TE OGH 1990/3/21 13Os25/90 (13Os26/90)

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Veröffentlicht am 21.03.1990
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.März 1990 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kießwetter als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hörburger, Dr. Brustbauer, Dr. Kuch und Dr. Markel als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Wolf als Schriftführer, in der Strafsache gegen Annemarie H*** wegen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichtes beim Landesgericht für Strafsachen Graz vom 28.November 1989, GZ 10 Vr 1262/89-52, sowie über die Beschwerde der Angeklagten gegen den gleichzeitig mit diesem Urteil gefällten Beschluß auf Widerruf der mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. Jänner 1986, AZ 10 E Vr 4351/85, gewährten bedingten Strafnachsicht nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Tschulik, der Angeklagten Annemarie H*** und des Verteidigers DDr. Stern zu Recht erkannt:

Spruch

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird dahin Folge gegeben, daß die über Annemarie H*** verhängte Freiheitsstrafe auf zwölf Jahre herabgesetzt wird. Der Beschwerde wird nicht Folge gegeben.

Gemäß dem § 390 a StPO fallen der Angeklagten auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde die am 13.September 1950 geborene Prostituierte Annemarie H*** aufgrund des Wahrspruchs der Geschwornen des Verbrechens des Mordes nach dem § 75 StGB (Pkt. 1 des Schuldspruches) und des Vergehens nach dem § 36 Abs. 1 Z 1 WaffG (Pkt. 2 des Schuldspruches) schuldig erkannt. Darnach hat sie in Graz 1./am 31.Mai 1989 den Reinhold J*** durch einen

angesetzten Schuß aus einer Pistole mit dem Kaliber 9 mm in den Kopf getötet und

2./ vom 28. bis 31.Mai 1989, wenn auch nur fahrlässig, die zu 1./ genannte Pistole unbefugt besessen und zeitweise geführt. Die Geschwornen hatten die Hauptfrage I nach Mord im Stimmenverhältnis 7 : 1 und jene nach dem Vergehen gemäß dem § 36 Abs. 1 Z 1 WaffG (II) stimmeneinhellig bejaht; demgemäß entfiel eine Beantwortung der Eventualfrage III nach Totschlag gemäß dem § 76 StGB.

Der Schuldspruch wegen Mordes wird von der Angeklagten mit einer nur auf den Nichtigkeitsgrund der Z 6 des § 345 Abs. 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde, der Strafausspruch mit Berufung bekämpft. Mit Beschwerde ficht Annemarie H*** überdies den gemeinsam mit dem Urteil gefaßten Beschluß des Erstgerichtes auf Widerruf der mit dem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14.Jänner 1986, AZ 10 E Vr 4351/85, gewährten bedingten Strafnachsicht an.

Rechtliche Beurteilung

Zur Nichtigkeitsbeschwerde:

Die Beschwerdeführerin macht geltend, es hätten zur Hauptfrage I Zusatzfragen in Richtung Notwehr oder Notwehrüberschreitung gestellt werden müssen, weil sie sich in der Hauptverhandlung dahin verantwortet habe, daß sie von Reinhold J*** zum Tatzeitpunkt verbal und tätlich mit dem Tod bedroht worden sei und wegen der Unberechenbarkeit des Drohenden nicht habe abschätzen können, ob dieser plötzlich eine Waffe ziehen werde, nachdem er kurzfristig seine Hand an ihren Hals angelegt hatte.

Den Beschwerdeausführungen zuwider wurden (von der Angeklagten) in der Hauptverhandlung keine solchen Tatsachen vorgebracht, die, würden sie als erwiesen angenommen werden, die Strafbarkeit der Tat wegen rechtfertigender Notwehr ausschließen oder eine rechtliche Beurteilung der Tat als fahrlässigen Notwehrexzeß (aus asthenischen Affekten) nach dem § 80 StGB ermöglichen. Primäre Voraussetzung für Notwehr ist das Vorliegen eines gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriffes auf ein notwehrfähiges Gut. Auf eine derartige Angriffshandlung des Reinhold J*** hat sich die Rechtsmittelwerberin jedoch nicht berufen: Verantwortete sie sich doch dahin, daß sie vor ihrem damaligen Lebensgefährten "Angst" gehabt habe, dieser bei der der Tat unmittelbar vorangegangenen Auseinandersetzung gegen sie Morddrohungen ausgestoßen und ihr (zu deren Unterstreichung) an den Hals gegriffen habe (vgl. Bd. II, S 6, 7, 9 bis 13, 16 dA). Sie hat jedoch keinesfalls behauptet, dabei von J*** gewürgt worden zu sein oder sich angesichts dieser Drohungen und des Anfassens ihres Halses vorgestellt zu haben, es stehe ein tätlicher Angriff des Reinhold J*** auf ihr Leben oder auf ihre körperliche Integrität so unmittelbar bevor, daß Gegenwehr bereits sachlich geboten gewesen wäre (vgl. Nowakowski, WK, § 3 Rz 15). Durch ihr Vorbringen war demnach weder indiziert, daß Reinhold J*** seine Drohungen sogleich wahrmachen wollte und das kurzfristige Anfassen der Angeklagten am Hals bereits als Beginn eines tätlichen Angriffes anzusehen war, noch auch, daß die Angeklagte im Sinne einer Notwehrüberschreitung das Maß einer gerechtfertigten - hier allerdings gar nicht

erforderlichen - Verteidigung (etwa aus Angst) überschritten oder sich offensichtlich unangemessen verteidigt hätte. Auch dafür, daß sie irrtümlich eine Notwehrsituation angenommen hätte, bieten ihre Angaben keinen hinreichenden Anhaltspunkt.

Zu einer Fragestellung in Richtung Notwehr und fahrlässiger Notwehrüberschreitung (bzw. Putativnotwehr und Putativnotwehrexzeß) bestand sohin für den Schwurgerichtshof kein Anlaß, die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Zur Berufung:

Das Geschwornengericht verhängte über Annemarie H*** nach dem § 75 StGB unter Bedachtnahme auf den § 28 Abs. 1 StGB eine Freiheitsstrafe von vierzehn Jahren. Es wertete bei der Strafbemessung als erschwerend die mehrfachen, als einschlägig einzustufenden Vorstrafen wegen Delikten gegen Leib und Leben sowie das Zusammentreffen eines Verbrechens mit einem Vergehen, als mildernd hingegen das Tatsachengeständnis, den Umstand, daß sich die Angeklagte selbst gestellt hat, obwohl sie leicht hätte entfliehen können und die Tatsache, daß sie durch längere Zeit einem Druck des Getöteten, die Aufteilungsquote für die aus ihrer Prostitution erzielten Einnahmen zu ihrem Nachteil zu verändern, ausgesetzt war. Mit ihrer Berufung begehrt Annemarie H*** eine Herabsetzung der über sie verhängten Freiheitsstrafe (unter Anwendung des § 41 StGB), weil sie sich zur Tatzeit in einem psychischen Ausnahmezustand befunden und die Tat aus plötzlicher Bestürzung und Furcht begangen habe.

Dem ist zu erwidern, daß sich weder aus der Verantwortung der Berufungswerberin, noch aus dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Dr. Z*** Hinweise für ein Vorliegen dieser in der Berufung behaupteten mildernden Umstände ergeben. Allerdings geht aus dem erwähnten Gutachten hervor, daß die aktuelle Aggressivität der Angeklagten auf jahrelanges aggressives Verhalten des Getöteten und auf Demütigungen durch ihn zurückzuführen ist (S 49/II). Und es darf auch eine gewisse Provokation als unmittelbar tatauslösendes Motiv nicht übersehen werden (vgl. S 50/II). Unter Berücksichtigung dieser weiteren, der Täterin zugute kommenden strafmildernden Umstände erweist sich das vom Geschwornengericht gefundene Strafmaß als überhöht. Nach Ansicht des Obersten Gerichtshofes entspricht eine Freiheitsstrafe in der Dauer von zwölf Jahren dem Verschulden der Angeklagten und dem Unrechtsgehalt der von ihr zu verantwortenden Delikte. Insoweit war daher der Berufung Folge zu geben.

Zur Beschwerde:

Annemarie H*** wurde in den Jahren 1977 bis 1987 insgesamt zehnmal strafgerichtlich verurteilt. In sieben Fällen wurden Geldstrafen über sie verhängt, in zwei Fällen unbedingte Freiheitsstrafen. Eine dieser Freiheitsstrafen (AZ 7 E Vr 3481/79 des Landesgerichtes für Strafsachen Graz) wurde gemäß einer Entschließung des Bundespräsidenten bedingt nachgesehen, wegen erneuter Strafälligkeit mußte die festgesetzte Probezeit zunächst auf fünf Jahre verlängert und die Strafe später vollzogen werden. Mit Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 14. Jänner 1986, AZ 10 E Vr 4351/85 wurde die Genannte wegen der §§ 127 Abs. 1, 128 Abs. 1 Z 4 und 229 Abs. 1 StGB zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren - in der Folge verlängert auf fünf Jahre - bedingt nachgesehen wurde. Diese bedingte Strafnachsicht ist Gegenstand des angefochtenen Widerrufsbeschlusses.

Bei dem durch häufigen Rückfall gekennzeichneten Vorleben der Beschwerdeführerin ist dem Erstgericht entgegen der Beschwerdeansicht darin beizupflichten, daß in Anbetracht der abermaligen Straffälligkeit zusätzlich zur neuerlichen Verurteilung auch der Vollzug der in Rede stehenden Strafe geboten erscheint, um die Angeklagte von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen abzuhalten (§ 53 Abs. 1 StGB). Der Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluß war daher ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die bezogene Gesetzesstelle.

Anmerkung

E20192

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0130OS00025.9.0321.000

Dokumentnummer

JJT_19900321_OGH0002_0130OS00025_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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