Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Fellner (Arbeitgeber) und Anton Korntheurer (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dr.Helene K*****, Pensionistin, ***** vertreten durch Dr.Karl Ludwig Vavrovsky und Dr.Ingrid Stöger, Rechtsanwälte in Salzburg, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt (Landesstelle Salzburg), 1200 Wien, Adalbert-Stifter-Straße 65, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram und Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 25.Juni 1991, GZ 12 Rs 41/91-18, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 22.November 1990, GZ 19 Cgs 63/90-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin hat die Kosten des Revisionsverfahrens selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist seit 1965 als Vertragsbedienstete beim Magistrat einer Stadt beschäftigt. Im Jahr 1979 wurde die "Dokumentationsstelle über das aktuelle Geschehen in der Stadt S*****" als Teil der Magistratsdirektion eingerichtet, die dem Magistratsleiter direkt unterstellt war und die Aufgabe hatte, alle Geschehnisse der Stadt S*****, aktuelle wie vergangene Ereignisse, aufzulisten und zu dokumentieren. Es sollten nicht nur Zeitungsberichte, sondern auch Rundfunkberichte gesammelt und zu Dokumentationszwecken aufbewahrt werden. Weiters sollten diverse Veranstaltungen mit relevantem Bezug, etwa auch politische Veranstaltungen mit einem bestimmten "Gewicht" besucht werden. Die Klägerin, die damals noch nicht Akademikerin war, wurde dem Leiter der Dokumentationsstelle zur Unterstützung zugeteilt. Im Februar 1988 trat der Verwaltungsgliederungs- und Aufgabenverteilungsplan des Magistrates der Stadt S***** (VAB) in Kraft. Die bisherige Dokumentationsstelle wurde in das neu geschaffene Archiv der Stadt S***** eingebunden. Mit dieser Neuordnung ging auch eine exakte Definierung des Aufgabenbereiches für die Klägerin einher. Der Aufgabenkreis sollte die Sammlung von gedruckten Materialien und Bildern und die Führung der Personenkartei umfassen und wurde ihr im Rahmen einer Dienstbesprechung im Oktober 1988 zur Kenntnis gebracht. Aufträge zum Besuch von politischen Veranstaltungen außerhalb der Dienstzeit umfaßte der Tätigkeitsbereich der Klägerin jedenfalls ab Februar 1988 nicht mehr.
Die Klägerin nahm am 7.November 1988 um 19.30 Uhr an einer Ausschußsitzung der SPÖ Bezirksorganisation S*****-Stadt, Sektion I***** West, teil, ohne hiezu einen dienstlichen Auftrag des Leiters des Archives erhalten zu haben. Sie hat ihren Vorgesetzten auch nicht vom Besuch dieser Veranstaltung in Kenntnis gesetzt. Im Rahmen dieser Ausschußsitzung war unter anderem ein Referat des seinerzeitigen Bürgermeister-Stellvertreters Gerhard B. zur Privatisierung der Linie 33 der S***** Verkehrsbetriebe vorgesehen. Prinzipiell wäre das Vorstellen eines Verkehrskonzeptes durch einen Politiker auch für das Archiv interessant gewesen; dies allerdings nicht in einem solchen Ausmaß, daß sich die Entsendung eines Mitarbeiters zu der Veranstaltung gelohnt hätte. Im Verlauf der genannten Sitzung wurde die Klägerin zum Telefon gerufen, weshalb sie vom
1. Stock in das Erdgeschoß gehen mußte. Dabei stürzte sie die Treppe hinab und erlitt Verletzungen, die zu einer stationären Krankenhausaufnahme führten.
Mit Bescheid der beklagten Allgemeinen Unfallversicherungsanstalt vom 30.4.1990 wurde der Unfall vom 7.1.1988 nicht als Arbeitsunfall iS des § 175 Abs 1 ASVG anerkannt, weil er sich nicht im Zusammenhang mit der betrieblichen Tätigkeit ereignet habe.
Die Klägerin stellte das Begehren, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, den genannten Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin die sich daraus ergebenden gesetzlich vorgesehenen Leistungen zu gewähren. Sie habe an der politischen Veranstaltung aus dienstlichen Gründen teilgenommen.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage. Für die Klägerin habe keinerlei dienstliche Notwendigkeit bestanden, an der Parteisitzung teilzunehmen, weshalb ein Arbeitsunfall nicht vorliege.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Der Unfall der Klägerin stehe in keinem Zusammenhang mit ihrer Beschäftigung als Mitarbeiterin der Dokumentationsstelle des Archives der Stadt S*****. Der Unfall habe sich außerhalb der Dienstzeit und ohne Auftrag des Vorgesetzten ereignet. Die Beurteilung der Frage, ob eine Tätigkeit, die den Unfall auslöste, einem vernünftigen Menschen als Ausübung einer Erwerbstätigkeit erscheine, sei nach den arbeitsrechtlichen Gesetzen und Verträgen, die den beruflichen Handlungsraum umschreiben, vorzunehmen. Unter Zugrundelegung des Aufgabenbereiches der Klägerin stelle sich die Teilnahme an einer Ausschußsitzung, zu der überdies nur Parteimitglieder geladen waren, nicht als Erwerbstätigkeit dar. Die bloße Absicht, eine betriebliche Tätigkeit auszuüben, begründe keinen Versicherungsschutz.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge. Es stellte ergänzend fest, daß der Vater der Klägerin damals geschäftsführender Sektionsobmann der Sektion I***** der SPÖ gewesen sei. Da die Klägerin gut maschinschreiben und stenografieren kann, habe er sie bisweilen mitgenommen und die Klägerin habe diverse Schreibarbeiten erledigt; sie sei "de facto" freie Mitarbeiterin dieser Sektion gewesen. Daraus ergebe sich eindeutig, daß die Klägerin als Parteimitglied an dieser im engen Kreis stattfindenden Sitzung im privaten Interesse teilgenommen habe. Die im § 175 Abs 1 ASVG für die Qualifikation als Arbeitsunfall geforderte Voraussetzung eines ursächlichen Zusammenhanges mit der Betriebstätigkeit sei nach objektiven Maßstäben zu beurteilen, die subjektive Ansicht des Versicherten, (auch) im dienstlichen Interesse zu handeln, löse keinen Versicherungsschutz aus. Angesicht des ab Februar 1988 genau umschriebenen Tätigkeitsfeldes der Klägerin und der damit einhergehenden Beschneidung ihrer früheren Selbständigkeit, die ihr gestellte Aufgabe nach eigenen Vorstellungen zu erfüllen, könne für einen objektiven Betrachter die außerhalb der Dienstzeit erfolgte Teilnahme an einer internen Parteisitzung nicht als im erforderlichen Zusammenhang mit der versicherungspflichtigen Beschäftigung angesehen werden. Aus der Neudefinition ihrer Tätigkeit ergebe sich, daß der Besuch der Parteisitzung nicht zu den dienstlichen Obliegenheiten der Klägerin zu rechnen sei, sondern ausschließlich ihrem Privatbereich zugeordnet werden müsse. Das Erstgericht habe daher mit Recht die Anerkennung des Unfalles als Arbeitsunfall abgelehnt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagsstattgebenden Sinne abzuändern oder aufzuheben.
Die beklagte Partei beantragte, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Im Vordergrund der Beurteilung, ob eine Unfallversicherungsschutz gewährende Erwerbstätigkeit vorliegt, stehen Ausübungshandlungen des Versicherten, das sind Handlungen, die durch zwei Bedingungen charakterisiert sind: Die Tätigkeit muß einem vernünftigen Menschen (objektiv) als Ausübung der Erwerbstätigkeit erscheinen und sie muß vom Handelnden (subjektiv) in dieser Intention entfaltet werden (Tomandl, SV-System 4.ErgLfg 279; SSV-NF 2/107, 2/143, 4/20, 4/32 ua). Für Verrichtungen, die sowohl privaten wie auch betrieblichen Interessen dienen - sogenannte gemischte Tätigkeiten - besteht Versicherungsschutz, wenn die Verrichtung im Einzelfall dazu bestimmt war, auch betrieblichen Interessen wesentlich zu dienen. Nur dann, wen für die unfallbringende Verrichtung im wesentlichen allein die privaten Interessen des Verletzten maßgebend sind, ist der Unfall kein Arbeitsunfall; die ebenfalls vorhandenen betrieblichen Interessen wären hier nur der Nebenzweck des Handelns. Daher steht auch eine gemischte Tätigkeit nur unter Unfallversicherungsschutz, wenn sie dem Unternehmen wesentlich dient (Brackmann, Handbuch der SV II
72. Nachtrag 480 q; Lauterbach, Unfallversicherung3 223/2, 230/5, 231; SSV-NF 3/150 = EvBl 1990/64, SSV-NF 4/32, 4/167; zuletzt 12.2.1991, 10 Ob S 30/91).
Nach den Feststellungen erfolgte die Teilnahme der Klägerin an der Ausschußsitzung einer Bezirksorganisation jener politischen Partei, der sie angehörte, außerhalb der Dienstzeit und ohne Kenntnis oder dienstlichen Auftrag ihres Vorgesetzten. Ihr Tätigkeitsbereich umfaßte jedenfalls nicht den Besuch von politischen Veranstaltungen außerhalb der Dienstzeit. Das für die Ausschußsitzung vorgesehene Referat des Bürgermeister-Stellvertreters wäre nach den Feststellungen für die Dienststelle der Klägerin nicht dermaßen interessant gewesen, daß sich die Entsendung eines Mitarbeiters gelohnt hätte. Die Klägerin war vielmehr als Tochter des damals geschäftsführenden Sektionsobmannes der politischen Partei freie Mitarbeiterin dieser Sektion, wobei sie gelegentlich bei Sitzungen Schriftführerdienste leistete. Damit stand aber ihre Teilnahme an dieser politischen Veranstaltung in keinem Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Beschäftigung als Vertragsbedienstete der Stadt S*****. Die Teilnahme an dieser politischen Veranstaltung lag daher nicht im Schutzbereich der Unfallversicherung. Daß die Klägerin möglicherweise der Ansicht gewesen ist, der Besuch der politischen Veranstaltung wäre auch im Interesse ihres Dienstgebers gelegen und damit durch die Zugehörigkeit zum Betrieb mitbedingt, ist nicht ausschlaggebend. Wenngleich es grundsätzlich genügt, daß der Versicherte von seinem Standpunkt aus, also subjektiv, der Auffassung sein konnte, daß die Tätigkeit den Interessen des Unternehmens zu dienen geeignet war, so wird doch vorausgesetzt, daß diese subjektive Meinung in den objektiv gegebenen Verhältnissen im Einzelfall eine ausreichende Stütze findet (vgl SSV-NF 2/143 mwN). Wie oben dargelegt, lag die Teilnahme der Klägerin an der politischen Veranstaltung objektiv nicht im Interesse ihres Dienstgebers. Darüber hinaus waren nach den Feststellungen aber auch keine ausreichenden objektiven Anhaltspunkte gegeben, welche die Annahme der Klägerin gerechtfertigt hätten, es handle sich um eine geschützte Berufsausübung. Im Vordergrund standen eindeutig private Interessen der Klägerin. Da weder behauptet noch festgestellt wurde, daß die Klägerin am Abend des Unfalltages, wenn auch nur vorübergehend, eine betriebliche Tätigkeit für die genannte politische Partei ausgeübt hätte, wie sie sonst ein nach § 4 ASVG Versicherter ausübt, ist auch ein Unfallversicherungsschutz nach § 176 Abs 1 Z 6 ASVG nicht in Erwägung zu ziehen. Die anwaltlich vertretene Klägerin hat sich auch in keinem Verfahrensstadium auf diese Gesetzesstelle gestützt.
Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Gründe, die einen Kostenersatz nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind aus dem Akt auch nicht erkennbar.
Anmerkung
E27636European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1991:010OBS00263.91.1008.000Dokumentnummer
JJT_19911008_OGH0002_010OBS00263_9100000_000