Norm
Wohnungsanforderungsgesetz §23Kopf
SZ 21/13
Spruch
Die auf Grund der Verordnung zur Wohnraumversorgung der luftkriegsbetroffenen Bevölkerung vom 21. Juni 1943, DRGBl. I S. 355, eingegangenen Bestandverhältnisse sind auch nach der Aufhebung der Verordnung mieterschutzfrei geblieben.
Der Grundsatz der Eventualmaxima gilt im Bestandverfahren nur für Einwendungen, die das Vorbringen, auf das sich die Kündigung stützt, bekämpfen, nicht aber auch für die Einwendungen, die mit dem Endantrage (Räumungsbegehren) im Zusammenhang stehen.
Entscheidung vom 16. Jänner 1947, 1 Ob 8/47.
I. Instanz: Bezirksgericht Innere Stadt; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Streitteile schlossen, nachdem die Beklagte ihre bisherige Wohnung infolge Bombeneinwirkung verloren hatte, am 19. Dezember 1944 ein Übereinkommen, auf Grund dessen die Beklagte Untermieterin eines unmöblierten Zimmers in der Wohnung des Klägers wurde; das Bestandverhältnis war "bis zur Einstellung der Feindseligkeiten" befristet. Die Beklagte wurde daraufhin mit dem Fliegerquartierschein des Gauquartieramtes vom 2. Jänner 1945 in das gemietete Zimmer eingewiesen. Der Kläger begehrte am 27. April 1946 in einer gerichtlichen Aufkündigung, die er sowohl auf den Zeitablauf des Bestandverhältnisses als auch auf andere Gründe stützte, die Übergabe des Zimmers mit dem 15. Mai 1946. Die Beklagte erhob gegen die Kündigung rechtzeitig Einwendungen und brachte bei der Streitverhandlung außerdem vor, daß sie um die Zuweisung der klägerischen Wohnung beim Wohnungsamt angesucht habe und daß die Zuweisung bereits erfolgt sei.
Das Erstgericht billigte der Beklagten einen Schutz nach dem Mietengesetz nicht zu, ging auch auf das Vorbringen der neuerlichen Einweisung nicht zu und erklärte die Aufkündigung für rechtswirksam.
Das Berufungsgericht vertrag jedoch die Rechtsansicht, daß das Bestandverhältnis dem Mietengesetz unterliege, hob mit Rechtkraftvorbehalt das Urteil auf und verwies die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Urteilsfällung an das Erstgericht mit dem Antrag, sowohl die anderen Kündigungsgrunde als auch die behauptete Neueinweisung zu erheben.
Der Oberste Gerichtshof hat dem Rekurs des Klägers nicht Folge gegeben.
Rechtliche Beurteilung
Begründung:
Der Rekurs des Klägers - unrichtig als "Revisionsrekurs" bezeichnet - wendet sich lediglich dagegen, daß das Berufungsgericht die Beklagte nach dem Mietengesetz schütze, und beantragt die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Urteils, welcher Antrag ebenfalls verfehlt ist, da die Form der angefochtenen Entscheidung nur den Antrag auf deren Aufhebung und die Rückverweisung der Sache an das Berufungsgericht rechtfertigen könnte.
Wenn auch der Mietvertrag zwischen den Parteien der Einweisung der Beklagten durch das Gauquartieramt vorausgegangen ist, ist er doch nach der Verordnung zur Wohnraumversorgung der Luftkriegbetroffenen Bevölkerung vom 21. Juni 1943, DRGBl. I S. 355, zu beurteilen, da er durch die Einweisung seine behörliche Sanktion erlangt hat. Nach § 23 der erwähnten Verordnung finden für in ihrem Vollzug begrundeten Untermietverhältnisse die Vorschriften über den gesetzlichen Mieterschutz keine Anwendung. In § 9, Z. 3 der Verordnung über Änderungen des Mieterschutzrechtes vom 7. November 1944, DRGBl. I. S. 319, ist wiederholt worden, daß für Untermietverhältnisse mit Luftkriegsbetroffenen über Räume, die nach der Verordnung vom 21. Juni 1943 erfaßbar sind, die Vorschriften über den gesetzlichen Untermieterschutz (Kündigungsschutz) keine Anwendung finden. Die Verordnung vom 21. Juni 1943 ist in § 23, Z. 5 des Wohnungsanforderungsgesetzes vom 22. August 1945, StGBl. Nr. 138, außer Kraft gesetzt worden. Wenn auch in § 23 des Wohnungsanforderungsgesetzes die Bestimmung des § 9, Z. 3 der Verordnung vom 7. November 1944 nicht ebenfalls ausdrücklich aufgehoben worden ist, kann kein Zweifel bestehen, daß diese Bestimmung, die sich nur auf die Verordnung vom 21. Juni 1943 bezieht, nach deren Aufhebung gegenstandslos geworden ist. In diesem Punkt ist daher der Rechtsansicht des Berufungsgerichtes beizupflichten. Da aber § 23 des Wohnungsanforderungsgesetzes - im Gegensatz zu § 24 - nicht verfügt, daß auf die nach der Verordnung vom 21. Juni 1943 begrundeten Bestandverhältnisse nunmehr die Bestimmungen des Mietengesetzes Anwendung finden und auch der Motivbericht des Staatsamtes für soziale Verwaltung, Z. III- 100.310/8/1945, zum Wohnungsanforderungsgesetz diese Frage nicht bespricht, muß entgegen der Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes angenommen werden, daß eine Änderung der bis zur Aufhebung der Verordnung bestandenen Mieterschutzfreiheit im allgemeinen nicht eingetreten ist. Das Wohnungsanforderungsgesetz hat die Verordnung vom 21. Juni 1943 offenbar deshalb außer Kraft gesetzt, weil ihre Voraussetzungen mit der Einstellung der Kriegshandlungen weggefallen sind. Mit der Aufhebung der Verordnung ist aber nicht ein Zustand der Schutzlosigkeit für die bisher durch sie eingewiesenen Personen geschaffen worden; daraus, daß die Aufhebung gerade im Wohnungsanforderungsgesetz verfügt worden ist, ist zu erkennen, daß der Gesetzgeber die eingewiesenen Personen in anderer Weise, nämlich - fall die Voraussetzungen vorliegen - durch eine Anforderung nach dem Wohnungsanforderungsgesetz und eine Zuweisung schützen wollte. Die Beklagte ist auch offenbar bemüht, auf diesem Weg Rechte an dem ihr vermietenden Wohnraum oder an der gesamten Wohnung zu erlangen, wie aus ihrem Vorbringen bei der Streitverhandlung hervorgeht. Im Kündigungsverfahren gilt zwar der Grundsatz der Eventualmaxime, da der Gekundigte nach § 562 ZPO. innerhalb der vorgesehenenFFristen "seine" Einwendungen gegen die Aufkündigung bei Gericht anzubringen hat. Dieser Grundsatz kann sich aber nur auf die Einwendungen beziehen, die das Vorbringen, auf das sich die Kündigung stützt, bekämpfen, nämlich die Bezeichnung des Bestandgegenstandes, die Angabe des Zeitpunktes des Endes des Bestandvertrages und schließlich, sofern das Bestandverhältnis den Bestimmungen des Mietengesetzes unterliegt, die geltend gemachten Kündigungsgrunde. Gegen den Endantrag, der lediglich in dem Auftrag zur Übergabe oder Übernahme des Bestandgegenstandes besteht und sich aus dem vorangegangenen Vorbringen ergeben muß, sind Einwendungen bis zum Schluß der Streitverhandlung erster Instanz zulässig, da das Gericht bei der Fällung des Urteiles auch darauf Bedacht zu nehmen hat, ob das Räumungs- oder Übernahmsbegehren gerechtfertigt und durchführbar ist. Das Berufungsgericht hat daher mit Recht die Prozeßbehauptung der Beklagten über eine Neueinweisung für erheblich erachtet.
Mit Rücksicht auf die vorstehenden Ausführungen ist der Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes begrundet, allerdings nur soweit zu untersuchen ist, ob eine Neueinweisung der Beklagten erfolgt ist; eine Erörterung der Kündigungsgrunde selbst hat jedoch zu entfallen, da der Beklagten ein Schutz nach dem Mietengesetz nicht zukommt.
Dem Rekurs war demnach ein Erfolg zu versagen.
Anmerkung
Z21013Schlagworte
Bestandverfahren Eventualmaxime Bestandverhältnis mieterschutzfreies Einweisung durch das Gauquartieramt (Fliegerquartierschein) Einwendungen im Bestandverfahren, Eventualmaxime Eventualmaxime im Bestandverfahren Fliegerquartierschein Mieterschutzfreiheit bei Einweisung mit F. Gauquartieramt, Einweisung durch das G., Mieterschutzfreiheit Mieterschutzfreiheit des Bestandverhältnisses auf Grund der WohnraumversorgungsVdg. Wohnraumversorgung, Bestandverhältnisse nach Vdg. zur W.European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1947:0010OB00008.47.0116.000Dokumentnummer
JJT_19470116_OGH0002_0010OB00008_4700000_000