TE OGH 1988/9/27 10ObS223/88

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Veröffentlicht am 27.09.1988
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Manfred Dafert (Arbeitgeber) und Dr. Martin Mayr (Arbeitgeber) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Paulina L***, 4641 Steinhaus 42, vertreten durch Dr. Johannes Grund, Dr. Wolf Polte, Rechtsanwälte in Linz, wider die beklagte Partei S*** DER BAUERN, 1031 Wien, Ghegastraße 1,

vertreten durch Dr. Herbert Macher, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschusses, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 19. Mai 1988, GZ 12 Rs 54/88-17, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Wels als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 20. Jänner 1988, GZ 26 Cgs 1107/87-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen.

Die Kosten der Revisionsbeantwortung sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Das Erstgericht wies das Begehren der Klägerin auf Gewährung des Hilflosenzuschusses ab 29. April 1987 ab. Es traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die am 2. April 1915 geborene Klägerin ist in der Lage selbst zu essen, zu trinken, sich einfache Mahlzeiten zuzubereiten, das Geschirr abzuwaschen, sich allein an- und auszuziehen, einschließlich der Strümpfe und Schuhe, soferne sie Schlüpfschuhe verwendet. Beim Waschen erreicht sie auch die unteren Körperpartien. Leichte Aufräumarbeiten und das Waschen der kleinen Wäsche sind möglich. Die Klägerin kann auch den Feuerbrand in einem Holz- oder Kohleofen allein unterhalten und einen solchen Ofen entaschen. Das Herbeischaffen des Brennmateriales aus dem Vorratsraum und das Tragen eines mit Wasser gefüllten Kübels ist ihr nicht mehr möglich. Beim Besteigen oder Verlassen einer Sitzbadewanne oder beim Duschen benötigt sie fremde Hilfe. Die Klägerin, die unter einfachen sozialen Verhältnissen allein in einem kleinen Haus mit Garten am Ortsausgang von Steinhaus wohnt, kann zu Fuß das Ortszentrum erreichen. Ein täglicher Einkaufsweg ist ihr aber nur in der schneefreien Jahreszeit zumutbar. Sie leidet an altersgemäßer Arterienverkalkung der Gehirn- und Körpergefäße mit zeitweise auftretenden Schwindelzuständen und Hirndurchblutungsstörungen, wodurch etwa einmal wöchentlich ein Schwindelanfall verbunden mit Kopfschmerzen und Augenflimmern auftritt. Im Jahre 1987 ist es nur einmal, nämlich am 1. März 1987 infolge eines solchen Schwindelanfalles zu einem Sturz gekommen, der eine Knöchelverletzung zur Folge hatte. Die Schwindelzustände, denen nicht gänzlich vorgebeugt werden kann und die ihrem Wesen nach unkontrollierbar sind, überschreiten das übliche Altersausmaß nicht. Eine dauernde Überwachung der Klägerin ist noch nicht notwendig, es genügt, wenn alle zwei bis drei Tage eine Aufsichtsperson nachsieht, was durch Angehörige der Klägerin auch geschieht.

Rechtlich folgerte das Erstgericht aus diesem Sachverhalt, die Klägerin sei nicht hilflos im Sinne des § 70 Abs 1 BSVG. Mit den nur in größeren Zeitabständen anfallenden, aufschiebbaren Verrichtungen, zu denen die Klägerin fremde Hilfe benötige - beim Baden oder Duschen, Herbeischaffen des Brennmateriales, Waschen der Großwäsche und Einkaufen bei Schneelage - seien im Monatsdurchschnitt jedenfalls keine Kosten verbunden, die die Höhe des begehrten Hilflosenzuschusses erreichten. Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger Beweiswürdigung und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung Folge, sprach aus, daß das Klagebegehren auf Zuerkennung des Hilflosenzuschusses im gesetzlichen Ausmaß ab 29. April 1987 dem Grunde nach zu Recht bestehe und erlegte der beklagten Partei eine vorläufige Zahlung von monatlich S 2.434 auf.

Auch nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei Hilflosigkeit der Klägerin, ohne daß es eines Eingehens auf die Beweisrüge bedürfe, jedenfalls gegeben. Berücksichtige man, daß die Klägerin an leichten Harnverhaltungsstörungen leide, dann sei zweifellos ein tägliches Bad angezeigt, wofür eine fremde Hilfeleistung für etwa eine Stunde benötigt werde. Ob ein Bedarf nach Herbeischaffung des Brennmateriales bestehe, könne nicht beurteilt werden, weil Feststellungen über die Ausstattung der Wohnung fehlten. Für das Waschen der Großwäsche und der gründlichen Wohnungsreinigung und zum Einkaufen während der Schneelage ergebe sich - umgelegt auf die einzelnen Tage - eine weitere Stunde erforderlicher fremder Hilfeleistung täglich. Unter Zugrundelegung eines Stundenlohnes von 70 S für eine Hilfskraft werde der Mindestbetrag des Hilflosenzuschusses von S 2.434 (Richtsatz 1987) bereits überschritten. Dazu komme noch, daß es wegen der unkontrollierbaren Schwindelanfälle entgegen der Meinung des Sachverständigen erforderlich sei, daß eine Aufsichtsperson täglich ein- bis zweimal nachsehe, um der Klägerin wenn nötig Hilfe zu leisten. Auch dafür sei ein zusätzlicher Zeitaufwand von etwa einer halben Stunde täglich erforderlich.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, es im Sinne einer Klageabweisung abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Die klagende Partei beantragt, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Das Berufungsgericht hat die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zum Hilflosenzuschuß (SSV-NF 1/46, JBl. 1988, 64) zutreffend wiedergegeben (§ 48 ASGG), den daraus gezogenen rechtlichen Schlüssen auf den vorliegenden Fall vermag sich der Oberste Gerichtshof jedoch nicht anzuschließen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes benötigt die Klägerin fremde Hilfe nur beim Baden oder Duschen, beim Herbeischaffen des Brennmateriales, beim Waschen der großen Wäsche sowie beim Einkaufen, wenn Schneelage gegeben ist. Die Unfähigkeit, lebensnotwendige Verrichtungen selbst auszuführen, kann nur in dem Umfang Hilflosigkeit begründen, als der Ausfall der erforderlichen Wartung und Hilfe dazu führen würde, daß der Rentner oder Pensionist in absehbarer Zeit sterben oder verkommen oder gesundheitliche Schäden erleiden würde. Unabhängig davon, ob Baden oder Duschen nicht durch auf eine andere Weise vorgenommene gründliche Reinigung des gesamten Körpers - die der Klägerin nach den Feststellungen möglich ist - ersetzt werden kann und daher nicht zu den lebensnotwendigen Verrichtungen zählt, kann unter dem angeführten Gesichtspunkt - abgesehen von einer allfälligen medizinischen Notwendigkeit, die hier aber nicht festgestellt wurde -, jedenfalls nicht davon ausgegangen werden, daß der Rentner oder Pensionist täglich baden oder duschen muß (10 Ob S 146/87).

Wegen der heute allgemein üblichen Ausstattung der Haushalte mit einem Kühlschrank ist es auch nicht erforderlich, täglich einzukaufen. Berücksichtigt man noch, daß der Klägerin das Einkaufen nur bei Schneelage nicht mehr zugemutet werden kann, so beschränkt sich die erforderliche Hilfeleistung beim Einkaufen im Jahresdurchschnitt auf eine geringere Anzahl von Tagen. Selbst wenn man davon ausgeht, daß Brennmaterial tatsächlich aus dem Vorratsraum zum Ofen geschafft werden muß, so ist diese Tätigkeit nur während der Wintermonate und auch dann keineswegs täglich erforderlich, da eine größere Menge Heizmaterial in der Wohnung bereitgestellt werden kann. Das Waschen der großen Wäsche wiederum ist nur in größeren Zeitabständen erforderlich und überdies nur dann nicht möglich, wenn der Haushalt der Klägerin nicht mit einer Waschmaschine ausgestattet ist.

Zu Recht ist das Erstgericht daher zu dem Ergebnis gekommen, daß die aufzuwendenden Kosten für die Inanspruchnahme fremder Hilfe im oben dargestellten Ausmaß im Monatsdurchschnitt die Höhe des Mindesthilflosenzuschusses - dieser betrug im Jahre 1987 nicht wie das Berufungsgericht angenommen hat S 2.434 sondern unter Zugrundelegung auch der 13. und 14. Zahlung rund S 2.840 monatlich - jedenfalls nicht erreichen.

Die Rechtssache ist jedoch noch nicht spruchreif. Nach den vom Erstgericht übernommenen Ausführungen des Sachverständigen überschreiten die Schwindelanfälle der Klägerin nicht das altersübliche Ausmaß und machen eine dauernde Überwachung der Klägerin noch nicht notwendig. Es genügt, wenn alle zwei bis drei Tage eine Aufsichtsperson nachsieht. Bedenkt man, daß die Klägerin im Jahr 1987 nur einmal zu Sturz kam - ein Ereignis, das auch einem gesunden Menschen zustoßen kann - so erscheint die vom Berufungsgericht gezogene Schlußfolgerung, es sei eine Nachschau ein- bis zweimal täglich erforderlich, keineswegs zwingend. Da das Berufungsgericht zu der in diesem Zusammenhang erhobenen Beweisrüge der klagenden Partei nicht Stellung genommen hat, ist das Berufungsverfahren mangelhaft geblieben, sodaß das Berufungsurteil aufzuheben war.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG iVm § 52 ZPO.

Anmerkung

E15550

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:010OBS00223.88.0927.000

Dokumentnummer

JJT_19880927_OGH0002_010OBS00223_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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