TE OGH 1950/6/21 1Ob335/50

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Veröffentlicht am 21.06.1950
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Norm

Ehegesetz §23
Ehegesetz §27
Ehegesetz §28
Ehegesetz §55

Kopf

SZ 23/205

Spruch

Die Scheidung gemäß § 55 EheG. ist nach Ablauf der dreijährigen Frist auch dann zulässig, wenn die Ehegatten nie zusammengelebt haben und ihnen von vornherein jede eheliche Gesinnung gefehlt hat.

Entscheidung vom 21. Juni 1950, 1 Ob 335/50.

I. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:

Oberlandesgericht Wien.

Text

Kläger hatte mit der Beklagten, einer geschiedenen Frau, ein Verhältnis; er hat sie 1943 geheiratet, um das zu erwartende Kind zu legitimieren. Kläger begehrt Ehescheidung nach § 55 EheG., die Beklagte hat Widerspruch erhoben. Das Erstgericht hat das Vorhandensein einer Ehezerrüttung trotz der Tatsache, daß die Ehegemeinschaft zwischen den Parteien nicht aufgenommen wurde, verneint. Da der Kläger der Beklagten kein ehewidriges Verhalten zum Vorwurf machen konnte und sie jederzeit bereit war, die Ehegemeinschaft mit dem Kläger aufzunehmen, so sei auch nicht erwiesen, daß die Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Gemeinschaft nicht mehr zu erwarten sei. Aber selbst wenn man annehmen wollte, daß die Ehe tief zerrüttet sei, so sei es unzweifelhaft, daß Kläger allein die Zerrüttung der Ehe verschuldet habe, weil er es 1946 abgelehnt hat, die Ehegemeinschaft mit der Beklagten aufzunehmen. Jedenfalls aber sei der Widerspruch der Beklagten begrundet, da ihr keine Eheverfehlungen zur Last fallen. Der Widerspruch sei aber auch beachtlich, da nicht davon gesprochen werden könne, daß die Aufrechterhaltung der Ehe sittlich nicht gerechtfertigt sei; denn Kläger allein habe die Zerrüttung der Ehe verschuldet und könne daher die Beklagte nicht schuldlos in den Stand der geschiedenen Frau drängen. Wenn Kläger bei der Schließung der Ehe auf die gesellschaftliche Stellung der Beklagten Rücksicht genommen habe, dann müßte er dies auch jetzt bedenken. Auch wäre eine Scheidung für die Beklagte mit einem vermögensrechtlichen Nachteil verbunden, da Kläger eine Alimentationsverpflichtung bestreitet. Die Aufrechterhaltung der Ehe wäre weiter nicht nur mit Rücksicht auf das der Ehe entstammende Kind, sondern auch deshalb sittlich gerechtfertigt, weil der Kläger nicht einmal den Versuch unternommen habe, in Gemeinschaft mit der Beklagten zu leben.

Das Berufungsgericht hat, ohne auf die geltendgemachten Berufungsgrunde einzugehen, dieses Urteil aus der rechtlichen Erwägung bestätigt, daß dem Scheidungsbegehren die rechtliche Grundlage fehle. Da unangefochten feststehe, daß die Eheleute nur aus gesellschaftlichen Rücksichten und unter Bedachtnahme auf das zu erwartende Kind geheiratet, aber die Ehegemeinschaft nie aufgenommen haben, so sei der vom Ehemann auf diesen Sachverhalt gestützte Scheidungsgrund nach § 55 Abs. 1 EheG. nicht erfüllt. Die häusliche Gemeinschaft der Ehegatten, die nie zustande gekommen sei, könne auch nicht aufgehoben worden sein, und über die Möglichkeit der Wiederherstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Ehegemeinschaft könne nichts gesagt werden, wenn die eheliche Gemeinschaft nie bestanden habe. Dem Scheidungsbegehren des Klägers fehle auch deshalb die rechtliche Grundlage, weil es sich auf keinen erst nach der Eheschließung entstandenen Scheidungsgrund zu stützen vermag. Die ehewidrige Gesinnung, die schon dem Eheschließungsakt angehaftet habe, könne den Tatbestand des § 55 Abs. 1 EheG. nicht herstellen.

Diese Entscheidung wird vom Kläger mit dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung angefochten.

Der Oberste Gerichtshof hob auf.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

In erster Linie wendet sich die Revision dagegen, daß das Berufungsgericht die Ehe nicht als nichtig im Sinne des § 23 EheG. angesehen habe. Diese Rüge ist schon deshalb verfehlt, weil die Nichtigkeit einer Ehe nur dann beachtet werden darf, wenn die Ehe für nichtig erklärt worden ist (§ 27 EheG.) und überdies Kläger auch gar nicht befugt ist, die Nichtigerklärung einer Ehe nach § 23 EheG. zu verlangen, da dieser Nichtigkeitsgrund nur von der Staatsanwaltschaft geltend gemacht werden kann (§ 28 Abs. 1 EheG.).

Dagegen ist die Revision begrundet, soweit sie die Rechtsauffassung des Berufungsgerichtes bekämpft, daß eine häusliche Gemeinschaft, die nie aufgenommen worden sei, nicht aufgehoben werden und daß man nicht davon sprechen könne, daß die Wiederherstellung einer Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann, wenn sie nicht bestanden habe. Der Oberste Gerichtshof lehnt diese am Wort haftende Auslegung des Berufungsgerichtes ab. Sie setzt sich mit der ratio des Gesetzes in Widerspruch, die im § 55 EheG. einen Tatbestand geschaffen hat, nach dem unter gewissen Voraussetzungen Ehen, wenn sie unheilbar zerrüttet sind, geschieden werden können, wenn die Ehegatten seit mindestens drei Jahren nicht in ehelicher Gemeinschaft leben. Daß der Gesetzgeber den Normalfall hervorgehoben hat, daß die Ehegatten eine bestandene Ehegemeinschaft aufgegeben haben, läßt nicht den Schluß zu, daß die Scheidung aus diesem Gründe nicht zulässig sein soll, wenn die Ehegatten nie zusammengelebt haben.

Unrichtig ist auch, daß eine Berufung auf die Ehezerrüttung dann nicht zulässig sei, wenn die ehewidrige Gesinnung bereits bei der Eheschließung bestanden habe. § 55 EheG. stellt auf den objektiven Tatbestand der mehrjährigen Trennung und der im Zeitpunkt der Klage bestehenden Ehezerrüttung ab. Wann die Zerrüttung eingetreten ist, ist gleichgültig, sie muß nur so tiefgreifend sein, daß die Herstellung einer dem Wesen der Ehe entsprechende Lebensgemeinschaft nicht erwartet werden kann. Es widerspricht aber dem Zweck des § 55 EheG. anzunehmen, daß eine Ehe, wenn sich die Ehegatten vollständig auseinandergelebt haben, geschieden werden kann, nicht aber, wenn von vornherein jede eheliche Gesinnung gefehlt hat.

Es mußte daher der Revision Folge gegeben und das angefochtene Urteil aufgehoben werden, da das Berufungsgericht, von einer unrichtigen Rechtsauffassung ausgehend, zu den übrigen Berufungsausführungen keine Stellung genommen hat.

Anmerkung

Z23205

Schlagworte

Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft, § 55 EheG., Ehescheidung nach § 55 EheG., Gemeinschaft häusliche, Trennung nach § 55 EheG., Hausgemeinschaft Trennung nach § 55 EheG., Scheidung nach § 55 EheG., Trennung der häuslichen Gemeinschaft, § 55 EheG.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1950:0010OB00335.5.0621.000

Dokumentnummer

JJT_19500621_OGH0002_0010OB00335_5000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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