TE OGH 1990/6/28 7Ob601/90

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Veröffentlicht am 28.06.1990
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Manuela R***, geboren am 27. August 1982, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgericht vom 15.März 1990, GZ 47 R 209/90-112, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom 31.Jänner 1990, GZ 7 P 136/88-106, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Punkt 1) des erstgerichtlichen Beschlusses wiederhergestellt wird.

Text

Begründung:

Das Bezirksjugendamt beantragte für die Minderjährige einen monatlichen Unterhalt von S 1.860 ab 7.2.1986 (ON 45). Dem Vater wurde eine Aufforderung zur Äußerung binnen 4 Wochen gemäß § 185 Abs.3 AußStrG zugestellt. Er äußerte sich nicht. Das Erstgericht entschied daher mit Beschluß vom 4.4.1986 im Sinne des Antrages des Bezirksjugendamtes (ON 51) und gewährte mit Beschluß vom 26.8.1986 der Minderjährigen gemäß den §§ 3 und 4 Z 1 UVG für die Zeit vom 1.6.1986 bis 31.5.1989 einen Unterhaltsvorschuß von S 1.860 monatlich (ON 57). Gemäß Punkt 1) des Beschlusses vom 31.1.1990 stellte das Erstgericht auf Antrag des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien die Vorschüsse rückwirkend mit 1.6.1986 ein (ON 106).

Nach den Feststellungen des Erstgerichtes leidet der Vater an einer Leberschädigung nach langdauerndem Alkoholmißbrauch und an einer chronischen Bronchitis. Er sieht schlecht, die Drehbewegung der linken Hand ist eingeschränkt. Er ist seit Juli 1984 arbeitsunfähig, die Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ist nicht zu erwarten. Eine ihm gehörige Liegenschaft hat der Vater verkauft und den Verkaufserlös zur Schuldtilgung verwendet.

Daraus folgerte das Erstgericht, daß mangels Leistungsfähigkeit des Vaters eine Unterhaltspflicht schon vor dem 1.6.1986 nicht mehr bestanden habe.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluß in seinem Punkt 1) dahin ab, daß es den Einstellungsantrag abwies. Nach der Auffassung des Rekursgerichtes sei eine rückwirkende Einstellung von Unterhaltsvorschüssen für bereits abgelaufene Vorschußperioden nicht möglich. Wegen der divergierenden Rechtsprechung der Gerichte zweiter Instanz zu dieser Frage sprach das Rekursgericht aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Wien ist aus dem vom Rekursgericht benannten Grund zulässig (vgl. EFSlg.57.576, 51.969, 43.894 bzw. EFSlg.54.832, 51.968 und 46.510/10); er ist auch berechtigt.

Unterhaltsvorschüsse sind nach § 20 Abs.1 Z 4 lit.b UVG auf Antrag oder von Amts wegen einzustellen, wenn nach § 7 Abs.1 die Vorschüsse zur Gänze zu versagen sind. Die Einstellung ist gemäß § 20 Abs.2, gegebenenfalls rückwirkend, mit Ablauf des Monats anzuordnen, in dem der Einstellungsgrund eingetreten ist. Nach § 7 Abs.1 Z 1 UVG hat das Gericht die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit in den Fällen der §§ 3, 4 Z 1 und 4 begründete Bedenken bestehen, daß die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht (noch) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist. Das Gesetz ordnet somit ausdrücklich eine rückwirkende Einstellung an und verwendet den Begriff der Vorschußperioden nicht. Der § 7 Abs.1 Z 1 UVG erhielt seine derzeitige Fassung durch das BG BGBl.1980/278. Er entspricht inhaltlich dem § 1 Abs.1 aF (276 BlgNR 15.GP 12). Diese Bestimmung trägt der Forderung Rechnung, einer mißbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvorschüssen einen Riegel vorzuschieben. Die Verknüpfung der Vorschüsse mit dem im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltsbeitrag birgt nämlich diese Gefahr in sich. Zu den Exekutionstiteln zählen auch Vergleiche, die vor Gerichten oder Jugendämtern geschlossen werden. In einem solchen Fall kann sich der Unterhaltsschuldner zu einem Unterhaltsbeitrag verpflichten, den er nach dem Gesetz gar nicht zu leisten hätte. Dies gilt auch dann, wenn sich der Unterhaltspflichtige gegenüber dem Gericht mit dem geforderten - überhöhten - Unterhaltsbeitrag ausdrücklich oder schlüssig einverstanden erklärt hat (5 BlgNR 14.GP 13 f). Dem § 20 UVG liegt die Erwägung zugrunde, daß dem Gericht, auch wenn die Unterhaltsvorschüsse jeweils nur auf bestimmte Zeit bewilligt werden, doch die Möglichkeit gegeben werden muß, die Vorschüsse auch vor Ablauf dieser Zeit aus bestimmten Gründen einzustellen. Diese Einstellung soll nicht erst mit der Beschlußfassung, sondern mit dem Eintritt des Einstellungsgrundes wirksam werden. Vorschüsse, die nach diesem Zeitpunkt geleistet werden, gelten als zu Unrecht gewährt, für ihren Ersatz gilt § 22 (5 BlgNR 14. GP 18 f). Nach der sich aus den Gesetzesmaterialien ergebenden Absicht des Gesetzgebers kann es nicht zweifelhaft sein, daß vom Einstellungsgrund des § 20 Abs.1 Z 4 lit b UVG auch der Fall umfaßt sein sollte, daß die Vorschüsse zur Gänze zu versagen gewesen wären, weil die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltsverpflichtung mangels Leistungsfähigkeit des Unterhaltsschuldners schon im Zeitpunkt der Gewährung der Vorschüsse nicht bestand und somit der materiellen Rechtslage nicht entsprach, und daß bei Vorliegen dieser Voraussetzungen die Einstellung rückwirkend angeordnet werden soll.

Die Vorschüsse sind nach dem Gesetz für eine bestimmte Dauer, höchstens für 3 Jahre zu gewähren (§ 8) und unter den im § 18 näher bezeichneten Voraussetzungen für jeweils 3 Jahre weiter zu gewähren. Auch im Falle der Weitergewährung handelt es sich um "laufende Vorschüsse" (vgl. 276 BlgNR 15.GP 14). Nur wenn keine Weitergewährung erfolgt, etwa weil die Frist des § 18 Abs.1 Z 1 nicht genützt wird, und dann aufgrund eines neuen Antrags Vorschüsse gewährt werden, liegt keine Fortsetzung der Vorschußgewährung vor (vgl. 5 BlgNR 15.GP 17). Fraglich ist somit lediglich, ob eine Einstellung der Vorschüsse dann noch in Betracht kommt, wenn die Zeit, für die die Vorschüsse gewährt (bzw. weitergewährt) worden sind, bereits abgelaufen ist, weil dieser Fall vom üblichen allgemeinen Wortsinn des Begriffes Einstellung nicht mehr erfaßt wird. Einstellen bedeutet im allgemeinen Sprachgebrauch und auch im Rechtsbereich die Beendigung eines laufenden Verfahrens oder einer noch zu erbringenden fortlaufenden Zahlung oder sonstigen Leistung (vgl. auch 5 BlgNR 14.GP 18). Aus der oben dargestellten Absicht des Gesetzgebers und der immanenten Teleologie des Gesetzes folgt aber, daß eine Gesetzeslücke für den Fall vorliegt, daß erst nach Ablauf der Zeit, für die die Vorschüsse gewährt oder weitergewährt worden sind, ein Grund zur gänzlichen Versagung nach § 7 Abs.1 Z 1 UVG offenkundig wird, die durch Analogie zu schließen ist. Der § 20 UVG ist daher für diesen Fall analog anzuwenden und die Vorschüsse sind rückwirkend einzustellen. Im vorliegenden Fall lag nach den Feststellungen ein Grund zur gänzlichen Versagung der Vorschüsse vor. Demgemäß ist dem Revisionsrekurs Folge zu geben.

Anmerkung

E21208

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1990:0070OB00601.9.0628.000

Dokumentnummer

JJT_19900628_OGH0002_0070OB00601_9000000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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