TE OGH 1992/11/26 1Ob503/93

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Veröffentlicht am 26.11.1992
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Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Hofmann, Dr.Schlosser, Dr.Graf und Dr.Schiemer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des ***** 1979 geborenen Jan, und der ***** 1981 geborenen Janina B*****, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses des Vaters Dr.Karl B*****, vertreten durch Dr.Felix Spreitzhofer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgerichtes vom 9.September 1992, GZ 47 R 530/92-13, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Liesing vom 22.Juni 1992, GZ 1 P 79/90-8, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem außerordentlichen Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Dem Erstgericht wird eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

In dem vor dem Erstgericht abgeschlossenen Scheidungsfolgenvergleich vom 3.4.1990 vereinbarten die Eltern der beiden Minderjährigen, daß der Vater für diese einen monatlichen Unterhaltsbetrag von S 2.400,-- bzw S 2.100,-- , insgesamt daher S 4.500,--, zuhanden der Mutter zu bezahlen habe. Diesem Vergleich wurde ein monatliches Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters von S 18.800,-- zugrundegelegt. Der Vergleich wurde vom Erstgericht mit Beschluß vom 11.5.1990 (ON 3) pflegschaftsgerichtlich genehmigt.

Am 27.5.1992 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Sachwalter gemäß § 212 Abs 2 ABGB unter Hinweis auf das gestiegene monatliche Durchschnittsnettoeinkommen des Vaters von S 23.700,-- und erhöhte Bedürfnisse der beiden Minderjährigen ab 1.3.1992 eine Unterhaltserhöhung auf S 4.260,-- je Kind.

Das Erstgericht vernahm am 29.5.1992 die Mutter zu diesem Antrag (ON 6) und verfügte sodann die Ladung des Vaters mit "Rückschein blau unter Anschluß des Erhöhungsantrages binnen einer Woche, Dienstag oder Freitag von 8.00 Uhr bis 12.00 Uhr - Thema: Stellungnahme zum angeschlossenen Unterhaltsantrag. Wenn Sie der Ladung keine Folge leisten und eine Stellungnahme nicht abgeben, wird gemäß § 185 Abs 3 AußStrG angenommen, daß Sie keine Einwendung erheben" (ON 7). Diese Ladung wurde dem Vater (nach vergeblichen Zustellversuchen am 5. und 9.6.1992 mit Beginn der Abholfrist) am 10.6.1992 durch postamtliche Hinterlegung zugestellt.

Am 22.6.1992 faßte das Erstgericht einen dem Antrag entsprechenden Unterhaltserhöhungsbeschluß (ON 8) und verwies in dessen Begründung gemäß § 185 Abs 3 AußStrG darauf, daß der Vater gegen den Antrag keine Einwendungen erhoben habe. Der Beschluß langte am 23.6.1992 in der Geschäftskanzlei ein. Noch am 22.6.1992 war jedoch bereits ein Schriftsatz (des Rechtsvertreters) des Vaters mit ausführlicher Stellungnahme zum Unterhaltserhöhungsantrag beim Erstgericht überreicht worden, der nach einem Aktenvermerk des Rechtspflegers vom 23.6.1992 diesem erst nach Übergabe des Beschlusses ON 8 vorgelegt wurde. Der Rechtspfleger ordnete daraufhin am 23.6.1992 die Abfertigung des Beschlusses ON 8 an.

Der Vater erhob gegen den Unterhaltserhöhungsbeschluß Vorstellung und Rekurs. Das Erstgericht gab der Vorstellung nicht Folge und legte den Rekurs dem Rekursgericht vor. Dieses bestätigte den angefochtenen Beschluß und erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs für nicht zulässig. Es vertrat die Auffassung, daß der Vater unter Hinweis auf die Säumnisfolgen gemäß § 185 Abs 3 AußStrG zur Äußerung aufgefordert worden und dieser Aufforderung nicht rechtzeitig nachgekommen sei, sodaß das Tatsachenvorbringen des Antrags als zugestanden anzusehen sei. Die "verspätet" beim Erstgericht eingelangte Stellungnahme des Vaters habe daher nicht mehr berücksichtigt werden können. Im Sinne der herrschenden Rechtsprechung sei es dem Vater - von hier nicht als gegeben erachteten Ausnahmefällen abgesehen - verwehrt, im Rekurs Neuerungen in Form von dem Antrag widersprechenden Tatsachenbehauptungen vorzubringen.

Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorinstanzen haben unberücksichtigt gelassen, daß die am 22.6.1992 persönlich beim Erstgericht überreichte Stellungnahme des Vaters zum Unterhaltserhöhungsantrag zwar nach Ablauf der gesetzten Frist, jedoch noch vor dem Zeitpunkt einlangte, ab dem das Erstgericht an seine Entscheidung gebunden war. Während Dolinar, Österreichisches Außerstreitverfahrensrecht, Allgemeiner Teil, 140, die strikte Anwendung des § 416 Abs 2 ZPO auch im Verfahren außer Streitsachen befürwortet und demnach die Bindung des Richters an seine Entscheidung mit deren Abgabe zur Ausfertigung annimmt, hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß der Außerstreitrichter durch die Abgabe der Entscheidung zur Ausfertigung nicht in gleicher Weise wie der Streitrichter gebunden ist (SZ 38/147; JBl 1975, 210). Die Möglichkeit des Vorbringens von Neuerungen bzw die Verpflichtung zur amtswegigen Ermittlung des Sachverhaltes könne es geradezu geboten erscheinen lassen, einen Beschluß, der den Parteien gegenüber noch nicht wirksam geworden ist, zu reassumieren. Im vorliegenden Fall war aber die Bindung des Erstgerichts an seine Entscheidung im Zeitpunkt der Überreichung der Stellungnahme (am 22.6.1992) nicht eingetreten, da die Entscheidung erst am 23.6.1992 zur Ausfertigung in der Geschäftsstelle einlangte. Der Umstand, daß die Stellungnahme dem Rechtspfleger erst nach Abfassung und Übergabe seiner Entscheidung an die Kanzlei am 23.6.1992 vorgelegt wurde, muß angesichts des Zwecks der Vorschrift des § 185 Abs 3 AußStrG ebenso außer Betracht bleiben, wie die Tatsache, daß die Äußerung nicht in der (allerdings nur für das Erscheinen bei Gericht gesetzten) Frist von acht Tagen, sondern tatsächlich erst nach 12 Tagen erstattet wurde. Das gesetzgeberische Ziel des § 185 Abs 3 AußStrG ist es, in dringenden außerstreitigen Angelegenheiten eine Verfahrensbeschleunigung zu bewirken und möglichst rasch zu einer Sachentscheidung zu gelangen (EFSlg 37.470 mwN ua). Äußert sich nun der im Sinne des § 185 Abs 3 AußStrG zur Stellungnahme Aufgeforderte zwar nicht in der gesetzen Frist, aber noch vor der Entscheidung des Gerichtes, so dient seine Stellungnahme immer noch dem § 185 Abs 3 AußStrG zugrundeliegenden Gesetzeszweck. Die Stellungnahme hätte daher bei der Entscheidung des Erstgerichtes Berücksichtigung finden müssen.

Diese Erwägungen führen zur Aufhebung der Entscheidungen beider Vorinstanzen. Das Erstgericht wird sich im fortgesetzten Verfahren mit den in der Stellungnahme des Vaters erhobenen Einwendungen gegen den Unterhaltserhöhungsantrag auseinanderzusetzen und sodann erneut über diesen Antrag zu entscheiden haben.

Anmerkung

E34286

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:1992:0010OB00503.93.1126.000

Dokumentnummer

JJT_19921126_OGH0002_0010OB00503_9300000_000
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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