TE Vfgh Erkenntnis 2001/6/18 B1443/00 ua

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Veröffentlicht am 18.06.2001
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Index

41 Innere Angelegenheiten
41/02 Staatsbürgerschaft, Paß- und Melderecht, Fremdenrecht

Norm

B-VG Art18 Abs1
B-VG Art83 Abs2
AnhalteO, BGBl II 128/1999 §7, §23
FremdenG 1997 §72, §73

Leitsatz

Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Zurückweisung von Beschwerden eines Schubhäftlings hinsichtlich seiner krankheitsbedingten Haftunfähigkeit; Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates zur Überprüfung der Haftfähigkeit iSd der Anhalteordnung im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Anhaltung iSd Fremdengesetzes

Spruch

Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.

Die Bescheide werden aufgehoben.

Der Bund (Bundesminister für Inneres) ist schuldig, dem Beschwerdeführer zu Handen seines Rechtsvertreters die mit je S 18.000,- bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu ersetzen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. 1. Die Bundespolizeidirektion Wien erließ mit Bescheid vom 27. April 1998 gegen den nunmehrigen Beschwerdeführer ein unbefristetes Aufenthaltsverbot. Ein gemäß §44 Fremdengesetz 1997 gestellter Antrag des Beschwerdeführers auf Aufhebung des Aufenthaltsverbotes wurde mit Bescheid der Bundespolizeidirektion Wien vom 23. Mai 2000 als unbegründet abgewiesen. Die Bundespolizeidirektion Wien verhängte mit Bescheid vom 29. Juni 2000 gemäß §61 Abs1 Fremdengesetz 1997 iVm §57 Abs1 AVG über den Beschwerdeführer die Schubhaft zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer Ausweisung, des Verfahrens zur Erlassung eines Aufenthaltsverbotes, der Zurückschiebung und der Abschiebung. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien wies mit Bescheid vom 19. Juli 2000 eine gemäß §72 Fremdengesetz 1997 eingebrachte Schubhaftbeschwerde vom 13. Juli 2000 als unbegründet ab und erklärte die Fortsetzung der Anhaltung des Beschwerdeführers in Schubhaft für rechtmäßig. In den Schubhaftbeschwerden vom 19. Juli 2000 und 21. Juli 2000, führte der Beschwerdeführer erneut aus, dass er zumindest seit 19. Juli 2000 aufgrund eines starken Verlustes seines Körpergewichtes und einer schmerzhaften Tripper-Erkrankung transport- und haftunfähig sei. Eine entsprechende ärztliche Behandlung sei ihm verweigert worden. Es sei seitens der Fremdenpolizei "zynisch" die Ansicht vertreten worden, der Beschwerdeführer könne nur in der Türkei gesunden. Am 23. Juli 2000 wurde der Beschwerdeführer abgeschoben. Der Unabhängige Verwaltungssenat Wien wies die Schubhaftbeschwerden mit den bekämpften Bescheiden vom 21. Juli 2000 und 13. September 2000 gemäß §73 Fremdengesetz 1997 im Wesentlichen unter Hinweis auf eine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH vom 17.11.1995 Z95/02/0467 und vom 2.8.1996, Z96/02/0143) mit der Begründung ab bzw. die Zusatzanträge zurück, dass die Frage der krankheitsbedingten Haftunfähigkeit eine solche des konkreten Vollzuges sei und der UVS im Rahmen seiner Zuständigkeit gemäß §73 Fremdengesetz nur befugt sei, die Rechtmäßigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme und der Anhaltung zu beurteilen.

2. Die Beschwerden behaupten substantiiert nur die Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (Art83 Abs2 B-VG, BVG betreffend das Verbot rassischer Diskriminierung, Art3, 5, 6 und 7 EMRK). Die Beschwerden an den Kommandanten des Polizeigefangenenhauses (§23 Anhalteordnung) seien erfolglos geblieben. §7 Anhalteordnung regle die Haftfähigkeit und die ärztliche Untersuchung. Demnach hätte eine ärztliche Betreuung veranlasst werden müssen und die Haftunfähigkeit des Schubhäftlings aus medizinischen Gründen festgestellt werden müssen. §23 AnhO sei ein Rechtsbehelf, der nicht den Bestimmungen der Art5 und 6 EMRK entspreche. Der Kommandant und die zuständige Behörde hätten keinen Tribunalcharakter. Der Unabhängige Verwaltungssenat habe die Rechtmäßigkeit der Haft und der weiteren Anhaltung zu prüfen. Die in §7 Anhalteordnung geregelte Haftfähigkeit sei Voraussetzung der Fortsetzung der Schubhaft.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor und erstattete zu B1443/00 eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt. Der Beschwerdeführer habe eine Beschwerdemöglichkeit gemäß §23 Anhalteordnung, BGBl. II Nr. 128/1999, die der Überprüfung durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zugänglich sei.

4. Den Verwaltungsakten lässt sich nur entnehmen, dass am 9. Juli 2000 eine amtsärztliche Untersuchung stattgefunden hat, nach der der Beschwerdeführer für transporttauglich befunden wurde. Am 10. Juli 2000 ist ein Abschiebungsversuch unternommen worden. Der Beschwerdeführer hat sich selbst leichte Verletzungen am Unterarm zugefügt, weshalb er ärztlich versorgt und die Abschiebung verschoben wurde. Am 22. Juli 2000 ist der Beschwerdeführer wieder amtsärztlich untersucht worden. In der Amtsbescheinigung wurden seine Transporttauglichkeit und ein elftägiger Hungerstreik bestätigt. Die behauptete Erkrankung wurde dabei nicht festgestellt. Die Abschiebung wurde am 23. Juli 2000 durchgeführt.

II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:

1. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992).

2.1. Die gemäß Art144 B-VG angefochtenen Bescheide des Unabhängigen Verwaltungssenates Wien stützen sich vornehmlich darauf, dass er im Rahmen seiner Zuständigkeit gemäß §§72, 73 Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75/1997 (FrG 1997), einzig befugt sei, die Frage der Rechtmäßigkeit der Schubhaft zu beurteilen. Fragen des konkreten Vollzuges (der Durchführung) der Schubhaft - wie etwa der Haftfähigkeit des Beschwerdeführers - seien dagegen nicht Gegenstand einer Schubhaftbeschwerde und aus diesem Grund vom Unabhängigen Verwaltungssenat nicht zu beurteilen. Mit dem Einwand, der Beschwerdeführer sei wegen seines kritischen Gesundheitszustandes haftunfähig, könne der Beschwerdeführer - selbst bei Zutreffen des Beschwerdevorbringens - die Rechtswidrigkeit der Schubhaft nicht darlegen. Die Einhaltung der Bestimmungen der Anhalteordnung, also die Ordnungsgemäßheit des Vollzuges (der Durchführung) der Schubhaft sei der Beurteilung durch den Unabhängigen Verwaltungssenat entzogen.

2.2. Der Bundesminister für Inneres hat mit der Anhalteordnung, AnhO, BGBl. II Nr. 128/1999, eine Verordnung über die Anhaltung von Menschen durch die Sicherheitsexekutive, auf Grund des §68 Abs4 Fremdengesetz 1997, BGBl. I Nr. 75, der §§31, 47 Abs3 und 50 des Sicherheitspolizeigesetzes, BGBl. Nr. 566/1991, des §53c Abs6 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991, BGBl. Nr. 52, sowie der §§2 und 4 des Waffengebrauchsgesetzes 1969, BGBl. Nr. 149, hinsichtlich der Anhaltungen nach dem Sicherheitspolizeigesetz oder nach der Strafprozessordnung im Einvernehmen mit dem Bundesminister für Justiz erlassen. Die Anhalteordnung führt die Rechte und Pflichten der Häftlinge und Aufsichtsorgane näher aus. Darüber hinaus finden sich in der Anhalteordnung auch Bestimmungen über die Haftfähigkeit (§7), die Verfügung über Kleidungsstücke und sonstige Effekten (§9), die ärztliche Betreuung der Häftlinge (§10), die Seelsorge (§11), die Hygiene (§12), das Rauchen (§14), die Hausarbeit (§16) und den Einkauf (§18). Die für den vorliegenden Beschwerdefall vornehmlich maßgeblichen Bestimmungen der §§7, 23 AnhO lauten:

"Haftfähigkeit

§7. (1) Menschen, deren Haftunfähigkeit festgestellt oder offensichtlich ist, dürfen nicht angehalten werden.

(2) Menschen, die Krankheitssymptome oder Verletzungen aufweisen, deren Vorhandensein behaupten oder bei denen bestimmte Tatsachen für deren Vorhandensein sprechen, sind, sofern dies eine auch nur kurze Anhaltung bedenklich erscheinen läßt, erst dann aufzunehmen, wenn eine ärztliche Untersuchung die Haftfähigkeit der Betroffenen erwiesen hat.

(3) Alle Häftlinge sind ohne unnötigen Aufschub, spätestens innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme ärztlich auf ihre Haftfähigkeit zu untersuchen. Sie haben sich der für die Beurteilung der Haftfähigkeit erforderlichen ärztlichen Untersuchung zu unterziehen. Verweigern Häftlinge die Mitwirkung an der ärztlichen Untersuchung, so ist von deren Haftfähigkeit solange auszugehen, als sie weder Krankheitssymptome noch Verletzungen aufweisen noch sonst Grund besteht, an ihrer Haftfähigkeit zu zweifeln.

(4) Bei der ärztlichen Untersuchung wahrgenommene Erkrankungen oder Verletzungen sind unter dem Gesichtspunkt der Haftfähigkeit zu beurteilen; auf die Ausstattung des Häftlings mit eigenen Medikamenten kann hiebei Bedacht genommen werden. Die Verpflichtung, Erste Hilfe zu leisten, bleibt hievon unberührt. Sind Verletzungen wahrscheinlich auf Fremdverschulden zurückzuführen oder wird Fremdverschulden behauptet, so ist hierüber ein ärztliches Gutachten zu erstellen.

(5) An Menschen, die schwer krank oder schwanger sind, dürfen Verwaltungsfreiheitsstrafen, solange dieser Zustand dauert, nicht vollstreckt werden. Das Gleiche gilt für Jugendliche unter 16 Jahren und für Frauen während eines Zeitraumes von acht Wochen nach der Entbindung.

(6) Werden Haftunfähige in eine Krankenanstalt überstellt, so ist - wenn die Betroffenen aus der Haft entlassen wurden - die Anstaltsleitung unverzüglich darauf hinzuweisen.

(...)

Beschwerden, Wünsche und Ansuchen

§23. (1) Häftlinge haben während der Anhaltung das Recht, sich beim Kommandanten schriftlich oder mündlich mit der Behauptung noch andauernder Verletzung eines ihnen aus der Hausordnung erwachsenden Rechte(s) zu beschweren. Sie sind zu diesem Zwecke auf ihr Verlangen ohne unnötigen Aufschub dem Kommandanten vorzuführen.

(2) Ist der Kommandant nach unverzüglicher Prüfung der Beschwerde nach Abs1 der Ansicht, daß die Beschwerde berechtigt ist, hat er den rechtmäßigen Zustand herzustellen, anderenfalls hat er den Sachverhalt der Behörde vorzulegen. Diese hat den Sachverhalt unverzüglich zu prüfen. Gelangt die Behörde zur Ansicht, daß die Beschwerde berechtigt ist und wird der Beschwerdeführer noch angehalten, so hat sie den Kommandanten anzuweisen, unverzüglich den rechtmäßigen Zustand herzustellen; andernfalls hat die Behörde den Betroffenen ohne Zustellnachweis vom Ergebnis der Prüfung in Kenntnis zu setzen, sofern eine Abgabestelle bekannt ist oder ohne Schwierigkeit festgestellt werden kann.

(3) Soweit wegen des in Beschwerde gezogenen Verhaltens sonst ein Rechtsschutz besteht, bleibt dieser unberührt.

(4) Im übrigen steht es allen Häftlingen frei, Wünsche und Ansuchen mündlich oder schriftlich vorzubringen. Sie sind zu diesem Zwecke auf ihr Verlangen ohne unnötigen Aufschub dem Kommandanten vorzuführen."

2.3. Im Erkenntnis VfSlg. 14.787/1997 lag der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes die Bestimmung des §23 Polizeigefangenenhaus-Hausordnung, BGBl. Nr. 566/1988, PGH-HO, zugrunde. Der Unabhängige Verwaltungssenat hatte zu Unrecht - da keine aus der Hausordnung erwachsenden Rechte sondern verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte geltend gemacht worden waren - eine Maßnahmenbeschwerde wegen behaupteter Misshandlungen während der Polizeihaft zurückgewiesen. §23 PGH-HO lautete:

"Wünsche, Ansuchen und Beschwerden

§23. (1) Beschwerden wegen Verletzung der dem Häftling aus der Hausordnung erwachsenden Rechte sind vom Häftling dem Kommandanten vorzutragen oder schriftlich mitzuteilen.

(2) Richtet sich die Beschwerde gegen Aufsichtsorgane, so hat hierüber der Kommandant zu entscheiden. Richtet sie sich gegen eine von ihm oder vom Arzt getroffene Maßnahme oder Entscheidung und hilft er der Beschwerde nicht selbst ab, so ist sie der Behörde vorzulegen. Diese hat, außer bei Beschwerden über vom Arzt getroffene Maßnahmen, mit Bescheid zu entscheiden.

(3) Vorbringen, die eine Verletzung anderer als der aus der Hausordnung erwachsenden Rechte zum Gegenstand haben, sind ohne unnötigen Aufschub, erforderlichenfalls auch fernmündlich, an die Behörde heranzutragen.

(4) Im übrigen steht es jedem Häftling frei, Wünsche und Ansuchen mündlich oder schriftlich vorzubringen. Er ist zu diesem Zwecke auf sein Verlangen ohne unnötigen Aufschub dem Kommandanten vorzuführen. "

Der Verfassungsgerichtshof erörterte die sich auf diese Bestimmung stützende bescheidmäßige Erledigung folgendermaßen:

"(...) Nach §23 Abs1 bis 3 PGH-HO steht einem in einem Polizeigefangenenhaus einsitzenden Häftling im Hinblick auf behauptete Rechtsverletzungen ein zweigeteilter Rechtszug offen:

(...) Wendet sich ein Häftling gegen die Verletzung 'der dem Häftling aus der Hausordnung erwachsenden Rechte', ist seine 'Beschwerde' an den Kommandanten zu richten. Dieser hat nur dann selbst darüber zu entscheiden, wenn es sich um eine Maßnahme eines Aufsichtsorganes handelt. Richtet sich die Beschwerde aber gegen eine von ihm oder vom Amtsarzt getroffene Maßnahme und hilft er der 'Beschwerde nicht selbst ab', so hat er sie der 'Behörde' vorzulegen. 'Behörde' im Sinne des §23 Abs2 PGH-HO ist gemäß §46 iVm. §65 Abs1 FremdenG die Bezirksverwaltungs- bzw. die Bundespolizeibehörde, die ihrerseits aber nur dann mit Bescheid zu entscheiden hat, wenn eine Maßnahme des Kommandanten den Grund zur Beschwerde gab."

2.4. §23 AnhO weicht maßgeblich von §23 PGH-HO ab. Nach der hier anzuwendenden Bestimmung steht dem Beschwerdeführer keine in einen Bescheid mündende Möglichkeit der Rechtsverfolgung zur Verfügung.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kommt einer lediglich als Mitteilung zu wertenden Erledigung einer Verwaltungsbehörde der zur Begründung der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes oder Verwaltungsgerichtshofes unerlässliche Bescheidcharakter dann nicht zu, wenn sich aus ihrem maßgebenden Inhalt eindeutig ergibt, dass die Behörde nicht gegenüber individuell bestimmten Personen normativ, also weder rechtsgestaltend noch rechtsfeststellend, eine Angelegenheit des Verwaltungsrechts entschieden hat (vgl. zB VfSlg. 15.414/1999 mwH).

Die "Behörde" ist gemäß §23 AnhO jedenfalls nicht verpflichtet, einen Bescheid zu erlassen, sondern hat den rechtmäßigen Zustand durch Weisung an den Kommandanten herzustellen. Die Beschwerde nach §23 AnhO dient damit dem praktischen Zweck, einen Missstand durch schnelles Handeln der Organe an Ort und Stelle zu beseitigen. Wenn die Behörde, der der Sachverhalt vom Kommandanten vorgelegt wurde, zur Ansicht gelangt, dass die Beschwerde nicht berechtigt ist, hat die Behörde den Betroffenen formlos ohne Zustellnachweis vom Ergebnis der Prüfung in Kenntnis zu setzen, sofern eine Abgabestelle bekannt ist oder ohne Schwierigkeiten festgestellt werden kann.

Dem verordnungserlassenden Bundesminister für Inneres ist es einerseits nicht zusinnbar, in Abweichung vom Wortlaut des §23 PGH-HO ("Diese hat (...) mit Bescheid zu entscheiden") die Wortfolgen "so hat sie den Kommandanten anzuweisen" und "hat die Behörde den Betroffenen ohne Zustellnachweis vom Ergebnis der Prüfung in Kenntnis zu setzen" zu verwenden, wenn er weiterhin von einer bescheidmäßigen Erledigung der "Behörde" (Bezirksverwaltungs- bzw. Bundespolizeibehörde) über eine ihr vorgelegte Entscheidung des Kommandanten ausging; andererseits spricht auch §23 Abs3 AnhO, gemäß dem ein sonstiger Rechtsschutz wegen des in Beschwerde gezogenen Verhaltens unberührt bleibt, für die Annahme, dass die "Behörde" keinen Bescheid zu erlassen hat. Dies deshalb, da dem verordnungserlassenden Organ auch nicht unterstellt werden kann, eine dem verfassungsrechtlichen Gebot strikter Zuständigkeitsgrenzen, wie es sowohl dem Art18 Abs1 und Abs2 B-VG als auch Art83 Abs2 B-VG zu entnehmen ist, zuwiderlaufende Zuständigkeitskonkurrenz schaffen zu wollen (vgl. VfSlg. 13.886/1994). Da im Falle einer Bescheiderlassung ein Fristlauf an den Tag der Zustellung anknüpft, ist die gesetzlich geregelte Art der Zustellung im §23 Abs2 AnhO ein weiteres Indiz für den mangelnden Bescheidcharakter dieser Erledigung.

Die den Rechtsschutz gemäß §23 Abs3 AnhO gewährende Behördenzuständigkeit ergibt sich aus den §§72 und 73 FrG 1997:

Gemäß §72 Abs1 FrG 1997 hat, wer gemäß §63 FrG festgenommen worden ist oder unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, das Recht, den Unabhängigen Verwaltungssenat mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat gemäß §73 Abs4 FrG 1997 jedenfalls festzustellen, ob zum Zeitpunkt seiner Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen. Wie der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem zum Fremdenpolizeigesetz, BGBl. Nr. 75/1954, ergangenen Erkenntnis VfSlg. 13.039/1992 dargetan hat, hat der Unabhängige Verwaltungssenat die Frage der formellen wie materiellen Rechtmäßigkeit der Anhaltung (im Zeitpunkt seiner Entscheidung, gegebenenfalls im Zeitpunkt unmittelbar vor der Freilassung) nach jeder Richtung hin selbstständig zu untersuchen und jedwede unterlaufene Gesetzwidrigkeit, also nicht etwa nur qualifiziert rechtswidriges behördliches Handeln, festzustellen und aufzugreifen. Diese Erwägungen gelten grundsätzlich auch für das Fremdengesetz 1997 - §73 Fremdengesetz 1997 entspricht im Wesentlichen dem §52 Fremdengesetz 1992 (vgl. zu §52 Fremdengesetz 1992 VfSlg. 13.806/1994). §7 der Anhalteordnung, nach dem ein Mensch, dessen Haftunfähigkeit festgestellt oder offensichtlich ist, nicht angehalten werden darf und der die ärztliche Untersuchung regelt, betrifft jedenfalls eine Frage der Rechtmäßigkeit der Anhaltung (§72 FrG 1997). Die belangte Behörde hätte daher auch die oben behauptete Rechtswidrigkeit der Anhaltung wegen eines Verstoßes gegen §7 (Haftfähigkeit) der Anhalteordnung überprüfen und gegebenenfalls aufgreifen müssen, sofern nicht etwa die Beschwer deswegen weggefallen ist, weil der Kommandant gemäß §23 Abs2 AnhO den rechtmäßigen Zustand hergestellt hat. Indem die Behörde ihre Zuständigkeit betreffend die Überprüfung der Haftfähigkeit gemäß der Anhalteordnung verneinte, hat sie den Beschwerdeführer im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) verletzt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VerfGG 1953. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von je S 3000,-

enthalten.

4. Dies konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VerfGG 1953 ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung entschieden werden.

Schlagworte

Behördenzuständigkeit, Fremdenrecht, Unabhängiger Verwaltungssenat, Bescheidbegriff, Zustellung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2001:B1443.2000

Dokumentnummer

JFT_09989382_00B01443_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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