TE OGH 1955/7/13 2Ob443/55

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.07.1955
beobachten
merken

Norm

ABGB §1325
ABGB §1327
Allgemeines Sozialversicherungsgesetz §332
Reichsversicherungsordnung §1542

Kopf

SZ 28/177

Spruch

Sind die Ansprüche des Verletzten im Augenblick des Unfalles auf den Sozialversicherungsträger übergegangen, braucht der Schädiger diesem die durch spätere Gesetzgebung erhöhten Sozialrenten nicht zu erstatten, wenn durch einen Abfindungsvergleich die Ansprüche des Verletzten im guten Glauben abgegolten und erfüllt wurden.

Entscheidung vom 13.Juli 1955, 2 Ob 443/55.

I. Instanz: Landesgericht Linz; II. Instanz: Oberlandesgericht Linz.

Text

Die A.-Versicherungsanstalt macht in der vorliegenden, gegen die Verlassenschaft nach Josef H. gerichteten Klage geltend, daß sie für Anna G., die Witwe nach dem bei einem Verkehrsunfall durch das Verschulden des Josef H. getöteten Ludwig G., Sozialversicherungsleistungen erbracht habe, und begehrt den Ersatz der erbrachten Leistungen und ab 1. September 1954 den Ersatz eines monatlichen Rentenbetrages von 144 S 90 g.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es ging davon aus, daß das Verschulden des Josef H. an dem zum Tode des Ludwig G. führenden Verkehrsunfall durch das Urteil des Strafgerichtes festgestellt wurde. Anna G. habe zwar am 24. Juli 1950 mit dem Haftpflichtversicherer des Josef H. einen außergerichtlichen Vergleich dahin geschlossen, daß durch Bezahlung eines Betrages von 17.000 S und der Kosten des von Anna G. gegen Josef H. angestrengten Prozesses alle ihr aus dem Unfall vom 18. September 1949 entstandenen und in Zukunft noch entstehenden Schadenersatzansprüche gegen Josef H. abgefunden seien. Anna G. habe bei der klagenden Partei erst auf Grund des Gesetzes BGBl. Nr. 88 aus 1952, ungeachtet des Bestehens ihres eigenen Arbeitsverhältnisses, einen Antrag auf Auszahlung der Witwenrente gestellt. Nach der Reichsversicherungsordnung finde kraft Gesetzes ein Übergang der Schadenersatzforderungen des Geschädigten auf den Sozialversicherungsträger statt, so daß alle Ansprüche, außer Schmerzengeld, Sachschäden u. dgl., nur von dem Versicherungsträger geltend gemacht werden könnten. Der Anspruch der Anna G. (gegen den Sozialversicherungsträger) habe nur geruht, und es sei gleichgültig, ob er durch eine Gesetzesänderung oder durch andere Umstände wieder aufgelebt sei. Die Einrede der Verjährung sei nicht zu beachten, weil der Schaden für die klagende Partei erst in dem Augenblick erkennbar gewesen sei, als sie die Rente habe zahlen müssen und erfahren habe, wer den Unfall verschuldet habe.

Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Der Schädiger könne sich gegenüber dem Sozialversicherungsträger nur dann auf einen mit dem Geschädigten abgeschlossenen Vergleich berufen, wenn er im Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses von der eingetretenen Legalzession noch keine Kenntnis gehabt habe. Der Kenntnis von dem Übergang der Schadenersatzansprüche auf den Sozialversicherungsträger sei es im allgemeinen gleichzusetzen, wenn der Schädiger im Zeitpunkte des Vergleiches die Tatumstände gekannt habe, die den Rechtsübergang bewirkten, also die Tatsache, daß der Geschädigte zu den versicherungspflichtigen Personen gehöre. Da dem Josef H. und seiner Versicherungsgesellschaft bekannt gewesen sei, daß Ludwig G. früher in Diensten des Magistrates der Stadt L. und zuletzt in Diensten eines Marktfieranten gestanden sei, habe ihnen auch klar sein müssen, daß er sozialversichert gewesen sei. Maßgebend sei gewesen, daß der Verunglückte im Zeitpunkte des Unfalles bereits ein Anwartschaftsrecht auf Sozialversicherungsleistungen erworben habe. Die Frage, ob der Sozialversicherungsträger den Abfindungsvergleich gegen sich gelten lassen müsse, könne jedoch dahingestellt bleiben, weil die Einrede der Verjährung berechtigt sei. Die Verjährung einer Forderung könne nicht davon abhängen, ob sie vom ursprünglichen Forderungsberechtigten oder vom Zessionar geltend gemacht werde. Die Forderung sei für den Zessionar verjährt, wenn sie für den Zedenten verjährt sei. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 1489 ABGB. laufe von dem Zeitpunkt an, zu welchem der Schaden und die Person des Schädigers dem Geschädigten bekannt geworden sei. Das sei im vorliegenden Falle spätestens der Tag, an dem sich Anna G. dem Strafverfahren gegen Josef H. als Privatbeteiligte angeschlossen habe, nämlich der 4. Jänner 1950. Die Verjährungsfrist sei auch nicht durch die von Anna G. gegen Josef H. eingebrachte Klage unterbrochen worden, da für die Unterbrechung die Klagserhebung durch den Berechtigten gefordert sei.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der klagenden Partei nicht Folge.

Rechtliche Beurteilung

Aus den Entscheidungsgründen:

In der Rechtslehre (Geigel, Der Haftpflichtprozeß, 7. Aufl. S. 393 ff.) wird die Ansicht vertreten, daß die Ansprüche des Verletzten gegen den Schädiger auf den Sozialversicherer auch insoweit übergehen, als dessen Sozialleistungen durch spätere Gesetzgebung erhöht werden. Die Frage, ob der Schädiger dem Sozialversicherer, auf den die Ansprüche des Verletzten im Augenblick des Unfalles übergegangen waren, die durch spätere Gesetzgebung erhöhten Sozialrenten erstatten muß, wenn durch einen Abfindungsvergleich die Ansprüche des Verletzten in gutem Glauben abgegolten und erfüllt wurden, wird in der Rechtslehre dahin beantwortet, daß der Schädiger dem Sozialversicherer die durch spätere Gesetzgebung erhöhten Sozialrenten nicht zu erstatten habe; die Erhöhung der Sozialrenten sei für ihn nicht vorhersehbar gewesen, er sei also des guten Glaubens gewesen, auf den Sozialversicherer seien Ersatzansprüche nur in der Höhe übergegangen, in welcher der Sozialversicherer zur Zeit des Abfindungsvergleiches eine Sozialrente zu zahlen gehabt habe. Anders sei jedoch die Rechtslage, wenn kein Abfindungsvergleich, sondern ein Vergleich des Inhaltes, daß der Schädiger dem Verletzten eine laufende Rente zusätzlich zu der Sozialrente zu zahlen habe, geschlossen wurde (Geigel a. a. O. S. 394). Diese Gedanken müssen auch im vorliegenden Fall Beachtung finden. Nach den unangefochtenen Feststellungen des Berufungsgerichtes war Anna G. seit 1939 in der Tabakfabrik in L. beschäftigt. Da sie selbst in Arbeit stand, hatte sie gemäß § 2 Abs. 2 des Bundesgesetzes BGBl. Nr. 112/1949 keinen Anspruch auf eine Witwenrente. Für den Schädiger war daher bei Abschluß des Vergleiches nicht vorhersehbar, daß der Sozialversicherer an Anna G. im Falle der Fortdauer ihres Beschäftigungsverhältnisses eine Leistung zu erbringen haben werde. Nach den unbekämpften erstrichterlichen Feststellungen hat Anna G. den Abfindungsbetrag samt Kosten am 5. September 1950 erhalten. Da der Sozialversicherungsträger ihr nach der damaligen Gesetzeslage keine Leistungen zu gewähren hatte, kann allen Beteiligten beim Abschluß des Abfindungsvergleiches der gute Glaube nicht abgesprochen werden. Der Sozialversicherungsträger muß daher den Abfindungsvergleich ebenso wie im Falle einer nicht vorhersehbaren Erhöhung der Sozialversicherungsrenten gegen sich gelten lassen. Daß der Anspruch der Anna G. auf Witwenrente im Zeitpunkte des Abschlusses des Abfindungsvergleiches nur ruhte, ist ohne Bedeutung, weil Anna G. lediglich auf Grund der Änderung der Gesetzeslage (BGBl. Nr. 88/1952) in den Genuß der Witwenrente kam.

Bei dieser Sach- und Rechtslage braucht auf die Frage der Verjährung nicht weiter eingegangen zu werden.

Anmerkung

Z28177

Schlagworte

Cessio legis nach § 1542 RVO., Erhöhung der Sozialrenten, Erhöhung der Sozialrenten, Legalzession nach § 1542 RVO., Forderungsübergang auf den Sozialversicherungsträger, Rentenerhöhung, Legalzession nach § 1542 RVO. Erhöhung der Sozialrenten, Regreß des Sozialversicherungsträgers Rentenerhöhung, Rentenerhöhung, Legalzession nach § 1542 RVO., Rückgriff des Sozialversicherungsträgers Rentenerhöhung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1955:0020OB00443.55.0713.000

Dokumentnummer

JJT_19550713_OGH0002_0020OB00443_5500000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten