TE OGH 1986/1/21 2Ob3/86

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Veröffentlicht am 21.01.1986
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Kropfitsch, Dr. Huber und Dr. Egermann als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Anna Maria P***, Pensionsinhaberin, Ramsau-Leiten 324, vertreten durch Dr. Roger Haarmann, Rechtsanwalt in Liezen, wider die beklagten Parteien

1. Gerwich E***, Student, 2. Helga E***, Hausfrau,

beide Birkenstraße 4, 4600 Wels, 3. A***-E***, Versicherungs-Aktiengesellschaft, Bösendorferstraße 13, 1010 Wien, alle vertreten durch Dr. Gerhard Delpin, Rechtsanwalt in Leoben, wegen Schadenersatzes und Feststellung infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 26. September 1985, GZ. 3 R 131/85-62, womit infolge Berufung aller Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom 29. April 1985, GZ. 3 Cg 92/83-54, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagten haben der Klägerin die mit S 7.466,52 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 960,-- Barauslagen und S 591,50 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 9. April 1982 lenkte der Erstbeklagte einen von der Zweitbeklagten gehaltenen, bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten PKW auf der 8,6 m breiten Bundesstraße 308 in Richtung Schladming und beabsichtigte, nach links in die Zufahrtsstraße zum Pichlmayrgut einzubiegen. Diese 4,8 m breite asphaltierte Zufahrtsstraße mündet mit einem 20 m breiten Trichter in die Bundesstraße ein. Als der Erstbeklagte ca. 130 m vor dem Beginn des Einmündungstrichters in den Rückspiegel schaute, sah er den nachkommenden PKW der Klägerin, die eine Geschwindigkeit von rund 100 km/h einhielt und nach dem Überholen eines Fahrzeuges gerade im Begriff war, aus der Überholposition wieder nach rechts zurückzuschwenken. Rund 120 m vor Beginn des Einmündungstrichters setzte der Erstbeklagte den linken Blinker und begann damit, seine Fahrlinie langsam zur Fahrbahnmitte hin zu verlegen. Auf einer Position 60 bis 70 m vor Beginn des Trichters befand sich die linke Flanke des von ihm gelenkten Fahrzeuges an der Fahrbahnmitte, der Erstbeklagte hatte seine ursprüngliche Geschwindigkeit von 60 bis 70 km/h auf etwa 50 km/h herabgemindert. Knapp vor Beginn des Trichters überfuhr der Erstbeklagte die Fahrbahnmitte ohne einen weiteren Blick in den Rückspiegel gemacht zu haben. Inzwischen hatte die Klägerin zu einem Zeitpunkt, zu welchem der Erstbeklagte bereits den Blinker betätigt hatte, zum Überholen angesetzt und befand sich zur Gänze auf der linken Fahrbahnhälfte. Als sie das Eindringen des vor ihr befindlichen PKWs in ihre Fahrlinie wahrnahm, reagierte sie bei einem Tiefenabstand von 15 bis 18 m zu diesem PKW mit Bremsen und Auslenken nach links. Der Erstbeklagte, der im Zug des Einbiegens den PKW der Klägerin sah, brach nach Überfahren der Fahrbahnmitte um etwa 40 cm sein beabsichtigtes Fahrmanöver ab und verriß den PKW nach rechts, um der Klägerin die Durchfahrt zu ermöglichen. Die Klägerin geriet durch ihr Brems- und Auslenkmanöver jedoch von der Fahrbahn ab und stieß gegen einen Straßenbegrenzungsstein und in der Folge gegen einen Natursteinsockel. Zu einem Kontakt der beiden Fahrzeuge kam es nicht. Die wegen dieses Vorfalles vom Strafgericht rechtskräftig verurteilte Klägerin fordert den Ersatz der Hälfte ihres Schadens; sie begehrt außerdem die Feststellung der Haftung der Beklagten für 50 % ihrer künftigen Unfallsschäden.

Das Erstgericht ging bei seiner Entscheidung über das Leistungs- und das Feststellungsbegehren von einer Verschuldensteilung im Verhältnis von 2 : 1 zu Lasten der Klägerin aus. Es lastete der Klägerin als Verschulden an, daß sie den Blinker und die bereits eingeordnete Fahrweise des vor ihr befindlichen Fahrzeuges übersehen habe. Dem Erstbeklagten machte das Erstgericht zum Vorwurf, sich nicht sofort nach der Blinkerbetätigung zur Fahrbahnmitte eingeordnet zu haben, das Einbiegemanöver schon vor dem Kreuzungsmittelpunkt begonnen zu haben und einen zweiten Blick in den Rückspiegel unterlassen zu haben.

Das Berufungsgericht billigte die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung und änderte das Ersturteil nur hinsichtlich der Höhe der geltend gemachten Ansprüche ab. Es führte zum Verschulden des Erstbeklagten aus, dieser habe gegen § 13 Abs. 2 StVO verstoßen, weil er die Fahrbahnmitte überfahren habe. Dieser Vorschrift sei Schutzcharakter gegenüber überholenden Fahrzeugen beizumessen. Auch die Kausalität mit dem späteren Unfallsgeschehen sei zu bejahen, weil die Beklagten nicht bewiesen hätten, daß der Unfall auch dann erfolgt wäre, wenn der Erstbeklagte die Fahrbahnmitte nicht überschritten hätte. Da der Erstbeklagte von einer stark frequentierten Bundesstraße in eine unbedeutende Privatstraße eingebogen sei, wäre auch ein zweiter Blick in den Rückspiegel zu fordern gewesen, dies umsomehr, als bereits der erste Blick des Klägers in den Rückspiegel eher kurz und ungenau gewesen sei. Hingegen könne dem Erstbeklagten nicht vorgeworfen werden, sich nicht unmittelbar nach der Blinkerbetätigung eingeordnet zu haben. Sein Einordnen habe den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung und auch verkehrspraktischen Überlegungen durchaus entsprochen. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei und begründete dies damit, die Entscheidung hänge nur von solchen Rechtsfragen ab, die durch Gesetz und ständige Rechtsprechung hinlänglich geklärt seien.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die auf den Revisionsgrund des § 503 Abs. 2 ZPO gestützte Revision der Beklagten mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens.

Die Klägerin beantragt, die Revision nicht zuzulassen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagten führen zur Zulässigkeit der Revision aus, über die Frage, ob § 13 Abs. 2 StVO Schutzcharakter gegenüber überholenden Fahrzeugen habe, liege keine Judikatur vor, diese Frage sei für die Rechtseinheit und Rechtssicherheit von Bedeutung. Überdies sei das Berufungsgericht von der Rechtsprechung abgewichen, daß ein geringfügiges Verschulden gegenüber erheblichen Verkehrswidrigkeiten vernachlässigt werden könne.

Diesen Ausführungen ist insofern zuzustimmen, als es zu der hier maßgeblichen Frage des Rechtswidrigkeitszusammenhanges keine veröffentlichte Judikatur des Obersten Gerichtshofes gibt. Da der Frage, ob die Vorschrift des § 13 Abs. 2 StVO auch dem Schutz des nachfolgenden überholenden Verkehrs dient, zur Wahrung der Rechtseinheit und Rechtssicherheit erhebliche Bedeutung zukommt, ist die Revision zulässig. Sie ist jedoch nicht berechtigt. Der Oberste Gerichtshof hat bereits wiederholt - teilweise in veröffentlichten Entscheidungen - ausgesprochen, daß der Schutzzweck der Bestimmungen über das Einbiegen darin besteht, zu verhindern, daß andere Verkehrsteilnehmer während des Einbiegemanövers behindert werden und daß diese Vorschriften auch dem Schutz des Folgeverkehrs dienen. Bei den veröffentlichten Entscheidungen handelte es sich jedoch um Fälle, bei welchen ein rechtseinbiegender Verkehrsteilnehmer vor dem Einbiegen nicht am rechten Fahrbahnrand gefahren ist (ZVR 1982/105 und 373 ua.), oder bei denen ein linkseinbiegender Verkehrsteilnehmer gegen § 13 Abs. 2 StVO verstieß und mit einem benachrangten im Querverkehr befindlichen Fahrzeug kollidierte (ZVR 1983/27, 1984/268). Mit der Frage, ob § 13 Abs. 2 auch den nachkommenden (unzulässig) überholenden Verkehr schützen soll, hat sich der Oberste Gerichtshof - soweit ersichtlich - bisher lediglich in der nichtveröffentlichten Entscheidung 8 Ob 146/78 befaßt und den Rechtswidrigkeitszusammenhang bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt bejaht. Die Revisionsausführungen geben keinen Anlaß, von dieser Ansicht abzugehen. Die Meinung, schon die Formulierung des § 13 Abs. 2 StVO zeige, daß sie in erster Linie zum Schutz des Gegenverkehrs getroffen worden sei, ist nicht zielführend, weil es nicht darauf ankommt, welchem Schutz eine Norm "in erster Linie dient". Auch den Revisionsausführungen, je schneller ein Linkseinbiegemanöver durchgeführt werde, desto weniger Gefahr sei für den Nachfolgeverkehr gegeben, ein Einbiegen in einem kurvenschneidenden Winkel ermögliche aber eine höhere Einbiegegeschwindigkeit und damit ein schnelleres Einbiegen, kann nicht gefolgt werden. Dies schon deshalb, weil dieses Argument auf alle Unfälle, die sich beim Einbiegen ereignen, also etwa auch bei Kollisionen mit im Gegenverkehr befindlichen Fahrzeugen, angewendet werden könnte. Überdies kann eine höhere Einbiegegeschwindigkeit auch eine erhöhte Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer mit sich bringen. Der Umstand, daß ein kurvenschneidendes Einbiegen weniger Zeit in Anspruch nimmt als ein vorschriftsmäßiger Einbiegevorgang, kann daher einen Verstoß gegen § 13 Abs. 2 StVO nicht rechtfertigen. Es besteht daher kein Grund, im vorliegenden Fall den Rechtswidrigkeitszusammenhang zu verneinen. Mag dem Erstbeklagten auch nicht zusätzlich vorgeworfen werden können, einen zweiten Blick in den Rückspiegel unterlassen zu haben, weil er in eine deutlich sichtbare, asphaltierte und im Bereich der Einmündung breite Straße einbog, so ist ihm auf Grund des Verstoßes gegen § 13 Abs. 2 StVO doch ein Verschulden anzulasten. Dieses wiegt keinesfalls so gering, daß es vernachlässigt werden könnte. Auch in der Entscheidung 8 Ob 146/78 wurde ein Mitverschulden des kurvenschneidenden linkseinbiegenden Verkehrsteilnehmers im Ausmaß von einem Drittel angenommen.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E07619

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1986:0020OB00003.86.0121.000

Dokumentnummer

JJT_19860121_OGH0002_0020OB00003_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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