TE Vfgh Beschluss 2002/11/26 G61/02

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Veröffentlicht am 26.11.2002
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Index

50 Gewerberecht
50/01 Gewerbeordnung

Norm

B-VG Art140 Abs1 / Individualantrag
GewO 1994 §134a

Leitsatz

Zurückweisung eines Individualantrags mangels aktueller rechtlicher Betroffenheit durch die bereits außer Kraft getretene angefochtene Vorschrift der Gewerbeordnung

Spruch

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Begründung

Begründung:

I. Mit seinem auf Art140 Abs1 (letzter Satz) B-VG gestützten Individualantrag vom 28. Februar 2002 begehrt der Einschreiter die Aufhebung einer Wortfolge in §134a Abs1 GewO 1994 idF BGBl. I 59/1999.

Der bekämpfte §134a Abs1 befindet sich im II. Hauptstück der GewO 1994 und lautet in der Fassung BGBl. I 59/1999 (die zur Aufhebung begehrte Wortfolge ist hervorgehoben):

"Einer Gewerbeberechtigung für das gebundene Gewerbe der Buchhalter (§124 Z2a) bedarf es für die pagatorische Buchhaltung (Geschäftsbuchhaltung) einschließlich der Lohnverrechnung und der Erstellung der Saldenlisten für Betriebe im Rahmen der doppelten Wertgrenzen des §125 der Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 9/1998 und der Einnahmen- und Ausgabenrechnung im Sinne des §4 Abs3 des Einkommensteuergesetzes 1988, BGBl. Nr. 400/1988. Gewerbliche Buchhalter sind zum Abschluß von Büchern (Erstellung von Bilanzen), ausgenommen im Rahmen der Einnahmen- und Ausgabenrechnung, und zur Vertretung ihrer Auftraggeber vor Behörden nicht berechtigt."

1. Der Antragsteller sei als Inhaber der Gewerbeberechtigung "gewerblicher Buchhalter" gemäß §134a GewO 1994 berechtigt, pagatorische Buchhaltungen im Rahmen der doppelten Wertgrenzen des §125 BAO zu erstellen, jede Tätigkeit im Rahmen höherer als dieser Wertgrenzen sei aber für den Antragsteller unzulässig.

Zu seiner Antragslegitimation führt der Einschreiter aus, dass er das Gewerbe des Buchhalters gemäß §124 Z2a GewO 1994 (das ist das in §134a GewO 1994 näher beschriebene Gewerbe) ausübe, er aber durch die angefochtenen Wortfolge in seiner Berufsausübung eingeschränkt sei, wobei unmittelbar in seine Rechtssphäre eingegriffen werde, ohne dass es hierfür einer behördlichen Entscheidung bedürfe. Für den Fall des Zuwiderhandelns gegen die angefochtene Bestimmung müsse er mit der Verhängung einer Verwaltungsstrafe rechnen, was ihm nicht zumutbar sei.

In weiterer Folge legt der Antragsteller seine Bedenken ob der Verfassungsmäßigkeit der angefochtenen Bestimmung dar.

2. Mit Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg wurde im Instanzenzug über den nunmehrigen Antragsteller eine Geldstrafe gemäß §116 Z1 WirtschaftstreuhandberufsG (WTBG) verhängt, weil er im Rahmen seiner gewerblichen Tätigkeit für ein bestimmtes Unternehmen auch den steuerlichen Jahresabschluss erstellt und dadurch eine gemäß §2 Abs1 Z2 WTBG den "selbständigen Buchhaltern" vorbehaltene Tätigkeit (Abschluss von Büchern) angeboten habe.

Gegen diesen Bescheid ist hg. eine zu B70/02 protokollierte Beschwerde anhängig.

II. Der Antrag ist nicht zulässig.

1. a) Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Judikatur - beginnend mit VfSlg. 8009/1977 - ausführt, erfordert die Antragslegitimation nicht nur, dass die antragstellende Partei behauptet, unmittelbar durch die als verfassungswidrig angefochtene Gesetzesbestimmung in ihren Rechten verletzt worden zu sein, sondern sie setzt auch voraus, dass dieses Gesetz für den Antragsteller tatsächlich, und zwar ohne Fällung einer gerichtlichen Entscheidung oder ohne Erlassung eines Bescheides, wirksam wurde. Grundlegende Voraussetzung der Antragslegitimation bildet dabei der Umstand, dass das angefochtene Gesetz die Rechtssphäre der betreffenden (natürlichen oder juristischen) Person berührt und - im Fall der Verfassungswidrigkeit - verletzt. Jedoch nicht jedem Normadressaten kommt die Anfechtungsberechtigung zu; es ist vielmehr auch notwendig, dass unmittelbar durch das Gesetz selbst - tatsächlich - in die Rechtssphäre des Antragstellers eingegriffen wird. Ein solcher, die Antragslegitimation begründender Eingriff in die Rechtssphäre einer Person muss jedenfalls nach Art und Ausmaß durch das Gesetz eindeutig bestimmt sein und die rechtlich geschützten Interessen des Betroffenen nicht bloß potentiell, sondern aktuell beeinträchtigen. Ein derartiger "unmittelbarer" Eingriff fehlt dann, wenn dem Antragsteller zur Abwehr der - ihm durch die angebliche Verfassungswidrigkeit des angefochtenen Gesetzes entstandenen - Rechtsverletzung ein anderer zumutbarer Weg zur Verfügung steht. Dazu legte der Verfassungsgerichtshof bereits in wiederholten Entscheidungen (vgl. etwa VfSlg. 8890/1980 und die dort zitierte Judikatur) dar, dass das mit Art139 Abs1 und Art140 Abs1 B-VG dem einzelnen Normunterworfenen eingeräumte Rechtsinstrument dafür bestimmt ist, Rechtsschutz gegen rechtswidrige generelle Normen - gleichsam lückenschließend - nur insoweit zu gewähren, als ein anderer zumutbarer Weg hiefür nicht in Betracht kommt; andernfalls gelangte man zu einer Doppelgleisigkeit des Rechtsschutzes, die mit der grundsätzlichen Aufgabe des Individualantrages, bloß subsidiärer Rechtsbehelf zu sein, keineswegs im Einklang stünde.

Ein solcher - die Antragslegitimation ausschließender - zumutbarer Weg besteht grundsätzlich dann, wenn ein gerichtliches oder verwaltungsbehördliches Verfahren bereits anhängig ist, das dem von der generellen Rechtsnorm Betroffenen letztlich Gelegenheit bietet, die Einleitung eines amtswegigen Normenprüfungsverfahrens beim Verfassungsgerichtshof anzuregen; eine Ausnahme besteht nur für den Fall, dass besondere, außergewöhnliche Umstände vorliegen, um der Partei des gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Verfahrens trotz der ihr dort offen stehenden Möglichkeiten das Recht auf Einbringung eines Normenprüfungsantrages einzuräumen (vgl. zB VfSlg. 8312/1978, 8552/1979, 10.251/1984). Zwar ist es unzumutbar, ein Strafverfahren zu provozieren, um solcherart Gelegenheit zu finden, ein amtswegiges Normenprüfungsverfahren zu initiieren (vgl. zB VfSlg. 8396/1978, 8464/1978); ist ein Strafverfahren aber ohnehin im Gange, so muss es dem Beschuldigten durchaus zugemutet werden, den administrativen Instanzenzug auszuschöpfen und sodann beim Verfassungsgerichtshof Beschwerde nach Art144 B-VG zu erheben und darin seine Bedenken gegen die generelle Norm vorzubringen (vgl. zB VfSlg. 11.481/1987).

b) Der Antragsteller hat nun gegen einen Strafbescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates Salzburg, dem die mit dem vorliegenden Antrag bekämpfte Bestimmung zugrunde liegt, (eine noch anhängige) Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben. Dem Einschreiter ist somit die - iSd ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. zB VfSlg. 11.684/1988) zumutbarerweise zu nutzende und von ihm auch genutzte - Möglichkeit offen gestanden, nach Ausschöpfung des administrativen Instanzenzuges im Wege einer Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof seine Bedenken gegen das dem Straferkenntnis zugrunde gelegte Gesetz geltend zu machen, um auf diese Weise eine gegebenenfalls von Amts wegen zu veranlassende Überprüfung dieser Norm auf ihre Verfassungsmäßigkeit zu erwirken.

c) Der Antrag ist daher schon aus diesem Grunde unzulässig.

2. a) Mit dem Bundesgesetz BGBl. I 111/2002 wurde u.a. das die angefochtene Bestimmung des §134a beinhaltende II. Hauptstück der GewO 1994 gänzlich neu gefasst. Eine mit der bekämpften Bestimmung übereinstimmende Regelung wurde mit der genannten Änderung unter der Bezeichnung §102 erlassen. Die entsprechenden Bestimmungen traten mit 1. August 2002 in Kraft.

Der vom Antragsteller (teilweise) angefochtene §134a Abs1 GewO 1994 idF BGBl. I 59/1999 steht somit seit dem Inkrafttreten des BG BGBl. I 111/2002 nicht mehr in Geltung.

b) Wie der Verfassungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung darlegt (vgl. VfSlg. 9868/1983, 11.365/1987, 12.182/ 1989, 12.413/1990, 12.999/1992, 14.033/1995, 15.021/1997, 15.116/ 1998, VfGH 12.12.2001, G68/00), entfaltet eine im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofs bereits außer Kraft getretene Norm für die Rechtssphäre des Antragstellers regelmäßig nicht mehr die eine Antragstellung rechtfertigende unmittelbare Wirkung. Das Ziel eines Verfahrens nach dem letzten Satz der ersten Absätze in Art139 und 140 B-VG, die rechtswidrige Norm ohne Verzug mit genereller Wirkung aus dem Rechtsbestand zu entfernen, ist mit ihrem Außer-Kraft-Treten schon erreicht.

Dem Antragsteller fehlt demnach die - nicht bloß im Zeitpunkt der Einbringung des Individualantrages, sondern auch im Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs hierüber - erforderliche aktuelle Betroffenheit durch die bereits außer Kraft getretenen Vorschriften und damit - zusätzlich zu dem unter Pkt. II.1. dargelegten Grund - die Legitimation zu deren Anfechtung.

c) Der Antrag ist daher auch aus diesem Grund als unzulässig zurückzuweisen.

III. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs3 Z2 lite VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

Schlagworte

Geltungsbereich (zeitlicher) eines Gesetzes, VfGH / Individualantrag

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VFGH:2002:G61.2002

Dokumentnummer

JFT_09978874_02G00061_00
Quelle: Verfassungsgerichtshof VfGH, http://www.vfgh.gv.at
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