/1989, 14.565/1996, alle auch mit entsprechenden Hinweisen auf die Judikatur des EGMR).
In seiner Entscheidung vom 1. Dezember 1999, B2835/96, hat der Verfassungsgerichtshof näher dargelegt, daß und warum das TVA diesen Anforderungen nicht genügte; die dort angestellten Erwägungen treffen auch im vorliegenden Fall zu:
Zwar stellt der Umstand, daß ein Mitglied einer kollegialen Verwaltungsbehörde im Sinne des Art133 Z4 B-VG Verwaltungsbeamter ist und als solcher in seiner sonstigen Tätigkeit weisungsgebunden ist, für sich allein noch keinen Grund dafür dar, an der Unabhängigkeit des Kontrollorgans zu zweifeln.
Dem äußeren Anschein der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit eines Tribunals widerstreitet es aber, wenn sich der konkrete Aufgabenbereich eines Mitgliedes eines gemäß Art133 Z4 B-VG eingerichteten Organs mit seinem konkreten Aufgabenbereich als weisungsgebundener Organwalter des Landes derart überschneidet, wie dies beim TVA sowohl hinsichtlich des Vorsitzenden als auch hinsichtlich des Berichterstatters der Fall war, die weisungsgebunden gerade in Vergabesachen tätig waren:
Der Vorsitzende und das als Berichterstatter tätig gewordene Mitglied des TVA waren zum Zeitpunkt des Einlangens des zugrundeliegenden Nachprüfungsantrags in der Präsidialabteilung IV des Amtes der Tiroler Landesregierung tätig, in deren Kompetenz u.a. Aufgaben des Vergabewesens fielen. Wie der Verfassungsgerichtshof in seinem oben zitierten Erkenntnis festgestellt hat, war es einerseits nicht ausgeschlossen, daß Mitarbeiter dieser Abteilung mit vergaberechtlichen Rechtsfragen auch in Angelegenheiten insbesondere der Landes- und Gemeindeverwaltung befaßt wurden, die zu einer Befassung des TVA führen konnten und andererseits wurde der Anschein erweckt, als ob das TVA geradezu als Teil der Präsidialabteilung IV des Amtes der Landesregierung geführt werde. So trägt auch die in diesem Verfahren erstattete Gegenschrift der belangten Behörde eine Aktenzahl der Präsidialabteilung IV.
Angesichts dieser Umstände konnten vom äußeren Anschein her Zweifel an der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder des TVA entstehen. Die Zusammensetzung des im vorliegenden Fall tätig gewordenen Organs entspricht daher nicht den Anforderungen des Art6 EMRK. Da die Fragen, über die das TVA abzusprechen hatte, civil rights jener als Bieterin auftretenden Gesellschaft, die ein Interesse am gegenständlichen Auftrag äußerte, betreffen, ist dieser Mangel verfassungsrechtlich relevant. An dieser Einschätzung ändert auch der Umstand nichts, daß durch Verfügung des Landesamtsdirektors vom 2. Juni 2000 eine Änderung der Geschäftseinteilung des Amtes der Tiroler Landesregierung dergestalt vorgenommen wurde, daß die Angelegenheiten des Vergabewesens der Abteilung Gewerberecht übertragen wurden. Es braucht im vorliegenden Zusammenhang nicht beurteilt zu werden, ob und welche Wirkungen diese Verfügung entfaltet hat und ob sie ihrerseits rechtmäßig war, denn die vom Verfassungsgerichtshof beanstandete personelle Verquickung des TVA mit der Präsidialabteilung IV lag während des von der Behörde zu beurteilenden vergaberechtlichen Vorgangs vor und der dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Nachprüfungsantrag war zum Zeitpunkt der Verfügung des Landesamtsdirektors bei der belangten Behörde bereits anhängig, die auch schon Verfahrensschritte gesetzt hatte.
Der Bescheid war daher bereits aus den genannten Gründen aufzuheben, ohne daß geprüft zu werden brauchte, ob er auch aus anderen Gründen mit Verfassungswidrigkeit behaftet ist.
2. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG, vom zugesprochenen Kostenbetrag entfallen S 3.600,-- auf die Umsatzsteuer.
3. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen werden.
Schlagworte
Vergabewesen, Kollegialbehörde, BehördenzusammensetzungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2000:B1302.2000Dokumentnummer
JFT_09998873_00B01302_00