TE Vwgh Erkenntnis 2006/4/20 2003/01/0211

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Veröffentlicht am 20.04.2006
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Index

40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §32 Abs1;
AsylG 1997 §5 Abs1;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek und Dr. Pelant als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde des Bundesministers für Inneres gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. März 2003, Zl. 234.607/0-III/07/03, betreffend § 32 Abs. 2 Asylgesetz 1997 (mitbeteiligte Partei: E U, geboren 1986, bzw. auch E O, geboren 1970), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Begründung

Der Mitbeteiligte, seinen Angaben zufolge ein Staatsangehöriger von Nigeria, stellte am 31. Mai 2002 einen Asylantrag.

Mit Bescheid vom 27. Jänner 2003 wies das Bundesasylamt diesen Asylantrag ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG als unzulässig zurück. Das Bundesasylamt verband diese Entscheidung mit der Feststellung, für die Prüfung des Asylantrages sei gemäß Art. 6 und Art. 11 Abs. 4 des Dubliner Übereinkommens Italien zuständig, und mit der Ausweisung des Mitbeteiligten aus dem Bundesgebiet nach Italien.

Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung des Mitbeteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung gemäß § 32 Abs. 2 AsylG statt, behob den Erstbescheid und verwies die Angelegenheit zur neuerlichen Durchführung des Verfahrens und Erlassung eines neuen Bescheides an die Erstbehörde zurück.

Zur Begründung führte die belangte Behörde - zusammengefasst -

aus, eine Betrachtung des gesamten Akteninhaltes zeige, dass die Angaben des Mitbeteiligten vom 2. Oktober 2002 vor dem Bundesasylamt - die die Erstbehörde ihrer Entscheidung zu Grunde gelegt habe - jeglicher Glaubwürdigkeit entbehrten, weil der Mitbeteiligte bei dieser Einvernahme seine Identität und seine Reisebewegung erkennbar zu verschleiern versucht habe. Hingegen seien seine vor der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan am 28. Mai 2002 gemachten Angaben nachvollziehbar und plausibel; danach sei er von Marokko mit einem Boot nach Spanien eingereist, habe sich in Spanien vier Monate aufgehalten und sei dann über Italien nach Österreich weitergereist. Ein Vergleich der Angaben des Mitbeteiligten ergebe, dass seine Ausführungen vor der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan viel glaubwürdiger seien als jene vor dem Bundesasylamt. Regelmäßig komme Angaben von Asylwerbern bei ihrem Erstkontakt zu österreichischen Behörden höhere Glaubwürdigkeit zu als späteren. Anders sei etwa nicht erklärbar, warum der Mitbeteiligte das Protokoll bei der Bezirkshauptmannschaft habe unterfertigen können, während er vor dem Bundesasylamt später behauptet habe, Analphabet zu sein und seinen Namen nicht schreiben zu können. Aus diesen Erwägungen ergebe sich, dass Italien nicht der Staat sei, über den der Mitbeteiligte nachweislich von einem Drittstaat eingereist sei. Es sei vielmehr davon auszugehen, dass er von Marokko kommend die Grenze zu Spanien überschritten habe. Bezüglich Spanien aber wäre die Frist des Art. 11 Abs. 1 DÜ überschritten.

Über die gegen diesen Bescheid erhobene Amtsbeschwerde des Bundesministers für Inneres hat der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage durch die belangte Behörde in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Amtsbeschwerde sieht die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides darin, dass die belangte Behörde, ohne dies zu begründen, keine mündliche Berufungsverhandlung durchgeführt habe. Die nur nach dem Akteninhalt vorgenommene Umwürdigung der entscheidungswesentlichen Angaben des Mitbeteiligten sei auch nicht schlüssig. Die belangte Behörde habe die von fachkundigen Organen (des öffentlichen Sicherheitsdienstes) erkannte Totalfälschung des am 28. Mai 2002 vom Mitbeteiligten verwendeten spanischen Dokuments negiert. Für einen Aufenthalt in Spanien gebe es daher keine anderen Anhaltspunkte als zwei Sätze des Mitbeteiligten in seiner fremdenpolizeilichen Niederschrift. Die im angefochtenen Bescheid dargelegten beweiswürdigenden Erwägungen würden auch zu einem von der belangten Behörde nicht geprüften Widerspruch mit den Angaben des Mitbeteiligten zu seiner Identität und seinem Alter führen.

Damit zeigt der Beschwerdeführer eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf.

Die belangte Behörde hat, gegenüber den Feststellungen der Behörde erster Instanz, eine nur auf der "Betrachtung des Akteninhaltes" beruhende Umwürdigung der Angaben des Mitbeteiligten (Asylwerbers) über seinen Reiseweg bzw. Aufenthalt in Spanien vorgenommen, ohne mit ihm eine mündliche Verhandlung durchzuführen. Wenn die Berufungsbehörde erstmals und im Gegensatz zur Erstbehörde annimmt, die fremdenpolizeilichen Angaben des Mitbeteiligten vom 28. Mai 2002 vor der Bezirkshauptmannschaft St. Veit an der Glan seien viel glaubwürdiger als jene vom 2. Oktober 2002 vor der Erstbehörde, so hätte sie nicht (mangels jedweder Begründung dazu offenbar stillschweigend) davon ausgehen dürfen, der Sachverhalt sei im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG geklärt. In diesem Fall hätte die belangte Behörde auch in einem abgekürzten Berufungsverfahren nach § 32 Abs. 1 AsylG eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 11. November 1998, Zl. 98/01/0308, vom 25. November 1999, Zl. 98/20/0357, und vom 3. Juli 2003, Zl. 2000/20/0071). Da vorliegend dem erstinstanzlichen Bescheid nicht eine rein verfahrensrechtliche Wirkung zukam ist eine Ausnahme von der Verhandlungspflicht auch aus diesem Gesichtspunkt nicht vorgelegen (vgl. insoweit das hg. Erkenntnis vom 12. März 2002, Zl. 99/01/0439).

Im Übrigen ist dem Beschwerdeführer auch darin zuzustimmen, dass eine schlüssige Würdigung der Angaben des Mitbeteiligten eine Auseinandersetzung mit dem anlässlich seiner Festnahme am 28. Mai 2002 von ihm verwendeten Reisedokument erfordert hätte.

Die belangte Behörde hätte im vorliegenden Fall somit eine mündliche Berufungsverhandlung durchführen müssen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie in diesem Fall zu einer anderen Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben des Mitbeteiligten hätte kommen können.

Nach dem Vorgesagten war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Wien, am 20. April 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2003010211.X00

Im RIS seit

19.05.2006

Zuletzt aktualisiert am

31.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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