Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Kinder Thomas, geboren am 19. Oktober 1978, und Dominique, geboren am 24. Juli 1981, R***, beide im Haushalt ihres Vaters Erich R***, Croupier, Wien 12., Eglseegasse 7, wegen Ausübung des Sorgerechtes und dessen Sicherung durch vorläufige Anordungen, infolge Revisionsrekurses der Mutter Doris R***, Fotomodell, Wien 23., Triesterstraße 178/2/18, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 9. April 1987, GZ 47 R 246,247/87-49, womit die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Liesing vom 2. März 1987, GZ 5 P 56/86-35 und 36, bestätigt wurden, folgenden Beschluß gefaßt:
Spruch
Die Revisionsrekurse werden zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Der am 19. Oktober 1978 geborene Thomas und die am 24. Juli 1981 geborene Dominique wuchsen als eheliche Kinder im Haushalt ihrer Eltern heran. Der Vater verließ im Mai 1985 die Ehewohnung und lebt seither im benachbarten Gemeindebezirk. Die Eltern leben seither voneinander getrennt, ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Die beiden Kinder blieben zunächst in der Ehewohnung in mütterlicher Betreuung.
Der Vater erklärte am 30. Mai 1986 den Antrag zu gerichtlichem Protokoll, ihm die Elternrechte zur alleinigen Ausübung zuzuweisen. Die Mutter stellte am 20. Juni 1986 einen entgegengesetzten Sorgerechtsantrag.
Seit 12. August 1986 behält der Vater in einseitiger Abweichung von einer mit der Mutter außergerichtlich getroffenen Vereinbarung über einen halbwöchentlichen Wechsel des Pflegeplatzes beide Kinder bei sich.
Am 28. August 1986 stellten beide Elternteile anläßlich einer gerichtlichen Tagsatzung den gegensätzlichen Antrag, durch einstweilige Verfügung über die Zuweisung der elterlichen Rechte und Pflichten bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die gestellten Anträge zu erkennen.
Das Pflegschaftsgericht faßte nach wiederholter Anhörung beider Elternteile, Einsichtnahme in die Scheidungsakten, Einholung von Erhebungsberichten und gutächtlichen Stellungnahmen der Wiener Jugendgerichtshilfe sowie eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens einen Beschluß im Sinne des väterlichen Antrages (ON 35) und gleichzeitig eine als einstweilige Verfügung bezeichnete, mit dem Eintritt der Rechtskraft der Sorgerechtsentscheidung befristete vorläufige Anordnung über die ausschließliche Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten durch den Vater (ON 36 Punkt 1) und die Regelung der mütterlichen Besuche (ON 36 Punkt 2).
Die Mutter hat in einem anwaltlich verfaßten, einzigen Schriftsatz (ON 40) gegen beide Entscheidungen Rekurs erhoben, nach dem Inhalt ihrer Rechtsmittelanträge und ihrer Rechtsmittelausführungen aber die vorläufige Besuchsregelung unbekämpft gelassen. Diese haben die Eltern im übrigen inzwischen mit ihrer am 21. Mai 1987 vor dem Pflegschaftsgericht getroffenen Vereinbarung wieder abgeändert. Das Rekursgericht hat die Sorgerechtsentscheidung (ON 35) und auch die als einstweilige Verfügung bezeichnete vorläufige Anordung über die Ausübung der Elternrechte (ON 36 Punkt 1) bestätigt. Die Mutter ficht diese bestätigenden Rekursentscheidungen mit einem Abänderungsantrag im Sinne ihrer in erster Instanz gestellten Begehren an.
Rechtliche Beurteilung
Die Rechtsmittelwerberin erkennt zutreffend, daß eine bestätigende Rekursentscheidung über die Anträge auf Zuweisung der Elternrechte nur aus einem im § 16 Abs. 1 AußStrG genannten Anfechtungsgrund wirksam bekämpft werden kann. Sie stellt ihre gesamten Rechtsmittelausführungen unter den Anfechtungsgrund der "offensichtlichen Gesetzwidrigkeit", bringt aber mit keiner Rechtsmittelausführung einen nach der genannten Gesetzesstelle beachtlichen Anfechtungsgrund schlüssig zur Darstellung. Das Rekursgericht hat das Sachverständigengutachten weder aktenwidrig zitiert noch unberücksichtigt gelassen, es aber in großen Teilen für seine Entscheidung als "unbrauchbar" gewertet. Die Abwägung des Aussagewertes eines Sachverständigenbefundes und des darauf gegründeten Gutachtens im Zusammenhalt mit den übrigen Verfahrensergebnissen ist ein Akt der vom Obersten Gerichtshof nicht überprüfbaren Beweiswürdigung. Offensichtliche Gedankenfehler der rekursgerichtlichen Ableitung vermag die Rechtsmittelwerberin nicht aufzuzeigen.
Die Verneinung der im Rekurs gegen den erstinstanzlichen Beschluß gerügten Stoffsammlungsfehler durch das Rekursgericht könnte allenfalls einen Verfahrensmangel begründen. Die Rechtsmittelwerberin vermochte aber in keiner Weise aufzuzeigen, daß dem Rekursgericht ein mit Nichtigkeit bedrohter Verfahrensverstoß unterlaufen wäre.
Soweit die Rechtsmittelwerberin der Sache nach Feststellungsmängel geltend macht, ist sie die Darlegung schuldig geblieben, daß das Rekursgericht bei seiner angefochtenen Entscheidung einen nach § 178 a ABGB zu berücksichtigenden Umstand völlig vernachlässigt oder offenkundig unrichtig gewichtet hätte.
Die Entscheidung nach § 177 Abs. 2 ABGB erfordert in vielfacher Hinsicht die Einschätzung künftiger Entwicklungen als mehr oder weniger wahrscheinlich und auf dieser prognostischen Annahme eine Beurteilung der wegen der Trennung des Elternpaares notwendigerweise unvollkommenen, aber nach den angenommenen Umständen den Interessen der Kinder am ehesten gerecht werdenden Regelungsmöglichkeiten. Ein als offenbare Gesetzwidrigkeit zu qualifizierender Beurteilungsfehler kann dem Rekursgericht nicht schlüssig vorgeworfen werden.
Mangels eines nach § 16 Abs. 1 AußStrG beachtlichen Anfechtungsgrundes war der Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der Sorgerechtsentscheidung (ON 35) zurückzuweisen.
Damit entfällt aber jedes Rechtschutzinteresse an der Überprüfung der spruchmäßig mit der rechtskräftigen Entscheidung über die Sorgerechtsanträge zeitlich begrenzten vorläufigen Anordungen (ON 36 Punkt 1), so daß der Revisionsrekurs gegen die Bestätigung der vorläufigen Anordung über die Ausübung der elterlichen Rechte und Pflichten bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Sorgerechtsanträge schon aus diesem Grunde zurückzuweisen war. Sowohl der Rekurs gegen die vorläufige Anordung, die ungeachtet ihrer Bezeichnung als einstweilige Verfügung nicht als Sicherung im Sinne der Exekutionsordung, sondern als eine auf der Regelungsbefugnis des § 177 Abs. 2 ABGB beruhende pflegschaftsgerichtliche Maßnahme anzusehen und demgemäß bekämpfbar ist (EFSlg. 26.646 u.v.a.), als auch der Rekurs gegen die entgültige Sorgerechtsentscheidung waren aus den dargelegten Erwägungen zurückzuweisen.
Anmerkung
E11595European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0060OB00636.87.0730.000Dokumentnummer
JJT_19870730_OGH0002_0060OB00636_8700000_000