TE Vwgh Erkenntnis 2006/6/22 2006/19/0047

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Veröffentlicht am 22.06.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/19/0048

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß und die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. B. Trefil, über die Beschwerden 1. des R, geboren 1983, und

2. der I, geboren 1958, beide in S, vertreten durch Dr. Gerhard

O. Mory, Rechtsanwalt in 5110 Oberndorf, Kirchplatz 6, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 12. November 2002, Zl. 229.161/0-VII/43/02 und Zl. 229.160/0- VII/43/02, jeweils betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat jeder der beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von je EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Zweitbeschwerdeführerin und ihr Sohn, der Erstbeschwerdeführer, Staatsangehörige der russischen Föderation, reisten im November 2001 in das Bundesgebiet ein und beantragten Asyl, wozu sie am 26. Februar 2002 vor dem Bundesasylamt einvernommen wurden.

Das Bundesasylamt wies mit Bescheiden vom 17. Mai 2002 beide Asylanträge gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der beschwerdeführenden Parteien gegen die Bescheide des Bundesasylamtes - ohne Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung - gemäß § 7 AsylG ab. In einem weiteren Spruchpunkt erklärte sie jeweils die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien in die Russische Föderation für zulässig.

Dagegen richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof - nach ihrer Verbindung zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Den im Wesentlichen gleich lautenden, weitwendigen Beschwerden ist der Sache nach darin beizupflichten, dass die belangte Behörde ihre Entscheidungen auf der Grundlage von ihr übernommener mangelhafter Feststellungen und Beweiswürdigungen des Bundesasylamtes gefällt hat, die überdies - wie die Beschwerde ebenfalls mit Recht rügt - das Ergebnis eines mangelhaften erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens waren. Die beschwerdeführenden Parteien haben vor dem Bundesasylamt komplexe und sich über mehrere Jahre erstreckende Verfolgungsgeschehen beschrieben, deren Behandlung beim Bundesasylamt schon in den Einvernahmen zu kurz und oberflächlich blieb.

Die Sachverhaltsfeststellungen in den anschließenden Bescheiden des Bundesasylamtes entsprachen schon insofern nicht den gesetzlichen Erfordernissen, als sie nicht klar und widerspruchsfrei erkennen ließen, inwieweit den Behauptungen der beschwerdeführenden Parteien über das individuelle Verfolgungsgeschehen gefolgt werde. So scheint etwa in dem die Zweitbeschwerdeführerin betreffenden Bescheid (auf dessen Seite 23) zum Ausdruck zu kommen, die behauptete Entführung des Erstbeschwerdeführers werde nicht als glaubwürdig erachtet, wohingegen dem Erstbeschwerdeführer in dem ihn betreffenden Bescheid (auf dessen Seite 21) Schlussfolgerungen aus dem Verhalten der Polizei im Anschluss an seine Entführung entgegen gehalten werden und auch in der weiteren den Erstbeschwerdeführer betreffenden Beweiswürdigung (Seite 22 des ihn betreffenden Bescheides) davon ausgegangen wird, dass die Entführung stattgefunden hat.

Eine nähere Auseinandersetzung damit erübrigt sich, weil die belangte Behörde schon auf Grund der in der Berufungsergänzung geübten Kritik an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung eine mündliche Berufungsverhandlung durchzuführen und im Rahmen dieser Verhandlung den entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalt zu klären gehabt hätte (vgl. in diesem Zusammenhang das hg. Erkenntnis vom 12. Juni 2003, Zl. 2002/20/0336). Die Behauptung in den angefochtenen Bescheiden, die Berufungsergänzung habe "nur eine einzige Neuerung" enthalten, "nämlich dass die Anzeige ... nicht zurückgezogen worden sei", und dies sei "irrelevant", ist in mehrfacher Hinsicht unzutreffend. Zunächst handelt es sich nicht um eine Neuerung, weil das zu Protokoll genommene Vorbringen über die Zurückziehung der Anzeige noch im Verlauf der erstinstanzlichen Einvernahme zurückgenommen wurde. Gerade darauf stützte sich der Vorwurf des Bundesasylamtes, die Zweitbeschwerdeführerin habe "über einen solchen gravierenden Punkt unterschiedliche Angaben" gemacht. Wenn dieser Beweiswürdigung in der Berufungsergänzung mit dem Hinweis auf die offenkundigen (vgl. nur den in der Berufungsergänzung hervorgehobenen letzten Satz in der Einvernahme der Zweitbeschwerdeführerin) Übersetzungsmängel bei der erstinstanzlichen Einvernahme begegnet wurde, so konnte dies nicht "irrelevant" sein. Die belangte Behörde hat aber auch aktenwidrig darüber hinweggesehen, dass der erstinstanzlichen Beweiswürdigung in der Berufungsergänzung nicht nur in diesem einen, sondern in mehreren Punkten entgegengetreten wurde. Auch die Eventualausführungen der belangten Behörde über das "äußerst erfolgreiche" Agieren der Polizei und über interne Ausweichmöglichkeiten setzen sich über wesentliche Aspekte des erstinstanzlichen Vorbringens und über die entsprechenden Teile der Berufungsergänzung hinweg.

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 22. Juni 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190047.X00

Im RIS seit

21.07.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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