TE OGH 1987/3/4 1Ob715/86

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Veröffentlicht am 04.03.1987
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Franz P***, Schüler, vertreten durch den Vater Josef P***, Landwirt, beide Kappl, Mühlele 87, der Vater vertreten durch Dr.Werner Beck, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Johann S***, Seilbahnbediensteter, Kappl, Wiese 48, 2.) Alfons S***, Seilbahnbediensteter, Kappl, Sinsen 39, 3.) W*** K*** Gesellschaft mbH & Co. KG, Kappl, 4.) W*** K***

Gesellschaft mbH, Kappl, alle vertreten durch Dr.Heinz Bauer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen restlicher S 430.672,50 und Feststellung (Gesamtstreitwert S 569.561,50) infolge Revisionen der klagenden und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 25. September 1986, GZ. 2 R 226/86-25, womit infolge Berufungen der klagenden und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 24.April 1986, GZ. 10 Cg 131/85-14, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision der beklagten Parteien wird nicht Folge gegeben.

Der Revision der klagenden Partei wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie einschließlich der rechtskräftig gewordenen Teile wie folgt zu lauten haben:

"Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei den Betrag von S 565.222,50 samt 4 % Zinsen seit 21. Jänner 1985 binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen. Den beklagten Parteien gegenüber wird festgestellt, daß sie zur ungeteilten Hand dem Kläger für sämtliche in Zukunft aus dem Unfall vom 25.März 1982 entstehenden Schadenersatzansprüche jeder Art im Ausmaß von drei Vierteln haften".

Die beklagten Parteien sind weiters zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 163.926,97 (darin enthalten S 12.601,75 Umsatzsteuer und S 25.307,70 Barauslagen einschließlich vorprozessualer Kosten) bestimmten Kosten des Verfahrens in drei Instanzen binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die drittbeklagte Partei betreibt den Mardina-Lift, den der am 20. Februar 1969 geborene Kläger am 25.März 1982 entgeltlich benützte. Die viertbeklagte Partei ist persönlich haftende Gesellschafterin der drittbeklagten Partei. Der Erstbeklagte und der Zweitbeklagte waren bei der drittbeklagten Partei als Fahrer eines Pistengerätes bzw. Pistenchef beschäftigt. Der Erstbeklagte, der sich bei der Talstation befand, bot sich am 25.März 1982 gegen 15,30 Uhr, ca. 20 Minuten vor Schluß des Liftbetriebes, als Lenker eines Pistengerätes dem Zweitbeklagten zur Durchführung notwendig gewordener Pistenpräparierungsarbeiten im höher gelegenen Teil der Piste mittels Funkspruches an. Er teilte dem Zweitbeklagten mit, daß er sich mit seinem Gerät zu dem zu präparierenden Pistenteil begeben werde. Er fuhr von der Talstation auf der bergwärts gesehen rechten Seite der Piste unter Einhaltung eines Seitenabstandes von 2 m mit einer Geschwindigkeit von 8 bis 10 km/h hoch. Die Piste steigt bis zu einer Kuppe mit 35 bis 40 Grad an, nach der Kuppe beträgt die Steigung nur noch 10 bis 15 Grad. Im Bereich der Kuppe ist die Sicht für den Fahrer einer Pistenmaschine nur auf ungefähr 15 m gegeben. Für einen in Hockestellung abfahrenden entgegenkommenden Schifahrer beträgt die Sicht auf die Rundumleuchte der Pistenmaschine, die etwa einen halben Meter höher als der Kopf des Fahrers angebracht ist, ebenfalls nur ca. 15 m. Für einen 1,40 bis 1,50 m großen Schifahrer beträgt die Sicht auf ein Pistengerät bei aufrechter Fahrweise ca. 20 m. Am 25.März 1982 war in der Nähe der Bergstation des Mardina-Liftes ein fixes Hinweisschild "Achtung Pistengerät" angebracht. Im linken Teil der Piste wäre die Sicht geringfügig besser gewesen. Der Erstbeklagte hatte die Rundumleuchte eingeschaltet. Er näherte sich der Kuppe ohne zu hupen. Die Piste ist dort etwa 40 m breit. Gerade als der Erstbeklagte unterhalb der sichtbehindernden Kuppe fuhr, tauchte plötzlich der in Abfahrtshaltung also in Hockestellung mit einer Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h talwärts fahrende Kläger auf. Der Erstbeklagte hielt das Pistengerät sofort an, der Kläger aber erschrak "naturgemäß", als er das Pistenfahrzeug sah. Dieses Erschrecken beeinflußte seine Reaktionsfähigkeit. Er geriet in Rücklage und konnte nicht mehr einen allenfalls den Zusammenstoß verhindernden Rechtsschwung ansetzen. Er stürzte ungebremst auf das von ihm aus gesehen rechte Ende des insgesamt 4,2 m breiten Pflugschildes. Der Kläger war mindestens ein mittelmäßiger Schifahrer. Er wäre normalerweise technisch durchaus in der Lage gewesen, bei Ansichtigwerden des Pistengerätes einen Rechtsschwung anzusetzen. Daß ein solcher Rechtsschwung den Zusammenstoß verhindert hätte, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden. Wäre der Kläger mit 40 km/h gefahren, wäre bei der mit 0,8 Sekunden anzunehmenden Reaktionszeit ein solcher Rechtsschwung, mit dem der Zusammenstoß vermieden worden wäre, noch möglich gewesen. Wäre er aber mit 50 km/h gefahren, wäre die Sichtstrecke von 15 m zu kurz gewesen, um eine den Unfall verhindernde Reaktion zu setzen. Der Kläger erlitt durch diesen Unfall schwerste Verletzungen, eine drittgradig offene Schambeinfugenzerreißung, eine Hüftpfannenfraktur links mit Epiphysenfraktur der linken Hüfte und Kreuzdarmbeingelenkszerreißung, eine doppelte Harnröhrenruptur mit nachfolgender erektiler Impotenz und auffallender Penisverkleinerung, eine verschobene Wachstumsfugenlösung am linken distalen Oberschenkel, eine kombinierte Bandverletzung am rechten Kniegelenk, eine Ischiadicusparese links mit verbliebener vollständiger Peronäuslähmung und Teiltibialislähmung sowie mehrfache Prellungen. Die Verletzungen waren lebensbedrohend. Nach operativer Versorgung des Beckenbruches und der verschobenen Epiphysenfraktur am Oberschenkel, einer Probelaparotomie zur Abklärung, ob innere Verletzungen vorliegen, und Anlegung eines Fixateur externe befand sich der Kläger bis 31.März 1982 auf der Intensivstation, anschließend bis 12.Juli 1982 in stationärer Behandlung. Dabei traten Komplikationen auf, sodaß am 7.April 1982 eine weitere Operation erfolgen mußte. Er erhielt einen Oberschenkelgips, den er bis 2.Juni 1982 trug. Am 11.Juni 1982 wurde die äußere Fixation abgenommen, der Kläger erhielt einen Beckengürtel. Am 12.Juli 1982 befand sich der Kläger durch fünf Wochen im Rehabilitationszentrum Häring. Dort wurde eine Gangschulung durchgeführt. Nachher wurde der Kläger ambulant behandelt. Durch einen vorzeitigen Wachstumsfugenschluß kam es zu einer Verkürzung des linken Beines. Vom 21.Juni bis 14.Juli 1983 befand sich der Kläger wieder im Rehabilitationszentrum Häring. Dort wurde er für kurze Strecken, ohne einen Stock zu benützen, gehfähig. Im Bereich der gelähmten linken Großzehe hatte der Kläger längere Zeit hindurch ein Druckgeschwür. Wegen einer Fistel an der Außenseite des Fußrandes war ein weiterer Krankenhausaufenthalt vom 16. September bis 26.September 1985 notwendig. Die Fistel ist noch immer nicht geschlossen, was einen weiteren operativen Eingriff notwendig machen wird. Das Beckentrauma mit Beteiligung der linken Hüftpfanne mit Lähmung des nervus ischiadicus mit zusätzlicher Teillaesion des nervus femoralis ist derzeit mit einer vollständigen Peronäus-Lähmung, einer sensiblen Tibialislähmung mit völlig aufgehobenem Hautgefühl im Bereich des gesamten Fußes, einem Unvermögen, den Fuß im oberen Sprunggelenk zu strecken und zu beugen, einer hochgradigen muskulären Beinschwäche, einer Beinverkürzung von 3 cm, einer kombinierten Bandlockerung im linken Knie und einer mittelgradigen Bewegungseinschränkung im linken Hüftgelenk bei posttraumatischer Coxarthrose verheilt. Dies bedeutet, daß der Kläger nur mit einer Peronäusschiene links verkürzungshinkend gehen kann, einer Absatzerhöhung von 2,5 bis 3 cm bedarf, ohne Stock nur kürzere und mittlere Strecken gehen kann, ihm aber vor allem Gehen im unebenen Gelände und an exponierten Stellen nicht zumutbar ist, sowie daß starke anhaltende Belastung schon im Hinblick auf den schicksalshaft sich verstärkenden Hüftschaden links zu vermeiden ist. Es besteht derzeit bereits eine 50 %ige Invalidität. Dem Kläger sind nur leichte und zum Teil mittelschwere Arbeiten in wechselnder Körperhaltung, am besten großteils im Sitzen, zuzumuten. Von der Ausübung des Berufes eines Landwirtes, der vom Kläger als Bauernkind in Aussicht genommen worden war, ist abzuraten. Eine kontinuierliche Verschlechterung der Beweglichkeit im Bereich der linken Hüfte ist zu erwarten. Die Harnröhre zeigt eine deutliche Deformierung im Verletzungsbereich. Es finden sich verengte und erweiterte Anteile, die zu einer Störung der Hydrodynamik führen. Dies bringt die Gefahr einer Harnweginfektion mit sich. Eine Besserung in diesem Bereich ist nicht zu erwarten. Die Verletzung hat zudem den Verlust der erektilen Potenz mit sich gebracht; darüber hinaus ist das Glied deutlich verkleinert, es ist nur 3 cm lang, stummelförmig und narbig fixiert. Auch beim Versuch einer künstlichen Erektion ist es nicht zu einer Versteifung fähig. Eine Verbesserung bzw. Wiederherstellung zumindest einer gewissen für den Geschlechtsverkehr ausreichenden erektilen Potenz wird selbst bei Implantation einer Pensiprothese in Anbetracht der narbigen Veränderungen und der dadurch bedingten Kleinheit des Penis äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich sein. Verschlechterungen sind durchaus möglich, Spätfolgen zu befürchten. Mit den Verletzungen waren Schmerzen schweren Grades in der Dauer von vier Wochen, mittleren Grades in der Dauer von zehn Wochen und leichten Grades gerafft in der Dauer von sechs Monaten und acht Tagen bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz verbunden. Auch in Zukunft wird der Kläger komprimiert täglich eine Stunde Schmerzen leichten Grades zu erdulden haben. Das Schmerzgeschehen für die Zukunft kann nicht genau vorausgesehen werden.

Mit Urteil des Bezirksgerichtes Landeck vom 3.Mai 1983, U 784/82-25, bestätigt mit Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 5. August 1983, Bl 249/83-29, wurden der Erstbeklagte und der Zweitbeklagte rechtskräftig des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.4 erster Fall StGB verurteilt: Der Erstbeklagte ist am 25.März 1982 während der Betriebsstunden des Schleppliftes mit einem Pistengerät am Pistenrand bergwärts gefahren, ohne sein Herannahen den Pistenbenützern durch entsprechende Maßnahmen zu signalisieren, der Zweitbeklagte hatte es als verantwortlicher Pistenchef unterlassen, für entsprechende Maßnahmen zu sorgen, die den Pistenbenützern das Herannahen eines Pistengerätes während der Betriebsstunden signalisiert hätten. Der Kläger begehrt nach seiner Einschränkung unter Anerkennung eines Mitverschuldens am Zustandekommen des Unfalles von 25 % den Zuspruch des Betrages von S 565.222,50 samt Anhang und die Feststellung, daß ihm die beklagten Parteien zur ungeteilten Hand für alle Unfallsfolgen zu 75 % zu haften hätten. Er geht von einem ungekürzten Schmerzengeld von S 600.000 und einer Verunstaltungsentschädigung nach § 1326 ABGB von S 150.000 aus, dazu kommt noch ein der Höhe nach unbestrittener Sachschaden von S 3.630,--.

Die beklagten Parteien wendeten, soweit dies für das Revisionsverfahren noch von Bedeutung ist, ein, den Kläger treffe ein Mitverschulden von 75 %. Der Kläger sei mit größerem Tempo über eine Kuppe praktisch ins Nichts gefahren und habe geradezu darauf vertraut, daß der für ihn nicht einsehbare Streckenteil frei sein werde. Der Höhe nach sei ein Schmerzengeld in der Höhe von S 250.000 berechtigt, eine Verunstaltungsentschädigung stehe dem Kläger nicht zu.

Das Erstgericht gab dem Leistungsbegehren mit S 502.420,-- samt Anhang statt. Es sprach aus, daß die beklagten Parteien dem Kläger für alle Unfallsfolgen mit 2/3 zur ungeteilten Hand zu haften hätten. Das Mehrbegehren wies es ab. Das Mitverschulden des Klägers liege darin, daß er gegen die elementare Regel des Fahrens auf Sicht verstoßen habe. Der Kläger sei auch bei Annahme einer Geschwindigkeit von 40 km/h nicht zu entschuldigen. Vom Einhalten der Sichtgeschwindigkeit könne nicht gesprochen werden, wenn bei Auftauchen eines Hindernisses, mit dem an sich gerechnet werden müsse, sich zeige, daß entweder das fahrerische Können nicht ausreiche, einen sonst möglichen Ausweichschwung durchzuführen oder daß eine schreckhafte Reaktion dieses Ausweichmanöver verhindere, obwohl das fahrerische Können ausreiche. Die Sichtgeschwindigkeit wäre nur dann eingehalten, wenn diese Geschwindigkeit dem Schifahrer im konkreten Einzelfall es tatsächlich ermögliche, die Kollision mit einem solchen Hindernis, zu vermeiden. Wäre der Kläger zum Zeitpunkt des Unfalles nicht Unmündiger gewesen, wäre eine Verschuldensteilung von 1:1 gerechtfertigt. Da das Verschulden Unmündiger aber milder zu beurteilen sei, sei eine Verschuldensteilung von 1:2 zugunsten des Klägers am Platz. Eine Bestimmung des Schmerzengeldes nur aufgrund der Schmerzperioden könne nicht erfolgen. Es seien in ganz besonderem Ausmaß über die körperlichen Schmerzen hinausgehende Unlustgefühle zu berücksichtigen, die die Folge seiner Unfähigkeit zu einem normalen Geschlechtsverkehr seien. Da selbst eine Penisprothese nicht Abhilfe schaffen werde, könne kein Zweifel bestehen, daß es sich um ein bei einem noch jugendlichen Mann besonders schwer belastendes seelisches Problem handle. Der Höhe nach sei ein Schmerzengeld von ungekürzt S 600.000 angemessen. Da eine Globalbemessung nicht möglich sei, seien mit diesem Betrag nur die bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz erlittenen physischen Schmerzen, die psychischen Schmerzen aber zur Gänze abgegolten. Auch die begehrte Verunstaltungsentschädigung erscheine angemessen. Beim Kläger liege nicht nur eine erhebliche äußere Verunstaltung durch Narben, durch das verkürzte Bein und durch den hinkenden Gang vor, es liege auch infolge der Verkrüppelung seines Geschlechtsteiles eine Verunstaltung seiner äußeren Erscheinung vor, die unabhängig von der Funktionsaufhebung zu einer ganz wesentlichen Verminderung seiner Heiratsaussichten führen werde. Dieses Urteil bekämpften der Kläger, soweit seinem Begehren nicht zur Gänze stattgegeben worden war, die Beklagten insoweit, als dem Kläger nicht ein Mitverschulden von 2/3 zur Last gelegt und ein höheres Schmerzengeld als ungekürzt S 400.000,-- als angemessen angesehen worden war. Eine Verunstaltungsentschädigung gebühre dem Kläger überhaupt nicht.

Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil beiden Berufungen nicht Folge. Wenn das Pistengerät infolge sichtbehindernden Geländes von abfahrenden Schiläufern längere Zeit hindurch nicht wahrgenommen werden könne und allfällige Hupsignale sowie der Motorlärm infolge des von den Schiern ausgehenden Geräusches nicht hörbar seien, sei für den Lenker im Bereich enger oder unübersichtlicher Stellen der Piste äußerste Vorsicht geboten. An solchen Stellen müsse ein Warnposten aufgestellt werden. Das Verschulden des Klägers sei darin zu erblicken, daß er durch seine unvorsichtige Fahrweise dem grundlegenden Gebot des Fahrens auf Sicht zuwidergehandelt habe. Dieses Verhalten würde bei einem Erwachsenen zu einer Verschuldensteilung führen. Das Mitverschulden eines Unmündigen sei aber in jedem Einzelfall unter Bedachtnahme auf das zur Zeit des Unfalls vorhandene Maß an Einsicht zu überprüfen. Es sei daher in der Regel milder zu bewerten als das Verschulden Erwachsener unter gleichen Umständen. Bei der Verschuldensabwägung trete daher die Verletzung des Gebotes des Fahrens auf Sicht durch den unmündigen Kläger gegenüber der von den Beklagten zu vertretenden ungewöhnlichen Gefahrenlage jedenfalls so zurück, daß die vom Erstgericht vorgenommene Verschuldensteilung nicht zu beanstanden sei. Das physisch und zweifellos psychisch immer stärker ins Bewußtsein des noch sehr jungen Klägers tretende Wissen um die bestehenden Dauerfolgen lasse in Verbindung mit den unfallskausalen Verletzungen und Verletzungsfolgen in der Bemessung des Schmerzengeldes durch das Erstgericht mit ungekürzt S 600.000 keine Fehlbeurteilung erblicken. Eine Verunstaltung des Klägers sei nicht nur wegen des hinkenden Ganges, sondern auch wegen der erektilen Impotenz und der auffallenden Pensiverkleinerung gegeben. Was die Höhe der vom Erstgericht zuerkannten Verunstaltungsentschädigung betreffe, so sei es zwar richtig, daß der zuerkannte Betrag an der Obergrenze liege, doch erscheine dies im Hinblick auf die Schwere der Verunstaltung noch vertretbar.

Beide Teile erheben unter Wiederholung der Berufungsanträge Revision. Nur die Revision des Klägers ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Grund der Haftung der beklagten Parteien ist im Revisionsverfahren nicht mehr strittig: Die drittbeklagte Partei haftet aufgrund des abgeschlossenen Beförderungsvertrages, die viertbeklagte Partei als Komplementär der drittbeklagten Partei, der Erstbeklagte und der Zweitbeklagte, die strafrechtlich verurteilt wurden, haften aufgrund eigenen deliktischen Verhaltens. Strittig ist nur mehr der Umfang des Mitverschuldens des zum Unfallszeitpunkt dreizehnjährigen Klägers. Der Kläger anerkennt nur, daß ihn ein 25 %iges Mitverschulden treffe. Die beklagten Parteien vertreten in den Rechtsmittelverfahren den Standpunkt, dem Kläger sei ein überwiegendes, mit 2/3 auszumessendes Mitverschulden anzulasten. Der Erstbeklagte und der Zweitbeklagte sind wegen der Herbeiführung des Unfalles rechtskräftig strafgerichtlich verurteilt worden. Damit ist das Zivilgericht an die Tatsachen über den Beweis und die Zurechnung der strafbaren Handlung gemäß § 268 ZPO gebunden. Die beklagten Parteien traf daher die Behauptungs- und Beweislast für ein Mitverschulden des Klägers. Jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit im erhobenen Sachverhalt geht zu ihren Lasten (ZVR 1985/32; ZVR 1984/109; ZVR 1983/255 uva; Reischauer aaO Rdz 10 zu § 1304). Nach dem vorliegenden Sachverhalt fuhr der Kläger in Abfahrtshaltung, also in Hocke, mit einer nicht exakt feststellbaren Geschwindigkeit von 40 bis 50 km/h über eine sichtbehindernde Kuppe. Eine höhere Geschwindigkeit als 40 km/h kann ihm dann nicht angelastet werden. Bei Einhaltung einer Geschwindigkeit von 40 km/h wäre es dem Kläger bei einer üblichen Reaktionszeit von 0,8 Sekunden bei den gegebenen Sichtverhältnissen möglich gewesen, einen unfallverhütenden Rechtsschwung durchzuführen. Er entsprach damit noch dem Gebot des Fahrens auf Sicht (JBl.1984, 673; SZ 43/127; Reischauer aaO Rdz 7 zu § 1297; Pichler-Holzer aaO 165). Zum Rechtsschwung kam der Kläger nur deswegen nicht, weil er "naturgemäß" erschrak und in Rücklage geriet. Pichler-Holzer, Handbuch des Österreichischen Skirechts 68 f., weisen darauf hin, daß das plötzliche Auftauchen eines Raupenfahrgerätes auch psychisch bedingte Fehlleistungen im Fahrverhalten des Schiläufers auslösen kann, durch die bewirkt wird, daß der Schiläufer ohne Ausweichbewegung geradezu magisch angezogen auf das Überschneefahrgerät zufährt. Man könnte damit dem Kläger einen Verstoß gegen das Gebot kontrollierten Fahrens, wonach jeder Schifahrer seine Geschwindigkeit und Fahrweise den subjektiv und objektiv gegebenen Umständen anpassen muß (JBl.1983, 285; SZ 50/73; SZ 44/178 ua; Pichler-Holzer aaO 162; Reischauer aaO Rdz 7 zu § 1297), vorwerfen. Der Kläger wußte auch, daß ein allgemeines Verbot Pistenpräparierungsgeräte während des Liftbetriebes nicht einzusetzen, nicht bestand. Er war als Pistenbenützer durch ein fixes Hinweisschild "Achtung Pistengerät", das in der Nähe der Bergstation angebracht war, auf die Möglichkeit des Einsatzes von Pistengeräten auch während der Betriebszeit der Lifte ausdrücklich hingewiesen worden. Er hatte daher seine Geschwindigkeit bei Herannahen an die sichtbehindernde Kuppe derart zu ermäßigen, daß er bei erster Sichtmöglichkeit auf ein solches unter Umständen zu erwartendes Gerät unter Berücksichtigung seines subjektiven Fahrkönnens und seiner Fähigkeit, auf plötzlich auftauchende Hindernisse fahrtechnisch richtig zu reagieren, in der Lage gewesen wäre, einen Zusammenprall mit dem Gerät zu vermeiden.Bei der Abwägung der beiderseitigen Verschuldensmomente ist im konkreten Fall aber zu beachten, daß ein Verschulden Unmündiger geringer zu werten ist als das Erwachsener (ZVR 1985/28; ZVR 1984/321; ZVR 1984/130 uva; Reischauer in Rummel, ABGB, Rdz 14 zu § 1304). Wägt man die beiderseitigen Komponenten gegeneinander ab, so spricht für den Kläger seine Unmündigkeit, die Zurechnung der schadensauslösenden Komponente an die beklagten Parteien sowie vor allem der Umstand, daß dem Kläger nur eine psychisch verständliche Fehlreaktion unterlief. Eine Verschuldensaufteilung von 1:3 zugunsten des Klägers ist dem vorliegenden Einzelfall angemessen. Die Ausführungen der Revision der beklagten Parteien, die sich gegen die Höhe des zuerkannten Schmerzengeldes und den Zuspruch einer Verunstaltungsentschädigung wenden, sind nicht berechtigt. Bei der Ausmittlung des angemessenen Schmerzengeldes ist Dauer und Schwere der mit der Verletzung verbundenen Schmerzen nur ein Kriterium, ebenso sind aber die Schwere der Verletzung selbst, die Dauer der Gesundheitsstörung, das Vorliegen von Dauerfolgen sowie alle mit der Verletzung verbundenen psychischen Beeinträchtigungen zu berücksichtigen (ZVR 1985/107 uva). Für den zu Beginn der Pubertät stehenden Kläger muß neben der Verkürzung des Beines insbesondere die Verstümmelung seines Geschlechtsteiles und die durch die Verletzungen herbeigeführte erektale Impotenz, die zu seiner Beischlafsunfähigkeit führt, besonders niederdrückend sein. Der erkennende Senat hat in einem Fall, in dem durch Verschulden des operierenden Arztes eine 30jährige Frau ihre Gebärfähigkeit verlor, allein wegen der dadurch hervorgerufenen seelischen Unlustgefühle ein Schmerzengeld von S 300.000,-- für angemessen erachtet (1 Ob 619/85). Im vorliegenden Fall befand sich der Kläger nach dem Unfall monatelang in stationärer Behandlung, immer wieder traten unfallsbedingte Komplikationen auf. Die bisher erlittenen körperlichen Schmerzen erstrecken sich auf einen gerafften Zeitraum von mehr als neun Monaten, davon vier Wochen allein Schmerzen schweren Grades. Ein die physischen Schmerzen nur bis zum Schluß der Verhandlung erster Instanz berücksichtigendes Schmerzengeld von S 600.000,-- ist unter diesen Umständen angemessen. Nach § 1326 ABGB sollen die materiellen Nachteile einer Verunstaltung abgegolten werden. Solche Nachteile sind keineswegs, wie die Revision meint, auf die später zu berücksichtigende 50 %ige Minderung der Erwerbsfähigkeit abzugelten. Im Vordergrund steht vielmehr die Abgeltung der auch bei Männern zu berücksichtigenden (EFSlg.41.130; ZVR 1983/333; ZVR 1983/141 uva; Reischauer aaO Rdz 2, 6 zu § 1326 ABGB; Koziol, Österreichisches

Haftpflichtrecht 2 II 144) verminderten Heiratsfähigkeit des Klägers. Gerade der wegen der Verstümmelung seines Geschlechtsteiles zu befürchtende gänzliche Verlust der Heiratsaussichten kann bei einem Landwirtssohn zu erheblichen finanziellen Nachteilen führen. Schon aus diesem Grund erscheint eine Verunstaltungsentschädigung von ungekürzt S 150.000,-- angemessen.

Nur der Revision des Klägers ist Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen sind im Sinne der gänzlichen Stattgebung des Klagebegehrens abzuändern.

Die Entscheidung über die Prozeßkosten und die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO bzw. § 41 ZPO und für den von der Einschränkung des Begehrens betroffenen Prozeßabschnitt erster Instanz auch auf § 43 Abs.2 ZPO.

Anmerkung

E10286

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1987:0010OB00715.86.0304.000

Dokumentnummer

JJT_19870304_OGH0002_0010OB00715_8600000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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