TE Vwgh Erkenntnis 2006/10/19 2006/19/0300

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Veröffentlicht am 19.10.2006
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §63 Abs5;
AVG §71 Abs1 Z1;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;
ZustG §17 Abs1;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed, die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat Dr. N. Bachler als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde der G in R, vertreten durch Dr. Josef Lachmann, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Garnisongasse 7/12a, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 13. Oktober 2003, Zl. 241.649/0-IX/25/03, betreffend Abweisung eines Wiedereinsetzungsantrages und Zurückweisung einer Berufung in einer Angelegenheit nach dem Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von EUR 908,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführerin, eine im März 2002 in das Bundesgebiet eingereiste Staatsangehörige der Russischen Föderation, gab in ihrem am 31. Juli 2002 gemäß § 3 Asylgesetz 1997 (AsylG) gestellten Asylantrag die Nachnamen M und T an. In einem Schreiben vom selben Tag bescheinigte das Bundesasylamt, dass die Beschwerdeführerin unter dem Namen GM einen Asylantrag gestellt habe und das Asylverfahren anhängig sei.

In Auskünften aus dem Zentralen Melderegister vom 12. August 2002 und vom 23. Dezember 2002 wurde die Beschwerdeführerin unter dem Namen GM an der Adresse Z. in Innsbruck geführt.

Die Ladung des Bundesasylamtes vom 26. März 2003 zur Einvernahme vor diesem am 5. Juni 2003 wurde der Beschwerdeführerin unter dem Namen GM an der Adresse Z. in Innsbruck zugestellt.

Im Protokoll über die Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 5. Juni 2003 scheinen als Namen der Beschwerdeführerin "T geb. G alias M" auf.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Juni 2003 wurde der Asylantrag der Beschwerdeführerin gemäß § 7 AsylG abgewiesen und die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation gemäß § 8 AsylG für zulässig erklärt. In diesem Bescheid war die Beschwerdeführerin als Bescheidadressatin unter den Namen "T geb. G (alias M) G" geführt. Auf dem Zustellformular zu diesem Bescheid wurde als Name der Beschwerdeführerin lediglich "TG" angeführt.

Dieser Bescheid wurde - nach zwei Zustellversuchen am 12. und 13. Juni 2003 an der Adresse Z. in Innsbruck - mit Beginn der Abholfrist am 14. Juni 2003 am Postamt hinterlegt.

Der Bescheid wurde vom Postamt als nicht behoben an das Bundesasylamt retourniert und langte dort am 3. Juli 2003 ein.

In einer am selben Tag vom Bundesasylamt eingeholten Auskunft aus dem Zentralen Melderegister schien die Beschwerdeführerin unter dem Namen GT an der Adresse Z. in Innsbruck gemeldet auf.

In einem Aktenvermerk vom selben Tag hielt das Bundesasylamt fest, dass nach telefonischer Auskunft der Unterkunftgeberin G. die Beschwerdeführerin nach wie vor an der Adresse Z. in Innsbruck wohnhaft sei. Die Unterkunftgeberin G. sicherte die Mitteilung an die Beschwerdeführerin zu, dass diese den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Juni 2003 bei diesem während der Amtsstunden abholen könne.

Am 4. Juli 2003 wurde der Bescheid vom 6. Juni 2003 durch das Bundesasylamt persönlich an die Beschwerdeführerin ausgefolgt.

In einem Schreiben vom 19. August 2003 führt die Unterkunftgeberin G. aus, dass die Beschwerdeführerin seit Dezember 2002 an der Adresse Z. in Innsbruck aufhältig sei. Bis Juli 2003 sei die Beschwerdeführerin ihr jedoch lediglich unter dem Namen GM bekannt gewesen.

Am 20. August 2003 stellte die Beschwerdeführerin einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und holte die Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Juni 2003 unter einem nach.

Begründend führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie seit Dezember 2002 über eine Privatunterkunft an der Adresse Z. in Innsbruck verfüge. Mit ihrer Unterkunftgeberin G. verbinde die Beschwerdeführerin ein Vertrauensverhältnis. Die Unterkunftgeberin G. beherberge schon seit längerem Asylwerber, dies zum Teil auch im Rahmen der Bundes- und Landesbetreuung. Sie gebe die Post wie Ladungen und Bescheide an Empfänger weiter und vermittle ihre Gäste auch an Rechtsberatungseinrichtungen oder Rechtsanwälte. Die Beschwerdeführerin sei an ihrer Unterkunft jedoch lediglich unter ihrem "Aliasnamen M" bekannt gewesen. Die Beschwerdeführerin führte weiter aus, dass sie am 4. Juli 2003 den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Juni 2003 persönlich bei diesem abgeholt hätte. Am selben Tag habe sie ihre Unterkunftgeberin G. an der Adresse Z. in Innsbruck gebeten, den Bescheid an einen Rechtsanwalt zu übermitteln, damit dieser gegen den Bescheid vom 6. Juni 2003 Berufung erheben könne. Auf Grund von Problemen mit dem Faxgerät sei es zu Störungen gekommen und der Bescheid offensichtlich nicht übertragen worden. Im Zuge eines Besuches der Fremdenpolizei in der Unterkunft am 10. August 2003 hätte die Beschwerdeführerin in der Folge erfahren, dass der Bescheid vom 6. Juni 2003 bereits rechtskräftig sei und die Berufungsfrist versäumt worden wäre.

Mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. August 2003 wurde der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 Abs. 1 Z 1 AVG abgewiesen.

Dem Verhalten der Beschwerdeführerin - nämlich die Beauftragung der Unterkunftgeberin mit der Versendung an einen Rechtsanwalt, welcher Berufung erheben sollte - mangle es - so führte das Bundesasylamt in seiner Begründung aus - an der erforderlichen und wohl zumutbaren Sorgfalt in einem Maße, das nur als auffallend sorglos bezeichnet werden könne. Die Beschwerdeführerin hätte sich nämlich vergewissern müssen, ob der Rechtsanwalt den Bescheid erhalten habe. Der Sendebericht hätte darüber Auskunft gegeben, ob die Übertragung erfolgt sei.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin Berufung an die belangte Behörde.

Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. Oktober 2003 wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. August 2003 im Spruchpunkt I gemäß § 71 Abs. 1 AVG abgewiesen.

Mit Spruchpunkt II wurde die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid vom 6. Juni 2003 gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückgewiesen.

Begründend führte die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aus, dass der Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Juni 2003 rechtswirksam am 14. Juni 2003 durch Hinterlegung zugestellt worden sei. Die zweiwöchige Rechtsmittelfrist habe somit am 28. Juni 2003 geendet.

Die Übergabe des Bescheides am 4. Juli 2003 vermöge keine Rechtswirkungen mehr zu erzeugen. Sei nämlich eine Zustellung einmal rechtswirksam vorgenommen worden, könne an dieser Rechtswirksamkeit ein späterer Verfahrensschritt in Form einer nochmaligen Zustellung nichts ändern.

Mit Schreiben vom 25. September 2003 sei der Beschwerdeführerin von der belangten Behörde Parteiengehör zu dieser Sach- und Rechtslage eingeräumt worden. Mit Schreiben vom 2. Oktober 2003 - der belangten Behörde weitergeleitet am 6. Oktober 2003 - habe die bisherige Unterkunftgeberin G. bekannt gegeben, dass die Beschwerdeführerin nach unbekannt verzogen sei. Dieser Umstand sei durch eine von der belangten Behörde vorgenommene Behördenanfrage aus dem Zentralen Melderegister bestätigt worden. Zum Zeitpunkt des ersten Zustellversuches des Schreibens vom 25. September 2003 am 30. September 2003 hätte die Beschwerdeführerin unter der angegebenen Adresse indessen noch eine aufrechte Abgabestelle gehabt.

Da sich die Wiedereinsetzungsgründe der Beschwerdeführerin auf einen Zeitraum stützen würden, der nach dem 4. Juli 2003 liege, also nicht den rechtlich relevanten Zeitraum vom 14. Juni bis 28. Juni 2003 betreffen würden, sei die Berufung der Beschwerdeführerin gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 25. August 2003 in Spruchpunkt I gemäß § 71 Abs. 1 AVG abzuweisen gewesen.

Da die Berufungsfrist mit der rechtswirksamen Hinterlegung am 14. Juni 2003 zu laufen begonnen und am 28. Juni 2003, 24.00 Uhr, geendet habe, sei die mit 20. August 2003 datierte und am 21. August 2003 eingelangte Berufung gegen den Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Juni 2003 in Spruchpunkt II gemäß § 63 Abs. 5 AVG als verspätet zurückzuweisen gewesen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten durch die belangte Behörde erwogen hat:

Das Bundesasylamt ging nicht von der Wirksamkeit der Hinterlegung des Bescheides vom 6. Juni 2003 aus. Es trat - durch die Unterkunftgeberin - an die Beschwerdeführerin heran, um diese zur persönlichen Übernahme des Bescheides zu veranlassen, und führte in der Begründung des Bescheides vom 25. August 2003, mit dem der Wiedereinsetzungsantrag in erster Instanz abgewiesen wurde, aus, der Bescheid sei der Beschwerdeführerin "am 4.07.2003 persönlich .... rechtmäßig zugestellt" worden und "am 21.07.2003 in Rechtskraft" erwachsen.

Zwar trifft es zu, wie die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid sinngemäß darlegt, dass die Wirksamkeit einer Zustellung durch eine Wiederholung des Zustellvorganges auch dann nicht aufgehoben wird, wenn die erstinstanzliche Behörde zu Unrecht meint, die ursprüngliche Zustellung sei nicht wirksam gewesen. Mit dem Gesichtspunkt, unter dem das Bundesasylamt dies im vorliegenden Fall erkennbar annahm - nämlich der mangelnden Übereinstimmung der Bezeichnung der Bescheidadressatin im Bescheid selbst und auf dem Zustellformular, wobei im Besonderen der Teil der Bezeichnung, unter dem bisher erfolgreich zugestellt worden war, weggelassen wurde - hat sich die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid aber nicht auseinandergesetzt.

Ausgehend vom Vorbringen der Unterkunftgeberin G. in ihrem Schreiben vom 19. August 2003 und den Ausführungen der Beschwerdeführerin in ihrem Wiedereinsetzungsantrag vom 20. August 2003, wonach die Beschwerdeführerin unter dem auf dem Zustellformular zum Bescheid vom 6. Juni 2003 angeführten Namen an der Abgabestelle nicht bekannt gewesen sei, ist es vor allem aber nicht nachvollziehbar, wie das Zustellorgan die Eintragungen auf dem Rückschein zum Bescheid des Bundesasylamtes vom 6. Juni 2003 vornehmen konnte. Um die Rubriken über die beiden Zustellversuche ankreuzen zu können, musste das Zustellorgan die Information erhalten haben, dass sich die Beschwerdeführerin an der Abgabestelle regelmäßig aufhalte, im Zeitpunkt der Zustellversuche indessen nicht anwesend sei. Bei Unkenntnis des auf dem Zustellformular angeführten Namens konnte eine solche Information jedoch nicht gegeben werden. Traf die Behauptung, die Beschwerdeführerin sei an der Abgabestelle bis Juli 2003 nur unter dem Namen GM bekannt gewesen, zu, so hätte dies statt eines zweiten Zustellversuches und einer Hinterlegung zu einem Postfehlbericht führen müssen.

All das hätte die belangte Behörde zu amtswegigen Ermittlungen über die Rechtswirksamkeit der Zustellung durch Hinterlegung am 14. Juni 2003 veranlassen müssen (vgl. dazu die hg. Erkenntnisse vom 26. März 1996, Zl. 95/19/0984, und vom 19. Dezember 1996, Zl. 96/19/0446). Angesichts der dargestellten Umstände konnte die belangte Behörde entgegen ihren Ausführungen im angefochtenen Bescheid nicht ohne Auseinandersetzung mit dem Vorbringen von einer rechtswirksamen Zustellung durch Hinterlegung ausgehen. Damit ist jedoch die Feststellung zu Spruchpunkt I des angefochtenen Bescheides, wonach sich die Wiedereinsetzungsgründe auf einen Zeitraum stützen würden, der außerhalb des rechtlich relevanten Zeitraumes vom 14. Juni bis 28. Juni 2002 liegen würde, nicht ausreichend begründet. Zudem konnte die Berufung im Spruchpunkt II des angefochtenen Bescheides auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht zurückgewiesen werden, hatte doch die belangte Behörde die Ausfolgung des Bescheides an die Beschwerdeführerin am 4. Juni 2003 ausdrücklich nicht als Zustellung behandelt, zur Frage der Rechtswirksamkeit der Hinterlegung jedoch den Sachverhalt nicht geklärt.

Der angefochtene Bescheid war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003, BGBl. II Nr. 333.

Wien, am 19. Oktober 2006

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2006:2006190300.X00

Im RIS seit

12.12.2006
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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