TE OGH 1990/1/31 9ObA363/89

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Veröffentlicht am 31.01.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof.Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Petrag sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Martin Meches und Franz Ovesny als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei R*** Ö***, Bundesministerium für Inneres, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wider die beklagte Partei Max M***, Sicherheitswachebeamter, Ötz, Platzleweg 8, vertreten durch Dr.Georg Gschnitzer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 67.345,10 S sA (Revisionsstreitwert 35.000 S sA), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.September 1989, GZ 5 Ra 115/89-19, womit infolge Berufung beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Arbeits- und Sozialgericht vom 17.März 1989, GZ 46 Cga 235/88-10, teils bestätigt, teils abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei einen Betrag von 20.000 S samt 4 % Zinsen seit 26.Oktober 1988 binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Das Mehrbegehren von 47.345,10 S samt 4 % Zinsen seit 26.Oktober 1988 wird abgewiesen."

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.985,20 S bestimmten Kosten des Verfahrens erster und zweiter Instanz (darin 830,87 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Beklagte ist seit dem Jahre 1974 Sicherheitswachebeamter bei der Bundespolizeidirektion Innsbruck. Von 1983 bis zum gegenständlichen Vorfall war er ständig dem Wachzimmer Landhaus dienstzugeteilt. Bis 27.Februar 1987 verfügte er über eine herkömmliche Dienstwaffe, die mit einer Sicherungsvorrichtung versehen war. Anfang 1987 wurde die Polizei mit Dienstpistolen der Marke Glock 17 ausgestattet. Diese Waffen haben keine gegen unbeabsichtigtes Auslösen eines Schusses völlig sichernden Vorrichtungen und sind nach dem Laden sofort schußbereit. Mit diesem Vorteil der sofortigen Einsatzbereitschaft ist daher das Risiko verbunden, daß sich unbeabsichtigt ein Schuß löst. Am 27.Februar 1987 wurde der Beklagte vom zuständigen Waffenmeister im Zuge einer ca. eineinhalb Stunden dauernden theoretischen Schulung auf diese neue Dienstwaffe vorbereitet. Im Rahmen einer anschließenden praktischen Unterweisung feuerte der Beklagte bei verschiedenen Übungen mit der Pistole 50 Schuß ab. Die praktische Unterweisung umfaßte die Handhabung der Waffe, das Verwahren im Halfter, das Ziehen, das richtige Magazinieren, richtiges Verhalten beim Entladen udgl. Die an der Schießübung teilnehmenden Beamten wurden vom Waffenmeister ausdrücklich auf die Gefährlichkeit der keine Sicherheitsvorrichtung aufweisenden Waffe hingewiesen. Die schriftliche Dienstvorschrift über die Handhabung der Waffe wurde dem Beklagten erst im Frühherbst 1987 übergeben. Am 17.April 1987 trat der Beklagte um etwa 18.30 Uhr seinen Wachdienst im Landhaus Innsbruck an. Er war in guter körperlicher und seelischer Verfassung. Bei Dienstantritt schob der Beklagte ordnungsgemäß ein 16 Patronen enthaltendes Magazin in die Dienstwaffe ein, repetierte, sodaß sich eine Patrone im Lauf befand, und verwahrte die Waffe im Halfter an der rechten Körperseite. Nach 22.00 Uhr machte der Beklagte einen Kontrollgang und suchte danach Knuth H*** in der Portierloge auf. Der Portier interessierte sich für die neue Dienstwaffe des Beklagten. Er war als Milizangehöriger des Bundesheeres selbst vielfach zum Dienst mit der Waffe herangezogen worden. In der Absicht, Knuth H*** die Waffe zu zeigen, zog der Beklagte gegen 23.00 Uhr seine Dienstpistole aus dem Halfter, um sie zu entladen. Hiebei hielt er den Lauf in Richtung des Knuth H***. Beim Versuch, den Arretierungsknopf für das angesteckte Magazin zu drücken, geriet der Beklagte mit dem rechten Zeigefinger auf den Abzug, wodurch sich ein Schuß löste. Das Projektil traf Knuth H*** am rechten Handrücken und durchschlug die Hand. Knuth H*** erlitt einen Schußbruch des zweiten Mittelhandknochens.

Im Laufe der Jahre 1987 und 1988 kam es beim Gebrauch der Dienstwaffe Glock 17 durch Polizeibeamte wiederholt zu gefährlichen Situationen und Schadensfällen durch unbeabsichtigtes Auslösen von Schüssen. Der Beklagte wurde des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und Abs. 4 erster und zweiter Fall StGB schuldig erkannt. Er habe die gebotene und zumutbare Vorsicht beim Umgang mit einer scharf geladenen Faustfeuerwaffe, sohin unter besonders gefährlichen Verhältnissen, außer acht gelassen, indem er mit der Faustfeuerwaffe in unsachgemäßer Weise hantiert und außer acht gelassen habe, daß solche Waffen außer im Falle der Notwehr und der Notwendigkeit des Waffengebrauches nie gegen einen Menschen gerichtet werden dürfen.

Die nach dem AHG in Anspruch genommene klagende Partei leistete an die Tiroler Gebietskrankenkasse 34.609,34 S an Entgeltfortzahlung, Krankenbehandlungs- und Krankenpflegekosten. An Knuth H*** zahlte sie 55.000 S an Schmerzengeld, 5.000 S als Ablöse für allfällige künftige Ersatzpflichten und 1.597,95 S an Kosten rechtsfreundlicher Vertretung. Insgesamt leistete die klagende Partei einen Betrag von 96.207,27 S an Schadenersatz nach dem Amtshaftungsgesetz.

Das monatliche Nettogehalt des Beklagten beträgt 11.000 S (exklusive Sonderzahlungen) zuzüglich 2.000 S netto an Zulagen. Der Beklagte hat für drei schulpflichtige Kinder und seine nicht berufstätige Ehegattin zu sorgen. Aus einem anläßlich eines Hausbaues aufgenommenen Darlehens schuldet der Beklagte noch ca. eine halbe Million Schilling. Die Rückzahlungsraten betragen 4.100 S monatlich und zusätzlich 5.000 S vierteljährlich.

Die klagende Partei begehrt den Rückersatz von 70 % des von ihr geleisteten Schadenersatzes (67.345,10 S samt 4 % Zinsen seit Klagstag). Der Beklagte habe die primitivsten Vorsichtsmaßnahmen außer acht gelassen und keinen Grund gehabt, die Waffe zu ziehen. Der Beklagte beantragte Abweisung des Klagebegehrens. Im Gegensatz zu den bisher verwendeten Waffen müsse die gegenständliche Waffe nicht vor ihrer Verwendung entsichert werden und könne daher sehr leicht unbeabsichtigt losgehen. Wenn der Beklagte beim Versuch, das Magazin zu entfernen, versehentlich am Abzug angekommen sei, sei dies als entschuldbare Fehlleistung, äußerstenfalls als Versehen minderen Grades zu qualifizieren, sodaß eine Haftung des Beklagten nicht gegeben sei. Sollte das Gericht dennoch grobe Fahrlässigkeit annehmen, werde im Hinblick auf das geringe Gehalt des Beklagten eine entsprechende Mäßigung bzw. gänzliche Erlassung des Ersatzbetrages beantragt.

Das Erstgericht gab der Klage im Umfang eines Teilbetrages von 16.034,55 S sA statt und wies das Mehrbegehren ab. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß dem Beklagten grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei, weil er den Lauf der ungesicherten Schußwaffe gegen einen Menschen gerichtet habe. Die Dienstwaffe des Beklagten sei aber mangels Sicherheitsvorrichtung besonders gefährlich und für den Dienst des Beklagten beim Landhaus nicht erforderlich gewesen; darüber hinaus sei die Einschulung des Beklagten auf diese Waffe mangelhaft gewesen. Diese Umstände seien mit einem Mitverschuldensanteil der klagenden Partei von einem Drittel zu berücksichtigen. Ziehe man dieses Drittel vom begehrten Betrag ab, verbleibe ein Betrag von 44.896,72 S. Diesen Betrag mäßigte das Erstgericht unter Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse des Beklagten dahin, daß es hievon 30 % des Gesamtschadens von 96.207,27 S, das ergibt 28.862,18 S, in Abzug brachte. Das Berufungsgericht gab nur der Berufung der klagenden Partei teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß es der klagenden Partei einen Teilbetrag von 35.000 S samt Anhang zusprach. Es vertrat die Rechtsauffassung, daß es völlig unerheblich sei, ob der Beklagte beim Ziehen der Waffe daran gedacht habe, daß es sich um eine Waffe ohne Sicherheitsvorrichtung handle. Andernfalls würden völlig sorglose Menschen, die sich um das Wohl ihrer Mitmenschen überhaupt keine Gedanken machten, milder beurteilt als Menschen, die zwar mögliche Gefahren bedacht, aber im Einzelfall dennoch ein Risiko in Kauf genommen hätten. Der Beklagte habe grobe Fahrlässigkeit zu verantworten, weil Schußwaffen generell nicht in Richtung eines Menschen gehalten werden dürften; dies gelte um so mehr für Schußwaffen ohne Sicherung gegen ein unbeabsichtigtes Abdrücken. Darüber hinaus habe der Beklagte diese gefährliche Waffe ohne Notwendigkeit gezogen. Ein Mitverschulden der klagenden Partei sei nicht anzunehmen, weil von vorneherein nicht gesagt werden könne, daß im Dienst des Beklagten keine Situation eintreten könne, in der die rasche Schußbereitschaft der Waffe - auch für den Beklagten - von Vorteil sein könnte; auch könne nicht davon ausgegangen werden, daß die verhältnismäßig eingehende und umfangreiche Einschulung des Beklagten nicht ausreichend gewesen sei, um die gegenständliche Situation zu bewältigen. Im Rahmen der Ausübung des richterlichen Mäßigungsrechtes nach § 3 Abs. 2 AHG iVm § 2 Abs. 2 DHG sei vor allem auf das Ausmaß des Verschuldens des Dienstnehmers Bedacht zu nehmen. Das grobe Verschulden des Beklagten werde dadurch gemindert, daß der Beklagte die keine Sicherung gegen unbeabsichtigtes Abdrücken aufweisende Waffe erst verhältnismäßig kurze Zeit gehabt habe und sich daher innerlich möglicherweise trotz ausreichender Instruktion nicht ganz auf diese Waffe eingestellt habe. Entscheidend sei aber, daß das Wagnis des Beklagten - gerade mit einer Schußwaffe könnten sehr schwerwiegende Schäden angerichtet werden - bei Bemessung des vom Beklagten bezogenen Entgelts nicht soweit berücksichtigt worden sei, daß der Ersatz eines schuldhaft herbeigeführten Schadens zur Gänze oder überwiegend dem Beklagten angelastet werden könne. Es erscheine daher jedenfalls geboten, den Ersatzbetrag mit weniger als der Hälfte des entstandenen Schadens auszumessen. Unter Berücksichtigung des Grades des Verschuldens des Beklagten, seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, des Berufsrisikos und des Entgeltes des Beklagten sei ein Ersatzbetrag von 35.000 S angemessen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens, in eventu, im Sinne einer Abweisung des 20.000 S sA übersteigenden Mehrbegehrens abzuändern. Die klagende Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist teilweise berechtigt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht der Frage, ob der Beklagte beim Ziehen der Pistole daran gedacht habe, daß es sich um die neue Waffe Glock 17 gehandelt habe, keine Bedeutung beigemessen (§ 48 ASGG) und das Verhalten des Beklagten im Hinblick darauf, daß der Beklagte die Waffe ohne dienstliche Notwendigkeit aus dem Halfter nahm und sie beim Herausnehmen des Magazins gegen einen Menschen richtete, als grob fahrlässig im Sinn des § 3 Abs. 1 AHG qualifiziert. Obwohl keine Situation vorlag, in der der Beklagte zu plötzlichem Handeln gezwungen gewesen wäre - ganz im Gegenteil bestand für das Ziehen der Waffe keinerlei dienstliche Notwendigkeit - verstieß er gegen die primitivsten Sicherheitsregeln für den Umgang mit der Waffe.

Zutreffend hat das Berufungsgericht weiters bei Ausübung des Mäßigungsrechtes gemäß § 3 Abs. 2 AHG auf die in § 2 Abs. 2 DHG ausdrücklich angeführten Umstände Bedacht genommen, vor allem darauf, daß bei Bemessung des Entgeltes des Beklagten das mit der Tätigkeit verbundene Wagnis nicht entsprechend berücksichtigt wurde. Da die Aufzählung im § 2 Abs. 2 DHG ebenso wie die Verweisung auf die dort angeführten Umstände in § 3 Abs. 2 AHG ("dabei hat das Gericht insbesondere ... auf die in § 2 Abs. 2 DHG ... angeführten

Umstände ... ") demonstrativ ist (siehe Dirschmied, Dienstnehmerhaftpflichtgesetz, 69 f), ist auch auf weitere ähnlich berücksichtigungswürdige Umstände Bedacht zu nehmen, wie etwa die durch Sorgepflichten und sonstige Belastungen geminderte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des ersatzpflichtigen Organs (vgl. Dirschmied aaO, 81, Arb. 8.636, 8.985, 9.153, 9.771; zuletzt 14 Ob 115/86 sowie 14 Ob A 53/87). Unter Bedachtnahme auch auf die Belastung des Beklagten mit den Sorgepflichten für drei minderjährige Kinder und seine nicht berufstätige Gattin sowie mit der Darlehensrückzahlung im Zusammenhang mit dem Hausbau war der dem Beklagten aufzuerlegende Rückersatz unter den vom Berufungsgericht festgesetzten Betrag auf das vom Revisionswerber mit seinem Eventualantrag angestrebte Ausmaß zu mäßigen.

Der Revision war daher im Sinne des Eventualbegehrens teilweise Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens erster Instanz beruht auf den §§ 43 Abs. 1 und 50 ZPO; angesichts des Unterliegens der klagenden Partei mit mehr als zwei Drittel des geltend gemachten Anspruches erschien eine Anwendung des § 43 Abs. 2 ZPO nicht gerechtfertigt. Was die Kosten des Berufungsverfahrens betrifft, war letztlich von einem nahezu gänzlichen Mißerfolg beider Berufungswerber auszugehen, sodaß die Kosten der Berufungsbeantwortungen gemäß §§ 41, 43 Abs. 2 und 50 ZPO zur Gänze - dem Beklagten jedoch nur auf Basis des letztlich ersiegten Betrages von 47.345,10 S - zuzuerkennen, die Kosten der Berufungsverhandlung hingegen gemäß § 43 Abs. 1 ZPO der beklagten Partei entsprechend in ihrem Obsiegen zuzusprechen waren. Hingegen waren die Kosten des Revisionsverfahrens gemäß §§ 43 Abs. 1 und 2 und 50 ZPO gegenseitig aufzuheben.

Anmerkung

E19839

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:009OBA00363.89.0131.000

Dokumentnummer

JJT_19900131_OGH0002_009OBA00363_8900000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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