TE OGH 1989/6/6 10ObS155/89

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Veröffentlicht am 06.06.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Mag.Dr. Tschocher (AG) und Dr. Simperl (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Christian S***, Bahnhofstraße 21, 4550 Kremsmünster, vertreten durch Dr. Gernot Kusatz, Rechtsanwalt in Wels, wider die beklagte Partei A*** U***, Adalbert

Stifterstraße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr. Adolf Fiebich, Dr. Vera Kremslehner, Dr. Josef Milchram, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 17. Feber 1989, GZ 13 Rs 9/89-26, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Steyr als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 13. Juni 1988, GZ 13 Cgs 1140/87-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.087,-- bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 12. August 1987 lehnte die beklagte Partei den Anspruch des Klägers auf Entschädigung aus Anlaß des Unfalles, den dieser nach seinen Angaben am 5. Mai 1987 im Betrieb der Firma F*** GesmbH, Hörsching, als technischer Angestellter erlitten habe, ab, da kein Arbeitsunfall vorliege.

Der Kläger begehrt die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihm für die Folgen des Arbeitsunfalles vom 5. Mai 1987 ab dem Tage nach dem Ende der Krankengeldansprüche gemäß § 204 Abs. 1 ASVG eine Versehrtenrente im Ausmaß von 70 % der Vollrente als vorläufige Rente zu gewähren.

Der Kläger ist technischer Angestellter der Firma F*** Gesellschaft mbH in Hörsching. Um von seinem Wohnsitz in Kremsmünster zu seinem Arbeitsplatz in Hörsching zu gelangen, benützt er mit seinem PKW die mit einer Fahrzeit von 30 bis 40 Minuten vom Zeitaufwand her gesehen kürzeste Strecke Kremsmünster-Sattledt-Autobahn bis Abfahrt Traun-Heid-Hörsching. Sein Arbeitsbeginn liegt zwischen 7.15 Uhr und 7.45 Uhr. Am 5. Mai 1987 war für den Kläger eine Besprechung mit dem Abteilungsleiter um 9.00 Uhr anberaumt. Er fuhr aber bereits wie üblich um 6.45 Uhr von Kremsmünster weg. Nach ca. 5 km Fahrt hatte sein PKW auf der Voralpenbundesstraße 122 in der Ortschaft Heiligenkreuz beim Straßenkilometer 63,495 eine Panne. Der Kläger stellte den PKW am rechten Fahrbahnrand ab und versuchte, nachdem mehrere Startversuche ergebnislos verlaufen waren, seinen Bekannten Herbert F***, einen Mechaniker, von der Shell-Tankstelle in Kremsmünster zu Hilfe zu holen. Dazu fuhr er mit einem anderen Bekannten zu der Tankstelle, wo er auf F*** etwas wartete. Während dieser Wartezeit verständigte er telefonisch eine Arbeitskollegin und bat sie, sein Späterkommen dem Abteilungsleiter zu melden. Als Herbert F*** gegen 8.00 Uhr bei der Tankstelle erschien, fuhren sie gemeinsam zum Fahrzeug des Klägers zurück. Um die Möglichkeit einer Reparatur an Ort und Stelle zu prüfen und das Fahrzeug vom Straßenrand wegzubringen, beabsichtigten sie, dieses zunächst in eine nahegelegene Haltestellenbucht und erforderlichenfalls anschließend zur Tankstelle zu schleppen, wo sich die nötigen technischen Geräte befanden. Zu diesem Zweck wollte der Kläger ein Abschleppseil bei seinem PKW befestigen. Zu diesem Zeitpunkt - um etwa 8.15 Uhr - näherte sich Albert H*** mit seinem PKW. Durch Außerachtlassung der im Straßenverkehr gebotenen Sorgfalt und Aufmerksamkeit stieß er gegen den abgestellten PKW des Klägers, dabei wurde der Kläger, der neben seinem Fahrzeug gestanden war, zwischen beide PKW eingeklemmt und schwer verletzt. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 30 %.

Um nach der Panne des Fahrzeuges mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Arbeitsplatz zu gelangen, hätte der Kläger den von Kremsmünster um ca. 7.50 Uhr abfahrenden und um 8.31 Uhr in Traun ankommenden Zug benützen müssen. Gegen 8.49 Uhr fährt ein Postautobus von Traun, Postautobushaltestelle Richtung Neubau nach Hörsching, wo er gegen 8.55 Uhr in einer Entfernung von etwa 1,5 km vom Arbeitsplatz des Klägers ankommt, sodaß ein Eintreffen des Klägers an seinem Arbeitsplatz um 9.00 Uhr zur Besprechung mit dem Abteilungsleiter nicht möglich gewesen wäre. Der Bahnhof Traun liegt ca. 2,5 km von der Postautobushaltestelle Traun entfernt, der Kläger hätte, um den angeführten Zeitplan einhalten zu können, diese Strecke in 18 Minuten zurücklegen müssen.

Das Erstgericht stellte fest, daß es sich bei dem Unfall des Klägers vom 5. Mai 1987 um 8.15 Uhr auf der Voralpenstraße 122 in der Ortschaft Heiligenkreuz bei Straßenkilometer 63,495 um einen Arbeitsunfall handle, erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger "ab Ende des unfallbedingten Krankenstandes" eine Versehrtenrente im Ausmaß von 30 v.H. der Vollrente als vorläufige Rente zu zahlen und wies das Mehrbegehren auf Gewährung einer darüber hinausgehenden Versehrtenrente ab.

In rechtlicher Hinsicht bejahte das Erstgericht das Vorliegen eines Wegunfalles nach § 175 Abs. 2 ASVG. Es sei dem Versicherten grundsätzlich freigestellt, welche Beförderungsmittel er auf dem Weg von und nach der Arbeitsstätte benütze. Die Vornahme von Reparaturen an dem freigewählten Fahrzeug stehe dann unter Versicherungsschutz, wenn sie hauptsächlich im Interesse der Zurücklegung des Arbeitsweges, somit im Interesse des Betriebes erfolgten. Andererseits liege bei Reparaturen an einem Fahrzeug auch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit vor, es sei nach den Umständen des Einzelfalles zu beurteilen, welches Interesse überwiege. Wäre der Kläger nach der Panne "von seinem PKW auf öffentliche Verkehrsmittel umgestiegen", hätte er den Besprechungstermin um 9.00 Uhr nicht einhalten können. Dem Kläger sei als einzige Möglichkeit geblieben, eine Reparatur des Fahrzeuges, die nicht von vornherein aussichtslos erschienen sei, binnen kurzer Zeit zu versuchen. Das betriebliche Interesse sei bei diesem Reparaturversuch im Vordergrund gestanden, auch wenn das Fahrzeug in die nahegelegene Tankstelle abgeschleppt hätte werden müssen. Der zeitliche Aufwand dafür wäre so gering gewesen, daß die Möglichkeit eines rechtzeitigen Eintreffens am Arbeitsplatz erhalten geblieben wäre. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei mit 30 % einzustufen.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung - die Höhe der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit blieb unbekämpft - keine Folge und präzisierte den Urteilspruch dahin, daß die Versehrtenrente ab 25. Jänner 1988 zu zahlen ist. Werde der Weg von der Wohnung zum Arbeitsplatz durch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen, um dann wieder fortgesetzt zu werden, so stehe die eigenwirtschaftliche Tätigkeit selbst nicht unter Versicherungsschutz, sondern nur wieder der im Anschluß daran fortgesetzte Arbeitsweg. Lasse sich eigenwirtschaftliche und betriebliche Tätigkeit auf dem Weg klar in Teile zerlegen, die jeweils bestimmten Aufgaben gedient habe, bestehe Versicherungsschutz nur für den betrieblichen Aufgaben dienenden Teil des Weges. Die Fahrtunterbrechung des Klägers habe einzig und allein der Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit seines PKW gedient, um mit diesem Fahrzeug anschließend - mangels einer anderen Möglichkeit den Arbeitsplatz rechtzeitig zu erreichen - die Fahrt fortzusetzen. Es sei nicht in Zweifel zu ziehen, daß es dem Kläger bei Benützung öffentlicher Vekehrsmittel nicht möglich gewesen wäre, den Besprechungstermin um 9.00 Uhr einzuhalten. Der Versuch, das Fahrzeug zur Ermöglichung einer Reparatur ein kurzes Stück abzuschleppen, dokumentiere auch nicht die Aussichtslosigkeit einer Reparatur. Es sei der erstgerichtlichen Rechtsansicht, daß das betriebliche Interesse bei dem sofortigen Reparaturversuch im Vordergrund gestanden sei, daher beizupflichten. Die Befestigung eines Abschleppseiles an einem PKW stelle auch keine unzumutbare Risikovergrößerung dar.

Rechtliche Beurteilung

Die wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobene Revision der beklagten Partei ist nicht berechtigt.

Arbeitsunfälle sind nach § 175 Abs. 1 ASVG Unfälle, die sich in einem örtlichen, zeitlichen und ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung ereignen. Gemäß § 175 Abs. 2 sind Arbeitsunfälle auch Unfälle, die sich auf einem mit der Beschäftigung nach Abs. 1 zusammenhängenden Weg zur oder von der Arbeits- oder Ausbildungsstätte ereignen. Dem Versicherten steht dabei die Art der Zurücklegung des Weges, insbesondere die Wahl des Verkehrsmittels frei (Brackmann Handbuch II 486 h I). Zutreffend hat das Berufungsgericht ausgeführt, daß danach grundsätzlich nur der direkte Weg von der Wohnung zum Arbeitsplatz in den Unfallversicherungsschutz einzubeziehen ist und daß dann, wenn dieser Weg durch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen wird, um dann wieder fortgesetzt zu werden, die eigenwirtschaftliche Tätigkeit selbst nicht unter Versicherung steht, sondern nur wieder der im Anschluß an diese eigenwirtschaftliche Tätigkeit fortgesetzte Arbeitsweg. Der eigenwirtschaftliche Charakter wird nicht schon dadurch ausgeschlossen, daß die eigenwirtschaftliche Verrichtung, die auf dem Arbeitsweg erledigt wird, in irgendeiner Beziehung zu der beruflichen Beschäftigung steht, sie muß vielmehr mit dieser im ursächlichen, zeitlichen und örtlichen Zusammenhang stehen. Grundsätzlich ist die Reparatur oder Bergung eines Fahrzeuges, auch wenn sie mit der betrieblichen Beschäftigung ursächlich zusammenhängt, als eigenwirtschaftliche Tätigkeit anzusehen (vgl. SSV-NF 2/55). In Ausnahmefällen besteht jedoch Versicherungsschutz bei Maßnahmen, die zur Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit des Beförderungsmittels dienen, wenn sie unvorhergesehen während der Zurücklegung des Weges von oder nach dem Ort der Tätigkeit notwendig werden und ohne sie der Weg nicht oder nicht zumutbar fortgesetzt werden kann. Ein innerer Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ist dann zu verneinen, wenn dem Versicherten zuzumuten ist, den Weg ohne das betriebsunfähige Beförderungsmittel, etwa zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln, fortzusetzen. Es ist auch zu berücksichtigen, ob die Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit nach Art und Zeitaufwand nicht in einem Mißverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen steht. Die Sofortmaßnahmen müssen sich auf das beschränken, was notwendig ist, um die Fortsetzung des gestörten Weges zu ermöglichen (vgl. auch Brackmann, Handbuch II 60. Nachtrag 486 h I, II; Lauterbach, Unfallversicherung3 I 47. Lfg. 268/2).

Im vorliegenden Fall dienten die vom Kläger nach der aufgetretenen Panne gesetzten Maßnahmen sowohl eigenwirtschaftlichen als auch betrieblichen Zwecken, wobei aber die betrieblichen Zwecke hier wesentlich waren und gegenüber den eigenwirtschaftlichen sogar überwogen. Aus der festgestellten Möglichkeit, den Arbeitsplatz mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen ergibt sich, daß der Kläger - ohne Einbeziehung des Weges von der Unfallstelle bis zum Bahnhof Kremsmünster, die zumindest 5 km betragen hätte - noch eine Strecke von insgesamt 4 km zu Fuß zurücklegen hätte müssen, davon 2,5 km vom Bahnhof Traun bis zur Postautobushaltestelle Traun im Laufen. Auch wenn man die pünktlichste Einhaltung des Zugfahrplanes annimmt, können 2,5 km in den zur Verfügung stehenden 18 Minuten nicht in normaler Gehgeschwindigkeit, sondern nur im Laufen bewältigt werden; und selbst unter diesen Prämissen wäre ein rechtzeitiges Eintreffen des Klägers zum Besprechungstermin bei seinem Arbeitgeber nicht möglich gewesen.

Gegenüber dieser unzumutbaren Variante bot, da der Kläger jedenfalls bis zu einer Überprüfung durch einen Fachmann davon ausgehen konnte, eine Reparatur könne kurzfristig erfolgreich sein, der Versuch einer Behebung des Schadens die Möglichkeit, den Besprechungstermin einzuhalten, jedenfalls aber wesentlich rascher und ökonomischer den Arbeitsplatz zu erreichen. Der beabsichtigte Aufwand zur Wiederherstellung der Betriebsfähigkeit stand somit in keinem Mißverhältnis zur Dauer des Weges im Ganzen, sondern war auch objektiv gesehen die beste Möglichkeit im betrieblichen Interesse. Worin aber, wie die Revisionswerberin meint, eine dem Versicherten anzulastende besondere Gefahrenerhöhung durch das Montieren eines Abschleppseiles gelegen sein soll, ist nicht ersichtlich. Ein Abschleppseil kann doch wohl am Fahrzeug nur dort angebracht werden, wo dieses fahruntüchtig geworden ist. Aus den Feststellungen und dem Strafakt gegen den Unfallenker Albert H*** ergibt sich, daß sich das Fahrzeug des Klägers am rechten Fahrbahnrand der Straße, nicht an einer uneinsichtigen Stelle befunden hat. Mit einem am Fahrbahnrand stehenden Fahrzeug muß aber jeder Fahrzeuglenker rechnen. Der Unfall war auf fahrlässiges, unvorschriftsmäßiges Fahren des Unfallenkers, der deshalb auch strafgerichtlich verurteilt wurde, zurückzuführen nicht aber auf ein ordnungswidriges, gefahrenerhöhendes Verhalten des Klägers. Im konkreten Fall ist daher davon auszugehen, daß der Versicherungsschutz des Klägers auf dem Arbeitsweg nicht unterbrochen war. Da die Höhe der Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 30 % der Vollrente unbekämpft ist, war der Revision insgesamt ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung beruht auf § 77 Abs. 1 Z 2 lit. a ASGG.

Anmerkung

E18182

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00155.89.0606.000

Dokumentnummer

JJT_19890606_OGH0002_010OBS00155_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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