TE OGH 1988/12/15 8Ob686/88

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 15.12.1988
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Florian W***, geboren am 2. Dezember 1978, 3430 Tulln, Paracelsusstraße 14, sowie der mj. Katharina W***, geboren 6. November 1981 und Lisa W***, geboren 17. Oktober 1983, beide 3430 Tulln, Am Brücklgwendt Nr. 9, infolge Revisionsrekurses der Mutter Elfriede W***, Hausfrau, 3430 Tulln, Am Brücklgwendt Nr. 9, gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten als Rekursgerichtes vom 5. Oktober 1988, GZ R 508/88-44, womit über Rekurs des Vaters Karl W***, Sprachlehrer, 3430 Tulln, Paracelsusstraße 14, vertreten durch Dr. Werner Hetsch und Dr. Werner Paulinz, Rechtsanwälte in Tulln, der Beschluß des Bezirksgerichtes Tulln vom 10. August 1988, GZ P 91/87-37, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Die Minderjährigen Florian, Katharina und Lisa W*** sind eheliche Kinder des Karl W*** und der Elfriede W***. Am 11. Juli 1987 verließ Elfriede W*** mit den beiden Mädchen die eheliche Wohnung in Tulln und lebt seither in Lebensgemeinschaft mit dem - inzwischen geschiedenen - Robert K***. Der Sohn Florian W*** blieb beim Vater zurück.

Beide Elternteile stellten den Antrag auf Zuweisung der elterlichen Rechte jeweils an sie hinsichtlich aller drei Kinder. Das Erstgericht teilt die elterlichen Rechte hinsichtlich aller Kinder der Mutter zu und wies den Antrag des Vaters ab. Es stellte nach Durchführung eines sehr eingehenden Beweisverfahrens folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Die Beziehung der Kinder zu den beiden Elternteilen ist in keiner Weise gestört, wenn auch die Beziehung zu dem Elternteil, bei dem sie sich nunmehr tatsächlich aufhalten, intensiver ist als zu dem anderen. Beide Elternteile sind nach ihrer Persönlichkeit sowie nach den bei ihnen gegebenen Wohn- und Lebensverhältnissen in der Lage, die elterlichen Rechte hinsichtlich der Kinder jeweils allein auszuüben. Unter diesen Aspekten wäre keinem Elternteil eine Vorzugsstellung für die elterlichen Rechte einzuräumen. Die Mutter ist weiterhin - wie auch schon zur Zeit des gemeinsamen Haushaltes mit dem Vater der Kinder - im Haushalt tätig. Der Vater ist als Sprachheillehrer jeweils spätestens ab 14 Uhr zu Hause. Während der Zeit vorher ist die Beaufsichtigung des Knaben durch die Großmutter (väterlicherseits) gesorgt. Der mj. Florian W*** zieht es vor, bei seinem Vater zu bleiben. Auch ein psychologisches Testverfahren ergab deutlich seine stärkere Bindung zum Vater. Nach dem fachpsychologischen Sachverständigengutachten entspricht es dem Wohl der Kinder, wenn der Sohn beim Vater, die Töchter jedoch bei der Mutter verbleiben.

Die Mutter verließ ihren Ehegatten wegen einer von ihrer Warte aus gesehen unbefriedigenden seelischen Beziehung zum Ehegatten. Das Kennenlernen eines anderen Mannes war dann auslösendes Moment für den Weggang der Mutter mit den beiden Mädchen.

Das Erstgericht gab dem Antrag der Mutter der Kinder im wesentlichen mit der Begründung statt, daß es dem Wohl der Kinder widerspreche, wenn die Geschwister auseinandergerissen würden. Gemeinsames Aufwachsen von Geschwistern sei auch deswegen zu befürworten, weil gerade der Verblieb eines Kindes allein bei Trennung von den Geschwistern die Gefahr des Verwöhnens dieses Kindes durch den den erziehungsberechtigten Elternteil bzw. sonstigen nahen Angehörigen besonders begünstige. Dadurch könnten später negative Auswirkungen im Zusammenleben mit anderen Leuten, vor allem auch mit einem Lebenspartner entstehen. Die dem nicht erziehungsberechtigten Elternteil durch die Entscheidung entstehende und von ihm als Härte empfundene Situation müsse durch ein ausgedehntes Besuchsrecht ausgeglichen werden.

Bisher üben die Elternteile zu den bei dem anderen Teil untergebrachten Kindern ein ausgedehntes Besuchsrecht klaglos aus. Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs des Vaters teilweise Folge, indem es die elterlichen Rechte bezüglich des minderjährigen Florian W*** ihm zuteilte, hingegen bezüglich der mj. Katharina und Lisa W*** den erstgerichtlichen Beschluß bestätigte. Der Grundsatz, daß Geschwister möglichst gemeinsam aufwachsen sollen, schließe nicht aus, daß im Einzelfall das Wohl des Kindes eine andere Regelung rechtfertige. Nach den allgemeinen Erfahrungen der Entwicklungspsychologie komme der Rolle des Vaters bei einem schon im Schulalter befindlichen Buben eine mit dem zunehmenden Lebensalter noch wachsende Bedeutung zu. Auch müsse der eindeutigen Präferenz des mj. Florian W*** zu seinem Vater Rechnung getragen werden. Daß dies dem Wohl des Kindes entspreche, ergebe sich auch aus dem den erstgerichtlichen Feststellungen zugrunde liegenden Sachverständigengutachten. Da seit der Trennung von den Geschwistern bereits mehr als ein Jahr vergangen sei und sich Florian W*** ohne irgendwelche Schwierigkeiten bei dem Vater aufhalte, sei es auch nicht zu verantworten, ihn aus der gewohnten Umgebung herauszureißen. Der gute und auf Grund der vernünftigen Einstellung beider Elternteile problemlos verlaufende wechselseitige Besuchskontakt werde auch in Hinkunft die Gewähr dafür bieten, daß zwischen Florian einerseits und seinen Schwestern Katharina und Lisa andererseits ein guter geschwisterlicher Kontakt bestehe und so die Familieneinheit soweit aufrecht erhalten werde, als es eben nach Trennung der Eltern noch möglich sei.

Gegen diesen Beschluß richtet sich der Revisionsrekurs der Mutter Elfriede W*** insoweit, als ihr nicht auch die elterlichen Rechte bezüglich des mj. Florian W*** zugeteilt wurden.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.

Die Rechtsmittelwerberin hält daran fest, daß die ihren Sohn Florian betreffende Entscheidung der zweiten Instanz nicht dem Wohl des Kindes entspreche, weil dieser zumindest teilweise bei der väterlichen Großmutter aufwachse und so die Gefahr einer egozentrischen Entwicklung bestehe. Überdies sei damit zu rechnen, daß der Vater eine neue Ehe schließen werde und so abermals eine neue Kontaktperson ins Leben dieses Kindes treten werde. Überdies bestünde die Gefahr, daß das Kind durch seinen Aufenthalt beim Vater zu Forderungen nach Erfüllung übermäßiger materieller Wünsche gelange und die Erziehung zur Bescheidenheit zu kurz komme. Schließlich dürfe auch die Trennung von seinen Geschwistern sowie der bloß zufällige Verbleib beim Vater - das Kind sei damals, als sie mit beiden Mädchen wegzog, nicht zu Hause gewesen - nicht übersehen werden.

Diese Gründe sind aus folgenden Erwägungen nicht überzeugend:

Die Ausführungen der Rechtsmittelwerberin bezüglich der Gefahr egozentrischer Entwicklung, Neigung zu Forderungen nach Erfüllung übermäßiger materieller Wünsche und mangelnder Erziehung zur Bescheidenheit gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus - dieser bietet hiefür keine konkreten Anhaltspunkte - und können daher nicht maßgeblich die rechtliche Beurteilung beeinflussen.

Eine neue Eheschließung durch den Vater stellt - für sich betrachtet - ebensowenig eine Beeinträchtigung des Wohles seines Sohnes dar wie es bei einer neuen Eheschließung durch die Mutter der Fall wäre, die sich ja schon bei einem Lebensgefährten aufhält. Auf den zufälligen Verbleib des Sohnes beim Vater anläßlich des Verlassens des ehelichen Haushaltes durch sie mit den beiden Töchtern kann sich die Mutter nicht berufen, weil einerseits daraus für das Wohl des Kindes nichts ableitbar ist und andererseits die Mutter aus der nur teilweisen Ausführung einer rechtswidrigen Handlung nicht weitergehende Rechte ableiten kann.

Als wesentlich für die Entscheidung bleibt daher die Beurteilung, wie sich die Trennung des mj. Florian W*** von seinen Geschwistern auswirkt. Es ist zwar richtig, daß - wie die ständige Rechtsprechung meint (EFSlg 36.029 und 36.030) - das gemeinsame Aufwachsen von Geschwistern im selben Haushalt von großem Wert für die Entwicklung der Kinder ist; dieses gemeinsame Aufwachsen ist aber nur ein Moment von vielen anderen, welche zusammen das Wohl des Kindes bestimmen. Es ist also im Einzelfall zu entscheiden, ob diesem Faktor eine solche Bedeutung zukommt, daß auch noch nach einjähriger anders gestalteter Erziehung ein Wechsel in der Bezugsperson vorzunehmen ist. Dies ist in dem hier zu beurteilenden Fall zu verneinen, weil der mj. Florian festgestelltermaßen eine besonders günstige Beziehung zu seinem Vater unterhält und auch bei diesem - bei dem er sich seit der Geburt befindet - verbleiben will. Aus den vom Rekursgericht angestellten oben wiedergegebenen Erwägungen, die vom Obersten Gerichtshof gebillligt werden, besteht daher kein Anlaß, dieses Verhältnis nach dem Weggang der Mutter aus dem gemeinsamen Haushalt allein wegen des Grundsatzes der gemeinsamen Erziehung von Geschwistern zu ändern. In dem hier gearteten Fall kommt eben diesem für die Beurteilung des Kindeswohles an sich heranzuziehenden Teilaspekt nicht eine solche überragende Bedeutung zu, daß sie die anderen festgestellten Umstände an Gewicht übertreffen würde. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.

Anmerkung

E16428

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1988:0080OB00686.88.1215.000

Dokumentnummer

JJT_19881215_OGH0002_0080OB00686_8800000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten