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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
StVG §107 Abs1 idF 2004/I/136;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Giendl und die Hofräte Dr. Bernegger, Dr. Waldstätten, Dr. Rosenmayr und Dr. Bayjones als Richter, im Beisein der Schriftführerin Dr. Kühnberg, über die Beschwerde des AFG in G, vertreten durch Dr. Stephan Moser, Rechtsanwalt in 8010 Graz, Kalchberggasse 1, gegen den Bescheid der Vollzugskammer beim Oberlandesgericht Graz vom 8. November 2005, Vk 42/05-5, betreffend Ordnungswidrigkeit gemäß StVG, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von EUR 991,20 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Der Anstaltsleiter der Justizanstalt G-K legte dem Beschwerdeführer mit Straferkenntnis vom 11. August 2005 zur Last, er habe in der Justizanstalt G-K "am 21. Juli 2005" dadurch, dass er sich in einem Besuchsgespräch mit M.P. vorsätzlich ungebührlich benommen habe, indem er verächtliche Äußerungen über den Anstaltleiter Oberst H. und den stellvertretenden Anstaltsleiter Oberst P. getätigt habe sowie den stellvertretenden Anstaltsleiter einer gerichtlich strafbaren Geisteshaltung, nämlich ein Nazi zu sein, bezichtigt habe, gegen den § 26 StVG verstoßen und eine in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallende strafbare Handlung gegen die Ehre begangen, wobei die Zustimmung zur Verfolgung durch Oberst P. nicht erteilt worden sei. Er habe dadurch Ordnungswidrigkeiten nach "1. § 107 (1) Z 10; 2. § 107 (1) Z 9;
3. § 107 (3); StVG" begangen und werde hiefür gemäß § 109 Z. 4 i. V.m. § 113 StVG mit der "Geldbuße in der Höhe von EUR 35,-- ... zu zwei Teilbeträgen" bestraft.
Diese Entscheidung wurde damit begründet, dass auf Grund der eindeutigen und schlüssigen Meldung des Bezirksinspektors K. vom 21. Juli 2005 sowie des Gesprächsprotokolles der routinemäßig erfolgten Gesprächsüberwachung folgender Sachverhalt als erwiesen angenommen werde. Der Beschwerdeführer habe am 6. Juli 2005 Besuch von M.P. erhalten. Dieses Gespräch sei überwacht und aufgezeichnet worden. Im Zuge des Gespräches habe der Beschwerdeführer folgende Bemerkungen getätigt:
"Von der Hierarchie her hast zwei Oberste. Der eine ist der
Nazi, das ist der, der hier drin mehr oder minder Druck macht und
Dampf macht, ... (...). Der Herrscher, der Imperator, das ist der
Oberst P... . Und der zweite ist aber nach außen hin, ist der
formal juristische Anstaltsleiter. (...). Der ist der Oberst H...
. Der ist eher der, der großen Wert legt auf Schein, auf Politik
... ."
Gemäß § 107 Abs. 1 Z. 10 StVG begehe der Strafgefangene eine Ordnungswidrigkeit, der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes vorsätzlich sonst den allgemeinen Pflichten der Strafgefangenen nach § 26 StVG zuwiderhandle. Gemäß § 26 StVG hätten sich die Strafgefangenen so zu benehmen, wie es der Anstand gebiete. Gemäß § 107 Abs. 3 StVG begehe der Strafgefangene unbeschadet des § 118 StVG eine Ordnungswidrigkeit, der sich einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung u.a. gegen die Ehre einer der im Abs. 1 Z. 9 leg. cit. genannten Personen schuldig mache. Die im vorliegenden Fall erfolgte Bezichtigung des Oberst P., dass er ein Nazi sei, erfülle den Tatbestand der üblen Nachrede. Oberst P. habe keine Verfolgung verlangt. In seiner Verantwortung vom 22. Juli 2005 habe der Beschwerdeführer erklärt, sich nicht an die getätigten Äußerungen erinnern zu können. Er könne sie daher weder aus- noch einschließen. Weiters habe er nicht die Absicht gehabt, jemanden einer verächtlichen Eigenschaft zu bezichtigen. Dies könne durch das vorliegende Gesprächsprotokoll widerlegt werden. Demgegenüber vertrat die erstinstanzliche Behörde die Ansicht, aus dem Zusammenhang des Gesprächsprotokolles könne geschlossen werden, dass mit der Bezeichnung Nazi eindeutig Oberst P. gemeint gewesen sei.
Die belangte Behörde gab der dagegen erhobenen Beschwerde des Beschwerdeführers mit dem angefochtenen Bescheid gemäß den "§§ 107 Abs 1 Z 10 und Z 9, 107 Abs 3, 121 StVG" dahin Folge, dass die Geldbuße auf EUR 25,-- herabgesetzt wurde. Diese Entscheidung wurde im Wesentlichen damit begründet, dass die erstinstanzliche Behörde die Äußerungen des Beschwerdeführers zu Recht als Ordnungswidrigkeiten gemäß § 107 Abs. 1 Z. 9 und Z. 10 und Abs. 3 StVG qualifiziert habe. Dem Beschwerdevorbringen sei zunächst zu entgegnen, dass sich aus dem Inhalt der Gesprächsaufzeichnungen in keiner Weise ergebe, dass der Strafgefangene im Zusammenhang mit den inkriminierten Äußerungen gegenüber dem Besucher zu verstehen gegeben habe, selbst keine Wahrnehmungen darüber gemacht zu haben und lediglich die Meinung anderer Strafgefangener wiedergegeben zu haben. Das Gespräch erweise sich als weitgehend prahlerisches und "noch in anderen Passagen ungebührliches Vorbringen des Beschwerdeführers, das den Eindruck erweckt, er selbst habe sich ein Bild von (weitgehend skandalösen) Vorgängen bzw. Zuständen in der Justizanstalt gemacht". Was die - im Zentrum des Straferkenntnisses stehende - Verunglimpfung des stellvertretenden Anstaltsleiters betreffe, so handle es sich bei der - im Übrigen nicht ansatzweise untermauerten - Behauptung, er wäre ein Nazi zweifellos um üble Nachrede im Sinne des § 111 Abs. 1 StGB, weil der stellvertretende Anstaltsleiter damit in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Gesinnung geziehen werde. Dass diese Äußerung vom Beschwerdeführer mit zumindest bedingtem Vorsatz getätigt worden sei, bedürfe keiner weiteren Erörterung. Dementsprechend habe der Bescheid das Verhalten des Strafgefangenen zu Recht (idealkonkurrierend) den Ordnungswidrigkeiten nach § 107 Abs. 1 Z. 9, Z. 10 und Abs. 3 StVG unterstellt.
In der dagegen erhobenen Beschwerde wird Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend gemacht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Im vorliegenden Fall kommt das Strafvollzugsgesetz, BGBl. Nr. 144/1969 (StVG) in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 136/2004, zur Anwendung.
Die disziplinarrechtlichen Tatbestände des § 107 Abs. 1 Z. 9, Z. 10 und Abs. 3 StVG lauten wie folgt:
"§ 107. (1) Eine Ordnungswidrigkeit begeht der Strafgefangene, der entgegen den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes vorsätzlich
1.
...
9.
sich einer im Strafvollzuge oder sonst für die Anstalt tätigen Person, einem Bediensteten der öffentlichen Verwaltung, einem Unternehmer, anderen privaten Auftraggeber (§ 45 Abs. 2) oder einem seiner Bediensteten oder einem Besucher gegenüber ungebührlich benimmt; oder
10. sonst den allgemeinen Pflichten der Strafgefangenen nach § 26 zuwiderhandelt.
(2) ...
(3) Eine Ordnungswidrigkeit begeht ferner unbeschadet des § 118 Abs. 1 der Strafgefangene, der sich einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung gegen die körperliche Sicherheit, gegen die Ehre oder gegen das Vermögen einer der im Abs. 1 Z. 9 genannten Personen oder eines Mitgefangenen oder einer in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte fallenden strafbaren Handlung gegen das Anstaltsgut schuldig macht."
Gemäß § 116 Abs. 1 StVG hat über die Verhängung von Ordnungsstrafen unbeschadet der Bestimmung des § 108 die Vollzugsbehörde erster Instanz zu entscheiden. Richtet sich die Ordnungswidrigkeit aber gegen die Person des Anstaltsleiters, so steht die Entscheidung der Vollzugskammer zu. Die Zuständigkeit bleibt auch erhalten, wenn der Strafgefangene während eines anhängigen Ordnungsstrafverfahrens in eine andere Anstalt überstellt wird.
Gemäß § 11 Abs. 1 StVG ist Vollzugsbehörde erster Instanz der Anstaltsleiter.
Nach § 118 Abs. 1 StVG hindert die gerichtliche Ahndung einer Tat nicht, sie als Ordnungswidrigkeit ahnden zu können.
Insoweit sich die vorgeworfene Ordnungswidrigkeit im vorliegenden Fall gegen den Anstaltsleiter richtete, erweist sich der angefochtene Bescheid schon deshalb als rechtswidrig, weil die belangte Behörde die diesbezügliche Unzuständigkeit des Anstaltsleiters, der in erster Instanz entschieden hat, nicht aufgegriffen hat. Gemäß § 116 Abs. 1 StVG steht nämlich die Entscheidung, wenn sich die Ordnungswidrigkeit gegen die Person des Anstaltsleiters richtet, allein der belangten Behörde zu.
Die belangte Behörde ist - wie die erstinstanzliche Behörde - im Übrigen davon ausgegangen, dass der Beschwerdeführer mit dem angeführten inkriminierten Verhalten idealkonkurrierend drei Ordnungswidrigkeiten nach dem StVG begangen habe, nämlich gemäß § 107 Abs. 1 Z. 9, Z. 10 und Abs. 3 StVG.
Der Verwaltungsgerichtshof hat zum Verhältnis der Ordnungswidrigkeiten gemäß § 107 Abs. 1 Z. 9 StVG und § 107 Abs. 1 Z. 10 StVG bereits ausgesprochen (vgl. das Erkenntnis vom 10. September 1998, Zl. 97/20/0809), dass § 107 Abs. 1 Z. 9 StVG gegenüber Z. 10 dieser Bestimmung die speziellere Norm darstellt, die subsidiär zur Anwendung zu kommen hat. Durch eine allfällige rechtsirrtümliche Subsumption eines festgestellten Sachverhaltes im Sinne des § 107 Abs. 1 Z. 9 StVG unter den nur subsidiär zur Anwendung kommenden Tatbestand des § 107 Abs. 1 Z. 10 StVG wird ein Strafgefangener nach diesem Erkenntnis allerdings nicht in Rechten verletzt.
Auch der von § 107 Abs. 3 StVG erfasste disziplinarrechtliche Tatbestand stellt nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine gegenüber § 107 Abs. 1 Z. 9 StVG und gegenüber § 26 Abs. 2 i.V.m.
§ 107 Abs. 1 Z. 10 StVG speziellere disziplinarrechtliche Norm dar. § 107 Abs. 1 Z. 10 StVG hat bereits nach seinem Wortlaut (arg: "sonst den allgemeinen Pflichten") im Zusammenhalt mit einer systematischen Interpretation (von Abs. 1 und Abs. 3) auch gegenüber der Ordnungswidrigkeit gemäß § 107 Abs. 3 StVG ("arg: "Eine Ordnungswidrigkeit begeht ferner ... .") nur subsidiär zur Anwendung zu kommen. Es erweist sich im vorliegenden Fall daher auch als rechtswidrig, dass die belangte Behörde durch den in Frage stehenden Sachverhalt, soweit der stellvertretende Leiter der Anstalt betroffen war, drei disziplinarrechtliche Tatbestände als erfüllt erachtete, die nach der gesetzlichen Regelung im Verhältnis der Subsidiarität bzw. Spezialität zueinander stehen. Aus Letzterem ergibt sich aber, dass diese Bestimmungen betreffend Ordnungswidrigkeiten in rechtmäßiger Weise nicht nebeneinander in Bezug auf ein und den selben Sachverhalt angewendet werden dürfen.
Auf die durch den angefochtenen Bescheid an sich auch aufgeworfene Problematik im Hinblick auf das Verbot der Doppelbestrafung für ein und die selbe Tat gemäß Art. 4
7. Zusatzprotokoll zur EMRK (vgl. dazu u.a. das Urteil des EGMR vom 30. Juli 1998, im Fall Oliveira/Schweiz, und die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofes VfSlg. 15.128, 15.199, 15.293/1998 m.w.N.) und eine daraus allenfalls gebotene verfassungskonforme Auslegung der angewendeten Bestimmungen brauchte daher nicht mehr eingegangen zu werden. Dies gilt auch in Bezug auf die verfassungsrechtlichen Bedenken, die in dieser Hinsicht gegen die Bestimmung des § 107 Abs. 3 StVG selbst bestehen können (vgl. den Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 1. Dezember 2005, G 1/05, VfSlg. 17.720: der Verfassungsgerichthof hatte in seinem Unterbrechungsbeschluss vom 6. Dezember 2004, B 1432/05, gegen § 107 Abs. 3 StVG Bedenken in Bezug auf Art. 4 7. ZP EMRK erhoben, mangels Präjudizialität des § 107 Abs. 3 StVG wurde das Gesetzesprüfungsverfahren aber eingestellt).
Schon aus den dargelegten Gründen war der angefochtene Bescheid gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Im fortgesetzten Verfahren wird auch das Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Art. 10 EMRK und die dazu jeweils ergangene Judikatur insbesondere des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu ähnlich gearteten Äußerungen zu beachten sein (vgl. u.a. die Urteile vom 23. März 2000 im Fall Andreas Wabl gegen Österreich (Nr. 24.773/94), Z. 41, und vom 13. November 2003 im Fall Scharsach und News Verlagsgesellschaft m.b.H. gegen Österreich (Nr. 39.394/98), Z. 41-Z. 46; siehe auch Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention3, S. 265 ff, Rz. 27, 28). Insbesondere wird aber auch zu beachten sein, dass der Beschwerdeführer den Ausdruck, dass der stellvertretende Leiter der Strafanstalt "ein Nazi" sei, zur Charakterisierung seiner Stellung in der Anstalt verwendete, er sagte nämlich: "Der eine
ist der Nazi, das ist der, der hier mehr oder minder Druck ... und Dampf macht, ... ." Er bezeichnete diesen dann auch als
"Herrscher" und "Imperator", im Unterschied zum Leiter der Anstalt, den er eher als Vertreter der Anstalt nach außen hin charakterisierte.
Der Ausspruch über die Kosten gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG i.V.m. der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003.
Wien, am 27. November 2007
Schlagworte
Besondere RechtsgebieteEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2007:2006060133.X00Im RIS seit
28.12.2007Zuletzt aktualisiert am
27.10.2008