TE OGH 1989/3/21 10ObS85/89

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Veröffentlicht am 21.03.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Rudolf Dezelt (AG) und Mag. Michael Zawodsky (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Franz A***, Garnei 121, 5431 Kuchl, vertreten durch Dr. Reinhold Glaser, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei V*** DES Ö*** B***,

Lessingstraße 20, 8011 Graz, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Knappschaftsvollpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 29. November 1988, GZ 12 Rs 146/88-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 27. Juli 1988, GZ 40 Cgs 1109/87-19, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 12. August 1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Knappschaftsvollpension ab. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger eine Knappschaftsvollpension im gesetzlichen Ausmaß ab 1. Juni 1987 zu gewähren und eine vorläufige Zahlung von monatlich S 4.000 zu erbringen. Es stellte im wesentlichen fest, daß der am 15. März 1936 (richtig am 13. Mai 1936) geborene Kläger keinen Beruf erlernt hat und nach mehrjähriger Tätigkeit in der Landwirtschaft bis zum Beginn seines Krankenstandes im April 1987 bei der Ersten Salzburger Gipswerkgesellschaft Christian M*** KG als Mischer, Verlader und Staplerfahrer tätig war. Dabei mußte er Hebearbeiten bis zu 40 kg leisten.

Der Kläger ist in der Lage, leichte und mittelschwere, geistig einfache Arbeiten im Gehen, Stehen und Sitzen zu verrichten, wobei ein häufiger Haltungswechsel erforderlich ist. Nach ein- bis eineinhalbstündiger Arbeit in einer bestimmten Körperhaltung muß er mindestens 15 Minuten in einer anderen Körperhaltung weiterarbeiten können. Über das physiologische Ausmaß hinausgehende Pausen sind bei geistig einfachen Arbeiten und solchen, die keine hohen Anforderungen an Tempo, Konzentrations- und Auffassungsgabe stellen, nicht zu fordern. Unterkühlung und Durchnässung müssen vermieden werden. Das Heben und Tragen von Lasten bis zu einem Gewicht von 5 kg, fallweise auch bis 10 kg, ist zumutbar. Bückbelastungen sollen vermieden werden.

Auf Bergbaubetriebe bezogen verbleiben an Verweisungstätigkeiten nur jene eines Lampenwärters und eines Bürodieners. Beim Beruf des Lampenwärters sind im ganzen Bundesgebiet derzeit noch etwa 20 Arbeitsplätze vorhanden, für Bürodiener in Bergbaubetrieben nur noch etwa 8 Arbeitsplätze.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den Sachverhalt dahin, auf Grund des Versicherungsverlaufes des Klägers sei vom Invaliditätsbegriff des § 255 Abs. 3 ASVG auszugehen. Wegen der geringen Zahl von Arbeitsplätzen in den beiden Verweisungstätigkeiten könne von einem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht mehr gesprochen werden. Invalidität sei daher gegeben. Das Berufungsgericht gab der wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei Folge und änderte das Ersturteil im Sinne einer Klageabweisung ab.

Nach § 280 ASVG seien für die Beurteilung der Invalidität die Bestimmungen des § 255 ASVG maßgeblich. Da der Kläger auf Grund seiner Hilfsarbeitertätigkeiten als Mischer, Verlader und Staplerfahrer keinen Berufsschutz genieße, sei vom Invaliditätsbegriff des § 255 Abs. 3 ASVG auszugehen. Damit müsse sich der Kläger aber nicht nur auf die Tätigkeiten, die in Bergbaubetrieben anfallen, sondern auf den gesamten allgemeinen Arbeitsmarkt verweisen lassen. Nach den Feststellungen des Erstgerichtes sei dem Kläger noch der Beruf eines Bürodieners zumutbar. Bei Berücksichtigung des gesamten Arbeitsmarktes sei aber ein ausreichendes Angebot an Bürodienern gegeben. Im übrigen kämen für den Kläger nach seinem Leistungskalkül noch eine Reihe weiterer Verweisungstätigkeiten, wie etwa jene eines Sortierers, Kontrollhelfers, Metallpolierers oder Verpackers in Betracht. Der Kläger sei daher nicht invalide.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision des Klägers ist im Sinne einer Aufhebung der Vorentscheidungen berechtigt. Durch die Unterlassung der Beiziehung eines berufskundlichen Sachverständigen zur Ermittlung der Anzahl von Betrieben, die Bürodiener beschäftigen und zur Darlegung der Anforderungen in den anderen vom Berufungsgericht genannten Verweisungstätigkeiten ist das Berufungsverfahren allerdings nicht mangelhaft geblieben. Bei allgemein bekannten, gängigen Verweisungsberufen bedarf es keiner detaillierten Erhebung über die Anzahl der auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorhandenen Arbeitsplätze (SSV-NF 2/20). Das Gericht in Sozialrechtssachen ist gerade wegen seiner besonderen Zusammensetzung durchaus in der Lage abzuschätzen, daß ein so allgemein bekannter gängiger Verweisungsberuf, wie es jener eines Bürodieners ist, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in so ausreichender Zahl vorhanden ist, daß eine detaillierte Erhebung über die exakte Anzahl nicht erforderlich erscheint. Es sei nur darauf hingewiesen, daß Bürodiener etwa im gesamten Bereich der öffentlichen Verwaltung und in Großunternehmen (Versicherungsgesellschaften, Banken uva) beschäftigt werden. Zu Recht aber rügt der Kläger in der Revision, daß durch die Unterlassung der Einholung eines Gutachtens eines Internisten die Grundlagen zur abschließenden Beurteilung noch nicht ausreichen. Der Kläger hat in der mündlichen Streitverhandlung vom 27. Juli 1988 (ON 18) vorgebracht, daß er bis 20. Juli 1988 - also nach der Erstellung der ärztlichen Gutachten im Verfahren - im Landeskrankenhaus Salzburg stationär aufgenommen gewesen sei, dabei sei eine äußerst starke Verkalkung der Herzschlagader festgestellt worden, die zu schweren Beeinträchtigungen im Nackenbereich führe. Aus dem gleichzeitig vorgelegten Entlassungsschein Beilage ./C läßt sich über Art und Auswirkung der Erkrankung, die zu dem stationären Krankenhausaufenthalt geführt hat, nichts Konkretes entnehmen. Von den Vorinstanzen wurden zu diesem Vorbringen des Klägers keine Feststellungen getroffen. Da in Sozialrechtssachen das Gericht gemäß § 87 Abs. 1 ASGG sämtliche notwendig erscheinenden Beweise von Amts wegen aufzunehmen hat, wäre auf Grund dieses Vorbringens des Klägers zur vollständigen Ermittlung aller seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen eine Klärung durch Beischaffung der Krankengeschichte und Einholung eines internistischen Gutachtens erforderlich gewesen, weil jedenfalls nicht ausgeschlossen werden kann, daß die zeitlich früher erstellten ärztlichen Gutachten dadurch eine Änderung erfahren oder zusätzliche, in die Beurteilung eines Internisten fallende Einschränkungen der Leistungsfähigkeit des Klägers gegeben sind.

Da die Entscheidungsgrundlagen zur abschließenden Beurteilung daher noch nicht ausreichen, war spruchgemäß zu entscheiden. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahren beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E17105

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00085.89.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19890321_OGH0002_010OBS00085_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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