Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** Handels-Gesellschaft mbH & Co KG, ***** vertreten durch Dr.Wolfgang Kunert, Rechtsanwalt in Stockerau, wider die beklagte Partei F***** AG, Zweigniederlassung H*****, vertreten durch Dr.Wolfgang Lirk, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Leistung (Streitwert S 50.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Kreisgerichtes Korneuburg als Berufungsgerichtes vom 3.Dezember 1991, GZ 5 R 299/91-56, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Stockerau vom 29. Mai 1991, GZ 1 C 438/89-45, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das berufungsgerichtliche Urteil wird dahin abgeändert, daß das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 13.791,34 bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin S 1.798,54 Umsatzsteuer und S 3.000 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die klagende Partei ließ von der beklagten Partei auf ihrem Geschäftsgrundstück einen Zubau zum Betriebsgebäude errichten. Vereinbart wurde dabei unter anderem, der Neubau müsse statisch so bemessen sein, daß er um ein Geschoß aufstockbar ist.
Die klagende Partei begehrte zuletzt, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr in Verbesserung ihres werkvertraglichen Erfüllungsanspruches entweder die auf die Aufstockbarkeit des Bauwerks überprüften Schalungs- und Bewehrungspläne oder das Ergebnis einer Isotopenuntersuchung über die Tragfähigkeit der Unterzüge und Säulen des Zubaus zur Verfügung zu stellen. Die Aufstockbarkeit des Gebäudes sei eine ausdrückliche Bedingung im Bauvertrag zwischen den Streitteilen gewesen. Eine Aufstockung sei nur mit baubehördlicher Bewilligung möglich, diese werde aber nur bei Nachweis der Aufstockbarkeit durch Vorlage überprüfbarer Schalungs- und Bewehrungspläne oder einer Isotopenuntersuchung erteilt. Da die beklagte Partei solche Unterlagen nicht zur Verfügung gestellt habe, liege ein wesentlicher behebbarer Mangel vor.
Die beklagte Partei wendete dagegen ein, mit dem Werkvertrag sei zwischen den Streitteilen lediglich die Aufstockbarkeit vereinbart worden; diese Eigenschaft sei vorhanden und nachgewiesen. Die klagende Partei bzw der von ihr mit der Bauaufsicht betraute Architekt hätte niemals bemängelt, daß das vorgelegte Gutachten nicht ausreichend sei. Die vorhandenen Unterlagen reichten für die Erwirkung einer Baubewilligung jedenfalls aus.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt.
Es stellte fest, neben den entsprechenden technischen Vorschriften der ÖNORMEN seien die ÖNORMEN B 2061, B 2110, B 2111, B 2112 und B 2113 als gegenseitig einzuhaltende Richtlinien vereinbart worden. In einer Beilage zum Werkvertrag sei ausdrücklich festgehalten und von beiden Streitteilen akzeptiert worden, daß der neue Bau statisch so bemessen sein müsse, daß er um ein Geschoß aufstockbar ist. Der Zubau sei im Sommer 1987 fertiggestellt worden. Bei einer Besprechung am 10.9.1987 habe sich herausgestellt, daß die vorgelegte statische Berechnung falsch war, weshalb man unter anderem übereingekommen sei, daß die beklagte Partei binnen 14 Tagen richtige statische Unterlagen sowie Schalungs- und Bewehrungspläne vorlegen sollte, die sodann von einem bestimmten Zivilingenieur überprüft werden sollten. Schalungs- und Bewehrungspläne seien dem Zivilingenieur jedoch nicht vorgelegt worden, sodaß dieser seine Stellungnahme nur aufgrund einer von ihm auf deren theoretische Richtigkeit überprüfte statische Berechnung abgegben habe, ohne etwas über die tatsächliche Ausführung des Bauwerks aussagen zu können. Während der Bauführung habe der mit der Bauaufsicht betraute Architekt die statischen Berechnungen bei der beklagten Partei zwar immer wieder urgiert, diese Unterlagen seien jedoch nicht vorgelegt worden. Diese statischen Berechnungen seien erst nach Fertigstellung zur Verfügung gestellt worden. Die Schalungs- und Bewehrungspläne seien der klagenden Partei bisher überhaupt noch nicht ausgefolgt worden, die Aufstockbarkeit könne daher an Hand der vorhandenen Unterlagen, vor allem auch der vorgelegten statischen Berechnung, nicht beurteilt werden; die Übereinstimmung der Berechnung mit den Plänen habe deshalb nicht überprüft werden können, weil die Unterlagen bei der Ausführung dem aufsichtsführenden Architekten gleichfalls nicht zur Verfügung gestanden seien. Wolle die klagende Partei den Zubau aufstocken, müßten die Tragfähigkeit der Erdgeschoßdecke und die Übereinstimmung der Pläne mit der tatsächlichen Ausführung in bezug auf die Bewehrung für die Säulen und die Unterzüge nachgewiesen werden.
Rechtlich meinte das Erstgericht, die Bedingung der Aufstockbarkeit des Zubaus schließe auch die Verpflichtung der beklagten Partei ein, die zu deren Nachweis erforderlichen Unterlagen - die auf Übereinstimmung mit der Bauausführung überprüften Schalungs- und Bewehrungspläne oder das Ergebnis einer Isotopenuntersuchung der Unterzüge und Säulen - vorzulegen. Überdies könne das Urteilsbegehren auch auf eine bauvertragliche Nebenpflicht gestützt werden.
Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000 übersteige und die ordentliche Revision zulässig sei. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen als Ergebnis mängelfreien Verfahrens und unbedenklicher Beweiswürdigung und führte in Erledigung der Rechtsrüge aus, der Werkunternehmer habe das Werk so herzustellen, wie es der Werkvertrag vorsehe; spezielle Wünsche und Bedürfnisse des Bestellers müßten daher aus dem Werkvertrag ableitbar sein. Die klagende Partei habe ihr Begehren ausdrücklich auf Gewährleistung durch Verbesserung und nicht etwa auf eine später getroffene Vereinbarung gestützt. Nach dem Vertragstext hätte ein Bauwerk errichtet werden sollen, das bei Bedarf (einmal) aufgestockt werden könnte. Die Beistellung überprüfbarer Schalungs- und Bewehrungspläne lasse sich aus dem Vertragstext nicht unmittelbar ableiten. Ohne ausdrückliche Klarstellung habe der Unternehmer das Werk so auszuführen, wie es der Übung des redlichen Verkehrs entspreche. Dabei seien die jeweils anerkannten Regeln des für die Werkausführung erforderlichen Faches anzuwenden, im Bereich der Bauwirtschaft die anerkannten Regeln der Technik und Baukunst. Bei genauer Überprüfung des Werkvertrages nach diesen Grundsätzen könne weder eine Hauptpflicht noch eine selbständige Nebenpflicht des Werkunternehmers zur Ausfolgung von Bewehrungs- bzw Schalungsplänen festgestellt werden. Die Beistellung solcher Pläne sei somit nicht Inhalt des Werkvertrages. Sei deren Ausfolgung schon vom Erfüllungsanspruch nicht umfaßt, könne der Nachtrag dieser Leistung auch nicht im Rahmen der Gewährleistung durch Verbesserung verlangt werden, weil nur ausdrücklich Bedungenes oder üblicherweise Vorausgesetzes verbesserungsfähig sei. Daß die ausdrücklich bedungene Aufstockbarkeit nicht gegeben sei, habe die klagende Partei nicht bewiesen. Die Beistellung solcher Pläne möge tunlich gewesen sein, um dem bauaufsichtsführenden Architekten eine begleitende Kontrolle zu ermöglichen, das sei aber - wenn überhaupt - bloß Gegenstand einer unselbständigen Nebenpflicht gewesen, deren Verletzung jedoch nur Schadenersatzansprüche auslösen könne. Da die klagende Partei ihr Begehren jedoch "ausdrücklich und abschließend" auf Gewährleistung durch Verbesserung gestützt habe, müsse dessen Prüfung unter schadenersatzrechtlichen Gesichtspunkten unterbleiben. Das Klagebegehren stelle sich daher als Versuch dar, der beklagten Partei die Kosten für die Feststellung einer möglichen Schadensursache bei Aufstockung des Gebäudes anzulasten, das heißt einen Erkundungsbeweis durch den Vertragspartner finanzieren zu lassen.
Die dagegen von der klagenden Partei erhobene Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Sie stützt ihr (echtes) Alternativbegehren (vgl Fasching, LB2 Rz 1130) - auf Ausfolgung entweder der auf die Aufstockbarkeit des Zubaus überprüften Schalungs- und Bewehrungspläne oder des Ergebnisses einer Isotopenuntersuchung über die Tragfähigkeit der Unterzüge und Säulen des Bauwerks - auf die in den Bauvertrag zwischen den Streitteilen (Beilage A) unter 1. aufgenommenen "besonderen Bestimmungen", der Neubau müsse "so bemessen sein, daß er um ein Geschoß aufstockbar ist". Während das Erstgericht diesem Begehren stattgab, verneinte das Gericht zweiter Instanz dessen Berechtigung, weil die Beistellung von Schalungs- und Bewehrungsplänen durch die beklagte Partei nach dem Bauvertrag weder deren Haupt- noch deren unselbständige Nebenleistungspflicht sei; ob aus dem Vertrag eine unselbständige Nebenpflicht der beklagten Partei dieses Inhalts abgeleitet werden könnte, müsse dagegen ungeprüft bleiben, weil sich die klagende Partei in ihrem Vorbringen ausdrücklich auf Gewährleistungsansprüche festgelegt habe, die Verletzung solcher Nebenpflichten aber nur die Verpflichtung zum Schadenersatz auslöse. Dieses Auslegungsergebnis wird jedoch schon dem Vertragstext nicht gerecht:
Mit dem Bauvertrag (Beilage A) verpflichtete sich die beklagte Partei unter anderem ausdrücklich zur Herstellung eines statisch derart bemessenen Neubaus, daß dieser um ein Geschoß "aufstockbar" ist. Die Zusage der Aufstockbarkeit des Bauwerks kann aber schon bei wörtlicher Auslegung dieser Vertragsbestimmung (§ 914 ABGB) - eine vom Wortlaut abweichende Parteienabsicht wurde weder behauptet noch festgestellt - nur so verstanden werden, daß die beklagte Partei nicht nur - wie sonst - ein den anerkannten Regeln und Standards der Technik und Baukunst entsprechendes Gebäude aufzuführen (JBl 1984, 204 uva), sondern der klagenden Partei darüber hinaus die tatsächliche und rechtliche Möglichkeit der Aufstockung des Neubaus um ein weiteres Geschoß zu verschaffen hatte. Da die baubehördliche Aufstockungsbewilligung - wie von den Vorinstanzen, übrigens in Übereinstimmung mit dem Zweck des baupolizeilichen Verfahrens, festgestellt - nur bei entsprechendem Nachweis der Standfestigkeit des Bauwerks erteilt werden dürfte und dieser Nachweis naturgemäß nur bei Vorlage geeigneter statischer Berechnungen und dem Beweis deren Übereinstimmung mit der Bauausführung erbracht werden könnte, ist die werkvertragliche Leistungspflicht der beklagten Partei in einer diesen Umständen Rechnung tragenden Auslegung der schon mehrfach erwähnten Vertragsbestimmung nicht etwa nur auf die Übergabe eines (an sich) aufstockbaren Zubaus zu beschränken, sondern auf die Überlassung der für die Aufstockungsbewilligung erforderlichen statischen Berechnungen und Pläne auszudehen. Mangels Vorlage geeigneter statischer Nachweise, insbesondere der auf die Aufstockungsmöglichkeit überprüften Schalungs- und Bewehrungspläne für die tragenden Elemente des Zubaus, konnten die Vorinstanzen folgerichtig nicht einmal die bauvertraglich zugesicherte Aufstockbarkeit des Zubaus feststellen, weil die Übereinstimmung der tatsächlichen Ausführung mit den (an sich richtigen) statischen Berechnungen ohne diese Nachweise gar nicht überprüft werden kann.
Die Auslegung der Vertragsbestimmungen über den Umfang der bauvertraglichen Leistungspflicht der beklagten Partei findet ihre Stütze schon in deren Wortlaut (vgl Koziol-Welser, Grundriß I8 88). Sie wird aber auch durch die Bekundungen des vom Erstgericht beigezogenen Sachverständigen (ON 35, S. 5) untermauert, der Nachweis der - vertraglich
zugesicherten - Aufstockbarkeit sei nur dann erbracht, wenn erwiesen sei, daß die in der vorgelegten statischen Berechnung vorgesehene Armierung der tragenden Teile auch tatsächlich ausgeführt worden sei; die Beschaffung der Schalungs- und Bewehrungspläne sei aber im Zweifel Aufgabe des Werkunternehmers. Das Auslegungsergebnis wird aber auch noch durch eine weitere Erwägung bestätigt: Vertragsbestimmungen sind jedenfalls bei Bedachtnahme auf den redlichen Verkehr so zu deuten, daß ihr Verständnis den beiderseitigen Interessen gerecht wird, und ferner derart auszulegen, daß sie eine angemessene Berücksichtigung der Interessen der jeweiligen Gegenseite ermöglichen (Mayer-Maly in MünchK2 § 157 BGB Rz 5 und 6). Da die beklagte Partei die Aufstockungsmöglichkeit der klagenden Partei vertraglich zugesichert hatte, war sie jedenfalls genötigt, sich die erforderlichen Pläne und statischen Berechnungen vor Bauausführung zu beschaffen, weil sie sonst die zugesagte Standsicherheit des von ihr aufzuführenden Gebäudes nicht gewährleisten könnte, wogegen die klagende Partei - dürfte ihr die beklagte Partei diese Unterlagen vorenthalten - diese Berechnungen und Pläne erst anfertigen lassen müßte. Für die Verweigerung der Ausfolgung dieser Unterlagen, die der beklagten Partei - war sie ihren vertraglichen Verpflichtungen nachgekommen - keinen zusätzlichen Aufwand aufbürdete, könnten ihr deshalb keine schutzwürdigen Interessen zugebilligt werden, zumal diese Unterlagen nach der Fertigstellung des Zubaus für sie ohnehin keinen selbständigen Wert mehr haben können; dagegen wäre die klagende Partei, für die diese Unterlagen weiterhin von eminenter Bedeutung bleiben, zu beträchtlichen Aufwendungen gezwungen. Eine den beiderseitigen Interessen Rechnung tragende Auslegung der in Rede stehenden Vertragsbestimmung kann deshalb nur zum gleichen Ergebnis führen wie die weiter oben dargelegte wörtliche Auslegung dieser Bestimmung.
Für den Streitausgang unerheblich ist es, ob die Verpflichtung zur Ausfolgung der statischen Berechnungen und Pläne als Bestandteil der Hauptleistungspflicht der beklagten Partei oder als deren - auch unselbständige Nebenleistungspflicht beurteilt wird; auch solche Pflichten können selbständig eingeklagt werden (Koziol-Welser aaO 185f; vgl auch SZ 57/98). Soweit das Berufungsgericht die klagenden Partei auf - nicht geltend gemachte - Schadenersatzansprüche verweisen will, vernachlässigt es den für den Rechtsschutz solcher Pflichten bedeutsamen Unterschied zwischen auch unselbständigen Nebenleistungspflichten und vertraglichen Schutzpflichten, deren Übertretung in der Tat bloß Schadenersatzansprüche auslösen könnte (Koziol-Welser aaO 186).
Demnach erweist sich das Alternativbegehren - gegen die begehrte Alternative ("Isotopenuntersuchung") hat sich die beklagte Partei im erstinstanzlichen Verfahren nicht ausgesprochen - als berechtigt, sodaß das erstgerichtliche Urteil in Stattgebung der Revision der klagenden Partei wiederherzustellen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.
Anmerkung
E29141European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00563.92.0520.000Dokumentnummer
JJT_19920520_OGH0002_0010OB00563_9200000_000