Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Kropfitsch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Ehmayr und Dr.Steinbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Wilhelm Hackl (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Bernhard M*****, vertreten durch Dr.Ernst Stolz, Dr.Sepp Manhart, Dr.Meinrad Einsle, Rechtsanwälte in Bregenz, wider die beklagte Partei Allgemeine Unfallversicherungsanstalt, Adalbert-Stifter-Straße 65, 1200 Wien, vertreten durch Dr.Vera Kremslehner, Dr.Josef Milchram, Dr.Anton Ehm, Rechtsanwälte in Wien, wegen Versehrtenrente, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 3.Juni 1997, GZ 25 Rs 45/97x-12, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 22.Jänner 1997, GZ 35 Cgs 84/96m-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahingehend abgeändert, daß sie zu lauten haben:
"Das Klagebegehren, es werde festgestellt, daß die auf das Ereignis vom 13.5.1995 zurückzuführenden Verletzungen und Unfallsfolgen Folgen eines Arbeitsunfalles seien, wird abgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten aller drei Instanzen selbst zu tragen."
Text
Entscheidungsgründe:
Der am 5.8.1970 geborene Kläger war im Sommersemester 1995 als ordentlicher Hörer der Studienrichtung Architektur an der Leopold-Franzens-Universität in Innsbruck inskribiert. Er mußte, um einen Abschlußschein der Lehrveranstaltung "Einführung in die Archäologie (mit Exkursion)" zu erhalten, an einer Exkursion teilnehmen. Diese führte vom 12.5. bis 14.5.1995 nach V*****. An der Exkursion, die ausschließlich Studienzwecken diente und unter der Leitung der Universitätsassistentin Dr.Astrid L***** stand, nahmen etwa 40 Studenten teil. Die Kosten wurden grundsätzlich von der Universität getragen. Zu diesen hatten die Studenten einen, der Höhe nach nicht festgestellten Beitrag zu leisten. Es ist nicht erwiesen, daß die Studenten das Exkursionsziel und die Abwicklung der Exkursion bestimmen konnten. Nach der gemeinsamen Fahrt nach V***** wurden die Studenten im Hotel "C*****" untergebracht. Bei der Auswahl der Unterkunft konnte der Kläger nicht mitbestimmen und auch nicht entscheiden, in welchem Zimmer er zu nächtigen hatte. Die Exkursionsleiterin wies den einzelnen Studenten die Zimmer zu. Der Kläger wurde gemeinsam mit zwei weiteren Kollegen in einem Zimmer im
3. Stock untergebracht, das straßenseitig ein Fenster aufwies. Nach einer Stadtbesichtigung, bei der Kulturdenkmäler begutachtet, deren geschichtlicher Hintergrund erklärt und die Möglichkeiten der Restauration der Denkmäler sowie die Ausgrabungsmöglichkeiten erläutert wurden, fand nach Bezug der Zimmer im Rahmen des offiziellen Teils der Exkursion noch bis 20.00 Uhr eine Besprechung des Programms für den nächsten Tag statt. Die Zwischenzeit konnten die Studenten "völlig selbst gestalten". Neben dem Ausruhen verwendeten die meisten Teilnehmer diese Zeit zum Essen, zu Besichtigungen in der Stadt und zu Geselligkeiten. Der Kläger aß nach 20.00 Uhr in einem Restaurant in V***** Salat und Pizza, wobei er zumindest ein alkoholisches Getränk - Wein oder Bier - konsumierte. Danach besichtigte er gemeinsam mit seinen Studienkollegen die Stadt, suchte gegen Mitternacht auch noch eine Bar in der Innenstadt auf und begab sich sodann in das Hotel zurück. Vor dem Abendessen war der Kläger jedenfalls noch nicht betrunken; bei der Rückkehr ins Hotel hatte er zumindest 2/8 bis 3/8 Wein getrunken. Ob er nach der Rückkehr ins Hotel auch dort noch alkoholische Getränke zu sich nahm, ist nicht erwiesen. Es steht auch nicht fest, wann er zu Bett ging. Etwa um 4.15 Uhr stürzte der Kläger aus dem geöffneten Fenster seines Hotelzimmers im 3. Stock auf die Straße und zog sich dabei schwere Verletzungen zu. Das Fenster wies eine Brüstung in einer Höhe von etwa 50 cm, berechnet von der Oberkante des Fußbodens, auf. Über der Brüstung waren in der Fensterleibung horizontal etwa 75 bis 80 cm über dem Fußbodenniveau zwei Eisenstangen eingebaut. Diese Stangen waren nicht senkrecht zur Innenkante der Brüstung eingemauert, sondern etwa 15 bis 20 cm Richtung Außenseite versetzt. Der Fußboden war mit einem polierten Parkett ausgelegt. Es steht nicht fest, daß der Kläger jemals Drogen konsumierte und Suizidabsichten hegte. Auch eine Abhängigkeit ist nicht erwiesen. Nicht festgestellt werden kann, wie es zum Sturz aus dem Fenster kam.
Mit Bescheid vom 9.4.1996 sprach die Beklagte aus, daß der Unfall vom 13.5.1995 nicht als Arbeitsunfall anerkannt wird. Ein Anspruch auf Leistungen aus Anlaß dieses Unfalles werde abgewiesen. Der Aufenthalt im Hotelzimmer und das Aufsuchen des Balkones sei dem eigenwirtschaftlichen Bereich zuzuordnen.
Der Kläger begehrt die Feststellung, daß der Unfall vom 13.5.1995 in V***** ein Arbeitsunfall im Sinne des § 175 Abs 4 und 5 ASVG sei, aus dem im gesetzlichen Ausmaß Leistungsansprüche bestünden.Der Kläger begehrt die Feststellung, daß der Unfall vom 13.5.1995 in V***** ein Arbeitsunfall im Sinne des Paragraph 175, Absatz 4 und 5 ASVG sei, aus dem im gesetzlichen Ausmaß Leistungsansprüche bestünden.
Die beklagte Partei beantragte die Klageabweisung.
Das Erstgericht erkannte im Sinne des Klagebegehrens.
In seiner rechtlichen Beurteilung führte das Erstgericht aus, daß das Schlafen während der Exkursion in V***** grundsätzlich als geschützte Tätigkeit anzusehen sei, weil zu dieser eigenwirtschaftlichen Tätigkeit wesentlich durch die Ausbildung bedingte Umstände hinzugekommen seien. Schüler und Studenten seien vor jenen Gefahren zu schützen, die sich für sie dabei ergeben, daß sie lebensnotwendige persönliche Bedürfnisse nicht zu Hause befriedigen könnten, sondern sie in einer ungewohnten Umgebung verrichten müssen. Es sei nicht erwiesen, daß der Kläger sich einer leicht erkennbaren Gefahr ausgesetzt oder für sich eine Gefahr geschaffen habe. Die nicht weitere Aufklärbarkeit gehe zu Lasten der Beklagten, sodaß dem auf Feststellung gerichteten Klagebegehren stattzugeben sei.
Das Gericht der zweiten Instanz bestätigte diese Entscheidung. In rechtlicher Hinsicht sei die versicherungsgeschützte Tätigkeit nicht ausschließlich auf das reine Schlafen beschränkt, sondern sei sinnvollerweise auch der unmittelbare Aufenthalt im Zimmer und etwa das Aufsuchen der Toilette oder das Öffnen oder Schließen eines Fensters mitgeschützt. Es bestünde auch ein wesentlicher innerer Zusammenhang mit der versicherungsgeschützten Ausbildung, weil die besondere durch die Ausbildung bedingte Gefahrenerhöhung nicht nur darin lag, daß der Kläger sich in einer ungewohnten Umgebung aufhalten und dort die Nacht verbringen mußte, sondern auch in der Beschaffenheit der Fensterbrüstung, die in Österreich üblicherweise 1,10 m hoch sein müßte. Durch die Zuweisung des Zimmers mit der besonderen Gefahrenlage sei die notwendige Kausalkette zwischen Ausbildung und Unfall gegeben. Selbst wenn man zum Unfallszeitpunkt noch eine leichte bis mittelgradige Alkoholisierung annehmen könnte, so wäre diese nicht als wesentliche Ursache des Fenstersturzes anzunehmen, die die besondere Gefahrenlage der mangelnden Absicherung in den Hintergrund drängen würde. Der Umstand, daß die Absturzursache nicht mehr genau rekonstruiert werden könne, könne nicht zu Lasten des Klägers gehen. Zumindest in Form eines prima facie-Beweises stehe fest, daß nicht nur die fremde Umgebung, sondern auch die besondere Art der Absicherung des Fensters den Absturz, der weder auf Drogen noch auf Suizidabsicht zurückzuführen sei, mitverursachte. Es sei daher mit Recht von einem Arbeitsunfall auszugehen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne einer Klageabweisung abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die klagende Partei beantragt, der Revision der Beklagten nicht Folge zu geben.
Die Revision ist berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
Nach Lehre und Rechtsprechung können Unfälle bei - an sich - eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, die unter einem ausbildungsbedingt erhöhten Risiko verrichtet werden, über das Mittel der Kausalitätsprüfung geschützt sein. Das Gesetz will auch Tätigkeiten schützen, die zur Erwerbstätigkeit nur insofern einen Zusammenhang aufweisen, als sie wegen der Erwerbstätigkeit (Ausbildung) zur Anwesenheit des Versicherten am Unfallort geführt haben, sodaß es zu einem Auftreffen sonstiger Kausalketten auf den Versicherten kommt (Firlei, Probleme des Schutzbereiches der Schüler- und Studentenunfallversicherung DRdA 1984, 98; SSV-NF 5/13 = ZAS 1992/6 [Winkler] = SZ 64/11 = RZ 1993/49; BSG in NZS 1996, 181). Der Zweck der sinngemäßen Anwendung des § 175 Abs 2 Z 7 ASVG auf Schüler und Studenten besteht darin, sie vor jenen Gefahren zu schützen, die sich für sie ergeben, wenn sie lebensnotwendige persönliche Bedürfnisse nicht zu Hause befriedigen können, sondern dies in einer ungewohnten Umgebung tun müssen (SSV-NF 7/118 = SZ 66/155 = EvBl 1994/35).Nach Lehre und Rechtsprechung können Unfälle bei - an sich - eigenwirtschaftlichen Tätigkeiten, die unter einem ausbildungsbedingt erhöhten Risiko verrichtet werden, über das Mittel der Kausalitätsprüfung geschützt sein. Das Gesetz will auch Tätigkeiten schützen, die zur Erwerbstätigkeit nur insofern einen Zusammenhang aufweisen, als sie wegen der Erwerbstätigkeit (Ausbildung) zur Anwesenheit des Versicherten am Unfallort geführt haben, sodaß es zu einem Auftreffen sonstiger Kausalketten auf den Versicherten kommt (Firlei, Probleme des Schutzbereiches der Schüler- und Studentenunfallversicherung DRdA 1984, 98; SSV-NF 5/13 = ZAS 1992/6 [Winkler] = SZ 64/11 = RZ 1993/49; BSG in NZS 1996, 181). Der Zweck der sinngemäßen Anwendung des Paragraph 175, Absatz 2, Ziffer 7, ASVG auf Schüler und Studenten besteht darin, sie vor jenen Gefahren zu schützen, die sich für sie ergeben, wenn sie lebensnotwendige persönliche Bedürfnisse nicht zu Hause befriedigen können, sondern dies in einer ungewohnten Umgebung tun müssen (SSV-NF 7/118 = SZ 66/155 = EvBl 1994/35).
In SSV-NF 5/13 (siehe oben) wurde ein Fall beurteilt, in welchem eine rund 13-jähriger Schüler bei einem Schulschikurs durch einen Sturz aus einem nicht gegen die Gefahr des Herabfallens während des Schlafes gesicherten Stockbett verletzt würde.
In der Entscheidung SSV-NF 7/118 handelt es sich um einen Schüler, der durch einen Stoß eines Mitschülers in einem Tagesschulheim verletzt wurde. Hier befand sich der Schüler innerhalb des organisatorischen Verantwortungsbereiches der von ihm besuchten Schule, sodaß der Aufenthalt mit der Schulausbildung in einem wesentlichen inneren Zusammenhang stand. Aber auch wenn der Schüler zum Unfallszeitpunkt beim Mittagessen gewesen wäre, wäre ihm Unfallversicherungsschutz zugekommen, weil er dann lebenswichtige persönliche Bedürfnisse nicht zu Hause befriedigen konnte, sondern dies in einer ungewohnten Umgebung tun mußte.
Der Unfallversicherungsschutz erstreckt sich nach der Grundintention des Gesetzes zwar auf jede Tätigkeit, die sich als Ausübung der Rolle des Schülers oder Studenten darstellt, aber grundsätzlich nicht auf die gesamte Dauer der Exkursion (SSV-NF 7/118, 8/108; 10 ObS 2123/96w). Eine dem privaten Bereich zuzuzählende Tätigkeit ist unter Umständen nur dann vom Versicherungsschutz umfaßt, wenn sie im Rahmen der Exkursion unter einem ausbildungsbedingt erhöhten Risiko erfolgte (SSV-NF 5/13, 8/108).
Der einzige Zusammenhang mit der geschützten Ausbildungstätigkeit ist im vorliegenden Fall die örtliche und zeitliche Komponente. Die Beweispflicht des Klägers nach den allgemeinen Regeln über die Beweislast umfaßt aber auch den ursächlichen Zusammenhang mit der die Versicherung begründenden Tätigkeit. Diese Feststellung fällt in den Tatsachenbereich (SSV-NF 6/72). Wie es zum Sturz aus dem Fenster kam, steht im vorliegenden Fall nicht fest.
Während bei einem Unfall, der im organisatorischen Zusammenhang mit der geschützten Tätigkeit steht, bei der Befriedigung lebenswichtiger Bedürfnisse im Rahmen dieser Tätigkeit ein Schutz bei aussbildungsbedingt erhöhtem Risiko gegeben sein kann, sind Zeiten, in denen persönliche Bedürfnisse anderer Art befriedigt werden, versicherungsfreie Unterbrechungen (Firlei aaO, 117).
Aus der Tatsache des am Exkursionsort eingetretenen Unfalles, dessen Ursache nicht feststeht, kann auch mittels des Anscheinsbeweises nicht der innere Zusammenhang mit der Rolle eines Studenten und einer allenfalls ausbildungsbedingt erhöhten Gefahrensituation abgeleitet werden (SSV-NF 5/140; 6/72). Das Berufungsgericht ist aufgrund des prima facie-Beweises zur Annahme gelangt, daß die fremde Umgebung und die besondere Art der Absicherung des Fensters Mitursache des Unfalles war. Damit ist aber der qualifizierte innere kausale Zusammenhang des Unfalles mit der Ausbildung dieses Studenten nicht hergestellt. Im Gegensatz zu der Entscheidungen SSV-NF 5/13 und 7/118 handelte es sich im vorliegenden Fall beim Kläger um einen im Unfallszeitpunkt erwachsenen Menschen. Es ist zu berücksichtigen, daß auch das Alter bei Beurteilung des Stellenwertes von Gefahrenmomenten nicht vernachlässigt werden kann und bei Erwachsenen ein strengerer Maßstab als bei Jugendlichen anzulegen ist (Dusak, Zur Wechselbeziehung von Schutzbereich und wesentlicher Bedingung in der Unfallversicherung ZAS 1990, 45; SSV-NF 8/108).
Daher ist selbst eine Differenz von rund 30 cm zu einer allerdings in Österreich üblichen Brüstungsabsicherung oder eine ungewohnte Umgebung bei einem Erwachsenen noch kein durch die Ausbildung verursachter besonderer gefährdender Umstand. Eine allgemein übliche Vorsicht beim Öffnen und Schließen eines Fensters bzw bei allfälligem Hinauslehnen ist gerade bei Erwachsenen überall zu erwarten. Es war daher keine besondere ausbildungsbedingte Gefahrenerhöhung durch die Eigentümlichkeit des Unfallortes gegeben.
Der im Unfallszeitpunkt im eigenwirtschaftlichen Bereich befindliche Kläger hat daher keinen Arbeitsunfall erlitten.
Da ein Klagebegehren auf Feststellung eines Arbeitsunfalles nur im Sinne einer Feststellung, daß die Gesundheitsstörung Folge eines Arbeitsunfalles war, zu verstehen ist (SSV-NF 8/14; 10 ObS 197/97m), war das Klagebegehren im Spruch der Entscheidung entsprechend zu modifizieren (SSV-NF 7/118).
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG.Die Kostenentscheidung gründet sich auf Paragraph 77, Absatz eins, Ziffer 2, Litera b, ASGG.
Anmerkung
E47878 10C02817European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:OGH0002:1997:010OBS00281.97I.1015.000Dokumentnummer
JJT_19971015_OGH0002_010OBS00281_97I0000_000