TE Vwgh Erkenntnis 2007/2/27 2006/01/0919

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Veröffentlicht am 27.02.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §32 Abs1 idF 2003/I/101;
AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8 Abs1;
AsylG 1997 §8 Abs2;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/01/0920 2006/01/0921 2006/01/0922

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Gruber und die Hofräte Dr. Blaschek und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Matt, über die Beschwerden 1.) der H B, geboren 1966, 2.) der F B, geboren 1992, 3.) der G B, geboren 1994 und 4.) des M B, geboren 1998, alle in Vöcklabruck und vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates jeweils vom 30. November 2006, Zlen. 303.895- C1/E1-XVIII/58/06, 303.894-C1/E1-XVIII/58/06, 303.896-C1/E1- XVIII/58/06, 303.897-C1/E1-XVIII/58/06, betreffend §§ 7, 8 Abs. 1 und 2 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von jeweils EUR 991,20, insgesamt daher EUR 3.964,80, binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die Beschwerdeführer sind Mitglieder einer Familie (die Erstbeschwerdeführerin ist die Mutter der minderjährigen Zweitbis Viertbeschwerdeführer), Staatsangehörige von Serbien, stammen aus dem Kosovo und gehören der albanischen Volksgruppe an. Sie reisten gemeinsam am 1. September 2004 in das Bundesgebiet ein und beantragten am selben Tag Asyl.

Zu ihren Fluchtgründen gab die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen an, ihr Ehemann sei im April 2002 ermordet worden. Er sei politisch tätig und "dem Präsidenten und Vorsitzenden der LDK Rugova sehr verbunden" gewesen, weshalb sie glaube, dass der Mörder aus politischen Motiven gehandelt habe. Der Täter sei - auch aufgrund der belastenden Zeugenaussage der Erstbeschwerdeführerin - zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden, weshalb sie Racheakte der Familie des Mörders (bezogen auf sich und die im Familienverband lebenden Kinder) fürchte. Von "offizieller Seite" könne sie keinen ausreichenden Schutz erwarten.

Das Bundesasylamt ließ die Angaben der Erstbeschwerdeführerin durch einen Verbindungsbeamten der Österreichischen Botschaft Belgrad, Außenstelle Prishtina, vor Ort überprüfen, der in seinem Bericht vom 19. Juni 2006 die Ermordung des Ehemannes bzw. Vaters der Beschwerdeführer zwar einerseits bestätigte, andererseits aber einen politischen Bezug dieser Straftat verneinte. Der Inhalt dieses Berichtes wurde der Erstbeschwerdeführerin anlässlich ihrer Einvernahme vom 19. Juli 2006 - zusammengefasst - vorgehalten und sie erhob gegen dessen Richtigkeit Einwände.

Mit Bescheiden jeweils vom 20. Juli 2006 wies das Bundesasylamt - gestützt auf die Ermittlungsergebnisse vor Ort - die Asylanträge der Beschwerdeführer gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) ab. Gleichzeitig erklärte es die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der Beschwerdeführer nach Serbien, Provinz Kosovo, gemäß § 8 Abs. 1 AsylG für zulässig und wies die Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 2 AsylG aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Serbien, Provinz Kosovo, aus. Dazu führte das Bundesasylamt zusammengefasst aus, die Beschwerdeführer könnten bei Rückkehr in den Kosovo mit Unterstützung in der Großfamilie rechnen; eine Wohnmöglichkeit sei vorhanden und es sei kein Grund ersichtlich, warum die Erstbeschwerdeführerin keine Arbeit mehr finden könne. Die Ausweisung greife nicht unzulässig in die durch Art. 8 EMRK geschützten Rechte der Beschwerdeführer ein.

Dagegen erhoben die Beschwerdeführer eine gemeinsame Berufung, in der die Erstbeschwerdeführerin u.a. nochmals auf die politisch motivierte Ermordung ihres Ehemannes und die drohenden Racheakte verwies. Im Übrigen bestritt sie - mit einer ausführlichen, über die im erstinstanzlichen Verfahren bereits erhobenen Einwände hinausgehenden Begründung - die inhaltliche Richtigkeit der Ermittlungsergebnisse laut dem Bericht vom 19. Juni 2006. In einer Berufungsergänzung vom 10. Oktober 2006 ergänzte und präzisierte sie diese Bestreitung noch durch zusätzliche Argumente. Überdies führte sie darin aus, sie habe mangels Wohnung und Arbeit "keinerlei Möglichkeiten mehr ... in den Kosovo zurückzukehren." Auch könne sie - aus näher dargestellten Gründen - nicht auf die Hilfe der im Kosovo verbliebenen Familienangehörigen zählen, weshalb sie sich in der Situation einer allein stehenden Frau (mit Kindern) befinde. Zur schwierigen Lage dieser Personengruppe legte sie eine "Anfragebeantwortung von Accord vom 01.02.2006" vor. Abschließend hielt sie fest, dass sie sich mit ihren Kindern bereits in hohem Maße in die österreichische Gesellschaft integriert habe, wie gleichzeitig vorgelegte "Briefe", u.a. etwa ein solcher der Volksschullehrerin des Viertbeschwerdeführers, zeigten (Anmerkung:

ähnliche Schreiben der Lehrer der Zweit- und der Drittbeschwerdeführerinnen, sowie von Freunden der Familie, waren bereits dem Bundesasylamt zugegangen).

Mit den angefochtenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen ohne Durchführung einer Verhandlung "in allen Spruchpunkten" ab. Zur Begründung verwies sie auf die erstinstanzlichen Entscheidungen, deren Ausführungen sie sich anschloss und sie zum Inhalt der Berufungsbescheide erhob. Insbesondere sei - so die belangte Behörde weiter - darauf hinzuweisen, dass es den Beschwerdeführern nicht gelungen sei, das vom Verbindungsbeamten bekannt gegebene Ermittlungsergebnis durch schlüssige Gegenargumente in Zweifel zu ziehen. Ebenso sei dem Bundesasylamt zuzustimmen, dass die Beschwerdeführer im Kosovo aufgrund familiärer Anknüpfungspunkte über eine Lebensgrundlage verfügten, weshalb die Berufungsausführungen zum Personenkreis der allein stehenden Frauen mit minderjährigen Kindern ins Leere gingen. Bei Berücksichtigung sämtlicher bekannter Tatsachen bestünden auch keine Hinweise dafür, dass durch die Ausweisung der Beschwerdeführer in ihr Privat- und Familienleben eingegriffen würde. Von der Durchführung einer Berufungsverhandlung habe abgesehen werden können, da "im Sinne des Art. II Abs. 2 Z 43a EGVG der Sachverhalt ... dann als aus der Aktenlage iVm mit der Berufung als geklärt anzusehen ist, wenn er nach Durchführung eines ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahrens unter schlüssiger Beweiswürdigung der Behörde erster Instanz festgestellt wurde und in der Berufung kein dem Ergebnis des Ermittlungsverfahrens der Behörde erster Instanz in (gemeint: ent-(gegen stehender oder darüber hinausgehender Sachverhalt - sofern er nicht dem Neuerungsverbot gemäß § 32 AsylG in der hier anzuwendenden Fassung unterliegt ...- neu und in konkreter Weise behauptet wird."

Über die gegen diese Bescheide gemeinsam erhobene Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Die Beschwerde rügt vor allem eine Verletzung der Verhandlungspflicht der belangten Behörde und ist damit im Recht:

Die Beschwerdeführer haben in ihrer gemeinsamen Berufung die Beweiswürdigung des Bundesasylamtes zum behaupteten Fluchtgrund substantiiert (und mit Argumenten, die über jene im erstinstanzlichen Verfahren hinausgingen) bestritten. Sie haben überdies konkrete Einwände gegen die Ausführungen der erstinstanzlichen Behörde zur Ablehnung von subsidiärem Schutz und zur Ausweisung erhoben.

Diesem (zum Teil auch neuen) Vorbringen hat die belangte Behörde nicht etwa unter Hinweis auf § 32 Abs. 1 AsylG (idF der AsylG-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 101) die Beachtlichkeit abgesprochen, wofür es im Übrigen einer Auseinandersetzung mit der für die Annahme eines Neuerungsverbotes erforderlichen Voraussetzung der missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens bedurft hätte (vgl. dazu das hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313). Sie hat vielmehr unter Verwendung des in der ständigen Rechtsprechung zur Verhandlungspflicht gebräuchlichen Rechtssatzes ohne fallbezogene zusätzliche Begründung die Voraussetzungen für die Abhaltung einer Berufungsverhandlung verneint, obwohl nach eben diesen rechtlichen Grundsätzen von einer Verhandlungspflicht auszugehen gewesen wäre.

Da nicht auszuschließen ist, dass bei Einhaltung der außer Acht gelassenen Verfahrensvorschriften für die Beschwerdeführer ein anderes Verfahrensergebnis zu erzielen gewesen wäre, waren die angefochtenen Bescheide wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG aufzuheben.

Der Spruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 27. Februar 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006010919.X00

Im RIS seit

27.03.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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