Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Huber als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Rudolf BÄR, Maurer, 8710 Feistritz, Waldweg 182, vertreten durch Dr. Hans Primus, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagten Parteien 1.) Alfred S***, Kraftfahrer, 4663 Laakirchen, Loisstelzerstraße 3/2,
2.) M*** L***, Transportgesellschaft mbH,
4840 Vöcklabruck, Industriestraße 30, und 3.) O***
W*** V***, 4010 Linz, Gruberstraße 32,
sämtliche vertreten durch Dr. Wolfgang Dartmann, Rechtsanwalt in Linz, wegen S 200.000,-- s.A. und Feststellung, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 9. April 1987, GZ. 6 R 59/87-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei und der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 5. Dezember 1986, GZ. 19 Cg 355/86-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Beklagten sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger die mit S 6.506,53 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin die Umsatzsteuer von S 591,50) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger, ein Beschäftigter der Firma K***, erlitt am 28. August 1985 beim Entladen eines vom Erstbeklagten gelenkten, von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der Drittbeklagten haftpflichtversicherten LKWs, mit der der Firma K*** als Empfängerin Marmorplatten geliefert wurden, schwere Verletzungen mit Dauerfolgen, welche ein Schmerzengeld von S 200.000,-- rechtfertigen. Der Erstbeklagte wurde wegen diese Vorfalles vom Bezirksgericht Villach mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 28. Jänner 1986, 5 U 1598/85-12, des Vergehens der fahrlässigen schweren Körperverletzung des Klägers nach § 88 Abs 1 und 4,
1. Fall StGB deshalb schuldig erkannt, weil er den Unfall durch Mitführen des Klägers auf der Ladefläche des von ihm gelenkten LKW bei ungenügender Sicherung der Ladung verschuldete. In diesem Strafverfahren wurde als wesentlicher Milderungsgrund für den Erstbeklagten das gewichtige Mitverschulden des verletzten Klägers am Zustandekommen des Unfalles gewertet, weil der Kläger mit den Abladearbeiten und den damit verbundenen Gefahren vertraut war. Das Strafgericht ging davon aus, daß es der Erstbeklagte unterließ, die Ladung des LKW (Marmorplatten) gegen Verrutschen zu sichern und den Kläger zum Verlassen der Ladefläche aufzufordern. Der Erstbeklagte habe allein schon aufgrund seines Berufes als Kraftfahrer leicht einsehen können, daß die ungesichert und geneigt stehenden schweren Steinplatten durch Fahr- und Bremsmanöver die in unmittelbarer Nähe befindlichen Personen, also insbesondere den Kläger, gefährden könnten. Zudem hätte der Erstbeklagte nach der Arbeitnehmerschutzverordnung das Ladegut gegen Verrutschen in geeigneter Weise zu sichern und weiter das Befördern des Klägers auf dem LKW, der bloß der Lasten- und nicht der Personenbeförderung diente, zu verhindern gehabt.
Ausgehend von diesem Sachverhalt begehrte der Kläger von den Beklagten die Bezahlung eines Schmerzengeldes von S 200.000,-- s.A. sowie die Feststellung ihrer Haftung für alle künftigen Schäden des Klägers aus diesem Unfall.
Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens, weil der Erstbeklagte gegenüber dem Kläger zur Unfallszeit als Aufseher im Betrieb und die Zweitbeklagte als Dienstgeber anzusehen gewesen seien und ihnen demnach das Haftungsprivileg des § 333 ASVG zugutekomme. Hilfsweise wendeten die Beklagten auch ein Mitverschulden des Klägers ein.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren zur Hälfte statt und wies das Mehrbegehren des Klägers ab. Es traf folgende hier noch relevante Feststellungen:
Zum Unfallszeitpunkt traf der Erstbeklagte mit den auf dem LKW-Sattelfahrzeug geladenen 10 Marmorplatten bei der Firma K*** GmbH in Patendorf ein. Er stellte den LKW zunächst mit der rechten Längsseite zum Betriebsgelände der Empfängerin am rechten Fahrbahnrand auf der Paternioner Landesstraße ab. Die Marmorplatten waren auf der Ladefläche an zwei grätschenförmige Eisengerüste (sogenannte A-Böcke) angelehnt und durch Sicherungsgurte gegen ein Verrutschen verzurrt. Auf der rechten Seite der Ladefläche lehnten sechs Marmorplatten, auf der linken Seite vier. Der Inhaber der Firma K*** GmbH war zum Unfallszeitpunkt nicht anwesend, doch waren die Arbeiter dieses Kunststeinunternehmens mit dem nun vorzunehmenden Abladevorgang vertraut. Während Wilhelm T*** den Hubstapler bediente, hielten sich der Kläger und der Lehrling Peter K*** - er ist der Sohn des Firmeninhabers - auf der Ladefläche des LKWs auf, um die Marmorplatten voneinander so zu lösen, daß sie mit dem Hubstapler unter Verwendung von Seilschlingen angehoben werden konnten. Der Kläger hat solche Arbeiten schon öfter verrichtet. Der Erstbeklagte öffnete die beiden rechten Bordwände und löste die Befestigungsgurte. Mit Hilfe des Hubstaplers und unter Mitwirkung des Klägers und Peter K*** wurden die sechs auf der rechten Hälfte der Ladefläche befindlichen Marmorplatten einzeln abtransportiert. Um die Marmorplatten auf der linken Seite der Ladefläche ebenfalls abladen zu können, wäre es notwendig gewesen, daß der Hubstapler sich auf die linke Längsseite des Sattelfahrzeuges begibt. Damit er nicht mit dem Hubstapler eine öffentliche Verkehrsfläche befahren müßte, forderte Wilhelm T*** den Erstbeklagten auf, mit dem LKW umzukehren, sodaß die linke Längsseite des Fahrzeuges sich auf dem Betriebsgelände der Firma K*** GmbH befunden hätte. Der Erstbeklagte wandte ein, daß er in diesem Fall die Spanngurte wieder anziehen müsse, weil ihm sonst beim Reversieren auf der schlechten Fahrbahn die Marmorplatten herabfallen könnten. Daraufhin ließ der Kläger die linken vorderen zwei Bordwände herab und forderte Wilhelm T*** auf, mit dem Stapler heranzufahren. Wilhelm T*** verlangte nun vom Erstbeklagten, mit dem Sattelzug einige Meter zurückzustoßen, damit er mit dem Hubstapler an der Frontseite des LKW vorbeifahren könne. Während Peter K*** im Büro telefonierte und der Kläger auf der Ladefläche stand, schloß der Erstbeklagte die rechten Bordwände, setzte sich ins Führerhaus, startete den LKW und stieß einige Meter zurück. Daß sich der Kläger auf der Ladefläche befand, war dem Erstbeklagten bewußt. Der Kläger wiederum wußte, daß der Erstbeklagte mit dem Sattelfahrzeug zurückstoßen werde. Als der Erstbeklagte rund 4 bis 5 m zurückgefahren war, gab Wilhelm T*** ein Hupsignal ab, um dem Erstbeklagten anzuzeigen, daß er anhalten könne. Da der LKW nicht sofort den Stillstand erreichte, bremste der Erstbeklagte etwas stärker. Durch diesen Bremsvorgang kamen die vier Marmorplatten auf der linken Seite der Ladefläche ins Rutschen und rissen den Kläger von der Ladefläche. Der Erstbeklagte hatte den Kläger vor Einleitung des Rückfahrmanövers nicht veranlaßt, die Ladefläche zu verlassen oder das Ladegut wieder zu verzurren, noch hatte er selbst eine Befestigung der Marmorplatten vorgenommen. Der Kläger blieb von sich aus auf der Ladefläche des LKW und dachte ebenfalls nicht daran, eine neuerliche Befestigung des Ladegutes vorzunehmen. Eine Feststellung, daß der Erstbeklagte mit der Leitung des Entladevorganges betraut war, konnte nicht getroffen werden.
Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß den Beklagten das Haftungsprivileg des § 333 ASVG nicht zugutekomme. Der Erstbeklagte habe keine andere Aufgabe gehabt, als das Ladegut der Firma K*** GmbH zuzustellen, Planen und Bordwand des Sattelfahrzeuges zu öffnen und die Ladung zu entzurren, um so das Entladen durch die Leute des Empfängers zu ermöglichen. Eine weitergehende Funktion oder Weisungsbefugnis sei dem Erstbeklagten nicht zugekommen. Das Verschulden des Erstbeklagten und damit die Haftung sämtlicher Beklagten stehe schon aufgrund des Straferkenntnisses fest; den Kläger treffe ein Mitverschulden von 50 % am Unfall. Das Berufungsgericht gab den Berufungen beider Streitteile nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschied, S 300.000,-- übersteigt. Nach dem festgestellten Geschehensablauf sei der Erstbeklagte in den hier entscheidenden Momenten des Abladevorganges lediglich Ausführender von Anweisungen gewesen, die ihm von T*** bzw. über den Kläger erteilt wurden. Eine Aufsehereigenschaft des Erstbeklagten könne aus diesem maßgeblichen Vorgang nicht abgeleitet werden. Der Erstbeklagte sei daher nicht Aufseher im Betrieb, die Zweitbeklagte nicht Dienstgeber des Klägers gewesen. Die Haftungsbegünstigungen des § 333 Abs 1 und 4 ASVG kämen den Beklagten demnach nicht zustatten. Die Verschuldensteilung des Erstgerichtes werde den gegebenen Umständen gerecht.
Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision der Beklagten aus dem Anfechtungsgrund des § 503 Abs 1 Z 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Der Kläger beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Nach Ansicht der Beklagten sei der Erstbeklagte im Gegensatz zur Auffassung der Vorinstanzen zur Unfallszeit sogenannter Aufseher im Betrieb i.S. des § 333 Abs 4 ASVG gewesen, weil ihm gegenüber dem Kläger zumindest ein abstraktes Weisungsrecht zugestanden sei. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden:
Ob der Lenker eines Kraftfahrzeuges gegenüber mitbeförderten oder sonstwie im Bereiche des Kraftfahrzeuges tätigen Arbeitern als "Aufseher im Betrieb" im Sinne des § 333 Abs 4 ASVG anzusehen ist, oder ob ihm als "gewöhnlichen Kraftwagenlenker" diese Eigenschaft nicht zukommt, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab (ZVR 1972/203, 1974/59, 1976/327, 1979/142; 2 Ob 175/81 uva.). Es kommt dabei nach ständiger Rechtsprechung vor allem darauf an, ob der betreffende Dienstnehmer zur Zeit des Unfalles eine mit einem gewissen Pflichtenkreis und mit Selbständigkeit verbundene Stellung innehatte und dabei für das Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte verantwortlich war, oder ob er nur den Wagen zu bedienen und allenfalls auch die Beladung zu verantworten hatte. "Aufseher im Betrieb" kann jedenfalls nur der sein, der andere Betriebsangehörige oder wenigstens einen Teil des Betriebes zu überwachen hat (ZVR 1967/126, 1976/327, 1977/61, 1979/142). Für die Beurteilung der Aufsehereigenschaft kommt es nur auf die Funktionen des verantwortlichen Dienstnehmers im Zeitpunkte des Unfalles, nicht aber auf seine sonstige Stellung in der betrieblichen Hierarchie an (ZVR 1972/120, 1979/142 ua.). Aufseher im Betrieb ist somit nur eine Person, die über die Durchführung von Betriebsvorgängen bestimmen kann (ZVR 1979/142; 2 Ob 175/81; Koziol, Haftpflichtrecht II, 177). Nach den getroffenen Feststellungen im vorliegenden Fall war der Erstbeklagte nicht für ein "Zusammenspiel persönlicher und technischer Kräfte" verantwortlich, sondern hatte lediglich das Abladen der Marmorplatten zu ermöglichen. Der Entladevorgang erfolgte durch die Leute des Bestellers. Der Erstbeklagte hatte im Zeitpunkt des Unfalles nicht einen Teil des Betriebes zu "überwachen" und auch keinerlei Stellung innerhalb einer "betrieblichen Hierarchie" inne; er konnte nicht über die Durchführung von Betriebsvorgängen bestimmen. Demgemäß bestand auch kein Verhältnis der Über- und Unterordnung zwischen dem Kläger und dem Erstbeklagten. Ausdrücklich hielt das Erstgericht fest, daß eine Feststellung, wonach der Erstbeklagte mit der Leitung des Entladevorganges betraut gwesen wäre, nicht getroffen werden konnte (S. 5 des Ersturteils). Im Zuge des von Leuten der Bestellerfirma durchzuführenden Entladevorganges stieg der Kläger zwar auf den LKW; bei dieser Gelegenheit hatte aber der Erstbeklagte diesem gegenüber keine andere Verpflichtung als jene, wie sie einem Fahrzeuglenker im allgemeinen gegenüber seinen Fahrzeuginsassen zukommt, nämlich ihre körperliche Sicherheit nicht zu gefährden; darüber hinausgehende Befugnisse oder Pflichten hatte er nicht (vgl. auch SZ 51/128; ZVR 1974/59; ZVR 1984/23; 8 Ob 17/86 uza.).
Zutreffend gingen demnach die Vorinstanzen davon aus, daß der Erstbeklagte gegenüber dem Kläger nicht Aufseher im Betrieb war, weshalb den Beklagten die Haftungsbegünstigungen des § 333 Abs 1 und 4 ASVG nicht zustatten kommen können. Die gegenteiligen Ausführungen der Rechtsmittelwerber sind nicht stichhältig. Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.
Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.
Anmerkung
E12026European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1987:0020OB00648.87.0929.000Dokumentnummer
JJT_19870929_OGH0002_0020OB00648_8700000_000