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L8 Boden- und VerkehrsrechtNorm
B-VG Art144 Abs1 / AnlaßfallSpruch
Die Beschwerdeführerin ist durch den angefochtenen Bescheid wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Niederösterreich ist schuldig, der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Rechtsvertreters die mit € 1.962,-
bestimmten Prozeßkosten binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1.1. Die Beschwerdeführerin ist Eigentümerin zweier Liegenschaften im Gebiet der Gemeinde Haugschlag. Mit zwei Bescheiden vom 1. September 2001 trug ihr der Bürgermeister den Anschluß dieser Liegenschaften an den neugelegten Schmutzwasserkanal auf.
Mit zwei Bescheiden vom 18. September 2001 wies der Gemeindevorstand zwei dagegen gerichtete Berufungen der Beschwerdeführerin ab.
1.2. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin eine Vorstellung an die Niederösterreichische Landesregierung, die mit Bescheid vom 29. Jänner 2002 abgewiesen wurde. Begründend berief sich die Landesregierung auf §62 Abs2 der Niederösterreichischen Bauordnung 1996.
2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende, auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in Rechten durch Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung des angefochtenen Bescheides beantragt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Akten des Verwaltungsverfahrens vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie für die Abweisung der Beschwerde eintritt.
Die Gemeinde Haugschlag hat keine Äußerung erstattet.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat erwogen:
1. Der Verfassungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 12. Juni 2002, G 322,360,361/01, §62 Abs2 erster und zweiter Satz der Niederösterreichischen Bauordnung 1996 idF der 1. Novelle als verfassungswidrig aufgehoben.
2. Gemäß Art140 Abs7 B-VG wirkt die Aufhebung eines Gesetzes auf den Anlaßfall zurück. Es ist daher hinsichtlich des Anlaßfalles so vorzugehen, als ob die als verfassungswidrig erkannte Norm bereits zum Zeitpunkt der Verwirklichung des dem Bescheid zugrundegelegten Tatbestandes nicht mehr der Rechtsordnung angehört hätte.
Dem in Art140 Abs7 B-VG genannten Anlaßfall (im engeren Sinn), anläßlich dessen das Gesetzesprüfungsverfahren tatsächlich eingeleitet worden ist, sind all jene Beschwerdefälle gleichzuhalten, die zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung im Gesetzesprüfungsverfahren (bei Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung zu Beginn der nichtöffentlichen Beratung) beim Verfassungsgerichtshof bereits anhängig waren (VfSlg. 10616/1985, 11711/1988).
3. Die nichtöffentliche Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren begann am 5. März 2002. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Beschwerdeführerin bereits einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe beim Verfassungsgerichtshof gestellt. Die nach Bewilligung der Verfahrenshilfe (durch einen Rechtsanwalt) am 14. März 2002 eingebrachte Beschwerde galt aufgrund des §73 Abs2 und des §464 Abs3 ZPO iVm §35 Abs1 VfGG als zum Zeitpunkt der Einbringung des Verfahrenshilfeantrages (somit als noch vor Beginn der nichtöffentlichen Beratung im Gesetzesprüfungsverfahren) erhoben (VfSlg. 11748/1988, 13665/1994; VfGH 30.11.1998, B777/98). Der hier zugrundeliegende Fall ist somit einem Anlaßfall gleichzuhalten.
Die belangte Behörde wandte bei Erlassung des angefochtenen Bescheides die als verfassungswidrig aufgehobene Gesetzesbestimmung an. Es ist nach Lage des Falles offenkundig, daß diese Gesetzesanwendung für die Rechtsstellung der Beschwerdeführerin nachteilig war. Die Beschwerdeführerin wurde somit wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes in ihren Rechten verletzt.
Der Bescheid ist daher aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in der Höhe von € 327,-
enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z3 VfGG ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung getroffen werden.
Schlagworte
VfGH / AnlaßfallEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2002:B207.2002Dokumentnummer
JFT_09979374_02B00207_2_00