Index
E3R E19103000;Norm
32003R0343 Dublin-II Art21;Beachte
Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2005/01/0842 2005/01/0843 2005/01/0844Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek, Dr. Kleiser, Mag. Nedwed und Dr. Doblinger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerde 1.) des B A, geboren 1973, 2.) der Z A, geboren 1975, 3.) der E A, geboren 2003, und 4.) des E A, geboren 2001, alle in S und vertreten durch Dr. Martin Dellasega und Dr. Max Kapferer, Rechtsanwälte in 6020 Innsbruck, Schmerlingstraße 2/2, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 23. November 2005, Zlen. 265.834/0-V/13/05, 265.835/0-V/13/05, 265.836/0- V/13/05 und 265.837/0-V/13/05, betreffend §§ 5, 5a Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesministerin für Inneres), zu Recht erkannt:
Spruch
Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von je EUR 991,10, insgesamt daher EUR 3.964,40, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführer sind Mitglieder einer Familie (der Erstbeschwerdeführer und die Zweitbeschwerdeführerin sind Ehegatten, die Drittbeschwerdeführerin und der Viertbeschwerdeführer ihre minderjährigen Kinder), Staatsangehörige von Serbien, stammen aus dem Kosovo und gehören der Volksgruppe der Gorani an.
Die Zweitbeschwerdeführerin reiste mit der Dritt- und dem Viertbeschwerdeführer am 8. August 2005 in das Bundesgebiet ein und beantragte für sich und ihre Kinder am selben Tag Asyl. Der Erstbeschwerdeführer folgte am 9. August 2005 und stellte ebenfalls einen Asylantrag.
Mit Bescheiden jeweils vom 21. Oktober 2005 wies das Bundesasylamt sämtliche Asylanträge - nach Durchführung von Konsultationen mit den ungarischen Behörden - gemäß § 5 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (AsylG) zurück, erklärte Ungarn gemäß Art. 9 Abs. 2 "der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates" (im Folgenden kurz: Dublin-Verordnung) für die Prüfung der Asylanträge für zuständig und wies die Beschwerdeführer gemäß § 5a Abs. 1 iVm § 5a Abs. 4 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Ungarn aus. Die Beschwerdeführer stünden - so die wesentliche Begründung der Bescheide - im Besitz von ungarischen Visa, ausgestellt in Szabadza, gültig "von 23.06.2005 bis 23.06.2006". Deshalb sei Ungarn gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin-Verordnung für die Prüfung der Asylanträge zuständig.
Dagegen erhoben die Beschwerdeführer im Wesentlichen gleich lautende Berufungen, in denen sie u.a. wörtlich vorbrachten:
"Die belangte Behörde geht in ihren Feststellungen davon aus,
dass ich im Besitz eines ungarischen Visums ... stehe. Zu dieser
Sachlage bin ich aber nicht einvernommen worden. Ich wurde nicht
gefragt, ob ich ein Visum für Ungarn gehabt habe ... . Die Behörde
hat dadurch einen schweren Verfahrensfehler begangen und ich wurde in meinem grundlegenden Recht auf Parteiengehör verletzt.
Ich habe nie ein ungarisches Visum besessen. Ich habe nie ein ungarisches Visum beantragt und war zu diesem Zweck nie auf einer ungarischen Botschaft ... ."
Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen der Beschwerdeführer "gemäß §§ 5 Abs. 1, 5a Abs. 1 AsylG" ab.
In der Begründung dieser Entscheidungen hielt sie u.a. fest, eine am 17. August 2005 vom Bundesasylamt durchgeführte Anfrage bei den zuständigen ungarischen Behörden habe ergeben, dass die Beschwerdeführer im Besitz von gültigen ungarischen Visa seien, und es hätte der Erstbeschwerdeführer im Rahmen seiner zweiten Einvernahme vor der erstinstanzlichen Behörde am 18. August 2005 den Vorhalt, dass Ungarn für die Behandlung der Asylanträge zuständig sei, nur mit den Worten kommentiert, nicht zu wissen, durch welche Länder er (auf dem Weg nach Österreich) gefahren sei bzw. hätte die Zweitbeschwerdeführerin für sich und ihre Kinder lediglich erklärt, nicht nach Ungarn zu wollen. Ohne weitere Begründung ging die belangte Behörde im Folgenden davon aus, dass die Beschwerdeführer gültige ungarische Visa erteilt erhalten hatten, sodass gemäß Art. 9 Abs. 2 Dublin-Verordnung Ungarn für die Prüfung der Asylanträge zuständig sei.
Dagegen richtet sich die vorliegende gemeinsame Beschwerde aller Familienmitglieder, über die der Verwaltungsgerichtshof erwogen hat:
Die Beschwerde bestreitet neuerlich, dass die Beschwerdeführer ungarische Visa besessen hätten. Das Verfahren der belangten Behörde zu dieser Frage sei mangelhaft geblieben.
Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerde im Recht:
Die Asylbehörden haben die Zuständigkeit Ungarns in den vorliegenden Fällen auf Art. 9 Abs. 2 Dublin-Verordnung gestützt, wonach der Asylantrag eines Asylwerbers, der (im Zeitpunkt der Erstantragstellung im Gebiet der Mitgliedstaaten) ein gültiges Visum besitzt, in die Zuständigkeit jenes Mitgliedstaates fällt, der dieses Visum erteilt hat. Sie gehen davon aus, dass die Beschwerdeführer bei Antragstellung in Österreich über gültige ungarische Visa verfügten.
In der Begründung ihrer Bescheide vermittelt die belangte Behörde in diesem Zusammenhang den Eindruck, die Beschwerdeführer wären einem diesbezüglichen Vorhalt anlässlich ihrer erstinstanzlichen Einvernahme am 18. August 2005 nur mit nichts sagenden Äußerungen entgegen getreten. Dabei gibt sie den Inhalt der Verwaltungsakten aber irreführend wieder. Es trifft zwar zu, dass am 17. August 2005 ein Informationsersuchen gemäß Art. 21 Dublin-Verordnung betreffend die Beschwerdeführer an die ungarischen Behörden gesandt worden war. Eine Antwort darauf lag dem Bundesasylamt anlässlich der Zweiteinvernahme des Erst- bzw. der Zweitbeschwerdeführerin am 18. August 2005 aber noch nicht vor. Demnach konnte ihnen - mangels entsprechenden Amtswissens - auch nicht vorgehalten werden, dass für sie ungarische Visa ausgestellt worden sein sollen, sondern beschränkte sich der Vorhalt auf den allgemeinen Hinweis, es sei ein "Info-Request an Ungarn" gestellt worden und es würde "im Falle einer positiven Antwort" vorläufig die Ansicht vertreten, dass für die Prüfung der Asylanträge Ungarn zuständig sei. Damit erweist sich zum einen der Einwand der Beschwerdeführer in den Berufungen, ihnen sei zur entscheidungswesentlichen Frage des Besitzes ungarischer Visa kein Parteiengehör eingeräumt worden, als zutreffend; zum anderen kann den Beschwerdeführern bei dieser Sachlage beweiswürdigend nicht zur Last gelegt werden, dass sie bei der Einvernahme am 18. August 2005 den Besitz ungarischer Visa - mangels entsprechender Vorhalte - noch nicht verneint, sondern nur allgemein gehaltene Einwände gegen eine Überstellung nach Ungarn erhoben hatten.
Ausgehend davon hat die belangte Behörde aber nicht schlüssig begründet, warum sie - trotz diesbezüglicher Bestreitung in den Berufungen und ohne weitere Ermittlungen - vom Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 9 Abs. 2 Dublin II-VO ausgegangen ist.
Die angefochtenen Bescheide waren deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.
Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich - im Rahmen des gestellten Begehrens - auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.
Wien, am 23. Jänner 2007
Schlagworte
ParteiengehörEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2005010841.X00Im RIS seit
28.02.2007