Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Bauer als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Robert Göstl (Arbeitgeber) und Otto Tiefenbrunner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Ljubisa D***, Dorfstraße 21, 6250 Kundl, vertreten durch Dr. Odo Schrott, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei P*** DER A*** (Landesstelle Salzburg),
Roßauerlände 3, 1092 Wien, im Revisionsverfahren nicht vertreten, wegen Invaliditätspension infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 15. November 1988, GZ 5 Rs 184/88-26, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 1.September 1988, GZ 45 Cgs 1210/87-20, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zur Ergänzung des Verfahrens und zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens bilden weitere Verfahrenkosten.
Text
Begründung:
Der Kläger begehrt, die beklagte Partei zur Gewährung der Invaliditätspension ab 1.August 1987 zu verpflichten. Wegen verschiedener Leidenszustände sei er außerstande, einer geregelten Beschäftigung nachzugehen. Er sei überwiegend als angelernter Gärtner beschäftigt gewesen und genieße als solcher Berufsschutz. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Der Kläger sei bisher immer als Hilfsarbeiter beschäftigt gewesen und sei auch unter Berücksichtigung von gesundheitsbedingten Einschränkungen seiner Arbeitsfähigkeit auf den Arbeitsmarkt verweisbar.
Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ab, wobei es seiner Entscheidung im wesentlichen nachstehenden Sachverhalt zugrundelegte:
Der 46jährige Kläger hat keinen Beruf erlernt. Er war in Österreich ab Mai 1967 als Bauhilfsarbeiter, Landschaftsgärtnerhelfer und Gießereiarbeiter beschäftigt. In der Zeit vom 1.August 1972 bis 31.Juli 1987 (letzte 15 Jahre vor dem Stichtag) hat der Kläger insgesamt 143 Beitragsmonate der Pflichtversicherung erworben. Hievon war er 76 Monate als Helfer in einer Landschaftsgärtnerei tätig. Er hatte dabei verschiedene stets unter Anleitung durchzuführende Hilfsarbeiten im Zusammenhang mit dem Anbau und der Pflege diverser Blumen-, Strauch- und Baumkulturen sowie der Gestaltung von Park- und Landschaftsanlagen, Ziergärten, Parks und Sportplätzen zu verrichten. Auf Grund der gesundheitsbedingten Einschränkungen seiner Leistungsfähigkeit kann der Kläger alle leichten Arbeiten im Gehen und Stehen unter Vermeidung von Heben und Tragen von Lasten und von häufigem Bücken tagfüllend verrichten. Ein bis zwei halbstündige Pausen sind einzulegen. Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten und an Maschinen mit drehenden Teilen sind ebenso zu vermeiden wie ein häufiger Lagewechsel bei der Tätigkeit.
Hiezu führte das Erstgericht aus, daß die Voraussetzungen für die Annahme eines angelernten Berufes nicht erfüllt seien. Selbst wenn der Tätigkeit des Klägers die Qualifikation eines angelernten Berufes zukäme, wäre für den Kläger hieraus nichts gewonnen, weil unter Berücksichtigung einer entsprechenden Anlernzeit, die nicht als Zeit einer qualifizierten Tätigkeit zu werten sei, die Ausübung einer qualifizierten Beschäftigung im Beobachtungszeitraum nicht überwiege. Abgesehen davon habe der Kläger als Gärtnerhelfer eine Hilfsarbeitertätigkeit verrichtet, durch die ein Berufsschutz nicht begründet worden sei. Die Frage der Invalidität sei daher nach § 255 Abs 3 ASVG zu lösen. Da der Kläger als Nachtportier, Wächter (Parkplätze), Aufseher, Bürobote und in ähnlichen Berufen tätig sein könne, seien die Voraussetzungen für die begehrte Leistung nicht erfüllt.
Das Berufungsgericht gab der vom Kläger erhobenen, auf den Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens gestützten Berufung nicht Folge. Eine weitere Klärung der Frage, welche Pausen für den Kläger erforderlich seien, sei entbehrlich. Selbst wenn man davon ausgehe, daß der Kläger zwei halbstündige Arbeitspausen benötige, führe dies zu keinem anderen Ergebnis, weil die Einhaltung von zusätzlichen, über die Regelung des Arbeitszeitgesetzes hinausgehenden Pausen in den vom Erstgericht herangezogenen Verweisungsberufen auf Grund der Art der Tätigkeit durchaus möglich sei, ohne daß es eines besonderen Entgegenkommens des Dienstgebers bedürfte. Im übrigen sei davon auszugehen, daß der berufskundliche Sachverständige die Tatsache, daß der Kläger bis zu zwei halbstündige Pausen einzuhalten habe, bei der Benennung der Verweisungsberufe berücksichtigt habe.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Klägers aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Klagestattgebung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die beklagte Partei hat sich am Revisionsverfahren nicht beteiligt.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Sinn des Eventualantrages berechtigt. In der Berufung wurde wohl nur der Rechtsmittelgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens benannt, tatsächlich jedoch ein Feststellungsmangel gerügt. Der Kläger führte aus, daß die Feststellung bezüglich des Erfordernisses der einzuhaltenden Arbeitspausen unklar und in dieser Form als Urteilsgrundlage nicht geeignet sei. Damit wurde die rechtliche Beurteilung bekämpft. Die Revision kann daher in zulässiger Weise auch auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützt werden. Den Ausführungen der Revision kommt teilweise Berechtigung zu. Soweit der Kläger die Ansicht vertritt, daß ihm Berufsschutz zukomme, kann ihm allerdings nicht gefolgt werden. Wohl trifft es zu, daß die Vorinstanzen bei ihren Ausführungen bezüglich der Anlernzeit unberücksichtigt gelassen haben, daß der Kläger bereits einige Jahre vor Beginn des Beobachtungszeitraumes in der Landschaftsgärtnerei tätig war, sodaß eine allfällige Anlernzeit zur Gänze vor Beginn des Beobachtungszeitraumes gelagert sein könnte. Dem kommt aber keine entscheidende Bedeutung zu. Nach den Feststellungen hat der Kläger nämlich bei diesen Tätigkeiten stets unter Anleitung manuelle Hilfsarbeiten verrichtet. Solchen Tätigkeiten kommt aber die Qualifikation einer angelernten Tätigkeit nicht zu. Ein angelernter Beruf liegt gemäß § 255 Abs 2 ASVG vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Beruf gleichzuhalten sind. Die bloße Verrichtung von manuellen Hilfsarbeiten nach Anleitung erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Aus diesem Grund sind die Vorinstanzen zutreffend zum Ergebnis gelangt, daß die Frage der Invalidität im Fall des Klägers nach § 255 Abs 3 ASVG zu beurteilen ist.
Zutreffend macht die Revision allerdings geltend, daß die Frage, welche Arbeitspausen der Kläger benötigt und ob die Einhaltung allfällig erforderlicher zusätzlicher Arbeitspausen bei Ausübung der herangezogenen Verweisungsberufe gesichert ist, nicht ausreichend geklärt wurde. Die Feststellung, der Kläger benötige ein bis zwei halbstündige Arbeitspausen, läßt offen, ob mit einer halbstündigen Pause innerhalb eines Arbeitstages - diese wäre nach den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes gesichert - das Auslangen gefunden werden kann oder ob und unter welchen Umständen eine zweite Pause in derselben Dauer erforderlich ist und wie diese allenfalls erforderliche zusätzliche Pause zu gestalten ist. Es mag zugestanden werden, daß in den von den Vorinstanzen herangezogenen Verweisungsberufen teilweise Zeiten einer Arbeitsbereitschaft anfallen, während derer eine aktive Tätigkeit nicht entfaltet wird, doch stünde dies - sollte der Kläger zwei Arbeitspausen benötigen - einer Verweisung nur dann nicht im Wege, wenn dem Erfordernis nach einer zusätzlichen Pause durch die bloße Zeit der Arbeitsbereitschaft entsprochen würde. Wenn jedoch die Pause so gestaltet sein müßte, daß der Kläger während dieser Zeit von jeglicher Tätigkeit freigestellt sein müßte, so wäre nur eine Verweisung auf Arbeitsplätze möglich, an denen die Einhaltung dieser zusätzlichen Pause etwa im Schichtdienst mit der Möglichkeit einer entsprechenden Teilung der Arbeitszeit oder wenn bei entsprechender Lagerung der Arbeitszeit untertags mehrere Pausen gewährt werden, möglich. Ob das bei den Verweisungsberufen zutrifft, ist eine Tatfrage (10 Ob S 221/88; 10 Ob S 209/88). Allein daraus, daß der berufskundliche Sachverständige Verweisungsberufe benennt, kann nicht geschlossen werden, daß die Einhaltung zusätzlicher Pausen gesichert ist. Da eine solche Pausenregelung von den Bestimmungen des Arbeitszeitgesetzes abweichen würde, kann nicht davon ausgegangen werden, daß sie in allen diesen Berufen generell eingehalten werden können; es sind vielmehr hierüber konkrete Feststellungen erforderlich.
Im fortgesetzten Verfahren wird zu klären sein, welche Arbeitspausen der Kläger (allenfalls bezogen auf die Art der Tätigkeit) benötigt und ob Verweisungsberufe zur Verfügung stehen, in denen die Einhaltung dieser Pausen gesichert ist. In dieser Richtung erweist sich das Verfahren sohin ergänzungsbedürftig. Der Kostenvorbehalt stützt sich auf § 52 ZPO.
Anmerkung
E17480European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00126.89.0509.000Dokumentnummer
JJT_19890509_OGH0002_010OBS00126_8900000_000