TE OGH 1989/9/12 10ObS245/89

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Veröffentlicht am 12.09.1989
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Kellner als weitere Richter sowie durch die fachkundigen Laienrichter Dr. Johann Herbst (AG) und Mag. Walter Holub (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Peter L***, Alliogasse 17, 1150 Wien, vertreten durch Dr. Rudolf Müller, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***, Friedrich

Hillegeist-Straße 1, 1021 Wien, vertreten durch Dr. Erich und Dr. Richard Proksch, Rechtsanwälte in Wien, wegen Weitergewährung der Waisenpension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24. April 1989, GZ 34 Rs 164/88-9, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 10. Mai 1988, GZ 6 Cgs 57/88-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, die Rechtssache wird zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen. Die Kosten der Berufung und der Revision sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung:

Mit Bescheid vom 23. Dezember 1987 wies die beklagte Partei den Antrag des Klägers auf Weitergewährung der Waisenpension über das vollendete 26. Lebensjahr hinaus ab.

Der Kläger begehrt in der Klage die Weitergewährung der Waisenpension bis längstens 31. Jänner 1990 mit dem Vorbringen, er studiere Veterinärmedizin, er habe seinen schwer kranken Vater während der letzten beiden Lebensjahre vor dessen Tod im April 1983 ständig betreut und gepflegt. Durch dieses unüberwindbare Hindernis habe sich sein Studium um zwei Jahre verzögert.

Das Erstgericht wies das Begehren des Klägers ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. Es stellte fest, daß der am 9. Jänner 1962 geborene Kläger das am 1. Oktober 1980 begonnene Studium der Veterinärmedizin noch nicht vollendet hat. Der Vorsitzende der Studienkommission hat mit Kundmachung vom 1. Februar 1988 mitgeteilt, daß eine Überschreitung der in den Studienvorschriften vorgesehenen Gesamtstudienzeit von zehn Semestern um sechs Semester im Studienbereich begründet und der Bezug von Familienbeihilfe bis einschließlich des 16. Semesters nach dem 25. Lebensjahr gerechtfertigt sei.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, Feststellungen darüber, ob der Kläger seinem Vorbringen entsprechend tatsächlich seinen Vater gepflegt habe seien entbehrlich, weil die Pflege eines kranken Elternteiles kein unüberwindbares Hindernis im Sinne des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG darstelle. Die Kundmachung über begründete Überschreitungen der Studienzeit, welche nur die Familienbeihilfe betreffe, sei erst ergangen, nachdem der Kläger das 26. Lebensjahr bereits vollendet habe. Auch bei einer analogen Anwendung dieser Bestimmung ergäbe sich eine Verlängerung der Kindeseigenschaft nur bis zum Ablauf des 16. Semesters, sohin bis Juni 1988. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers keine Folge. Auch wenn der Kläger tatsächlich seinen Vater durch zwei Jahre hindurch gepflegt habe, stelle eine notwendige und gebotene Pflege eines Elternteiles kein unüberwindbares Hindernis im Sinne des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG idF des Art. I Z 44 der 31. ASVG-Novelle dar. Nach den eigenen Behauptungen des Klägers sei neben ihm seine Mutter als vorrangig beistandspflichtige Ehegattin des Erkrankten vorhanden gewesen, sodaß den Kläger gegenüber seinem Vater eine unmittelbare Rechtspflicht zur Betreuung nicht getroffen habe, im übrigen wäre wegen der flexiblen Arbeitsmöglichkeiten die Studienkapazität nicht zur Gänze verbraucht und damit ein unüberwindbares Hindernis geschaffen worden. Dies könne auch aus dem Urlaubsgesetz BGBl. 1976/390, durch welches eine - nur

kurzfristige - Pflegefreistellung in der Höchstdauer von einer Woche pro Jahr geregelt worden sei, nicht abgeleitet werden. Letztlich sei eine gesetzlich geregelte durchschnittliche Gesamtstudienzeit nicht geeignet, im Einzelfall als unüberwindbares Hindernis zu gelten. Unter Anwendung von zumutbaren Anstrengungen (Abstimmen mit arbeitsfreien Zeiten der Mutter usw.) wäre dem Kläger die Beendigung des Studiums im gesetzlichen Rahmenzeitraum durchaus möglich gewesen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des gestellten Aufhebungsantrages berechtigt.

Durch das Sozialrechtsänderungsgesetz 1988, BGBl. 1987/609, wurde die Bestimmung des § 252 Abs 2 Z 1 ASVG neu gefaßt. Gemäß Art. VI Abs 13 SozRÄG 1988 ist § 252 Abs 2 Z 1 ASVG idF des Art. IV Z 10 leg cit in allen Fällen anzuwenden, in denen das Kind das 18. Lebensjahr nach dem 31. Dezember 1987 vollendet hat. Der Kläger ist am 9. Jänner 1962 geboren und hat damit das 18. Lebensjahr bereits vor dem 31. Dezember 1987 vollendet. Auf den vorliegenden Fall hat daher § 252 Abs 2 Z 1 in der vor dem Sozialrechtsänderungsgesetz geltenden Fassung weiterhin Anwendung zu finden.

Nach dieser Bestimmung besteht die Kindeseigenschaft auch nach Vollendung des 18. Lebensjahres, wenn und solange das Kind sich in einer Schul- oder Berufsausbildung befindet, die seine Arbeitskraft überwiegend beansprucht, längstens bis zur Vollendung des 26. Lebensjahres; zur Schul- oder Berufsausbildung zählt auch ein angemessener Zeitraum für die Vorbereitung auf die Ablegung der entsprechenden Abschlußprüfung und auf die Erwerbung eines akademischen Grades. Ist die Schul- oder Berufsausbildung durch die Erfüllung der Wehrpflicht, der Zivildienstpflicht, durch Krankheit oder ein anderes unüberwindbares Hindernis verzögert worden, so besteht die Kindeseigenschaft über das 26. Lebensjahr hinaus für einen der Dauer der Behinderung angemessenen Zeitraum. Wie der Oberste Gerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 10. Jänner 1989, 10 Ob S 3/89, darlegte, gab der Gesetzgeber für den Begriff des unüberwindbaren Hindernisses im Sinne des § 252 Abs 2 Z 1 aF ASVG dadurch einen Auslegungshinweis, daß er in der zitierten Gesetzesstelle Wehrpflicht, Zivildienst und Krankheit diesen Umständen gleichstellt. Ein unüberwindbares Hindernis ist jeder Umstand, der verhindert, daß das Kind eine Schul- oder Berufsausbildung rechtzeitig beginnt oder rechtzeitig vollendet und der trotz Aufbietung aller Anstrengungen nicht beseitigt werden kann, gleichgültig, worin das Hindernis bestehen mag. Verzögerungen in der Schul- oder Berufsausbildung des Kindes, die ihre Ursache in einer Willensentscheidung des Kindes haben, können nicht unter den Begriff des unüberwindbaren Hindernisses fallen (so auch Rundschreiben des BKA vom 31. Juli 1969, Zl. 92.202-3/69 zu § 17 Abs 2 PensionsG in ZACH, Pensionsgesetz 16. Ergänzung FN 20). An das Kriterium der Unüberwindbarkeit sind strenge Anforderungen zu stellen und es sind nur vom Willen des Betroffenen unabhängige, in dessen Person gelegene Hindernisse, die trotz aller Bemühungen nicht hatten beseitigt werden können, als die Kindeseigenschaft verlängernde Umstände anzuerkennen.

Der von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht, die Pflege eines schwer kranken nahen Angehörigen könne in keinem Fall als unüberwindbares Hindernis qualifiziert werden, kann daher in dieser allgemeinen Form nicht beigetreten werden. Es sind durchaus, wie auch das Oberlandesgericht Wien als damaliges Höchstgericht etwa in SSV 17/71, 18/110 und 23/82 ausgesprochen hat, Einzelfälle denkbar, in denen die Pflege eines nahen Angehörigen ein unüberwindbares Hindernis darstellen kann. Zu einer abschließenden Beurteilung, ob unter Anlegung eines strengen Maßstabes alle hiefür erforderlichen Kriterien gegeben sind, sind aber die konkreten Umstände des Einzelfalles maßgeblich. Es werden daher die Lebens- und Einkommensverhältnisse des Klägers und seiner Angehörigen ebenso zu erheben sein, wie Ausmaß und Umfang der erforderlichen Pflege. Dabei wird, wie schon das Berufungsgericht, allerdings ohne jedes Feststellungssubstrat ausgeführt hat, zu berücksichtigen sein, daß die primäre Pflicht zur Pflege der Ehefrau des Kranken zukommt und eine entsprechende Organisation der Pflege, die auf die Studienerfordernisse Rücksicht nimmt, auch durch Heranziehen einer Pflegeperson, denkbar ist. Finanzielle Gründe können die Verlängerung der Kindeseigenschaft jedenfalls so lange nicht rechtfertigen, als eine bescheidene Lebensgrundlage gesichert ist. Dabei ist auch zu berücksichtigen, daß durch das Studienförderungsgesetz, unter den dort näher geregelten Voraussetzungen, Anspruch auf Studienbeihilfe für die Dauer eines Hochschulstudiums eingeräumt wird und Anspruch auf Familienbeihilfe besteht. So lange eine andere zumutbare Pflegemöglichkeit besteht, stellt die Tatsache, daß einer achtenswerten sittlichen Verpflichtung, die auf einer freien Willensentscheidung des Kindes beruht, nachgekommen wird, aber noch kein unüberwindbares Hindernis im Sinne des Gesetzes dar, das eine Verlängerung der Kindeseigenschaft zu Lasten der Allgemeinheit rechtfertigen könnte. Die erforderlichen Feststellungen im aufgezeigten Sinn werden daher nachzutragen sein.

Die Entscheidung über den Vorbehalt der Berufungs- und Revisionskosten beruht auf § 52 ZPO.

Anmerkung

E18763

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1989:010OBS00245.89.0912.000

Dokumentnummer

JJT_19890912_OGH0002_010OBS00245_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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