TE Vwgh Erkenntnis 2007/8/24 2006/19/0153

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Veröffentlicht am 24.08.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerde des K, vertreten durch Dr. Clemens Vintschgau, Rechtsanwalt in 1080 Wien, Florianigasse 24, gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 25. April 2005, Zl. 243.087/0-XIV/08/03, betreffend §§ 7 und 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Ein Kostenersatz findet nicht statt.

Begründung

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger Indiens, gelangte im Jänner 2003 in das Bundesgebiet und beantragte Asyl. Bei seiner Einvernahme vor dem Bundesasylamt am 26. September 2003 gab er an, wegen seiner Beziehung zu seiner mit ihm eingereisten, einer anderen Volksgruppe angehörenden Freundin von deren Bruder verfolgt worden zu sein. Dieser habe ihn schon bei einem Vorfall im April oder Mai 2002 geschlagen, ihn im September 2002 zusammen mit mehreren anderen Männern überfallen und ihm bei dieser Gelegenheit mit einem Motorradauspuff schwere, äußerst schmerzhafte Verbrennungen zugefügt, von denen auch Narben zurückgeblieben seien. Ebenfalls im September 2002 habe er mit der unrichtigen Anzeige, der Beschwerdeführer belästige seine Schwester, die Verhaftung des Beschwerdeführers durch die Polizei herbeigeführt. Die Polizisten hätten den Erklärungen des Beschwerdeführers nicht geglaubt, sein Vater habe ihn aber durch Bestechung aus dieser Haft befreien können. Da der Bruder der Freundin des Beschwerdeführers diesem mit der Ermordung gedroht und der Beschwerdeführer weitere Nachstellungen, auch unter Inanspruchnahme der Polizei, befürchtet habe, sei er zusammen mit seiner Freundin geflohen. Die Polizei würde ihm in Indien nicht helfen.

Das Bundesasylamt wies den Asylantrag mit Bescheid vom 3. Oktober 2003 gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Indien gemäß § 8 AsylG für zulässig. Es traf folgende Feststellungen zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers:

"Sie befinden sich wegen befürchteter Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit, ausgehend von Zivilisten, außerhalb Ihres Heimatlandes.

Sie besitzen keinen Identitätsnachweis. Ihre Person steht nicht fest.

Ihren Aussagen über eine Untätigkeit der Polizei wird die Glaubwürdigkeit abgesprochen."

Letzteres wurde in den Ausführungen zur Beweiswürdigung damit begründet, dass diese Aussagen "mit Behördenerkenntnissen nicht vereinbar" seien. In den Rechtsausführungen wurde auf dieses Thema wie folgt Bezug genommen:

"Eine Billigung oder Duldung der Ihrer Person drohenden Gefahren, durch die Behörden Ihres Heimatstaates, haben Sie nicht glaubhaft gemacht, weil kein Anlass besteht, in die staatlichen Stellen Indiens kein Vertrauen zu setzen.

Es liegen keine Erkenntnisse vor, dass die indischen Behörden Übergriffen Einzelner Vorschub leisten oder solche tatenlos hinnehmen. Die Behörden in Ihrer Heimat sind bemüht, Straftaten zu verfolgen."

Über die Berufung des Beschwerdeführers gegen diesen Bescheid verhandelte die belangte Behörde zunächst am 10. Februar 2004. Der Beschwerdeführer wurde ergänzend einvernommen und gab u.a. an, er und seine Freundin gehörten verschiedenen Kasten an. Der Bruder seiner Freundin, ein Kreditvermittler, sei außerdem sehr reich und habe die Freundin des Beschwerdeführers einem anderen Mann als Ehefrau versprochen. Die Polizisten hätten den Erklärungen des Beschwerdeführers nach dessen Festnahme nicht zuhören wollen. Sie hätten ihn beschimpft und gemeint, wenn der Bruder die Beziehung verbiete, dann dürfe er das Mädchen nicht mehr sehen. Für den Fall seiner Rückkehr nach Indien fürchte er, dass der Bruder seiner Freundin den Polizeiapparat dafür einsetzen werde, ihn in ganz Indien ausfindig zu machen und "unter Unterstellung eines Scheindeliktes" festnehmen zu lassen. Außerdem fürchte er, dass der Bruder seiner Freundin ihn töten würde, weil durch deren Flucht seine Ehre verletzt worden sei.

Die belangte Behörde holte zu der befürchteten Verfolgung ein schriftliches Gutachten der Sachverständigen Kshama Steiner ein, das die Existenz der vom Beschwerdeführer bezeichneten Kasten bestätigte, die polizeiliche Verfolgung von Verbrechen "im Namen der Familienehre" als wahrscheinlich bezeichnete und Aufsehen erregende Fälle beschrieb, in denen es - jeweils mit Billigung der lokalen Bevölkerung - zu Tötungsdelikten im Zusammenhang mit "unstandesgemäßen" Beziehungen gekommen sei. Von diesen Ehrenmorden gebe es jährlich "mehrere hundert".

In der fortgesetzten Verhandlung am 17. März 2005 gab die Sachverständige ergänzend zu Protokoll, bei volljährigen Personen sei es schwer, unter dem Vorwurf einer "Entführung" eine landesweite Suche durch die Polizei zu veranlassen. "Wahrscheinlicher" sei in diesem Fall "eine Suche im Wege von Privatdetektiven oder Kopfgeldjägern". Schon im schriftlichen Gutachten war ausgeführt worden, der Beruf des als Geldverleiher tätigen Bruders der Freundin des Beschwerdeführers deute darauf hin, dass dieser "durchaus Kontakte zu potenziellen Gewalttätern haben könnte".

Der Beschwerdeführer wiederholte, der Bruder seiner Freundin sei eine "reiche und somit einflussreiche Person". Er würde ihn suchen und töten lassen. Sollte er dafür im Nachhinein zur Verantwortung gezogen werden, so würde dies dem Beschwerdeführer nichts mehr nützen.

Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung gemäß §§ 7 und 8 Abs. 1 AsylG ab. Sie traf zu den Fluchtgründen Feststellungen, in denen von einer "Misshandlung" des Beschwerdeführers durch den Bruder seiner Freundin (aber nicht von den ihm seinem Vorbringen nach zugefügten schweren Verbrennungen) die Rede war und zur Freilassung aus der Haft ausgeführt wurde, diese sei erfolgt, nachdem der Beschwerdeführer "den richtigen Sachverhalt" dargelegt und eine "Intervention" seines Vaters stattgefunden hatte. Beweiswürdigend wurde dargelegt, das Vorbringen des Beschwerdeführers sei "hinsichtlich dieser Feststellungen" widerspruchsfrei und daher glaubwürdig gewesen. Zu seiner Befürchtung weiterer Maßnahmen der Polizei gegen ihn sei darauf hinzuweisen, dass er "schon einmal erfolgreich" auf die "wahre Sachlage" hingewiesen habe und seine Freundin seine Angaben ja bestätigen könne. Aus den Ausführungen der Sachverständigen in der Berufungsverhandlung ergebe sich auch, dass es in seinem Fall "nicht ohne weiteres gelingen würde", die Polizei zu einer landesweiten Suche zu veranlassen. Dass der Beschwerdeführer "mithilfe von Kopfgeldjägern bzw. Privatdetektiven gesucht werden könnte", sei "durchaus möglich". Der Erfolg einer solchen Suche erweise sich aber "vor dem Hintergrund des fehlenden Meldewesens in Indien und (der) Größe des Landes als nicht ausreichend wahrscheinlich." Der Beschwerdeführer werde "nicht von staatlicher Seite bedroht" und "mögliche Bedrohungen durch den Bruder" seiner Freundin seien "ein lokal begrenztes Problem", dem der Beschwerdeführer durch seine Niederlassung in einem anderen Ort in Indien entgehen könnte. Dass ihm "von staatlicher Seite Schutz verweigert worden sei", habe "nicht festgestellt werden" können.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, über die der Verwaltungsgerichtshof in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die belangte Behörde hat dem Fall des Beschwerdeführers - im Gegensatz zum Bundesasylamt - ein Ermittlungsverfahren gewidmet, dessen Ergebnisse in den angefochtenen Bescheid aber nicht in ausreichend nachvollziehbarer Weise Eingang gefunden haben.

Insoweit sich die Ausführungen in der Bescheidbegründung (auf Seite 10 und 11) mit dem im "schriftlichen Berufungsantrag zusätzlich ausgeführten Vorbringen" auseinandersetzen, scheinen sie überhaupt einen anderen Fall zu betreffen. Es ist aber auch nicht klar, ob die belangte Behörde der Schilderung des Beschwerdeführers über die seiner Ausreise vorangegangenen Vorfälle insgesamt folgen wollte und die Bezugnahmen auf eine "Misshandlung" (ohne Erwähnung der behaupteten schweren Verbrennungen) und eine "Intervention" (ohne Erwähnung des Erfordernisses einer Bestechung) nur der verkürzten Zusammenfassung der Ereignisse zuzuschreiben sind, oder ob die belangte Behörde Übertreibungen annahm und tatsächlich - im Widerspruch zum Vorbringen - davon ausgehen wollte, der Beschwerdeführer habe nach seiner Festnahme "erfolgreich" auf die "wahre Sachlage" verwiesen, wie es in der Beweiswürdigung an einer Stelle heißt. Eine in diesem Sinn differenzierende Auseinandersetzung mit den Schilderungen des Beschwerdeführers enthält der angefochtene Bescheid nicht.

Angesichts der Angaben des Beschwerdeführers über das Verhalten der Polizei in seinem Fall ist auch nicht erkennbar, worauf sich die Ansicht gründet, eine Verweigerung staatlichen Schutzes sei nicht feststellbar gewesen. Die belangte Behörde ist dabei nicht von den gleichen nicht näher begründeten "Behördenerkenntnissen" ausgegangen wie das Bundesasylamt. Sie hat auf Grund näher bezeichneter Berichte festgestellt, in Indien komme es zu zahlreichen Menschenrechtsverletzungen, u.a. zu willkürlichen Verhaftungen durch die Polizei und zu Misshandlungen im Polizeigewahrsam, wobei das Verhalten der Polizei durch persönliche Faktoren wie Bildung, Vermögen und sozialen Status des Betroffenen beeinflusst werde. Letzteres scheint im vorliegenden Fall - bei Zugrundelegung des Vorbringens - auch für eine Prognose des weiteren Verhaltens der Polizei im Konflikt zwischen dem Beschwerdeführer und dem Bruder seiner Freundin von Bedeutung zu sein.

Ein Mangel in der Bescheidbegründung ist auch darin zu sehen, dass das zum Fall eingeholte schriftliche Gutachten - im Gegensatz zu dessen Ergänzung in der Verhandlung - im angefochtenen Bescheid an keiner Stelle vorkommt. Die Ausführungen der Sachverständigen zur Bedeutung der Kastenverschiedenheit, zu damit im Zusammenhang stehenden Tötungsdelikten und deren bloß nachträglicher Ahndung haben in die Überlegungen der belangten Behörde nicht erkennbar Eingang gefunden.

Hinzu kommt, dass die Ausführungen der belangten Behörde in einem entscheidenden Punkt in sich widersprüchlich sind. Wird davon ausgegangen, es sei nicht unwahrscheinlich, dass der Bruder der Freundin des Beschwerdeführers diesen von "Kopfgeldjägern bzw. Privatdetektiven" suchen lässt, so kann nicht zugleich davon gesprochen werden, es handle sich um ein "lokal begrenztes Problem". Dem Beschwerdeführer droht vielmehr - offenbar auch nach der Ansicht der belangten Behörde - eine landesweite Suche mit Mitteln der beschriebenen Art, wobei keine Feststellungen darüber vorliegen, dass er trotz der in mehrfacher Hinsicht überlegenen Position des Bruders seiner Freundin nicht nur den Einsatz der Polizei als Instrument zu seiner weiteren Verfolgung abwenden, sondern umgekehrt den Schutz staatlicher Einrichtungen in Anspruch nehmen könnte. Die Annahme, staatlichen Schutzes bedürfe es gar nicht, weil "Kopfgeldjäger bzw. Privatdetektive" den Beschwerdeführer nicht finden würden, ist mit Hinweisen auf die Größe des Landes und das Fehlen einer Meldepflicht nicht ausreichend begründet, sodass auf die rechtliche Problematik der Vorstellung interner Ausweichmöglichkeiten ohne staatliches Schutzangebot - gegenüber einer nicht lokal begrenzten Verfolgung -

nicht näher eingegangen werden muss.

Schließlich kann der belangten Behörde auch nicht gefolgt werden, wenn sie im Zusammenhang mit der Frage einer möglichen Bedrohung im Sinne des § 57 Abs. 1 FrG ausführt, dafür finde sich, "wie die erstinstanzliche Behörde völlig zu Recht festgestellt hat, im Vorbringen des Berufungswerbers keinerlei Anhaltspunkt".

Der angefochtene Bescheid war aus diesen Gründen gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Ein Kostenersatz hat zu unterbleiben, weil die Beschwerde keinen darauf abzielenden Antrag enthält.

Wien, am 24. August 2007

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190153.X00

Im RIS seit

04.10.2007
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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