TE Vwgh Erkenntnis 2007/1/16 2006/18/0402

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Veröffentlicht am 16.01.2007
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Index

E2D Assoziierung Türkei;
E2D E02401013;
E2D E05204000;
E2D E11401020;
E6J;
001 Verwaltungsrecht allgemein;
10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Asylrecht;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

61989CJ0192 Sevince VORAB;
61993CJ0434 Ahmet Bozkurt VORAB;
ARB1/80 Art6 Abs1;
FrG 1997 §30 Abs3;
FrPolG 2005 §53 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs1;
FrPolG 2005 §66 Abs2 Z1;
NAG 2005 §21 Abs1;
NAG 2005 §72;
NAG 2005 §73;
NAG 2005 §74;
VwGG §34 Abs1;
VwGG §42 Abs2 Z1;
VwRallg impl;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zeizinger und die Hofräte Dr. Rigler, Dr. Handstanger, Dr. Enzenhofer und Dr. Strohmayer als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Eisner, über die Beschwerde des MK in L, geboren 1960, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen den Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich vom 22. September 2006, Zl. St-294/05, betreffend Ausweisung, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Beschwerdeführer den Aufwand in Höhe von EUR 1.171,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

I.

1. Mit dem im Instanzenzug ergangenen Bescheid der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Oberösterreich (der belangten Behörde) vom 22. September 2006 wurde der Beschwerdeführer, ein türkischer Staatsangehöriger, gemäß §§ 31, 53 und 66 Abs. 1 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl. I Nr. 100, ausgewiesen.

Der Beschwerdeführer sei am 12. Juni 2001 schlepperunterstützt nach Österreich gelangt und habe einen Asylantrag gestellt. Das Asylverfahren sei letztlich mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 26. Juli 2005, mit dem die Behandlung einer Beschwerde abgelehnt worden sei, negativ abgeschlossen worden. Zumindest seither halte sich der Beschwerdeführer ohne jegliche asyl- bzw. fremdenrechtliche Bewilligung und somit nicht rechtmäßig in Österreich auf. Seine Anregung, ihm eine humanitäre Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, könne an seinem unrechtmäßigen Aufenthalt nichts ändern. Er habe durchgehend bei verschiedenen Firmen gearbeitet, spreche "ganz passabel" deutsch und sei auch sonst in Österreich sehr gut integriert. Er sei geschieden. Seine älteste Tochter sei verheiratet und halte sich in Linz auf.

Würde eine Ausweisung in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingreifen, so wäre sie zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten sei (§ 66 Abs. 1 FPG). Der Beschwerdeführer sei schlepperunterstützt unter Umgehung der Grenzkontrolle in das Bundesgebiet eingereist. Sein Asylverfahren sei rechtskräftig negativ beendet worden. Es würde sich bereits aus diesen Aspekten erübrigen zu erörtern, ob die Ausweisung im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei, da nicht in relevanter Weise in sein Privat- und Familienleben eingegriffen werde. Er halte sich bereits seit mehr als vier Jahren illegal in Österreich auf. Bereits ein mehrmonatiger unrechtmäßiger Aufenthalt gefährde die öffentliche Ordnung in hohem Maß. Die Ausweisung sei demnach gemäß § 66 Abs. 1 FPG zur Wahrung der öffentlichen Ordnung dringend geboten.

Vor dem Hintergrund dieser Tatsache habe auch von der Ermessensbestimmung des § 53 Abs. 1 FPG Gebrauch gemacht werden müssen.

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde mit dem Begehren, ihn wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes oder Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten vor, nahm aber von der Erstattung einer Gegenschrift Abstand.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

1. Der Beschwerdeführer stellt nicht in Abrede, dass das Verfahren über seinen Asylantrag rechtskräftig negativ beendet wurde und er über keine asyl- oder fremdenrechtliche Bewilligung für seinen Aufenthalt in Österreich verfügt. Im Hinblick darauf begegnet die - nicht bekämpfte - Ansicht der belangten Behörde, dass der Tatbestand des § 53 Abs. 1 FPG erfüllt sei, keinen Bedenken.

2.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er falle in den Anwendungsbereich des Beschlusses Nr. 1/80 des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom 19. September 1980 über die Entwicklung der Assoziation (im Folgenden: ARB Nr. 1/80), weil er seit 2002 legalen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen nachgegangen sei. Er gehöre dem regulären Arbeitsmarkt der Republik Österreich an und erfülle die Kriterien des Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80, sodass über die Ausweisung der unabhängige Verwaltungssenat hätte entscheiden müssen.

2.2. Die Voraussetzungen dafür, sich hinsichtlich des Rechts zur Fortsetzung einer ordnungsgemäßen Beschäftigung sowie des diesem Zweck dienenden Rechts auf Aufenthalt mit Erfolg auf Art. 6 Abs. 1 ARB Nr. 1/80 berufen zu können, erfüllten Fremde, die eine - wenn auch allenfalls im Einklang mit den Bestimmungen des AuslBG stehende - Beschäftigung ausüben, dann nicht, wenn ihr Aufenthaltsrecht im Bundesgebiet bloß auf Grund einer asylrechtlichen vorläufigen Aufenthaltsberechtigung besteht. Die letztgenannte Berechtigung vermittelt nämlich keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt (vgl. die hg. Erkenntnisse vom 1. Juni 2001, Zl. 2001/19/0001, vom 18. September 2001, Zl. 2001/18/0179, vom 8. Juli 2004, Zl. 2004/21/0153, und vom 13. Juni 2006, Zl. 2006/18/0122).

Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 FPG hatte daher die belangte Behörde über die Berufung gegen den erstinstanzlichen Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz zu entscheiden.

3.1. Der Beschwerdeführer bringt vor, er habe am 19. Oktober 2005 gemäß § 19 Abs. 2 Z. 6 iVm § 13 Abs. 2 Fremdengesetz 1997 einen Antrag auf Erteilung einer humanitären Niederlassungsbewilligung gestellt. Über diesen Antrag sei noch nicht entschieden worden.

3.2. Nach § 81 Abs. 1 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, ist das durch den genannten Antrag eingeleitete Niederlassungsverfahren nach dem NAG fortzusetzen und nach §§ 21, 73 und 74 NAG zu behandeln bzw. zu beurteilen.

§ 74 NAG räumt dem Fremden kein durchsetzbares - und vor dem Verwaltungsgerichtshof geltend zu machendes - Recht auf Inlandsantragstellung ein (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. Juni 2006, Zl. 2006/18/0153). Die bloße Antragstellung verschafft dem Beschwerdeführer kein Bleiberecht in Österreich (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. September 2006, Zl. 2006/18/0089).

3.3. Der genannte Antrag bzw. ein insoweit noch offenes Verfahren steht daher entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers der Ausweisung nach § 53 FPG nicht entgegen.

4.1. Der Beschwerdeführer bekämpft den angefochtenen Bescheid schließlich unter dem Blickwinkel des § 66 Abs. 1 FPG und bringt vor, er habe eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz gehabt und sich bis zum 12. August 2005 rechtmäßig in Österreich aufgehalten. Seinem Privat- und Familienleben in Österreich sei in Anbetracht seines mehr als fünf Jahre dauernden Aufenthaltes die Bedeutung beizumessen, dass insbesondere im Hinblick auf die Integration seiner Tochter eine Ausweisung nicht mehr zulässig sei.

4.2. Dieses Vorbringen führt die Beschwerde im Ergebnis zum Erfolg. Die Ansicht der belangte Behörde, es werde nicht in relevanter Weise in das Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers eingegriffen und es würde sich daher erübrigen zu erörtern, ob die Ausweisung im Sinn des § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei, wird vom Verwaltungsgerichtshof schon im Hinblick auf den fünfjährigen inländischen Aufenthalt des Beschwerdeführers (vgl. § 66 Abs. 2 Z. 1 FPG) nicht geteilt. Die Ausweisung ist - anders als die belangte Behörde an anderer Stelle der Bescheidbegründung und in widersprüchlicher Weise meint - nicht schon wegen eines langen unrechtmäßigen Aufenthalts des Beschwerdeführers zur Wahrung der öffentlichen Ordnung iSd § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten. Dies wäre vielmehr nur dann der Fall, wenn die auch nach dieser Gesetzesstelle erforderliche Interessenabwägung (vgl. das zu § 37 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom 24. April 2002, Zl. 2002/18/0039, sowie das hg. Erkenntnis vom 13. September 2006, Zl. 2006/18/0089) kein Überwiegen der persönlichen Interessen des Fremden an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber den öffentlichen Interessen an der Beendigung seines Aufenthalts ergibt.

4.3. Schließlich stellt auch die Begründung des angefochtenen Bescheides, dass "vor dem Hintergrund dieser Tatsache" (nämlich dass die Ausweisung nach § 66 Abs. 1 FPG dringend geboten sei) "auch von der Ermessensbestimmung des § 53 Abs. 1 FPG Gebrauch gemacht werden" müsse, keine ausreichende Begründung der Ermessensentscheidung dar (vgl. das zu § 33 Abs. 1 Fremdengesetz 1997 ergangene hg. Erkenntnis vom 18. Mai 2006, Zl. 2006/18/0034).

5. Der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit aufzuheben.

6. Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.

Wien, am 16. Jänner 2007

Gerichtsentscheidung

EuGH 61989J0192 Sevince VORAB
EuGH 61993J0434 Ahmet Bozkurt VORAB

Schlagworte

Besondere RechtsgebieteMangel der Berechtigung zur Erhebung der Beschwerde mangelnde subjektive Rechtsverletzung Parteienrechte und Beschwerdelegitimation Verwaltungsverfahren Mangelnde Rechtsverletzung Beschwerdelegitimation verneint keineBESCHWERDELEGITIMATIONIndividuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006180402.X00

Im RIS seit

15.02.2007

Zuletzt aktualisiert am

15.11.2011
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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