TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/19 2006/19/0064

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Veröffentlicht am 19.10.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;
49/01 Flüchtlinge;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
FlKonv Art1 AbschnA Z2;
VwGG §42 Abs2 Z1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des O in W, vertreten durch Dr. Saskia Leinschitz, Rechtsanwalt in 1040 Wien, Schelleingasse 14-16/4/7, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 16. Juli 2003, Zl. 224.152/0-VIII/22/01, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger der Ukraine, reiste im November 2000 in das Bundesgebiet ein und beantragte Asyl.

Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 2. März 2001 begründete er seinen Antrag mit Verfolgungen, denen er wegen seines Auftretens als baptistischer Prediger seit August 2000 in der Ukraine ausgesetzt gewesen sei. Außerdem habe er es im Sommer 2000 auf Grund seiner religiös-pazifistischen Überzeugung abgelehnt, einer Einberufung zu einer Waffenübung als Reserveoffizier nachzukommen.

Bei einer ergänzenden Einvernahme am 31. Mai 2001 gab der Beschwerdeführer an, inzwischen sei seine in der Ukraine verbliebene Ehefrau von den Leuten, die ihn aus religiösen Gründen verfolgt hätten, angegriffen worden. Die nichtregistrierte Baptistengruppe, der er angehöre, werde in der Ukraine auch vom Staat verfolgt. Die Möglichkeit, statt der Teilnahme an den militärischen Übungen einen Alternativdienst zu leisten, bestehe für den Beschwerdeführer als Reserveoffizier schon deshalb nicht, weil die diesbezügliche Regelung nur für den Grundwehrdienst gelte.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 7. September 2001 gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in die Ukraine gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es verwies den Beschwerdeführer hinsichtlich der geltend gemachten Privatverfolgung aus religiösen Gründen, die von der Miliz nicht unterbunden werde, für den Fall, dass man diesem Vorbringen folge, auf interne Ausweichmöglichkeiten, trat der Behauptung staatlicher Verfolgung von Baptisten mit dem Hinweis auf gegenteilige Berichte entgegen und erachtete das Vorbringen über eine Einberufung zu militärischen Übungen als unglaubwürdig.

In seiner Berufung gegen diese Entscheidung machte der Beschwerdeführer geltend, seine Baptistengemeinde sei in der Ukraine behördlichen Behinderungen ausgesetzt. Weiters wandte er sich gegen die Beweiswürdigung hinsichtlich seines Vorbringens betreffend die Einberufung zu militärischen Übungen und gegen die Ausführungen des Bundesasylamtes zu den von ihm vorgelegten Urkunden. Ergänzend brachte er vor, seine in der Ukraine verbliebene Ehefrau und die gemeinsame Tochter seien "aufgrund deren Zugehörigkeit zur Baptistengemeinde behördlichen Schwierigkeiten ausgesetzt".

In der Berufungsverhandlung am 4. Juni 2002, in der der Beschwerdeführer zunächst ausführlich zu seinen Fluchtgründen vernommen wurde, beantragte seine Vertreterin u.a. die Einholung eines Gutachtens des Universitätsprofessors Dr. Potz über näher bezeichnete Fragen betreffend die Situation für Baptisten in der Ukraine. Eine von diesem Gutachter verfasste, bereits vorliegende Kurzdarstellung der "kirchlichen Jurisdiktionen in der Ukraine" vom 26. September 2000 und andere die Ukraine betreffende Berichte wurden dem Beschwerdeführer vorgehalten.

Mit Faxschreiben vom 12. Juni 2002 nahm die Vertreterin des Beschwerdeführers zu diesen Unterlagen Stellung. Sie wies u. a. darauf hin, dass im Bericht des deutschen Auswärtigen Amtes vom 7. September 2001 über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine von einer sehr schlechten Menschenrechtslage die Rede sei und die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus religiösen Gründen an der (mangelnden) Umsetzung der Absichtserklärung der Regierung scheitere. Für das Delikt des Beschwerdeführers, der als ehemaliger Berufsoffizier nunmehr in der Reserve diene und die Annahme der Waffe verweigert habe, sei (gemeint: nach Punkt II.1.e des Berichtes) "die Mindeststrafe von fünf Jahren Gefängnis vorgesehen". Die Bedingungen in den Gefängnissen würden als lebensbedrohend dargestellt. Sowohl die Versorgung mit Lebensmitteln als auch die medizinische Versorgung seien unzureichend, es komme zu Misshandlungen. Die Zustände würden "als der Folter gleichwertig beschrieben". In Bezug auf die "Kurzdarstellung" betreffend die "kirchlichen Jurisdiktionen" brachte die Vertreterin des Beschwerdeführers vor, sie betreffe Konflikte zwischen der ukrainisch katholischen und der russisch orthodoxen Kirche, lasse aber den "staatskirchlichen Aspekt der orthodoxen Kirche" und zumindest vereinzelte Verbindungen zum organisierten Verbrechen und zum KGB erkennen, was die Verfolgung von Angehörigen evangelikaler Bewegungen wie der Baptisten fördere.

Das Bundesasylamt, das sich an der Berufungsverhandlung nicht beteiligt hatte, legte mit Schreiben vom 25. Juni 2002 "zum Beweis, dass in der Ukraine derzeit keine asylrelevante Verfolgung aus religiösen Gründen besteht", einen Zeitungsartikel aus der "Kyjiv-Post" vor.

Mit Schreiben vom 28. Februar 2003 übermittelte das Institut des von der belangten Behörde für das vorliegende Verfahren zum Sachverständigen bestellten Gutachters Dr. Potz ein "Länderkundliches Gutachten Ukraine (Baptisten)", das die belangte Behörde dem Bundesasylamt und der Vertreterin des Beschwerdeführers zur Stellungnahme übermittelte.

Die Vertreterin des Beschwerdeführers brachte in ihrer mit Faxschreiben vom 3. April 2003 eingebrachten Stellungnahme mit näheren Einzelheiten vor, aus dem Gutachten ergebe sich, dass der Beschwerdeführer "keinerlei staatlichen Schutz vor Übergriffen erwarten" könne, und das Gutachten bestätige hinsichtlich der Wehrdienstverweigerung durch Baptisten die Aussage des Beschwerdeführers. Dieser habe auch ein Dokument vorgelegt, das die Einleitung eines Verfahrens gegen ihn wegen Wehrdienstverweigerung beweise.

Das Bundesasylamt nahm zu dem Gutachten nicht Stellung.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab.

Sie erachtete die Angaben des Beschwerdeführers über seine Erlebnisse in der Ukraine als glaubwürdig und stellte u.a. fest, er sei in seinem Wohnort Charkiv zu Beginn des Jahres 2000 mit "den Baptisten" in Kontakt gekommen, habe diesen Glauben in der Folge ausgeübt und zum Beispiel in der Nähe einer orthodoxen Kirche gepredigt, wobei er sich gegen die Anbetung von Ikonen gewandt habe. Er sei deshalb "zunächst von Privatpersonen für den Fall, dass er mit seiner Missionierungsarbeit nicht aufhöre, (wohl zu ergänzen: damit bedroht worden, dass er) zusammengeschlagen werde" und weiters damit bedroht worden, dass "seine Tochter bzw. Frau vergewaltigt" werden würde. Im August 2000 sei er unter Hinweis auf die vorangegangenen Warnungen von zwei Personen mit Fäusten geschlagen und mit Füßen getreten worden. Die Polizei habe daraufhin sowohl den Beschwerdeführer als auch die Täter festgenommen und verhört, mit den Tätern ein "präventives Gespräch" geführt und eine Anzeige aufgenommen. Im September 2000 habe sich ein "ähnlicher Vorfall" ereignet. Nach einer vom Beschwerdeführer vorgelegten Urkunde sei jedoch gemäß Artikel 6 des ukrainischen Strafgesetzbuches (zu ergänzen: kein Strafverfahren gegen die Angreifer eingeleitet worden). Im Sommer 2000 habe der Beschwerdeführer, der bis 1989 Berufsoffizier der Roten Armee gewesen sei, auf eine Einberufung als Reserveoffizier erklärt, er sei Pazifist und nehme keine Waffe mehr in die Hand. Daraufhin sei ihm "eine Gerichtsverhandlung angedroht worden". Im November 2000 sei er mit einem Touristenvisum nach Österreich gekommen.

Darüber hinaus traf die belangte Behörde Feststellungen zur Lage in der Ukraine, im Besonderen betreffend die Freiheit der Religionsausübung für die im Einzelnen sehr unterschiedlichen, teils registrierten und teils nicht registrierten baptistischen Gemeinden. Von einer "generellen Verfolgungssituation" für baptistische Gemeinden könne nicht ausgegangen werden. Die Tätigkeit einer Glaubensgemeinschaft sei auch ohne staatliche Registrierung "durchaus legal". Es bestehe jedoch ein vergleichsweise hohes Spannungspotential zwischen den Religionsgemeinschaften, was auch zu "handgreiflichen Auseinandersetzungen" führe. Wenn auch nicht von einem generellen Untätigsein der Behörden ausgegangen werden könne, so sei deren Verhalten doch u.a. dadurch bestimmt, dass "Behördenorgane Druck einflussreicher Repräsentanten der großen Kirchen ausgesetzt" seien. Das Gesetz über den Wehrersatzdienst von 1991, das auf Grund eines Kabinettsbeschlusses u.a. auch "auf Baptisten anzuwenden" sei, sehe die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen vor, "allerdings nur auf Basis religiöser Gründe und nur für Angehörige offiziell registrierter religiöser Gemeinschaften". In der "Sowjetunion" habe "der Offizier der Reserve" nicht unbedingt eine Militärkarriere "impliziert". Akademiker, die "einen militärischen Rang mit einer gewissen Automatik" erreicht hätten, könnten sich "faktisch relativ leicht den Einberufungen von (gemeint: zu) Übungen entziehen, wenn es auch dafür keine gesetzliche Basis gibt".

Auf dieser Tatsachengrundlage sowie nach allgemeinen Rechtsausführungen zum Flüchtlingsbegriff und zur Religionsfreiheit vertrat die belangte Behörde schließlich (auf den Seiten 40 und 41 des angefochtenen Bescheides) für den Fall des Beschwerdeführers die Rechtsansicht, eine asylrelevante Verfolgung des Beschwerdeführers wegen dessen "Verkündungstätigkeit" sei zu verneinen, weil er selbst durch die an orthodoxe Gläubige gerichtete Aufforderung, nicht mehr Ikonen anzubeten, die Grenzen der Freiheit der Religionsausübung überschritten habe und in Bezug auf die Angriffe, die er deshalb habe erleiden müssen, auch keine "Untätigkeit" des Staates vorliege. Ein "lückenloser Schutz" könne nicht erwartet werden.

In Bezug auf die Weigerung des Beschwerdeführers, an militärischen Übungen teilzunehmen, verwies die belangte Behörde (auf den Seiten 41 und 42 des angefochtenen Bescheides) auf die "jüngste Rechtssprechung" des Verwaltungsgerichtshofes, der im Erkenntnis vom 21. September (richtig: 21. Dezember) 2000, Zl. 2000/01/0072, einer Desertion im Zusammenhang mit einem Krieg, in dem ethnische Säuberungen erfolgten und bei dem "die Desertion als eine unterstellte politische Gesinnung ausgelegt würde", Asylrelevanz zuerkannt habe. Insbesondere sei im Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0360, "eine Weigerung, an Militäreinsätzen gegen die Zivilbevölkerung teilzunehmen, als asylrelevant angesehen" worden. Derartige Einsätze müsse der Beschwerdeführer aber nicht befürchten.

Darüber hinaus bestehe nach dem eingeholten Gutachten "in der Ukraine die Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen ausdrücklich auch für Baptisten". "Wenn man" im vorliegenden Fall zur "Auffassung" gelange, beim Beschwerdeführer komme dies wegen des Umstandes, dass er einer nicht anerkannten Gemeinde angehöre, "nicht in Frage", so sei "zunächst darauf zu verweisen", dass er sich über den für alle Staatsbürger (gemeint offenbar: der damaligen Sowjetunion) obligatorischen Wehrdienst hinaus "freiwillig als Offizier weiter zu militärischen Übungen im Reservestand verpflichtet" habe. Nach "einer Judikatur" der belangten Behörde - zu deren Nachweis im angefochtenen Bescheid Entscheidungen des Bescheidverfassers und eines weiteren Mitgliedes der belangten Behörde angeführt sind - müsse "die Verfolgung ... mit zumindest 50 + x % drohen". Eine "derartige Wahrscheinlichkeit" sei "nach dem zitierten Sachverständigengutachten jedenfalls nicht anzunehmen, wenn schon alle anderen Voraussetzungen (Ersatzdienst!) im vorliegenden Fall bei Annahme eines Worst Case Szenario nicht eintreffen". Auch die religiös begründete Weigerung, an weiteren militärischen Übungen teilzunehmen, sei im vorliegenden Fall daher "nicht asylrelevant".

Schließlich begründete die belangte Behörde noch ihre für die Entscheidung gemäß § 8 AsylG maßgebliche Ansicht, dem Beschwerdeführer drohe im Zusammenhang mit der Verweigerung der Teilnahme an militärischen Übungen keine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung. Dem Gutachten sei "zu entnehmen, dass sich Offiziere der Reserve faktisch relativ leicht lange der Einberufung von militärischen Übungen entziehen können und daher für den Fall, dass sie (gemeint wahrscheinlich: die) sich bei der Einberufung zu militärischen Übungen bzw. aus der Nichtbefolgung von Einberufungsbefehlen zu derartigen Übungen resultierenden Maßnahmen zu einer unmenschlichen Behandlung führt (gemeint: führen), nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit mit derartigen Maßnahmen zu rechnen ist".

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:

Die Entscheidung über die vorliegende Beschwerde erfordert keine Auseinandersetzung mit der von der belangten Behörde aufgeworfenen Frage einer Überschreitung der Grenzen der Freiheit der Religionsausübung durch den Beschwerdeführer (gemeint: eines zumutbaren Alternativverhaltens) und mit der Bandbreite zwischen "Untätigkeit des Staates" und "lückenlosem Schutz" in Bezug auf die geltend gemachte nichtstaatliche Verfolgung (vgl. zu den Anforderungen an staatlichen Schutz vor von dritter Seite ausgehender Verfolgung die zuletzt etwa im Erkenntnis vom 1. September 2005, Zl. 2005/20/0357, erwähnte Vorjudikatur, insbesondere das Erkenntnis vom 26. Februar 2002, Zl. 99/20/0509, mit Ausführungen über das Erkenntnis vom 22. März 2000, Zl. 99/01/0256). Die belangte Behörde hat jedenfalls in Bezug auf die Frage, ob dem Beschwerdeführer wegen der Verweigerung der Teilnahme an militärischen Übungen asylrelevante Verfolgung droht, die Rechtslage verkannt.

Nach Ansicht der belangten Behörde entspricht es der (bei Erlassung des angefochtenen Bescheides) "jüngsten" Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, dass eine wegen Wehrdienstverweigerung drohende Bestrafung zur Asylgewährung führen kann, wenn die Teilnahme an ethnischen Säuberungen oder Einsätzen gegen die Zivilbevölkerung verweigert wird. Diese "jüngste" Rechtsprechung wird im angefochtenen Bescheid mit einem Erkenntnis vom September (richtig: Dezember) 2000 und mit dem verhältnismäßig kurz vor Erlassung des angefochtenen Bescheides ergangenen Erkenntnis vom 25. März 2003, Zl. 2001/01/0360, belegt.

Das zuletzt genannte Erkenntnis stützt sich aber nicht auf das Vorerkenntnis vom Dezember 2000, dem in Bezug auf die Verweigerung der Teilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen zunächst das Erkenntnis vom 22. November 2001, Zl. 98/20/0261, Slg. Nr. 15.721/A, gefolgt war, sondern auf das Erkenntnis vom 21. März 2002, Zl. 99/20/0401, in dem die Fragen der Asylrelevanz wegen Wehrdienstverweigerung drohender Sanktionen nicht unter Beschränkung auf die Fallgruppe der Nichtteilnahme an völkerrechtswidrigen Kriegshandlungen, sondern umfassend behandelt worden war. Dieses Erkenntnis vom März 2002 hat die belangte Behörde bei der Berufung auf "jüngste" Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes in ihrem im Juli 2003 erlassenen Bescheid unbeachtet gelassen. Sie hat daher nicht erkannt, dass nach den Ausführungen in Punkt 2. der Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses eine völlig unverhältnismäßige Sanktionierung einer religiös motivierten Wehrdienstverweigerung auch dann als asylrelevante Verfolgung zu werten ist, wenn Wehrdienstverweigerern, deren Verhalten nicht auf tatsächlichen oder unterstellten Gründen religiöser oder politischer Art beruht, die gleiche Behandlung zuteil wird und das Recht des Staates zur Durchsetzung der Wehrpflicht gegenüber Personen, die ihr nur unter Verstoß gegen ihre Überzeugungen nachkommen können, grundsätzlich nicht in Frage gestellt wird. Davon ausgehend hätte sich die belangte Behörde damit, ob dem Beschwerdeführer wegen seines Verhaltens eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung (seinem Vorbringen zufolge: eine "mindestens" fünfjährige Haft unter "der Folter gleichwertigen" Bedingungen) drohen würde, schon bei der Entscheidung über die Asylgewährung auseinandersetzen müssen.

Die Begründung, mit der die belangte Behörde eine solche Gefährdung verneinte, ist in mehrfacher Hinsicht nicht nachvollziehbar. Dass ein "Ersatzdienst" schon mangels Zugehörigkeit zu einer "offiziell registrierten religiösen Gemeinschaft" - und somit ganz abgesehen von der Frage der Anwendbarkeit auf die Einberufung eines Reserveoffiziers zu Übungen - nicht in Frage käme, ist nach den Sachverhaltsfeststellungen der belangten Behörde nicht nur eine mögliche "Auffassung", sondern eindeutig, womit auch dem Argument des "Worst Case Szenario" der Boden entzogen ist. Davon abgesehen hat die belangte Behörde selbst festgestellt, dem Beschwerdeführer sei bereits "eine Gerichtsverhandlung angedroht worden". Dieser fallbezogene Umstand steht von vornherein auch dem in den Ausführungen zu § 8 AsylG ins Treffen geführten Argument entgegen, "Offiziere der Reserve" könnten sich "faktisch relativ leicht lange der Einberufung von Übungen entziehen". Die belangte Behörde stützt sich hier außerdem auf Ausführungen des Gutachters über Verhältnisse in der ehemaligen Sowjetunion betreffend "Akademiker, die diesen militärischen Rang mit einer gewissen Automatik erhielten". Mit dem nunmehrigen die Ukraine betreffenden Fall des Beschwerdeführers, der kein Akademiker ist, steht dies - wie auch ein erheblicher Teil der übrigen Ausführungen in dem Gutachten - in keinem erkennbaren Zusammenhang.

Schließlich kommt auch dem von der belangten Behörde ins Treffen geführten Umstand, der Beschwerdeführer habe sich (viele Jahre vor seinem Glaubenswechsel) "freiwillig verpflichtet", keine rechtliche Bedeutung zu.

Der angefochtene Bescheid war schon aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Von der beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz im Ausmaß des (nicht nur für den Fall der Durchführung einer Verhandlung gestellten) Begehrens gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 19. Oktober 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190064.X00

Im RIS seit

29.11.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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