TE Vwgh Beschluss 2005/4/26 2004/21/0228

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Veröffentlicht am 26.04.2005
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Index

E000 EU- Recht allgemein;
E1E;
E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E3L E05204020;
E6J;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
59/04 EU - EWR;

Norm

11997E234 EG Art234;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art8;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9 Abs1;
31964L0221 Koordinierung-RL EWGVArt56 ordre public Art9;
61999CJ0459 MRAX VORAB;
ARB1/80 Art6;
ARB1/80 Art7;
AVG §38;
AVG §71 Abs1 Z1;
EURallg;
FrG 1997 §47 Abs3;
FrG 1997 §48 Abs1;
FrG 1997 §49 Abs1;
VStG §24;
VwGG §46 Abs1;
VwGG §62 Abs1;

Beachte

Vorabentscheidungsverfahren:* Vorabentscheidungsantrag des VwGH oder eines anderen Tribunals:99/21/0018 B 18. März 2003 Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden):2004/21/0260

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Robl und Dr. Pelant als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Thurin, in der Beschwerdesache des A, vertreten durch Dr. Stefan Petrofsky, Rechtsanwalt in 1190 Wien, Pyrkergasse 36, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 7. Juli 2004, Zl. Fr 1996/04, sowie über den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Mängelbehebung, den Beschluss gefasst:

Spruch

1. Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.

2. Das Beschwerdeverfahren wird bis zur Vorabentscheidung des in den hg. Beschwerdesachen Zlen. 99/21/0018 und 2002/21/0067 angerufenen Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften ausgesetzt.

Begründung

Zur Wiedereinsetzung:

Mit Verfügung vom 24. September 2004, Zl. 2004/21/0228-2, wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, binnen zwei Wochen seine Beschwerde gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich vom 7. Juli 2004, Zl. Fr 1996/04, durch Anschluss einer weiteren Ausfertigung der Beschwerde zu verbessern. Vermerkt wurde weiters, dass die Versäumung der Frist als Zurückziehung der Beschwerde gelte. Diese Verfügung wurde dem Vertreter des Beschwerdeführers am 4. Oktober 2004 zugestellt.

Den am 27. Oktober 2004 zur Post gegebenen Wiedereinsetzungsantrag begründete der Beschwerdeführer mit dem Vorbringen, sein Vertreter habe am 14. Oktober 2004 den Mängelbehebungsschriftsatz samt einer weiteren Ausfertigung der Beschwerde seinem ehemaligen Kollegen Dr. Franz W mit dem Ersuchen übergeben, diesen Schriftsatz gemeinsam mit der anderen Kanzleipost zur Post zu bringen. Dr. Franz W sei diesem Ersuchen nachgekommen und habe auftragsgemäß den "Postweg" besorgt. Als Dr. Franz W am 20. Oktober etwas aus seinem Aktenkoffer genommen habe, habe er bemerkt, dass ein Poststück in diesem Aktenkoffer, offensichtlich in einem Seitenfach, verblieben sei. Es sei ihm völlig unerklärlich, wie dies habe geschehen können. Durch dieses unabwendbare und unvorhersehbare Ereignis sei der Beschwerdeführer gehindert worden, den Schriftsatz rechtzeitig zur Post zu geben.

Diesem Wiedereinsetzungsantrag ist eine eidesstättige Erklärung des Dr. Franz W mit gleich lautendem Inhalt angeschlossen. Dem Wiedereinsetzungsantrag sind auch die ursprünglichen Beschwerdeausfertigungen samt Beilagen und die geforderte dritte Beschwerdeausfertigung angeschlossen.

Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist der Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt. Die Partei muss das Verhalten ihres Rechtsvertreters gegen sich gelten lassen (vgl. den hg. Beschluss vom 19. Oktober 2004, Zl. 2004/21/0241).

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes umfasst die anwaltliche Sorgfaltspflicht auch die Überwachung des Umstandes, ob die Schriftstücke in gesetzmäßiger Anzahl und Form, versehen mit den notwendigen Unterschriften, versandbereit sind, nicht aber etwa die näheren Umstände der Postaufgabe solcher Schriftstücke oder die Kuvertierung von Beilagen, die - nach dem Inhalt des Hauptschriftsatzes - diesem beigelegt waren (vgl. auch dazu den zitierten Beschluss Zl. 2004/21/0241).

Nach den bescheinigten Behauptungen ist sachverhaltsmäßig davon auszugehen, dass der Vertreter des Beschwerdeführers nach Erhalt der Mängelbehebungsaufforderung am 4. Oktober 2004 einen Mängelbehebungsschriftsatz samt erforderlichen Beilagen am 14. Oktober 2004 seinem ehemaligen Kanzleikollegen Dr. Franz W zur Postaufgabe überreicht hat. Am 20. Oktober 2004 sei hervorgekommen, dass das Poststück im Aktenkoffer des Dr. Franz W irrtümlich verblieben ist.

Da keine Umstände vorliegen, die den Vertreter des Beschwerdeführers zur Kontrolle hätten veranlassen müssen, ob die Postaufgabe tatsächlich durchgeführt wurde, und ihm somit keine Verletzung seiner Überwachungspflichten vorgeworfen werden kann, war die begehrte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen.

Zur Aussetzung:

Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen, im Instanzenzug ergangenen Bescheid wurde gegen den Beschwerdeführer, einen rumänischen Staatsangehörigen, gemäß § 48 Abs. 1 iVm § 36 Abs. 1 und Abs. 2 Z 10 des Fremdengesetzes 1997 - FrG, BGBl. I Nr. 75, ein Aufenthaltsverbot erlassen.

Mit hg. Beschluss vom 18. März 2003, Zlen. 99/21/0018 und 2002/21/0067 (EU 2003/0001 und 0002), wurden dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften folgende Fragen zur Vorabentscheidung gemäß Art. 234 EG vorgelegt:

1. Sind die Art. 8 und 9 der Richtlinie 64/221/EWG des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (RL), dahin auszulegen, dass die Verwaltungsbehörden - ungeachtet des Bestehens eines innerbehördlichen Instanzenzuges - die Entscheidung über die Entfernung aus dem Hoheitsgebiet ohne Erhalt der Stellungnahme einer (in der österreichischen Rechtsordnung nicht vorgesehenen) zuständigen Stelle nach Art. 9 Abs. 1 der RL - außer in dringenden Fällen - dann nicht treffen dürfen, wenn gegen ihre Entscheidung bloß die Erhebung von Beschwerden an Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts mit nachgenannten Einschränkungen zulässig ist: Diesen Beschwerden kommt nicht von vornherein eine aufschiebende Wirkung zu, den Gerichtshöfen ist eine Zweckmäßigkeitsentscheidung verwehrt und sie können den angefochtenen Bescheid nur aufheben; weiters ist der eine Gerichtshof (Verwaltungsgerichtshof) im Bereich der Tatsachenfeststellungen auf eine Schlüssigkeitsprüfung, der andere Gerichtshof (Verfassungsgerichtshof) darüber hinaus auf die Prüfung der Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte beschränkt?

2. Sind die Rechtsschutzgarantien der Art. 8 und 9 der unter Pkt. 1. genannten RL auf türkische Staatsangehörige anzuwenden, denen die Rechtsstellung nach Art. 6 oder Art. 7 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980, Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) zukommt?

Die belangte Behörde ist im angefochtenen Bescheid durch die Heranziehung des § 48 Abs. 1 FrG davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer auf Grund seiner Adoption durch einen Wahlvater mit österreichischer Staatsangehörigkeit Angehöriger eines Österreichers im Sinn des § 47 Abs. 3 FrG sei. Unter dieser Prämisse gelten für den Beschwerdeführer nach § 49 Abs. 1 FrG grundsätzlich die Bestimmungen für "begünstigte Drittstaatsangehörige". Ausgehend von der mit der zuletzt genannten Regelung zum Ausdruck gebrachten Absicht des Gesetzgebers, Angehörige von Österreichern und Angehörige von EWR-Bürgern, die Staatsangehörige eines Drittstaates sind, gleich zu behandeln, bildet die erste wiedergegebene Frage auch im gegenständlichen Fall eine Vorfrage, die zufolge des Auslegungsmonopols des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften in Angelegenheiten des (primären und sekundären) Gemeinschaftsrechts von einem anderen Gericht zu entscheiden ist (zur Anwendbarkeit der Art. 8 und 9 der RL 64/221/EWG auf "begünstigte Drittstaatsangehörige" siehe das Urteil des EuGH vom 25. Juli 2002, Rechtssache C-459/99, "MRAX", Randnr. 101 ff).

Da das entsprechende Verfahren zur Einholung einer Vorabentscheidung bereits anhängig gemacht wurde, liegen die Voraussetzungen des gemäß § 62 Abs. 1 VwGG auch vom Verwaltungsgerichtshof anzuwendenden § 38 AVG vor.

Wien, am 26. April 2005

Gerichtsentscheidung

EuGH 61999J0459 MRAX VORAB

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2005:2004210228.X00

Im RIS seit

18.07.2005

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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