Norm
ZPO §529 (1) Z2Kopf
SZ 37/25
Spruch
Es ist nicht unzulässig, einen Sachverhalt, der allenfalls Anlaß zu einer Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO. geben könnte, zum Anlaß einer Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. zu machen.
Entscheidung vom 10. Februar 1964, 1 Ob 9/64. I. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien; II. Instanz:
Oberlandesgericht Wien.
Text
Die Klägerin und der Beklagte haben am 1. November 1936 geheiratet. Am 20. September 1960 erhob der Beklagte unter 7 Cg .../60 des Landesgerichtes für ZRS. Wien eine Protokollarklage auf Ehescheidung, wobei er - gestützt auf die Bestimmungen des § 49 EheG. - geltend machte, die Klägerin verfolge ihn grundlos mit Eifersucht. Beide Teile waren in diesem Prozeß anwaltlich nicht vertreten. Die Beklagte erklärte, der Scheidung nicht zu widersprechen und dem Kläger nichts vorzuwerfen; sie sei der Meinung, daß die Ehe gut sei, und halte daher an ihr fest. Schließlich erging das Urteil vom 22. Dezember 1960, mit dem die Ehe aus dem Alleinverschulden der (damals beklagten) Klägerin geschieden wurde. Es wurde ihr am 10. Jänner 1961 zugestellt und zufolge Unterlassung einer Berufung rechtskräftig.
Vertreten durch den Wiener Rechtsanwalt Dr. Eugen P. überreichte die Klägerin am 23. Mai 1961 die vorliegende Wiederaufnahmsklage. Darin hieß es, die Klägerin sei am 17. Mai 1961 bei ihrem Anwalt erschienen, habe ihm das Urteil im Vorprozeß vorgelegt und erklärt, sie habe seinerzeit dagegen kein Rechtsmittel ergriffen, weil der Beklagte ihr im Zuge des Scheidungsprozesses zugesagt habe, er werde auch im Falle der Ehescheidung die Lebensgemeinschaft mit ihr fortsetzen und weiterhin für sie sorgen; dies habe er durch etwa drei Monate wirklich getan, sie aber am 6. April 1961 verlassen; dem Anwalt sei schon bei dieser Gelegenheit die Leichtgläubigkeit der Klägerin aufgefallen, ferner, daß sie sich offenbar nicht darüber im Klaren gewesen sei, ob und inwieweit sie an dem Scheidungsverfahren beteiligt gewesen sei; sie wisse zwar, daß sie durch den Richter einvernommen worden sei, habe aber geglaubt, es gehe erst richtig los und sie müsse noch einige Male zu Gericht kommen; der Klageanwalt habe mit Rücksicht auf das auffällige Verhalten der Klägerin nach Krankheiten u. dgl. geforscht, worauf sie ihm angegeben habe, sie habe im Jahre 1947 infolge Mißhandlung durch den Beklagten eine schwere Kopfverletzung erlitten; sie sei auch in Krankenhausbehandlung gewesen und leide seither häufig an Schwindel, Übelkeit und Schmerzen im Hinterkopf; im Spital habe sie allerdings, um den Beklagten zu schonen, eine unrichtige Darstellung des Vorfalles gegeben, könne aber die Verletzung durch eine Mißhandlung des Beklagten beweisen. In der Klage hieß es dann weiter, Klägerin fechte nun das Urteil im Vorprozeß aus dem Wiederaufnahmsgrund des § 530 (1) Z. 7 ZPO. an; er sei insofern gegeben, als sie erst anläßlich ihrer Vorsprache beim Klageanwalt am 17. Mai 1961 davon in Kenntnis gesetzt worden sei, daß die ihr im erwähnten Urteil angelasteten Eheverfehlungen offenbar auf einer geistigen Störung im Sinne des § 50 EheG. beruhten und daher bei rechtzeitigem Vorbringen dieser Umstände eine Scheidung aus dem Verschulden der Klägerin nicht hätte ausgesprochen werden können; die Klägerin habe nur eine achtklassige Volksschule absolviert, sei eine einfache Frau ohne medizinische Vorkenntnisse und daher nicht in der Lage, aus eigenem die Zusammenhänge zwischen ihrer Schädelverletzung und ihrem angeblich ehewidrigen Verhalten festzustellen; erst durch ihren Anwalt sei sie aufgeklärt und durch dessen Belehrung in die Lage versetzt worden, das Beweismittel der psychiatrischen Untersuchung für die behauptete geistige Störung im Sinne des § 50 EheG., namhaft zu machen. Gestützt hierauf stellte die Klägerin das Begehren auf Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens im Prozeß 7 Cg .../60 und in weiterer Folge auf Abweisung des Scheidungsbegehrens des Beklagten.
Der Beklagte wendete ein, die Klägerin sei während des Vorprozesses geistig nicht gestört gewesen; sie habe schon im Jänner 1961 nach Zustellung des Scheidungsurteiles dem Beklagten erklärt, sie werde, falls er die Hausgemeinschaft mit ihr löse, von ihrer Verletzung im Jahre 1947 durch ihn aussagen, auch wenn sie deswegen einen falschen Eid schwören müßte; die Wiederaufnahmsklage sei auch verspätet, weil die Klägerin schon im Jänner 1961 die Behauptung aufgestellt habe, sie sei geistig nicht in Ordnung.
Die Klägerin hielt dem zusammenfassend entgegen, sie sei nicht geisteskrank, sondern leide an einer geistigen Störung, deren sie sich selbst nicht bewußt gewesen sei, und die erst ihrem Anwalt anläßlich ihrer Vorsprache aufgefallen sei.
Der Erstrichter gab dem Wiederaufnahmebegehren kostenpflichtig statt und hob das im Vorprozeß ergangene Urteil auf. Er begrundete diese Entscheidung wie folgt: Auf Grund der Gutachten der Sachverständigen Dr. Leo K. und Dr. Anton R. sei erwiesen, daß bei der Klägerin eine Eifersuchtsparanoia, welche Geisteskrankheit dem schizophrenen Formenkreis zugehöre, bestehe bzw. psychische "Anfälligkeiten" bestehen - gemeint offenbar "Auffälligkeiten" - welche durch eine dürftige intellektuelle Leistungsfähigkeit und durch eine seit Jahren langsam intensiver werdende paranoid-eifersüchtige charakterliche Entwicklung gekennzeichnet seien; nach ärztlichem Ermessen lägen die medizinischen Voraussetzungen des § 50 EheG. bei der Klägerin zweifellos vor; diese sei auch nicht in der Lage, ihre Interessen vor Behörden zu vertreten; sie sei auf Grund ihres Wahnes auch mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage gewesen, den Verhandlungen im Prozeß 7 Cg .../60 richtig zu folgen; mit Rücksicht auf die festgestellte dürftige Intelligenz sei die Klägerin ohne ihr Verschulden nicht in der Lage gewesen, die Zusammenhänge zwischen ihrer geistigen Störung und den ihr im Vorprozeß angelasteten Eheverfehlungen zu erkennen und im Vorverfahren das Beweismittel ihrer psychiatrischen Untersuchung zu beantragen; in die Lage hiezu sei sie erst durch die Aufklärung seitens ihres Anwaltes am 17. Mai 1961 gekommen; da die Wiederaufnahmsklage am 23. Mai 1961 anhängig gemacht worden sei, sei die Frist des § 534 ZPO. gewahrt; die Behauptung des Beklagten, die Klägerin habe ihm bereits im Jänner 1961 gesagt, sie werde angeben, daß sie geistig nicht in Ordnung sei, sei belanglos, denn durch ihre weitere Erklärung, es mache ihr nichts aus, einen falschen Eid zu leisten, habe sie mit aller Deutlichkeit zu verstehen gegeben, daß sie selbst nicht geglaubt habe, geistig nicht in Ordnung zu sein; eine solche Haltung sei bei Geisteskranken auch die Regel, denn würden sie ihre Krankheit selbst erkennen, wären sie von ihrer Wahnvorstellung auch schon befreit; daß der geltendgemachte Wiederaufnahmsgrund geeignet sei eine für die Beklagte günstigere Entscheidung herbeizuführen, bedürfe keiner weiteren Begründung.
Knapp vor Fällung dieses Urteils hatte das Bezirksgericht Floridsdorf unter 1 L .../63 auf Anzeige des Rechtsanwaltes der Klägerin das Entmündigungsverfahren eingeleitet. Zugleich wurde ein vorläufiger Beistand in der Person des Rechtsanwaltes Dr. Peter G. K. bestellt, der die Bevollmächtigung des Klageanwaltes ratihabierte und die bisherige Prozeßführung genehmigte. Mit Beschluß vom 16. August 1963 wurde die Klägerin dann vom Bezirksgericht Floridsdorf wegen Geisteskrankheit beschränkt entmundigt und in der Folge Rechtsanwalt Dr. Paul K. zum Beistand bestellt, der eine analoge Genehmigungserklärung abgab.
Nunmehr hatte das Berufungsgericht die Berufung des Beklagten gegen das erstrichterliche Urteil zu erledigen. Es gab diesem Rechtsmittel nur im Kostenpunkte, nicht aber in der Hauptsache Folge. Die Begründung seiner Entscheidung läßt sich wie folgt zusammenfassen:
Von einer Nichtigkeit des vorliegenden Prozesses wegen der vom Erstrichter angenommenen Geisteskrankheit der Klägerin (§ 477 (1), Z. 5 ZPO.) könne zufolge der Ratihabierung der Prozeßführung durch den Beistand keine Rede sein; soweit der Beklagte meine, daß im Hinblick auf die Geisteskrankheit der Klägerin zur Zeit des Vorprozesses an Stelle einer Wiederaufnahmsklage eine Nichtigkeitsklage einzubringen gewesen wäre, könne die Frage, ob die Voraussetzungen für eine Nichtigkeitsklage nach § 529 ZPO. im vorliegenden Falle gegeben wären, dahingestellt bleiben, weil die Klägerin zufolge ihrer Geisteskrankheit jedenfalls auch ohne ihr Verschulden nicht imstande gewesen sei, ihre Geistesstörung zur Entkräftung der ihr als schuldhaft angelasteten Eheverfehlungen im Vorprozeß einzuwenden, wodurch eine für sie günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeigeführt worden wäre; ein Wiederaufnahmsgrund im Sinne des § 530 (1) Z. 7 ZPO. liege also jedenfalls vor; auch Zweckmäßigkeitserwägungen sprächen für die Zulässigkeit der Wiederaufnahmsklage, weil sie im Ergebnis zum selben Ziel wie die Nichtigkeitsklage, nämlich zur Beseitigung des rechtskräftigen Scheidungsurteils, führe und dieselbe Voraussetzung, nämlich eine materiell richtige Entscheidung zu treffen, schaffe; die Rüge schließlich, die Klägerin sei nunmehr ebenso außerstande, ihre Krankheit zu erkennen und einzuwenden, übersehe die Genehmigung aller bisherigen Prozeßhandlungen durch den gesetzlichen Vertreter und die Möglichkeit, daß die Klägerin künftighin durch ihren gesetzlichen Vertreter rechtlich handeln könne; daß Rechtsanwalt Dr. P. nicht als Zeuge über die behauptete geistige Störung der Klägerin und über die für die Beurteilung der Rechtzeitigkeit der Klagsführung maßgebenden Umstände vernommen und auch die Parteienvernehmung unterblieben sei, stelle im Hinblick auf die Sachverständigengutachten keinen Verfahrensmangel dar; als rechtzeitig eingebracht sei die Wiederaufnahmsklage schon deshalb anzusehen, weil die Frist des § 534 ZPO. solange nicht in Lauf gesetzt werden könne, als die Klägerin wegen ihrer Geisteskrankheit außerstande erscheine, die zur Wahrung ihres Prozeßstandpunktes erforderlichen Tatsachen und Beweismittel bei Gericht vorzubringen (§ 534 (2) Z. 4 ZPO.); da die Klägerin auch im Zeitpunkt der Einbringung der Wiederaufnahmsklage als geisteskrank anzusehen gewesen sei, wofür auch ihre nunmehr erfolgte Entmündigung spreche, sei die Wiederaufnahmsklage nicht verspätet.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision des Beklagten nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Der Beklagte will in seinem Rechtsmittel einerseits dartun, daß die Einbringung einer Wiederaufnahmsklage im vorliegenden Fall rechtlich verfehlt gewesen sei, weil die von der Klägerin behauptete Prozeßunfähigkeit nur mit Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO. hätte geltend gemacht werden können, meint aber andererseits, daß auch eine Nichtigkeitsklage erfolglos hätte bleiben müssen, weil Handlungs- und damit auch Prozeßunfähigkeit einen Geisteszustand voraussetze, der dem eines Kindes unter sieben Jahren gleichkomme, also zur vollen Entmündigung hätte führen müssen; da die Klägerin lange nach Beendigung des Vorprozesses nur beschränkt entmundigt worden sei, müsse sie schon aus Gründen der Rechtssicherheit für die Zeit des Vorprozesses als handlungs- und daher auch als prozeßfähig angesehen werden; die Zweckmäßigkeitserwägungen des Berufungsgerichtes hinsichtlich einer Gleichstellung von Wiederaufnahmsklage und Nichtigkeitsklage widersprächen dem Geist und dem Zweck der Zivilprozeßordnung.
Dem läßt sich eine gewisse Berechtigung nicht absprechen und der Oberste Gerichtshof vermag denn auch dem Berufungsgericht nicht in allen Belangen zu folgen, erachtet die Entscheidung der Unterinstanzen im Ergebnis aber doch für richtig.
Dem Revisionswerber ist darin beizupflichten, daß die vom Berufungsgericht angestellten Zweckmäßigkeitserwägungen fehl gehen. Die Zivilprozeßordnung hat zwar für die Nichtigkeitsklage und die Wiederaufnahmsklage vielfach gleiche oder doch einander ähnliche verfahrensrechtliche Regelungen getroffen, beide Klagen haben aber nicht nur durchaus verschiedene Voraussetzungen, sondern verfolgen auch voneinander verschiedene Ziele. Die Nichtigkeitsklage stützt sich auf besonders gravierende Verletzungen verfahrensrechtlicher Grundsätze im Vorprozeß, wobei es nicht darauf ankommt, ob dem Nichtigkeitskläger durch die rechtskräftig gewordene Entscheidung materiell Unrecht geschehen ist oder nicht. Die Wiederaufnahmsklage setzt hingegen ein gültig und nach eben jenen Grundsätzen einwandfrei durchgeführtes Verfahren voraus, doch soll dem Wiederaufnahmskläger nachträglich und ausnahmsweise noch die Möglichkeit geboten werden, zu einer für ihn günstigeren Sachentscheidung zu kommen. Die Wiederaufnahmsklage richtet sich also gegen eine materielle Ungerechtigkeit. Eine Verwechslung der im einzelnen Fall anzubringenden Rechtsmittelklage ginge zu Lasten der Partei, der ein solcher Fehler unterläuft (vgl. hiezu ZBl. 1932, Nr. 277 und Petscheks Bemerkungen hiezu, Neumann[4] S. 1405).
In der Wiederaufnahmsklage wurde wohl vorgebracht, daß bei der Klägerin eine geistige Störung bestehe, auf der auch die ihr im Vorprozeß angelasteten Eheverfehlungen zurückgegangen seien; ansonsten wurde aber nur geltend gemacht, daß die Klägerin zufolge ihrer geringen Bildung diese Zusammenhänge nicht habe erkennen und daher auch nicht das Vorliegen der geistigen Störung unter Beweis habe stellen können. Hält man damit noch das Vorbringen über die Belehrung durch den Klagevertreter zusammen, bei rechtzeitiger Geltendmachung dieser Umstände hätte eine Scheidung aus Verschulden nicht ausgesprochen werden können, ergibt sich, daß Geschäfts- und damit Prozeßunfähigkeit zur Zeit des Vorprozesses - entgegen der Argumentation des Beklagten in der Revision - nicht behauptet worden war. Die Klägerin hat also auch nicht etwa inhaltlich einen Nichtigkeitsgrund geltend gemacht, mit dem nur ein verfehltes Begehren verbunden worden wäre (vgl. auch hiezu Petscheks Bemerkungen a. a. O.), und nach ihren Ausführungen in der Revisionsbeantwortung kann kein Zweifel daran aufkommen, daß sie auch tatsächlich nichts anderes erheben wollte als eine Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO.
Das Berufungsgericht ist nun bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß der Erstrichter als erwiesen angenommen habe, die Klägerin sei infolge ihrer Eifersuchtsparanoia außerstande gewesen, dem Gang der Verhandlung in der Rechtssache 7 Cg .../60 zu folgen. Das war jedoch eine ungenaue Wiedergabe der Feststellungen des Erstrichters. Denn dieser hatte lediglich den Standpunkt eingenommen, die Klägerin sei mit großer Wahrscheinlichkeit infolge ihres Wahnes nicht in der Lage gewesen, den Verhandlungen im Vorprozeß richtig zu folgen. Letzteres läßt sich aber verschieden deuten. Wohl könnte der Erstrichter gemeint haben, mit Rücksicht auf den hohen Wahrscheinlichkeitsgrad sei als erwiesen anzunehmen, daß die Klägerin damals dem Gang der Verhandlung nicht richtig folgen konnte; es könnte aber auch gemeint gewesen sein, weil dafür eben nur eine (wenn auch große) Wahrscheinlichkeit bestehe, lasse sich eine solche Unfähigkeit der Klägerin für die Zeit des Vorprozesses nicht mit Sicherheit feststellen.
Nun ist - was der Revisionswerber richtig geltend macht - Handlungsunfähigkeit (§§ 21, 865 ABGB., § 102 (1) EheG.) und daher auch Prozeßunfähigkeit (§ 1 ZPO.) jedenfalls bei einem Geisteszustand gegeben, der dem eines Kindes unter 7 Jahren gleichkommt, also eine volle Entmündigung rechtfertigt. Gerade in der vom Revisionswerber zitierten Entscheidung SZ. XXXI 48 hat der Oberste Gerichtshof aber unterstrichen, daß die Frage, ob bei einer Geistesschwäche oder Geisteskrankheit minderen Grades bis zum Ausspruch der beschränkten Entmündigung volle Handlungsfähigkeit besteht oder ob die Grenzen der Handlungsfähigkeit von Fall zu Fall geprüft werden müssen, in Literatur und Judikatur umstritten ist. Er erwähnte damals die Entscheidungen JBl. 1934 S. 322 und Notariatszeitung 1931 S. 151, sowie die Ausführungen Gschnitzers in Klang[2] IV S. 88 Anmerkung 3 für ersteren, die Entscheidungen JBl. 1928 S. 225 und SZ. XXIV 140 sowie die Ausführungen Ehrenzweigs[2] (I/1, S. 180) für letzteren Standpunkt, konnte eine eigene weitere Stellungnahme damals aber vermeiden, weil es sich um eine wohl wenig intelligente aber nicht geistesschwache oder gar geisteskranke Person handelte. Da es sich diesmal beim Vorprozeß um einen Scheidungsprozeß handelte, für den gemäß § 108 EheG. bzw. § 5 des Hofdekretes vom 23. August 1819, JGS. 1595, und § 4 der JMV. vom 9. Dezember 1897, RGBl. Nr. 283, die erweiterte Prozeßfähigkeit beschränkt Geschäftsfähiger gilt, sei dem noch beigefügt, daß auch diese Bestimmungen als selbstverständlich die Verhandlungs- und Selbstvertretungsfähigkeit der Partei voraussetzen (GlUNF. 4973, SZ. XXV 238, JBl. 1957 S. 131, Volkmar - Antoni, S. 441, Schwind in Klang[2] zu § 102 EheG., Fasching zu § 1 ZPO.). Da die Klägerin zur Zeit des Vorprozesses noch nicht beschränkt entmundigt war, also nicht unter den im § 102 (2) EheG. umschriebenen Personenkreis fiel, ergibt sich wiederum die gleiche Problemstellung, ob sie für die Zeit des Vorprozesses schlechthin als prozeßfähig anzusehen wäre oder ob es doch darauf ankäme, ob sie durch ihre Geisteskrankheit wirklich außerstande gesetzt war, die Tragweite des Verfahrens und ihres Verhaltens in diesem zu erfassen.
Obgleich sich nun für letztere Auffassung noch weitere Stützen aus Judikatur und Literatur ergäben (z. B. ZBl. 1931, Nr. 177, Fasching a. a. O. in Anmerkung 1 unter d 3.), kann doch auch diesmal eine abschließende Stellungnahme zu dem Problem unterbleiben und zwar aus folgenden Erwägungen:
Unterstellt man, die Klägerin sei zur Zeit des Vorprozesses imstande gewesen, die Tragweite des Verfahrens und ihres Verhaltens n diesem zu erfassen, wäre sie also prozeßfähig gewesen, wäre die Einbringung einer Nichtigkeitsklage verfehlt und jene einer Wiederaufnahmsklage einzig richtig gewesen. Gegen ihre Zulässigkeit könnten keine Bedenken aufkommen, weil nicht einzusehen ist, warum die nun nachträglich hervorgekommene geistige Erkrankung der Klägerin keine "neue" Tatsache im Sinne des Gesetzes sein sollte. Denn dafür genügt doch, daß sie im Vorprozeß nicht geltend gemacht wurde (SZ. XXV 158). Daß der Klägerin daran kein Verschulden beigemessen werden kann, ergibt sich mit Rücksicht auf die Art ihrer Erkrankung und deren Auswirkung auf ihre Persönlichkeit aus der Natur der Sache. Die Judikatur zieht hier die Bestimmung des § 1297 ABGB. heran und verneint ein Verschulden auch bei einem auf krankhafter Erinnerungsschwäche beruhenden Vergessen schon bekannt gewesener Umstände. Umsoweniger könnte der Klägerin im vorliegenden Fall ein "Fleiß-" oder "Aufmerksamkeitsfehler" als Verschulden angelastet werden.
Unterstellt man aber, daß die Klägerin zur Zeit des Vorprozesses durch ihre Geisteskrankheit außerstande gesetzt gewesen wäre, die Tragweite des Verfahrens und ihres Verhaltens in diesem zu erfassen, wäre sie also prozeßunfähig gewesen, wäre zwar die Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO. der vom Gesetz primär vorgezeichnete Weg gewesen, dies geltend zu machen, dem Revisionswerber kann aber nicht darin beigepflichtet werden, daß deshalb die Einbringung einer Wiederaufnahmsklage ausgeschlossen wäre. In der Wahl dieser Rechtsmittelklage liegt nämlich nur eine gewisse Selbstbeschränkung der Klägerin. Sie verzichtete dann implicite darauf, den hier angenommenen, gewiß krassen Verfahrensmangel (§ 77 Z. 5 ZPO.) ohne Rücksicht darauf geltend zu machen, ob ihr in dem rechtskräftig gewordenen Urteil des Vorprozesses materiellrechtlich Unrecht geschah; sie saniert gewissermaßen nachträglich das als nichtig anfechtbare Verfahren und sie nimmt auch die Beschränkung auf sich, eine Erneuerung und Vervollständigung des Scheidungsprozesses nur unter der Voraussetzung begehren zu können, daß ihr neues Vorbringen überhaupt die Eignung hat, ihr auch materiellrechtlich eine günstigere Entscheidung eintragen zu können. Unzulässig ist dies nicht. Da die zunächst von der Klägerin mit einem selbstgewählten Vertreter begonnene Führung des vorliegenden Prozesses von ihrem nunmehr bestellten gesetzlichen Vertreter saniert worden ist, kann nunmehr ohneweiters davon ausgegangen werden, daß eine im Vorprozeß nicht geltend gemachte Tatsache behauptet und unter Beweis gestellt wird. Daß die Nichtgeltendmachung dieser Umstände im Vorprozeß bei dem hier unterstellten Fall umsoweniger verschuldet war, bedarf wohl keiner näheren Erörterung. Die Eignung des geltend gemachten Wiederaufnahmsgrundes, für die Klägerin eine günstigere Entscheidung in der Hauptsache herbeiführen zu können, läßt sich in Anbetracht der Bestimmung des § 50 EheG., nicht bezweifeln.
Die Rechtzeitigkeit der Wiederaufnahmsklage wurde von den Unterinstanzen zutreffend bejaht und wird auch vom Revisionswerber nicht mehr bestritten.
Zusammenfassend ergibt sich daraus, daß in der Bewilligung der Wiederaufnahme des Scheidungsprozesses keinesfalls eine Fehlentscheidung erblickt werden kann. Ihre grundsätzliche Zulässigkeit wurde - wie der Beklagte selbst erwähnt - schon in SZ. XXV 91 bejaht.
Anmerkung
Z37025Schlagworte
Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO., Wahl zwischen - und Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO., Wahl zwischen Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO. und - Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO., Wahl zwischen - und Wiederaufnahmsklage nach § 530 (1) Z. 7 ZPO. Wiederaufnahmsklage, nach § 530 (1) Z. 7 ZPO., Wahl zwischen Nichtigkeitsklage nach § 529 (1) Z. 2 ZPO. und -European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1964:0010OB00009.64.0210.000Dokumentnummer
JJT_19640210_OGH0002_0010OB00009_6400000_000