TE OGH 1989/6/28 9ObA167/89

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.06.1989
beobachten
merken

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof. Dr. Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith und Dr. Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Martin Meches und Rudolf Randus als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Sigrid S***, geborene S***, Baden, Auf der Heide 1/1/4, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** S*** Gesellschaft mbH & Co KG, Wien 7, Mariahilferstraße 84/215, vertreten durch Dr. Wilhelm Klade, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 19.789,50 brutto sA (Streitwert im Rechtsmittelverfahren S 19.505,50 brutto sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 27. Jänner 1989, GZ 33 Ra 138/88-20, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 30. August 1988, GZ 22 Cga 1530/87-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 2.966,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (davon S 494,40 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin trat am 1. November 1983 zur Beklagten in ein Lehrverhältnis für die Ausbildung zur Chemielaborantin, das mit dem am 15. November 1983 (mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters der Klägerin) abgeschlossenen schriftlichen Lehrvertrag geregelt wurde. Da die Lehrzeit in diesem Lehrberuf dreieinhalb Jahr beträgt, endete die Lehrzeit, wie im Lehrvertragsnachtrag vom 18. Jänner 1984 vereinbart, am 30. April 1987. Die Klägerin hatte ihre Berufsschulpflicht (§ 20 SchPflG) in einer lehrgangsmäßig geführten Berufsschule in St. Pölten zu erfüllen. Sie wurde zu den einzelnen Lehrgängen (Klassen) jeweils von der Berufsschule einberufen und zwar zum zweiten Lehrgang (zweite Klasse) für die Zeit vom 7. Februar bis 29. März und vom 10. April bis 20. April 1985. Da sie diesen Lehrgang und damit das zweite Schuljahr nicht positiv abschloß, mußte sie als Voraussetzung für den Besuch der dritten Klasse der Berufsschule den zweiten Lehrgang wiederholen. Sie wurde daher in der Zeit vom 27. Jänner bis 19. April 1986 (mit Unterbrechungen) neuerlich zum Besuch der zweiten Klasse der Berufsschule einberufen und konnte diesmal den zweiten Jahrgang erfolgreich abschließen. In der Zeit vom 1. September bis 8. November 1986 besuchte die Klägerin erfolgreich die dritte Klasse der Berufsschule. Nach Beendigung ihres Lehrverhältnisses wurde sie von der Beklagten als Angestellte beschäftigt und schied auf ihren Wunsch mit 31. Juli 1987 aus dem Dienstverhältnis aus. Während der Zeit der Wiederholung des zweiten Lehrganges zahlte die Beklagte der Klägerin die Lehrlingsentschädigung voll weiter. Da sie aber nicht mit den Kosten für insgesamt vier Lehrgänge belastet werden wollte, "vereinbarte" der Geschäftsführer der Beklagten mit der Klägerin, daß sie während des Besuches der dritten Klasse der Berufsschule "unbezahlten Urlaub" nehmen sollte. Dieses Gespräch wurde von der Beklagten mit Schreiben vom 6. August 1986 wie folgt festgehalten:

"Für die Zeit vom 1. 9. 1986 bis 8. 11. 1986 (Besuch der Berufsschule) wird unbezahlter Urlaub vereinbart. Für diese Zeit entfallen sowohl das laufende Entgelt als auch die Sonderzahlungen. Bezüglich des gesetzlichen Urlaubes werden die für den Karenzurlaub nach dem Mutterschutzgesetz geltenden Rechtsfolgen der Urlaubskürzung sinngemäß vereinbart."

Die Klägerin lehnte die Unterfertigung dieses Schreibens mit dem Bemerken ab, daß sie sich zuerst nach der Rechtslage erkundigen wolle. Eine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters der Klägerin zu diesem Schreiben wurde nicht eingeholt.

Die Klägerin begehrt für die Zeit des Besuches der dritten Klasse der Berufsschule die Zahlung der Lehrlingsentschädigung samt aliquoten Sonderzahlungen in Höhe von S 19.789,50 brutto sA mit der Begründung, daß die Vereinbarung einer Bezugskürzung für diesen Zeitraum nicht zulässig gewesen sei.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, berief sich auf die mit der Klägerin getroffene Vereinbarung und behauptete, daß die Lehrzeit schon im September 1986 geendet habe. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im wesentlichen, nämlich mit einem Betrag von S 19.505,50 brutto sA, statt. Die Abweisung eines Mehrbegehrens von S 284,- ist in Rechtskraft erwachsen. Das Erstgericht traf die bereits eingangs wiedergegebenen Feststellungen. Es vertrat die Rechtsansicht, daß die Berufsschulpflicht bis zum Ende des Lehrverhältnisses, längstens aber bis zum erfolgreichen Abschluß der letzten lehrplanmäßig vorgesehenen Schulstufe dauere, so daß die Wiederholung des zweiten Lehrganges noch innerhalb der Zeit gelegen sei, für die das Gesetz die Berufsschulpflicht anordne. Gemäß § 27 Abs 1 SchUG sei die Klägerin berechtigt gewesen, die zunächst negativ abgeschlossene zweite Klasse der Berufsschule zu wiederholen. Durch diese Wiederholung habe die Klägerin nicht das Recht verloren, den Lehrgang für die dritte Schulstufe zu besuchen. Eine Vereinbarung, die den Lehrherrn von den dafür nach den gesetzlichen Bestimmungen aufzuwendenden Kosten befreie, sei gesetzwidrig und zudem mangels Zustimmung des gesetzlichen Vertreters der damals minderjährigen Klägerin rechtsunwirksam.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die Revision zulässig sei.

Gemäß § 9 Abs 5 BAG habe der Lehrberechtigte dem Lehrling, der zum Besuch der Berufsschule verpflichtet sei, die zum Schulbesuch erforderliche Zeit freizugeben und ihm allenfalls auch noch die die Lehrlingsentschädigung übersteigenden Kosten eines Internats zu ersetzen. Darauf folge, daß der Lehrling für die Zeit des Besuches der Berufsschule, soferne Schulpflicht bestehe, einen Entgeltanspruch habe; dieser Entgeltanspruch sei unabhängig davon, ob die Wiederholung einer Schulstufe erforderlich sei. Es komme nur auf die Dauer der Berufsschulpflicht an, soferne nicht das Lehrverhältnis aus einem der im § 15 Abs 3 BAG genannten Gründe vorzeitig aufgelöst werde. Mangels vorzeitiger Auflösung bestehe daher auch für die bis zur Erreichung des Lehrziels, erforderlichen Wiederholungen der Schulstufen innerhalb der Lehrzeit ein Anspruch auf Lehrlingsentschädigung. Die Regelung sei zwingend und könne nicht durch Vereinbarung eines unbezahlten Urlaubs abbedungen werden. Auf die Frage der Geschäftsfähigkeit der damals minderjährigen Klägerin komme es somit nicht mehr an. Die Beklagte bekämpft die Entscheidung des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die Klägerin beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Gemäß § 9 Abs 5 BAG hat der Lehrberechtigte dem Lehrling, der zum Besuch der Berufsschule verpflichtet ist, die zum Schulbesuch erforderliche Zeit freizugeben. Wenn die Kosten der Unterbringung und Verpflegung, die durch den Aufenthalt des Lehrlings in einem für die Schüler der Berufsschule bestimmten Schülerheim zur Erfüllung der Berufsschulpflicht entstehen (Internatskosten), höher sind als die dem Lehrling gebührende Lehrlingsentschädigung, hat der Lehrberechtigte dem Lehrling den Unterschiedsbetrag zwischen diesen Internatskosten und der Lehrlingsentschädigung zu ersetzen. Aus dieser Bestimmung hat das Berufungsgericht zutreffend abgeleitet, daß den Lehrberechtigten jedenfalls die Verpflichtung trifft, die dem Lehrling gemäß § 17 Abs 1 BAG zu leistende Lehrlingsentschädigung auch während des Besuches einer lehrgangsmäßigen Berufsschule (§ 49 Abs 2 lit b SchOG) weiterzuzahlen. Für die ganzjährigen Berufsschulen mit mindestens einem vollen Schultag oder mindestens zwei halben Schultagen in der Woche (§ 49 Abs 2 lit a SchOG) ergibt sich die Weiterzahlungspflicht ausdrücklich aus § 17 Abs 3 BAG. Danach ist die Lehrlingsentschädigung für die Dauer der Unterrichtszeit in der Berufsschule unter Ausschluß der Mittagspause weiterzuzahlen. Wie bereits zitiert, besteht die Weiterzahlungspflicht nur für Lehrlinge, die zum Besuch der Berufsschule verpflichtet sind (§ 9 Abs 5 BAG). Gemäß § 21 Abs 1 SchPflG beginnt die Berufsschulpflicht mit dem Eintritt in ein Lehrverhältnis und dauert bis zu dessen Ende, längstens aber bis zum erfolgreichen Abschluß der letzten lehrplanmäßig vorgesehenen Schulstufe der in Betracht kommenden Berufsschule an. Die Klägerin war daher bis zum Abschluß des dritten Lehrganges der Berufsschule am 8. November 1986 berufsschulpflichtig. Gemäß § 27 Abs 1 SchUG durfte sie, da sie in der zweiten Klasse zum Aufsteigen in die nächst höhere Schulstufe nicht berechtigt war, die betreffende Schulstufe wiederholen (die Bestimmungen des § 27 Abs 3 und 32 Abs 3 SchUG standen dem nicht entgegen).

Daß die Berufsschulpflicht der Klägerin bis 8. November 1986 bestand, bestreitet auch die Revisionswerberin nicht; sie meint aber, daß die Verpflichtung zur Freistellung des Lehrlings auf die zum Schulbesuch erforderliche Zeit beschränkt sei. Daraus ergebe sich im Zusammenhang mit § 9 Abs 7 BAG, der von der zur Ablegung der Lehrabschlußprüfung und der in den Ausbildungsvorschriften vorgesehenen Teilprüfungen erforderlichen Zeit spreche, daß die "zum Schulbesuch erforderliche Zeit" mit dem erstmaligen Besuch eines Lehrgangs verbraucht und der Lehrberechtigte zur Zahlung zusätzlicher Ausbildungskosten des Lehrlings nicht verpflichtet sei, zumal sich der Lehrling gemäß § 10 Abs 1 BAG zu bemühen habe, die für die Erlangung des Lehrberufs erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben.

Es ist daher die - vom Berufungsgericht zutreffend als erhebliche Rechtsfrage (§ 46 Abs 2 Z 1 ASGG) beurteilte - Frage zu prüfen, ob der Lehrling während der Zeit einer noch aufrechten Berufsschulpflicht Anspruch auf bezahlte Freizeitgewährung für die (schulgesetzlich zulässige) Wiederholung einer Schulstufe der Berufsschule hat, wenn er zum Aufsteigen in die nächst höhere Klasse nicht berechtigt ist.

Das ist - entgegen den Ausführungen der Revision - grundsätzlich zu bejahen. Gemäß § 10 Abs 1 BAG hat sich der Lehrling zu bemühen, die für die Erlernung des Lehrberufs erforderlichen Fertigkeiten und Kenntnisse zu erwerben. Das ist aber keine Erfolgsverbindlichkeit. Ebenso wie der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber (nur) eine auf Zeit abgestellte Arbeitsleistung und nicht einen bestimmten Arbeitserfolg schuldet, aber verpflichtet ist, seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten aufzubieten und die Arbeit so zu leisten, wie er sie ohne Schädigung seiner Gesundheit auf die Dauer nach seinem individuellen Leistungsvermögen erbringen kann (SZ 57/1 = JBl 1984, 625 = DRdA 1985, 389), ist auch der Lehrling im Rahmen des Lehrverhältnisses, das ein durch den Ausbildungszweck bestimmtes Arbeitsverhältnis besonderer Art ist, verpflichtet, seine geistigen und körperlichen Fähigkeiten zur Erlernung des Lehrberufes sowohl in der Berufsschule als auch am Lehrplatz aufzubieten. Das Nichterreichen des Lehrziels einer Schulstufe der Berufsschule ist daher, wenn der Lehrling seine Fähigkeiten aufgeboten hat und ihm insbesondere eine Verletzung von Pflichten des Schulpflichtgesetzes, die den Lehrberechtigten gemäß § 15 Abs 3 BAG zur vorzeitigen Auflösung des Lehrverhältnisses berechtigen würde, nicht vorzuwerfen ist, keine Verletzung des Lehrvertrages. Soferne der Lehrling nicht überhaupt unfähig wird, den Lehrberuf zu erlernen (§ 15 Abs 3 lit f BAG), kann nur eine subjektiv vorwerfbare Verletzung der Pflicht, die Berufsschule zu besuchen und sich dort die zum erfolgreichen Abschluß der Ausbildung notwendigen Kenntnisse anzueignen, auch zu einer vorzeitigen Auflösung des Lehrvertrages und allenfalls zum Entfall eines Entgeltanspruchs führen. Derartiges hat die Beklagte nicht einmal behauptet. Sie hat der Klägerin überdies die Lehrlingsentschädigung während der Zeit der Wiederholung der zweiten Klasse der Berufsschule voll weitergezahlt und erst später das Schreiben vom 6. August 1986 über die Gewährung "unbezahlten Urlaubs" verfaßt (wobei dahingestellt bleiben kann, ob zwischen den Streitteilen vor der Ablehnung der Unterfertigung des Schreibens der Beklagten vom 6. August 1986 durch die Klägerin überhaupt eine mündliche Vereinbarung zustandegekommen war), weil sie die Klägerin nicht für insgesamt vier Lehrgänge unter Weiterzahlung der Lehrlingsentschädigung freistellen wollte. Unter die "zum Schulbesuch erforderliche Zeit" ist daher auch die Wiederholung einer negativ abgeschlossenen Schulstufe zu subsumieren (Berger-Fida-Gruber, BAG 223) doch läßt sich die Lösung der Frage, ob für diese Zeit eine Pflicht zur Weiterzahlung der Lehrlingsentschädigung besteht, nicht allein aus den das Verhältnis des Lehrlings zur Schule regelnden einschlägigen schulrechtlichen Bestimmungen gewinnen.

Die Vereinbarung "unbezahlten Urlaubs" für eine Zeit, für die dem Lehrling nach dem Berufsausbildungsgesetz ein Anspruch auf Weiterzahlung der Lehrlingsentschädigung gebührt, verstößt gegen zwingende Bestimmungen. Die (behautpete) Vereinbarung ist daher unwirksam, so daß es auf die Frage der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters hiezu gar nicht ankommt. Die Klägerin steht daher für den Zeitraum vom 1. 9. 1986 bis 8. 11. 1986 die der Höhe nach gar nicht mehr bekämpfte Lehrlingsentschädigung samt aliquoten Sonderzahlungen und Urlaubsentschädigung zu.

Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Anmerkung

E17981

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:009OBA00167.89.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19890628_OGH0002_009OBA00167_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten