Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Gertha W***, geboren am 23. Juli 1969, infolge Revisionsrekurses des ehelichen Vaters Horst Gustav W***, Zoologischer Präparator, Kranzgasse 9/2/14, 1150 Wien, vertreten durch Dr. Erich Els, Rechtsanwalt in Stockerau, gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Rekursgerichtes vom 25.April 1988, GZ R 145/88-21, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Pottenstein vom 17.März 1988, GZ P 112/85-18, bestätigt wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Ehe der Eltern der Minderjährigen wurde am 15.November 1985 gemäß § 55 a EheG geschieden. Die Eltern vereinbarten damals, daß das Recht und die Pflicht, die Minderjährige zu pflegen und zu erziehen, ihr Vermögen zu verwalten und sie zu vertreten, der Mutter zustehen. Außerdem wurde vereinbart, "daß im Innenverhältnis in allen Fragen betreffend den Beruf ihrer minderjährigen Kinder (Berufswahl, Berufsausbildung etc.) das Einvernehmen herzustellen sein wird."
Die Minderjährige besuchte ab 2.September 1985 eine Lehre als Tierpräparator. Schon gegen Ende des Jahres 1985 mußte sie feststellen, daß sie wegen Ekels bei der Arbeit, hervorgerufen durch das Ausnehmen der Tiere, für den Beruf nicht geeignet ist. Anfang 1986 fand eine Aussprache statt, an der die Minderjährige und beide Eltern teilnahmen. Der Vater verlangte damals ausdrücklich, die Tochter sollte die Lehre beenden, was im August 1987 mit Ablegung der Gesellenprüfung auch geschah. Infolge ihrer Abscheu kam für die Minderjährige eine weitere Betätigung in dieser Sparte nicht in Betracht. Nach einer Überbrückung bei einem Tischler begann sie im Dezember 1987 eine weitere Ausbildung in der Meisterschule österreichischer Maler in Baden. Bei dieser Schule handelt es sich um eine Privatschule mit Öffentlichkeitsrecht. Die Schüler besuchen eine dreijährige Fachschule, die mit der Gesellenprüfung für Maler und Anstreicher abgeschlossen wird. Sodann haben die Schulabsolventen die Möglichkeit, in das Berufsleben zu treten oder den Ausbildungsweg auf zwei Arten fortzusetzen: Im ersten Fall hat der Geselle ein Jahr Praxis bei einem Maler oder Anstreicher zu absolvieren und wird von seinem Geschäftsherrn bezahlt. Nach diesem Praxisjahr schließt die Meisterklasse an, die mit der Meisterprüfung im Maler- und Anstreichergewerbe beendet wird. Im zweiten Fall besucht der Geselle einen dreijährigen Aufbaulehrgang, welcher mit der sogenannten Reifeprüfung abgeschlossen wird.
Die Mutter beantragte mit Schreiben vom 1.1.1988 (bei Gericht eingelangt am 7.1.1988) die Erhöhung der vom Vater bisher zu leistenden Unterhaltsbeträge von S 1.500 auf S 3.300 monatlich. Der Vater beantragte die Abweisung des Unterhaltserhöhungsbegehrens und stellte am 1.3.1988 den Antrag, ihn von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben.
Das Erstgericht wies den Antrag des Vaters, ihn von der Unterhaltspflicht zu entheben, ab und verpflichtete den Vater, beginnend mit 7.Jänner 1988, zum Unterhalt für die Minderjährige einen monatlichen Betrag von S 3.300 zu bezahlen. Das Erstgericht führte aus, im Regelfall müßten die Eltern dem Kind nur die Ausbildung in einem Berufszweig ermöglichen. Es könne jedoch davon Ausnahmen dann geben, wenn eine weitere Ausbildung dem Kind ein wesentlich besseres Auskommen bieten würde oder wenn die Ausübung des erlernten Berufes im Einzelfall unzumutbar wäre. Es sei durchaus einsichtig, daß die mit dem Beruf eines Tierpräparators zusammenhängenden Vorarbeiten als ekelerregend empfunden werden könnten. Die Ausübung des Berufes stelle somit eine erhebliche psychische Beeinträchtigung dar. Dazu komme, daß die Miderjährige von ihrer Antipathie zum Beruf dem Vater gegenüber Mitteilung gemacht und dieser ausdrücklich die weitere Ausbildung gewünscht habe. Ein Berufswechsel des Kindes sei daher in diesem Fall ohne Verlust des Unterhaltsanspruches zulässig. Daß der nunmehr gewählte Ausbildungsweg nicht den Fähigkeiten des Kindes entspreche, sei vom Vater nicht behauptet worden. Die Höhe des zugesprochenen Unterhaltsbetrages sei dem Einkommen des Vaters angemessen. Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vaters nicht Folge. Es führte aus, soweit sich der Vater darüber beschwere, daß in Fragen der Berufsausbildung des Kindes zwischen den geschiedenen Elternteilen nach dem bei der Scheidung abgeschlossenen Vergleich das Einvernehmen herzustellen wäre und dies im Fall der nunmehrigen Ausbildung des Kindes nicht geschehen sei, so sei dies im vorliegenden Fall schon deshalb nicht entscheidungswesentlich, weil vom Vater gar nicht behauptet werde, die von seiner Tochter nunmehr angestrebte Berufsausbildung erfolge gegen seinen Willen. Er stehe lediglich auf dem Standpunkt, diese Ausbildung nicht durch Unterhaltsleistungen finanzieren zu müssen, weil seine Tochter ohnehin bereits eine abgeschlossene Ausbildung als Tierpräparator aufzuweisen habe. Abgesehen davon sei zwischen den Eltern anläßlich der Scheidung vereinbart worden, daß das Pflege- und Erziehungsrecht hinsichtlich der Minderjährigen nur der Mutter zukomme. Damit sei es aber auch in erster Linie Sache der Mutter, die Ausbildung des Kindes in Schule und Beruf zu fördern (§ 146 Abs 1 ABGB). Im übrigen sei den Ausführungen des Erstgerichtes zur Frage, welchen Einfluß der Berufswechsel der Unterhaltsberechtigten im vorliegenden Fall auf die Unterhaltspflicht des Vaters habe, beizupflichten. Es entspreche herrschender Rechtsprechung, daß der Verlust des Unterhaltsanspruches nicht schon dann eintrete, wenn ein Jugendlicher eine seinem Wohl zuwiderlaufende Berufsentscheidung korrigiere. Allerdings habe diese Korrektur in aller Regel bereits dann zu erfolgen, wenn die mangelnde Eignung bzw. das mangelnde Interesse am ursprünglich gewählten Beruf erkannt werde. Im vorliegenden Fall habe die Minderjährige schon einige Monate nach Beginn ihrer Lehre als Tierpräparator Ekel bei der Arbeit, hervorgerufen durch das Ausnehmen der Tiere, verspürt. Allerdings habe der Vater Anfang 1986 ausdrücklich verlangt, die Tochter solle die Lehre beenden. Dies gestehe der Vater selbst zu. Hiebei komme es nicht entscheidend darauf an, ob die Minderjährige damals dem Vater erklärt habe, sie wolle die Lehre abbrechen, weil es ihr "bei der Firma K***" nicht gefallen würde und ihr darüber hinaus die Arbeit zu schmutzig sei. Fest stehe jedenfalls, daß das Kind seine Berufsausbildung habe abbrechen wollen, jedoch vom Vater zum Abschluß dieser Berufsausbildung verhalten worden sei. Bei dieser Sachlage könne sich der Unterhaltspflichtige nicht darauf berufen, das unterhaltsberechtigte Kind habe bei Erkennen der mangelnden Eignung für den gewählten Berufszweig die Ausbildung nicht sofort abgebrochen und die Ausbildung in einem anderen Berufszweig gewählt. Auch der Umstand, daß zwischen der Beendigung der Lehre als Tierpräparator und dem Eintritt in die Malerschule in Baden ein Zeitraum von etwa drei Monaten verstrichen sei, in welchem die Minderjährige zwei Monate als Tischlerlehrling gearbeitet habe, vermöge die Unterhaltspflicht des Vaters nicht zum Erlöschen zu bringen. Die Minderjährige sei somit nicht als selbsterhaltungsfähig anzusehen.
Der Vater stellt in seinem Revisionsrekurs den Antrag, den Beschluß des Rekursgerichtes dahingehend abzuändern, daß dem Antrag des Vaters auf Enthebung von der Unterhaltspflicht ab 1.April 1988 stattgegeben werde.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist nicht zulässig.
Die Frage, ob ein Kind selbsterhaltungsfähig ist oder nicht, gehört grundsätzlich zum Bemessungskomplex (EFSlg.49.373, 49.889 uva). Wenn es aber in erster Linie darum geht, ob dem Kind eine ganz bestimmte Berufsausbildung ermöglicht werden soll oder nicht, und der Eintritt der Selbsterhaltungsfähigkeit damit in untrennbarem Zusammenhang steht, dann liegt nach ständiger Rechtsprechung keine bloße Bemessungsfrage mehr vor (SZ 51/90; EFSlg.47.182, 49.895, 49.896, 52.724 uva). Die Vorschrift des § 14 Abs 2 AußStrG steht dem Revisionsrekurs im vorliegenden Fall daher nicht entgegen, es kommt aber die Rechtsmittelbeschränkung des § 16 Abs 1 AußStrG zum Tragen. Nach dieser Gesetzesstelle findet gegen einen bestätigenden Beschluß des Rekursgerichtes ein Revisionsrekurs nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität statt. Derartige Gründe macht der Vater aber nicht geltend. Er weist in seinem Revisionsrekurs einerseits darauf hin, daß nach dem anläßlich der Ehescheidung geschlossenen Vergleich in allen Fragen der Berufswahl und Berufsausbildung das Einvernehmen beider Eltern herzustellen sei und führt andererseits aus, es könne ihm nicht zugemutet werden, einem Kind mehrere Lehrausbildungen zu bezahlen, das Kind wäre verpflichtet, nach abgeschlossener Berufsausbildung für ein eigenes Einkommen zu sorgen. Daß die Ausbildung und Ausübung des Berufes eines Tierpräparators für das Kind ekelerregend sei, könne nach den Erfahrungen des täglichen Lebens ausgeschlossen werden, da das Kind immerhin eine dreijährige Lehrausbildung problemlos hinter sich gebracht habe. Im übrigen wäre die Erlernung des Malergewerbes nicht unbedingt in Form einer Privatschule notwendig, sie könnte auch durch eine Lehre erfolgen, bei der zumindest eine teilweise Deckung der Bedürfnisse des Kindes durch ein eigenes Einkommen möglich wäre.
Eine Nullität oder Aktenwidrigkeit wird mit diesen Ausführungen nicht geltend gemacht, es wird damit aber auch keine offenbare Gesetzwidrigkeit aufgezeigt. Eine solche ist nämlich nur dann gegeben, wenn ein Fall im Gesetz selbst ausdrücklich und so klar geregelt ist, daß kein Zweifel über die Absicht des Gesetzgebers aufkommen kann und trotzdem anders entschieden wurde oder wenn die Entscheidung mit den Grundprinzipien des Rechts im Widerspruch stünde. Die Frage, ob ein Kind nach einer abgeschlossenen Berufsausbildung selbsterhaltungsfähig ist oder ob ihm noch eine weitere Berufsausbildung zugebilligt werden kann, ist im Gesetz nicht geregelt. Die Ansicht der Vorinstanzen, daß die Minderjährige nicht selbsterhaltungsfähig ist, weil sie die Ausübung des auf Veranlassung ihres Vaters erlernten Berufes eines Tierpräparators ekelt, ist keinesfalls offenbar gesetzwidrig. Daß die Ausübung des bisher erlernten Berufes für die Minderjährige ekelerregend ist, wurde festgestellt. Es ist nicht zulässig, im Rahmen eines Revisionsrekurses nach § 16 Abs 1 AußStrG die Beweiswürdigung zu bekämpfen. Auch der Umstand, daß der Vater zur Unterhaltsleistung verhalten wurde, obwohl hinsichtlich der nunmehr gewählten Berufsausbildung nicht das Einvernehmen hergestellt wurde, vermag keine offenbare Gesetzwidrigkeit zu begründen. Die Frage, ob die Erlernung des nunmehr gewählten Berufes auch durch eine Lehre möglich wäre, bei der die Minderjährige eine Lehrlingsentschädigung beziehen und den Vater jedenfalls teilweise entlasten würde, betrifft ausschließlich die Unterhaltsbemessung (ähnlich 3 Ob 507/88). Auf diese Ausführungen ist daher nicht einzugehen. Der Revisionsrekurs mußte daher zurückgewiesen werden.
Anmerkung
E14881European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1988:0060OB00627.88.0707.000Dokumentnummer
JJT_19880707_OGH0002_0060OB00627_8800000_000