TE OGH 1985/1/16 9Os185/84

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Veröffentlicht am 16.01.1985
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Der Oberste Gerichtshof hat am 16.Jänner 1985 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Hardegg als Schriftführerin in der Strafsache gegen Walter A und Norbert Johann B wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB. über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 28. November 1983, GZ. U 1885/82-34, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Strasser jedoch in Abwesenheit des Angeklagten zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Text

Gründe:

Die Generalprokuratur beantragte in ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO. erhobenen Beschwerde wie folgt zu erkennen:

In der Strafsache gegen Norbert B und Walter A, AZ U 1885/82 des Bezirksgerichtes Bregenz, verletzt das Urteil dieses Gerichtes vom 28. November 1983, mit welchem Walter A von der gegen ihn erhobenen Anklage, er habe am 8.Juli 1982 gegen 20 Uhr beim Befahren der Rheinstraße in Bregenz-Vorkloster in Richtung Bregenz-Stadtmitte a) eine absolut überhöhte Geschwindigkeit, nämlich 91 km/h, eingehalten (dort erlaubte Höchstgeschwindigkeit 60 km/h) und b) trotz Gegenverkehr überholt, wodurch er mit dem gleichfalls eine absolut überhöhte Geschwindigkeit, nämlich 86 km/h, einhaltenden und ebenso überholenden PKW-Lenker Norbert B auf seiner (AS) Fahrbahn kollidiert sei und wobei dieser schwer verletzt worden sei, und er habe hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4, 1. Satz StGB. begangen, gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen wurde, in der Nichtbeurteilung des zu a) erwähnten Umstandes als Verschulden (Fahrlässigkeit) im Sinne des § 88 (§ 6) StGB. das Gesetz in den genannten Bestimmungen. Dieses Begehren wurde von der Generalprokuratur wie nachstehend in extenso wiedergegeben, begründet:

'I./Am 8.Juli 1982 gegen 20 Uhr fuhr der am 22.Jänner 1928 geborene Pensionist Norbert B mit seinem PKW. Mercedes 230 E mit dem Kennzeichen (D) LI-HN-19 auf der Rheinstraße in Bregenz-Vorkloster in Richtung Hard. Zur selben Zeit kam ihm der auf dieser Straße Richtung Bregenz-Stadtmitte fahrende, am 29.Februar 1940 geborene Autokaufmann Walter A mit seinem PKW. BMW 528 i, Kennzeichen V 849, entgegen. Vor der Eisenbahnunterführung überholten beide Fahrzeuglenker die jeweils in ihre Richtung fahrende Kolonne, wobei beide die dort zulässige Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h erheblich überschritten, indem B eine Geschwindigkeit von 86 km/h und A eine solche von 91 km/h einhielt. Während Norbert B dabei über die Leitlinie nach links auf die Fahrbahnhälfte des Walter A kam, blieb der letztere auf seiner Fahrbahnhälfte. Als sich herausstellte, daß die beiden Fahrzeuge zufolge zu geringer Gesamtfahrbahnbreite nicht aneinander vorbeifahren konnten, konnte keiner der beiden Lenker wegen der sich beiderseits weiterbewegenden Kolonnen sein Fahrzeug nach rechts ziehen, noch war ein rechtzeitiges Abbremsen der Fahrzeuge möglich, sodaß es zum Frontalzusammenstoß kam, bei dem beide Fahrzeuglenker schwer verletzt wurden.

Norbert B wurde wegen dieses Vorfalles - nachdem eine vom Bezirksgericht Bregenz zur GZ. U 1885/82-12 erlassene Strafverfügung vom Bezirksanwalt beeinsprucht worden war (S. 78) - mit Urteil des Bezirksgerichtes Bregenz vom 11.April 1983, ON. 22, bzw. 24 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 StGB. schuldig erkannt und zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu 110 S, im Nichteinbringlichkeitsfall 30 Tage Ersatzfreiheitsstrafe, verurteilt. Es wurde über die Hauptverhandlung ein Hauptverhandlungsprotokoll geführt (ON. 18), dann jedoch voreilig und nicht dem Gesetz entsprechend, nämlich bevor noch feststand, ob die Parteien innerhalb der hiefür offenstehenden Frist ein Rechtsmittel angemeldet haben oder nicht, die Ausfertigung des Urteils durch einen Protokolls- und Urteilsvermerk ersetzt (ON. 22). Nachdem jeweils am 12.April 1983 Norbert B volle Berufung und der Bezirksanwalt Berufung wegen Strafe (Höhe des Tagessatzes) gegen das Urteil angemeldet hatten (ON. 19, 20), wurde das Urteil ausgefertigt (ON. 24). In diesem Zusammenhang wurde vom Richter - der ersichtlich die zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden Rechtsmittelanmeldungen noch nicht zur Kenntnis genommen hatte - am 25.April 1983 eine Endverfügung erlassen, die von der Annahme ausging, daß das Urteil mit 14.April 1983 (Ablauf der 3-tägigen Rechtsmittelanmeldungsfrist) rechtskräftig geworden sei. Die Endverfügung wurde später aber für 'hinfällig' erklärt (Punkt 3 der Verfügung vom 29.April 1983, ON. 25) und durchgestrichen.

Sie gelangte offenkundig nicht zur Abfertigung. Norbert B hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 1.Juni 1983 (ON. 27) zurückgezogen. Der Berufung des öffentlichen Anklägers (ON. 29) wurde mit Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom 4.April 1984, Bl 37/84 (U 1885/82-47 des Bezirksgerichtes Bregenz) Folge gegeben und es wurden vom Berufungsgericht die Tagessätze auf 180 S erhöht.

Vermerkt sei noch, daß die Hauptverhandlung am 11.April 1983 vor dem Bezirksgericht Bregenz ohne Beiziehung eines Schriftführers durchgeführt worden ist, wodurch die Vorschrift des § 23 StPO. verletzt und der Nichtigkeitsgrund nach § 468 Abs. 1 Z. 1 StPO. verwirklicht wurde (vgl. 12 Os 125, 126/83). Die Generalprokuratur sieht aber deshalb keinen Anlaß, diese Gesetzeswidrigkeit (ebenfalls) zum Gegenstand einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes zu machen, weil dem Angeklagten Norbert B daraus ersichtlich kein Nachteil erwachsen ist, wobei darauf verwiesen sei, daß die meritorische Richtigkeit des gefällten Schuldspruches nach der Aktenlage außer Zweifel steht, Norbert B bei der Hauptverhandlung selbst anwesend und anwaltlich vertreten war und - wie erwähnt - seine zunächst angemeldete volle Berufung zurückgezogen hat.

Hinsichtlich des Beschuldigten Walter A stellte der Bezirksanwalt beim Bezirksgericht Bregenz am 9.September 1982 - ebenso wie gegen Norbert B - den Antrag auf Bestrafung wegen des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4.

1. Fall StGB., gab jedoch nach Einlangen des verkehrstechnischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.Ing. Werner C (ON. 8) - aus dem sich u.a. ergab, daß A sich zum Kollisionszeitpunkt auf seiner eigenen Fahrbahnhälfte befunden hatte - am 8.Februar 1983 die Erklärung nach § 227 StPO. ab (S. 74). Norbert B, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Hansjörg D, stellte daraufhin im Hinblick auf seinen Privatbeteiligtenanschluß mit Schriftsatz vom 31.März 1983 (ON. 17) als Subsidiarankläger den Antrag auf Bestrafung des Walter A. Das Protokoll über die Hauptverhandlung vom 11.April 1983 (ON. 18), der Protokolls- und Urteilsvermerk ON. 22 und die 1. Seite der schließlich hergestellten Urteilsausfertigung ON. 24 erwecken zunächst den Eindruck, daß bereits bei dieser Hauptverhandlung der Beschuldigte Walter A - selbst abwesend, aber durch seinen Rechtsvertreter als Machthaber vertreten - von der gegen ihn erhobenen Subsidiaranklage gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen worden sei (zu den vielfachen Ungereimtheiten im einzelnen sei hier auf das Schreiben des Präsidenten des Landesgerichtes Feldkirch an den Verhandlungsrichter vom 6.Oktober 1983, ON. 36 der Akten, verwiesen). Daß dem aber offensichtlich nicht so war, geht nicht nur daraus hervor, daß der in seinem zweiten Teil (Freispruch des Walter A) offenbar irrtümlich ausgefüllte Protokolls- und Urteilsvermerk (S. 108) insoweit wieder durchgestrichen wurde, sondern auch daraus, daß die nachträglich hergestellte schriftliche Urteilsausfertigung nur den Schuldspruch des Norbert B samt Gründen enthält, ferner auch die Endverfügung vom 25.April 1983, ON. 23 - soweit sie Walter A betrifft - wieder durchgestrichen wurde und in der richterlichen Verfügung vom 29.April 1983, ON. 25, sich der Vermerk findet, bezüglich Walter A gelte 'nach wie vor der Beschluß gemäß § 227 StPO. laut ON. 9, S. 74 Mitte .....', insbes. aber aus dem Umstand, daß bezüglich Walter A für den 28.November 1983 eine Hauptverhandlung anberaumt wurde, welche in Anwesenheit des Vertreters des Subsidiaranklägers, Rechtsanwaltsanwärter Dr. Alexander E für Rechtsanwalt Dr. Hansjörg D, des Beschuldigten Walter A und dessen Verteidigers Rechtsanwalt Dr. Wolfgang F (und wieder ohne Schriftführer) stattfand, und bei welcher Walter A von der Subsidiaranklage in Richtung des Vergehens nach § 88 Abs. 1 und 4, 1. Satz StGB., gemäß § 259 Z. 3 StPO. freigesprochen wurde.

Der Freispruch ist in Rechtskraft erwachsen und wurde in Form eines Protokolls- und Urteilsvermerkes beurkundet (§ 458 Abs. 2 StPO.; ON. 34).

Aus dem Zusammenhang zwischen dem Urteilsspruch und dem ausdrücklichen Hinweis auf das kraftfahrtechnische Gutachten des Sachverständigen Dipl.Ing. Werner C ON. 8, S. 61 ff., welches bezüglich Walter A feststellt, daß seine Bremsausgangsgeschwindigkeit 91 km/h (bei einer erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 60 km/h) betragen hat, objektiv aber nicht nachweisbar ist, daß er je über die Leitlinie auf die Fahrbahn des Norbert B gelangte, ergibt sich zwingend, daß das freisprechende Erkenntnis des Bezirksgerichtes Bregenz auf der Rechtsansicht fußt, daß A unter den hier gegebenen Verhältnissen (Verbleiben auf der eigenen Fahrbahnhälfte) die Einhaltung einer die erlaubte Höchstgeschwindigkeit wesentlich überschreitenden Geschwindigkeit nicht als (Mit-)Verschulden im Sinne des § 88 Abs. 1 und 4 StGB. strafrechtlich zu verantworten habe.

Rechtliche Beurteilung

II./ Ohne daß es hier letztlich darauf ankäme, ob bezüglich Walter A allenfalls doch bereits am 11.April 1983 ein (ebenfalls von den erwähnten rechtlichen Erwägungen ausgehendes) freisprechendes Urteil verkündet worden ist (in welchem Falle zufolge Verbrauches des Anklagerechtes die Durchführung der Hauptverhandlung am 28.November 1983 gesetzwidrig gewesen wäre) oder ob - wie anzunehmen ist - der erwähnte Freispruch tatsächlich erst am 28.November 1983 erfolgte, verletzen die vom Erstgericht nach der Aktenlage für den jedenfalls ergangenen Freispruch herangezogenen Erwägungen das Gesetz in der Bestimmung des § 88 Abs. 1 und 4 StGB. Denn wenn dem Täter auch nur eine Geschwindigkeitsüberschreitung zur Last liegt, ist ihm trotzdem der primär durch das vorschriftswidrige Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers verursachte tatbestandsmäßige Erfolg strafrechtlich (mit-)zuzurechnen, wenn er durch sein eigenes vorschriftswidriges Verhalten (Geschwindigkeitsüberschreitung) das Risiko des Erfolges gegenüber einem rechtmäßigen (sorgfaltsgemäßen) Alternativverhalten (Einhaltung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit) wesentlich erhöht hat (vgl. 12 Os 37/84 = ÖJZ-LSK. 1984/125 zu § 80 StGB. u.a.E.). Im vorliegenden Fall kann aber angesichts einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 91 (statt 60) km/h bei Walter A nach jeder Lebenserfahrung nicht daran gezweifelt werden, daß weder Norbert B, noch übrigens auch Walter A selbst schwere Verletzungen solchen Ausmaßes erlitten hätten, wie sie tatsächlich stattgefunden haben (vgl. S. 18), wenn nicht auch A die Geschwindigkeitsbeschränkung erheblich überschritten hätte. Auch Walter A wäre daher bei richtiger Rechtsanwendung des Vergehens der fahrlässigen (schweren) Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4,

1. Fall StGB., schuldig zu erkennen gewesen.' Der Oberste Gerichtshof vermag der Ansicht der Generalprokuratur nicht beizutreten.

Auszugehen ist davon, daß primär die im Tenor eines Urteils bezeichnete Tat der Subsumtion zugrunde zu legen ist (vgl. 10 Os 187/84 und 10 Os 147/84) und daß vorliegend Walter A (unter anderem auch) von dem Vorwurf, eine absolut überhöhte Geschwindigkeit (nämlich 91 km/h) eingehalten zu haben, laut Urteilsspruch ausdrücklich losgezählt wurde. Die von der Generalprokuratur angestellten Wahrscheinlichkeitsüberlegungen vermögen an diesem Faktum nichts zu ändern, zumal es für den Obersten Gerichtshof angesichts dessen, daß der gegenständliche Freispruch (zulässigerweise) in einem Vermerk gemäß § 458 Abs. 2 StPO. beurkundet wurde, nicht überprüfbar ist, welches Ergebnis die Beweisaufnahme in der zum Freispruch führenden Hauptverhandlung hatte und auf welcher Tatsachengrundlage das Erstgericht zum Freispruch gelangte (vgl. hiezu EvBl. 1980/136; EvBl. 1984/121 sowie 9 Os 3/79). Auch die Beantwortung der relevanten Rechtsfrage, ob ein objektiv sorgfaltswidriges Verhalten (Geschwindigkeitsüberschreitung) das Erfolgsrisiko entscheidend erhöht hat, setzt entsprechende Tatsachenfeststellungen voraus, deren Kenntnis demnach für die überprüfung des Urteils unabdingbar erscheint, weil gerade im Falle eines Freispruches ein Rückgriff auf den Bestrafungsantrag und den Akteninhalt nicht zielführend sein kann.

Aus allen diesen Erwägungen mußte mithin der unbegründeten Beschwerde ein Erfolg versagt bleiben.

Anmerkung

E05043

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1985:0090OS00185.84.0116.000

Dokumentnummer

JJT_19850116_OGH0002_0090OS00185_8400000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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