Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat am 4.November 1981
unter dem Vorsitz des Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Piska und in Gegenwart der Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, Dr. Walenta, Dr. Schneider und Dr. Reisenleitner als Richter sowie des Richteramtsanwärters Dr. Schramm als Schriftführer in der Strafsache gegen Johann A wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB über die von der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Jugendgerichtshofes Wien als Schöffengericht vom 23.April 1981, GZ. 2 b Vr 2.248/80-10, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung, nach Anhörung des Vortrages des Berichterstatters, Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter, der Ausführungen des Vertreters der Generalprokuratur Generalanwalt Dr. Strasser und der Ausführungen des Verteidigers Dr. Bollenberger zu Recht erkannt:
Spruch
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 19.August 1964 geborene Kochlehrling Johann A von der Anklage wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB und Vergehens des Imstichlassens eines Verletzten nach dem § 94 Abs 1 StGB gemäß dem § 259 Z 3 StPO freigesprochen.
Dieses Urteil bekämpft die Staatsanwaltschaft nur im Freispruch wegen des Vergehens nach dem § 88 Abs 1
StGB mit einer auf den Nichtigkeitsgrund der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde.
Das Erstgericht stellte folgenden für den Anklagevorwurf nach dem § 88 Abs 1 StGB wesentlichen Sachverhalt fest:
Am 4.September 1980 um etwa 15,30 Uhr übernahm der jugendliche Angeklagte, der bei seinem Vater, einem Fiakerunternehmer, das Fahren mit einem solchen Fuhrwerk erlernt hatte, auf dem Wiener Stephansplatz die Beförderung mehrerer Personen mit einem Fiaker der Firma B. Auf der Fahrt durch die Wiener Innenstadt lenkte er das Fuhrwerk durch die Freisingergasse auf der rechten Fahrbahnhälfte und bog, nachdem er mit der linken Hand ein Zeichen gegeben hatte, mit Schrittgeschwindigkeit (nach links) in den Bauernmarkt ein. Bei Beginn des Einbiegemanävers bemerkte der Angeklagte den Zeugen Ing. Johann C, welcher mit gesenktem Haupte, ohne auf den Verkehr und insbesondere auf den einbiegenden Fiaker zu achten, von rechts (aus der Fahrtrichtung des Angeklagten gesehen) kommend, die Kreuzung Freisingergasse-Bauernmarkt überquerte und sich mit raschen Schritten dem Pferdefuhrwerk näherte. Der Angeklagte rief 'Achtung!' und bremste, als der Fußgeher auch darauf nicht reagierte, das Fuhrwerk ab, indem er die Pferde scharf zurückriß, wodurch die Deichsel vorne in die Höhe stieg. Ing. C wurde durch das hiedurch verursachte Geräusch aufgeschreckt, blickte auf, erschrak sichtlich, wich einige Schritte zurück, strauchelte dabei und stürzte seitlich rückwärts zu Boden. Dabei zog er sich eine leichte Rißwunde und Schwellung oberhalb des rechten Auges sowie leichte Prellungen der Halswirbelsäule, des rechten Ellenbogengelenkes und der rechten Hüfte zu.
In rechtlicher Hinsicht vermeinte das Erstgericht, daß den Angeklagten Johann A ein (Mit-) Verschulden nicht treffe. Dem gegenüber erblickt die Staatsanwaltschaft in Ausführung des Nichtigkeitsgrundes der Z 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO eine Fahrlässigkeit des Angeklagten darin, daß er angesichts der durch das Verhalten des Fußgängers, welcher, sichtlich ohne auf den Verkehr zu achten, in unmittelbarer Nähe eines Fußgängerüberganges - offenbar sich von diesem wegbewegend - die Fahrbahn überquerte, geschaffenen unklaren Verkehrssituation sich zunächst auf einen Zuruf beschränkte und nicht sofort seine Pferde zügelte.
Rechtliche Beurteilung
Beizupflichten ist der Staatsanwaltschaft zwar, daß bei der Erkennbarkeit einer unklaren Verkehrssituation, wie der gegenständlichen, auch der Lenker eines Pferdefuhrwerkes mit einem bloßen warnenden Zuruf nicht seiner objektiven Sorgfaltspflicht genügt, vielmehr nach Lage des konkreten Falles ein sofortiges Einleiten eines Anhaltemanävers erforderlich gewesen wäre, weil von jemandem, der sich, wie den Urteilsfeststellungen zufolge der Fußgeher Ing. C, eindeutig erkennbar vorschrifts- und verkehrswidrig verhält, auch weiterhin kein verkehrsgerechtes Verhalten erwartet und deshalb nicht darauf vertraut werden darf (§ 3 StVO), daß er einen Warnruf wahrnehmen und sich diesem gemäß verhalten werde. Doch läßt sich die weitere, grundlegende Frage der Kausalität des dem Angeklagten demnach vorzuwerfenden, in einem Unterlassen bestehenden Sorgfaltsverstoßes für den eingetretenen (tatbestandsgemäßen) Erfolg an Hand der (bisherigen) Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes noch nicht beantworten. Denn diese geben keinen Aufschluß über das Ausmaß der zeitlichen Verzögerung des Einsatzes verkehrsgerechter Reaktion des Angeklagten, den Weg, den sowohl das Fuhrwerk als auch der Fußgeher während dieser Zeitspanne genommen haben, und solcherart auch nicht über eine allfällige räumliche Entfernung zwischen dem Fußgeher und dem Fuhrwerk, die bei Anhalten des Fuhrwerks auf Grund rechtzeitiger und ausreichender Reaktion des Angeklagten noch bestanden hätte. Erst wenn insoweit eine weitere Sachverhaltsklärung herbeigeführt ist, wird allenfalls davon ausgegangen werden können, daß pflichtgemäßes Verhalten des Angeklagten mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit den verpänten Erfolg abgewendet hätte (vgl. Burgstaller: 'Das Fahrlässigkeitsdelikt im Strafrecht', S 132). Allerdings kann auf die an sich notwendige Verfahrensergänzung hier deshalb verzichtet werden, weil bei der gegebenen Verdachtslage nach dem § 88 Abs 1 StGB, welches (Offizial-) Delikt nur mit Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bedroht ist, sämtliche (weiteren) Voraussetzungen mangelnder Strafwürdigkeit nach dem § 42 Abs 1 StGB vorliegen:
Die (Fahrlässigkeits-) Schuld des Angeklagten wäre jedenfalls als gering anzusehen, die Folgen der Tat, nämlich die durch den Unfall entstandenen leichten Verletzungen des Zeugen Ing. C, die offensichtlich den Grad des § 88 Abs 2 Z 4 StGB bloß geringfügig überschritten, waren nur unbedeutend, und der konkrete Fall erheischt auch nicht aus Gründen der Spezial- oder Generalprävention die Bestrafung des bislang unbescholtenen Angeklagten. Johann A wäre daher jedenfalls gemäß dem § 259 Z 4 StPO von der Anklage wegen Vergehens nach dem § 88 Abs 1 StGB freizusprechen, weshalb die Eichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, die sich zufolge Vorliegens des sachlichen Strafausschließungsgrundes des § 42 Abs 1 StGB im Ergebnis als nicht begründet erweist, zu verwerfen war.
Anmerkung
E03384European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1981:0110OS00104.81.1104.000Dokumentnummer
JJT_19811104_OGH0002_0110OS00104_8100000_000