TE OGH 1953/3/25 1Ob241/53

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Veröffentlicht am 25.03.1953
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Norm

Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1295
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1311
Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch §1338
Bundesstraßengesetz 1921 §8
Landesstraßengesetz für NÖ, LGBl. 20/1894 §5

Kopf

SZ 26/78

Spruch

Die Haftungsbeschränkung des § 8 BundesstraßenG. 1921 findet auf Gemeindestraßen und -wege, die dem Verkehr innerhalb der Ortschaften dienen, keine Anwendung.

Die Schadenshaftung der niederösterreichischen Gemeinden ist nach dem Landesgesetz vom 19. April 1894, LGBl. f. Niederösterreich Nr. 20, in der Fassung der seither erlassenen Ergänzungen und Abänderungen, nicht beschränkt.

Die Unterlassung der Sicherung eines Gemeindeweges, der innerhalb des Ortsgebietes liegt, in der Nacht nicht beleuchtet ist und an einer steilen Böschung entlang führt, macht die Gemeinde schadenersatzpflichtig.

Entscheidung vom 25. März 1953, 1 Ob 241/53.

I. Instanz: Kreisgericht Krems; II. Instanz: Oberlandesgericht Wien.

Text

Die Klägerin, die Witwe nach dem am 4. März 1951 auf einem Gemeindeweg der Beklagten verunglückten Hugo S., leitet aus dem Unfall, der sich infolge des schuldhaften Verhaltens der Beklagten ereignet habe, Schadenersatzansprüche ab. Sie verlangt die Bezahlung von 15.000 S dafür, daß sie an Stelle des Verstorbenen eine Hilfskraft für ihr Marktfahrergewerbe durch sechs Jahre werde bezahlen müssen, sowie 3920.44 S für Arzt- und Beerdigungskosten, zusammen 18.920.44 S.

Das Erstgericht, das die Verhandlung auf den Grund des Anspruches einschränkte, erkannte, daß dieser zu Recht bestehe. Der Unfall, der sich am 4. März 1951 um etwa 11 Uhr abends bei Glatteis des Weges ereignet habe und bei dem der kurzsichtige und körperbehinderte neunundsechzigjährige Hugo S. vom Weg abgekommen und in den etwa

3.60 m tiefer gelegenen Bach gefallen sei, sei auf das Verschulden der Beklagten zurückzuführen. Denn nach § 5 Abs. 3 des Gesetzes vom 19. April 1894, LGBl. f. NÖ. Nr. 20, seien Gemeindewege in einem für die Sicherheit des Verkehrs gefahrlosen Zustand herzurichten und zu erhalten. Daran habe es die Beklagte deshalb fehlen lassen, weil sie dort, wo der Weg scharf umbiege und in Fortsetzung der Richtung über eine steile Böschung in den Bach führe, keine Planke aufgestellt habe. Da der Weg auch von Körperbehinderten benützt werden könne, habe die Beklagte auch auf solche Personen Rücksicht zu nehmen gehabt. Darin, daß die Beklagte den in der Nacht vereisten Weg nicht bestreut habe, liege hingegen kein Verschulden, denn eine derartige Vorsorge gehe über die Leistungsfähigkeit einer kleinen Gemeinde hinaus. Ein Mitverschulden des Verunglückten könne nicht angenommen werden. Die Beklagte hafte daher allein für die Unfallsfolgen.

Infolge Berufung der Beklagten änderte das Berufungsgericht das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß der Klagsanspruch dem Gründe nach nur zur Hälfte als zu Recht bestehend erkannt wurde. Das Berufungsgericht billigte die Rechtsansicht des Erstgerichtes, daß der Beklagten nicht habe zugemutet werden können, den Weg zu bestreuen. Es könne ihr auch nicht zum Verschulden angerechnet werden, daß der Weg nicht beleuchtet worden sei. Denn der Weg diene in der Regel nicht einem Verkehr in der Dunkelheit und es könne von den ortskundigen Benützern des Weges erwartet werden, daß sie bei Dunkelheit nicht die Abkürzung über den Gemeindeweg nähmen, sondern über die beleuchtete Bezirksstraße gingen. Anders aber sei der Umstand zu werten, daß die Gemeinde den Weg an der Kurve, wo sich der Unfall ereignet habe, nicht gegen die 3.60 m tiefer gelegene Bachsohle abgeschirmt habe. Die Unfallstelle sei, da es sich um eine "Haarnadelkurve" handle, von deren Wendepunkt in gerader Fortsetzung des einen zur Kurve führenden Teiles des Weges die zunächst nur mäßig, dann aber steil abfallende Böschung in eine Tiefe von 3.60 m führe, für die Benützer des Weges gefährlich. Da der Weg dem Verkehr der Kirchenbesucher diene, könne nicht ausgeschlossen werden, daß sich unter diesen auch Kinder, Greise und körperbehinderte Personen befänden, auf die Rücksicht zu nehmen sei. Eine Sicherung der Stelle sei nicht entbehrlich. Es wäre nach Ansicht des Berufungsgerichtes nötig gewesen, daß die Beklagte an der Unfallstelle ein massives Holzgeländer angebracht hätte. Dadurch, daß die Gemeinde diese Sicherung unterlassen habe, sei ein Schutzgesetz übertreten worden. Sie hafte grundsätzlich für den Schaden und könne sich auch weder auf das Bundesstraßengesetz vom 18. Feber 1948, BGBl. Nr. 59, noch auf das vom 8. Juli 1921, BGBl. Nr. 387, berufen, da diese Gesetze für Gemeindewege nicht gälten. Es müsse aber entgegen der Meinung des Erstgerichtes ein Mitverschulden des Hugo S. angenommen werden. Diesem sei der Zustand des Weges und seine eigene Behinderung infolge seines Fußleidens, eines Schlaganfalles im Jahre 1949, seiner längeren Erkrankung kurz vor dem Unfall und seiner Kurzsichtigkeit bekannt gewesen. Er hätte statt über den abschüssigen Weg über die nur 280 Schritte weitere Bezirksstraße gehen müssen. Wenn er aber schon den in Frage stehenden Weg benützte, hätte er nach Ansicht des Berufungsgerichtes die Unfallsstelle mit besonderer Vorsicht betreten und sich ganz am rechten Rand des Weges halten müssen, was er nicht getan habe. Der Verunglückte habe die ihm zur Vermeidung drohender Gefahr obliegende Sorgfalt schuldhafterweise außer Acht gelassen. Da beide Beteiligten am Unfall schuldtragend seien und nicht gesagt werden könne, daß das Verschulden des einen Teiles überwiege, müßten sie den Schaden je zur Hälfte tragen.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten gegen den bestätigenden Teil des Berufungsurteiles nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

Der Meinung der Revisionswerberin, sie hafte gemäß § 8 des Bundesstraßengesetzes vom 8. Juli 1921, BGBl. Nr. 387, nur für Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit, kann nicht beigetreten werden. Durch § 2 der Verordnung vom 30. Dezember 1939, DRGBl. 1940 I S. 16 (Kundmachung vom 9. Jänner 1940, GBlÖ. Nr. 7), sind die Bestimmungen des erwähnten, ursprünglich nur für Bundesstraßen geltenden Gesetzes auf Reichsstraßen und Landstraßen erster und zweiter Ordnung ausgedehnt worden. Nach § 8 des Gesetzes vom 8. Juli 1921 ist die Gebietskörperschaft bei Verletzungen oder Tötungen von Personen oder Beschädigungen von Sachen, die infolge des Zustandes einer Straße oder einer dazugehörigen Anlage eingetreten sind, zum Schadenersatz nur verpflichtet, wenn deren Organ erwiesenermaßen die Instandhaltung der Straße vorsätzlich oder in grob fahrlässiger Weise vernachlässigt haben. Diese Vorschrift ist indessen auf Gemeindewege nicht anzuwenden. Denn aus dem Gesetz vom 26. März 1934, DRGBl. I S. 243, ergibt sich, daß nach der deutschen Terminologie die Straßen nur insofern in Reichsstraßen und Landstraßen erster und zweiter Ordnung eingeteilt wurden, als sie dem Verkehr von Ort zu Ort dienen. Wege, die nur innerhalb einer Gemeinde zum Verkehr benützt werden, wie dies bei dem in Frage stehenden Gemeindeweg zutrifft, fallen daher keinesfalls unter das Gesetz vom 8. Juli 1921 und damit auch nicht unter die normierte Haftungsbeschränkung. Solche Wege sind in Niederösterreich vielmehr nach dem Gesetz vom 19. April 1894, LGBl. f. NÖ. Nr. 20, in der Fassung der Novelle vom 19. März 1911, LGBl. f. NÖ. Nr. 63, und der übrigen seither erlassenen Ergänzungen und Abänderungen zu beurteilen. Die Schadenshaftung der Gemeinden ist nach diesem Gesetz nicht beschränkt. Sie haften vielmehr nach den allgemeinen Bestimmungen des Schadenersatzrechtes.

Es ist dem Berufungsgericht auch in der Richtung zuzustimmen, daß die Unfallstelle als ein gefährlicher Teil des Weges angesehen werden muß. Dieser macht dort eine scharfe Kurve und führt in seiner ursprünglichen Richtung geradeweges in den einige Meter darunter liegenden Bach, wobei nicht außer Acht gelassen werden kann, daß die Böschung teilweise steil und der letzte Abfall in den Bach eine senkrechte Mauer von nicht ganz einem Meter Höhe ist. Eine solche Stelle, die abschüssig, bei Nacht nicht beleuchtet und der Glatteisbildung ausgesetzt ist, bietet größere Gefahren als zahlreiche andere ähnliche nicht gesicherte Wegstellen, auf die die Revisionswerberin hinweist. Es muß auch ein Unterschied zwischen Wegen in Ortschaften und solchen außerhalb des verbauten Gebietes gemacht werden. Auch nach Ansicht des Revisionsgerichtes hätte die Beklagte die Pflicht gehabt, an der in Frage stehenden Kurve ein massives Geländer anzubringen und dadurch vom Weg abkommende Passanten vor dem Absturz in den Bach zu schützen. Eine derartige Verpflichtung mußte nicht ausdrücklich vorgeschrieben werden. Sie ergibt sich aus der allgemeinen Pflicht der Gemeinde, innerhalb des Gemeindegebietes für die Herstellung und Erhaltung der notwendigen öffentlichen Gemeindewege, Stege und Brücken in gefahrlosem Zustand zu sorgen (§§ 10 sowie 5 Abs. 3 des Gesetzes vom 19. April 1894, LGBl. f. NÖ. Nr. 20).

Das Berufungsgericht hat ein zum Schadenersatz verpflichtendes Verschulden der Beklagten mit Recht angenommen. Daß auch den Verunglückten selbst ein Mitverschulden trifft, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, ist unbekämpft geblieben. Bei Abwägung des beiderseitigen schuldhaften Verhaltens ergibt sich, daß das des einen Teiles nicht erheblich schwerer als das des anderen ist. Gemäß § 1304 ABGB. tragen beide daher den Schaden zu gleichen Teilen.

Anmerkung

Z26078

Schlagworte

Beleuchtung eines Gemeindeweges, Gemeinde, Haftung für Sicherung der Wege, Gemeindewege, Haftung, Ortschaft, Wege innerhalb von Ortschaften, Schadenersatz, Haftung für Gemeindewege, Sicherung von Gemeindewegen, Straße, Haftung der Gemeinde, Unfall auf Gemeindeweg, Weg, Haftung der Gemeinde

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1953:0010OB00241.53.0325.000

Dokumentnummer

JJT_19530325_OGH0002_0010OB00241_5300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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