TE Vwgh Erkenntnis 2007/9/26 2006/19/0089

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Veröffentlicht am 26.09.2007
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof;
40/01 Verwaltungsverfahren;
41/02 Passrecht Fremdenrecht;

Norm

AsylG 1997 §7;
AsylG 1997 §8;
AVG §66 Abs4;
AVG §67d;
EGVG 1991 Anlage Art2 Abs2 Z43a;
VwGG §42 Abs2 Z3 litb;
VwGG §42 Abs2 Z3 litc;

Beachte

Miterledigung (miterledigt bzw zur gemeinsamen Entscheidung verbunden): 2006/19/0091 2006/19/0090

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Höß sowie die Hofräte Dr. Nowakowski und Mag. Nedwed als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. S. Giendl, über die Beschwerden 1. der C, 2. des K, 3. der M (hg. Zl. 2006/19/0089), 4. des T (hg. Zl. 2006/19/0090), und

5. der L (hg. Zl. 2006/19/0091), alle vertreten durch Mag. Werner Piplits, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Annagasse 3, gegen die Bescheide des unabhängigen Bundesasylsenates vom 26. Mai 2004, Zlen. 243.412/0-VIII/23/03, 243.411/0-VIII/23/03 und 243.409/0- VIII/23/03, betreffend §§ 7 und 8 Asylgesetz 1997 (weitere Partei: Bundesminister für Inneres), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Bescheide werden wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

Der Bund hat den beschwerdeführenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 2.973,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Die beschwerdeführenden Parteien sind Staatsangehörige Georgiens. Der Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin sind die Schwiegereltern der Erstbeschwerdeführin, der Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin deren Kinder. Sie gelangten im September 2002 in das Bundesgebiet und beantragten Asyl. Bei Einvernahmen vor dem Bundesasylamt am 17. Oktober 2002 (vorwiegend zur Drittstaatsicherheit in Tschechien) und am 20. Juni 2003 (zu den Fluchtgründen) gaben die Erst- und Fünftbeschwerdeführerin sowie der Viertbeschwerdeführer als Fluchtgrund an, die Familie sei seit dem Sturz Gamsachurdias, der ein entfernter Verwandter der Fünftbeschwerdeführerin gewesen sei, wegen dessen Unterstützung durch den Viertbeschwerdeführer verfolgt worden und im August oder September 2001 oder 2002 seien die Fünftbeschwerdeführerin und ihr unverheirateter jüngerer Sohn entführt und erst nach mehreren Tagen wieder freigelassen worden.

Das Bundesasylamt wies die Asylanträge mit Bescheiden vom 7. Oktober 2003 (betreffend die erst- bis drittbeschwerdeführenden Parteien und die Fünftbeschwerdeführerin) sowie vom 8. Oktober 2003 (betreffend den Viertbeschwerdeführer) gemäß § 7 des Asylgesetzes 1997 (AsylG) ab und erklärte die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung der beschwerdeführenden Parteien nach Georgien gemäß § 8 AsylG für zulässig.

Begründend führte das Bundesasylamt in den den Viertbeschwerdeführer und die Fünftbeschwerdeführerin betreffenden Bescheiden aus, "das gesamte Vorbringen zur Bedrohungssituation" sei nicht glaubwürdig, weil sich in und zwischen den Angaben des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin sowie teilweise auch im Verhältnis zu denen der Erstbeschwerdeführerin näher dargestellte Widersprüche ergeben hätten. In dem die erstbis drittbeschwerdeführenden Parteien betreffenden Bescheid führte das Bundesasylamt aus, den Fluchtgründen der Schwiegereltern der Erstbeschwerdeführerin habe die Glaubwürdigkeit "aberkannt" werden müssen, wohingegen davon ausgegangen werde, dass die Erstbeschwerdeführerin (und deren Kinder) "Georgien aus den von Ihnen vorgebrachten Gründen verlassen" hätten. Die Gefahr einer Verfolgung habe die Erstbeschwerdeführerin (für sich und ihre Kinder) aber "nicht einmal ansatzweise behauptet".

In den Berufungen gegen diese Bescheide wurde namens der erstbis drittbeschwerdeführenden Parteien ausgeführt, sie seien zwar bisher noch nicht persönlich bedroht worden, befürchteten dies aber für die Zukunft. Namens des Viertbeschwerdeführers wurde unter konkreter Bezugnahme auf einzelne der beweiswürdigenden Erwägungen des Bundesasylamtes dessen Beweiswürdigung bekämpft. In der für die Fünftbeschwerdeführerin erhobenen Berufung wurde geltend gemacht, es sei ihr bei der Einvernahme nicht gut gegangen, sie sei sehr verwirrt und zeitlich desorientiert gewesen, was sich schon daraus ergebe, dass sie die Frage nach dem gegenwärtigen Jahr mit "1993" beantwortet habe. Die teilweisen Widersprüche seien darauf zurückzuführen.

Mit den angefochtenen, ohne Berufungsverhandlung erlassenen Bescheiden wies die belangte Behörde die Berufungen gemäß §§ 7 und 8 AsylG ab. Sie verwies in textbausteinartigen Wendungen auf die erstinstanzlichen Bescheide, ohne auf den Inhalt der Berufungen konkret einzugehen.

Dagegen richten sich die vorliegenden Beschwerden, über die der Verwaltungsgerichtshof nach ihrer Verbindung zur gemeinsamen Erledigung in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

Die namens der beschwerdeführenden Parteien erhobenen Berufungen waren kurz gehalten, behandelten aber in sachgerecht differenzierender Weise die jeweils problematischen Punkte der erstinstanzlichen Bescheide. So hatte die Erstbeschwerdeführerin vor dem Bundesasylamt zwar an einer Stelle angegeben, sie "persönlich" hätte "nichts zu befürchten". Sie hatte aber davon gesprochen, dass ihr Mann (der ältere Sohn der viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien) seit Jahren verfolgt werde und dass sie Angst um ihre Kinder, den Zweitbeschwerdeführer und die Drittbeschwerdeführerin, habe. In Bezug auf sie selbst wäre die Behauptung in der Berufung, wegen des familiären Zusammenhanges für die Zukunft Verfolgung zu befürchten, eine von der belangten Behörde in Behandlung zu nehmende, auf die ursprüngliche Angabe, die "Familie" werde aus politischen Gründen verfolgt, zurückgreifende Neuerung gewesen. Die Berufung des Viertbeschwerdeführers enthielt konkrete Argumente zur Beweiswürdigung, mit denen sich die belangte Behörde ebenfalls auseinander zu setzen gehabt hätte. In ihr wurde - hinsichtlich der Abweichungen zwischen den Angaben des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin - auch bereits auf den Gesundheitszustand der Fünftbeschwerdeführerin während ihrer Einvernahme am 20. Juni 2003 hingewiesen. Das diesbezügliche Vorbringen in der Berufung der Fünftbeschwerdeführerin hätte angesichts der mehrfachen und massiven Hinweise auf gesundheitliche Probleme in der Niederschrift ("Ich bin völlig außer mir. Ich wusste es ... Ich weiß nicht mehr, was ich rede. Mir ist schlecht. Ich habe ein vollkommenes Blackout. Mein Blutdruck ist gefallen. Ich kann nicht mehr richtig denken. ...

Frage: Welches Jahr schreiben wir derzeit? Antwort: 1993.

Behördliche Anmerkung: AW bittet, auf die Toilette gehen zu dürfen ... Ich bin nicht bei Verstand. Ich kann nicht richtig denken. Ich kann überhaupt nichts mehr sagen") gleichfalls einer näheren Prüfung bedurft. Die erstinstanzliche Beweiswürdigung, die sich ohne Auseinandersetzung mit diesen Teilen der Niederschrift u. a. auf Unterschiede zwischen den Angaben des Viertbeschwerdeführers und der Fünftbeschwerdeführerin stützte, war insoweit schon aus diesem Grund nicht schlüssig. Sie war es aber auch insoweit nicht, als die offenbar als glaubwürdig eingestufte Erstbeschwerdeführerin zwar zu einzelnen Punkten abweichende Angaben gemacht, insbesondere die Tatsache der Entführung der Fünftbeschwerdeführerin und des jüngeren Sohnes der viert- und fünftbeschwerdeführenden Parteien aber ausdrücklich bestätigt hatte. Aus all diesen Gründen hätte die belangte Behörde über die Berufungen auch verhandeln müssen.

Indem die belangte Behörde dies unterließ, auf die Inhalte der Berufungen nicht konkret einging und die Berufungen stattdessen mit formelhaften, nicht erkennbar fallbezogenen Wendungen abwies, hat sie im Ergebnis ein ihr nicht zustehendes Ablehnungsrecht in Anspruch genommen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 27. September 2005, Zl. 2005/01/0313, sowie die weiteren im Erkenntnis vom 26. Jänner 2006, Zl. 2005/01/0229, erwähnten Entscheidungen und seither etwa noch die Erkenntnisse vom 23. März 2006, Zl. 2006/19/0524, vom 23. November 2006, Zl. 2005/20/0454, und vom heutigen Tag, Zlen. 2006/19/0120, 0121).

Die angefochtenen Bescheide waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 lit. b und c VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.

Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2003.

Wien, am 26. September 2007

Schlagworte

Rechtliche Wertung fehlerhafter Berufungsentscheidungen Rechtsverletzung durch solche Entscheidungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2007:2006190089.X00

Im RIS seit

26.11.2007

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2008
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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