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L5 KulturrechtNorm
B-VG Art83 Abs2Leitsatz
Verletzung im Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter durch Bestätigung der Zurückweisung eines fälschlich als Antrag auf Abänderung einer Schutzgebietsverordnung gedeuteten Antrags auf Erteilung einer Bewilligung für die Erweiterung eines Steinbruchs in einem geschützten Landschaftsteil; Verweigerung einer Sachentscheidung über das allfällige Vorliegen öffentlicher Interessen an der Erteilung einer AusnahmegenehmigungSpruch
Die beschwerdeführende Gesellschaft ist durch den angefochtenen Bescheid im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter verletzt worden.
Der Bescheid wird aufgehoben.
Das Land Vorarlberg ist schuldig, der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Handen ihrer Rechtsvertreter die mit 2.143,68 €
bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
I. 1. Die beschwerdeführende Gesellschaft betreibt "seit Jahrzehnten" in Hohenems Unterklien einen Kalkstein-Steinbruch. Eine Erweiterung dieses Steinbruchs sei nur nach Süden möglich. Diese Erweiterungsfläche stelle zur Gänze Wald im Sinne des Forstgesetzes dar. Außerdem sei diese Fläche zur Gänze durch die Verordnung der Vorarlberger Landesregierung über den Schutz des Gebietes Klien in Hohenems, LGBl. Nr. 36/1980 (in der Folge: SchutzgebietsV), erfasst. Gemäß §3 litb dieser Verordnung ist es in dem geschützten Landschaftsteil verboten, Bodenabbau zu betreiben.
Die beschwerdeführende Gesellschaft stellte am 22. Oktober 1998 einen Antrag auf Erteilung einer Bewilligung für ein solches Projekt "nach allen rechtlichen Bestimmungen und Normen, die für das Projekt in Betracht kommen", insbesondere u.a. nach dem Vorarlberger Naturschutzgesetz, den sie mit Schreiben vom 30. September 1999 dahingehend konkretisierte, dass neben der naturschutzrechtlichen Bewilligung eine Ausnahmebewilligung gemäß §4 Abs2 SchutzgebietsV beantragt werde. Diesen Antrag wies die Bezirkshauptmannschaft Dornbirn mit Bescheid vom 3. Oktober 1999 gemäß §§4 Abs2 und 3 litb SchutzgebietsV iVm §59 Abs9 lita des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung, LGBl. Nr. 22/1997, ab.
Dagegen erhob die beschwerdeführende Gesellschaft Berufung. Die belangte Behörde ergänzte das Ermittlungsverfahren u.a. durch Einholung eines Gutachtens der Abteilung Wirtschaftsplanung und Wirtschaftsentwicklung des Amtes der Vorarlberger Landesregierung, einer Stellungnahme eines geologischen Amtssachverständigen sowie einer Stellungnahme der Naturschutzanwaltschaft Vorarlberg.
Mit dem angefochtenen Bescheid bestätigte die belangte Behörde den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe, dass der Spruch zu lauten habe, dass der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung von der SchutzgebietsV als unzulässig zurückgewiesen wird. Aus der Begründung:
"Gemäß §3 der genannten Verordnung ist es im geschützten Landschaftsteil verboten, Änderungen vorzunehmen, die geeignet sind, die Natur zu schädigen, das Landschaftsbild zu verunstalten oder den Naturgenuss zu beeinträchtigen. Insbesondere ist es unter anderem verboten, Bodenabbau zu betreiben (litb). In besonderen Fällen können nach §4 Ausnahmen von den Vorschriften des §3 bewilligt werden, wenn hiedurch Natur- und Landschaftsschutzinteressen nicht beeinträchtigt werden oder wenn dies aus Gründen der Land- und Forstwirtschaft oder sonstiger öffentlicher Interessen geboten ist.
Zu beantworten bleibt an dieser Stelle die Frage, ob dem verfahrensgegenständlichen Projekt eine Ausnahmebewilligung gem. §4 (2) iVm §3 litb der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung, LGBl Nr 36/1980, erteilt werden kann, ohne dass dadurch die Verordnung als solche 'eliminiert' wird.
Wie oben ausgeführt beinhaltet das verfahrensgegenständliche Projekt die Vornahme von Bodenabbau in Form der Erweiterung eines bereits bestehenden Steinbruches, somit eine Maßnahme, die in §3 litb der VO ausdrücklich als verboten angeführt wird. Dieser Maßnahme kommt demnach schon an sich eine besonders schwere Gewichtung in Hinblick auf die Beeinträchtigung des Schutzzweckes des geschützten Landschaftsteiles Klien zu.
Des weiteren nimmt die beanspruchte Erweiterung des bestehenden Steinbruches mehr als ein Viertel der Fläche des geschützten Landschaftsteiles in Anspruch und ragt um mehr als die Hälfte in diesen hinein. Zusammengefasst ist somit ohne weiteres erkennbar, dass die beantragte Erweiterung sowohl in qualitativer als auch quantitativer Hinsicht einen äußerst umfangreichen Eingriff in den geschützten Landschaftsteil darstellt.
Unter eine Ausnahmebewilligung, welche nach §4 (2) der Verordnung der Landesregierung über den Schutz des Gebietes Klien erteilt werden kann, ist jedoch schon in begrifflicher Hinsicht lediglich ein solcherart ausgestaltetes Projekt zu stellen, welches zwar dem Schutzzweck der Verordnung zuwider läuft, ansonsten wäre es ja nicht bewilligungspflichtig, jedoch diesen nicht bis zu dessen Funktionsunfähigkeit unterläuft.
Auf Grund des bereits obig beschriebenen Umfanges der geplanten Abbauarbeiten wird aber der geschützte Landschaftsteil Klien sowohl in landschaftsästhetischer als auch ökologischer Hinsicht derart beeinträchtigt, dass das Ziel dieser Verordnung (siehe dazu §3 der Verordnung) in diesem Landschaftsteil nicht mehr erreicht werden kann. Sowohl die Form der geplanten Abbaufläche, die 'zungenartig' in den geschützten Landschaftsteil hineinragt, als auch dessen Umfang führt nahezu eine unter dem Schutzzweck des §3 der Verordnung betrachtete Wertlosigkeit der Restfläche herbei. Bei Erteilung der beantragten Ausnahmebewilligung würde die Verordnung, auf Grund deren eben diese Ausnahmebewilligung erteilt werden kann, ad absurdum geführt. Diese Ausnahmebewilligung wäre ihrem Wesen nach keine Ausnahme bzgl der Vornahme einer an sich aus bestimmten Gründen verbotenen Tätigkeit, sondern vielmehr eine Aufhebung der ihr rechtlich zu Grunde liegenden Verordnung.
Die Vornahme einer mit derartigen Folgen verbundenen Handlung ist jedoch, wie die erste Instanz zu Recht erkannt hat, nicht im Kompetenzbereich der belangten Behörde gelegen, sondern in Form einer Änderung oder sogar Aufhebung der Verordnung der Vorarlberger Landesregierung zustehend. Die belangte Behörde hätte daher den Antrag der Berufungswerberin auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung für die Erweiterung des bestehenden Kalkstein-Tagebaues nicht versagen, sondern als unzulässig zurückweisen müssen, da dieser inhaltlich einem Antrag auf Abänderung der Verordnung entspricht."
2. Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte auf Freiheit der Erwerbsbetätigung (Art6 StGG), auf Unversehrtheit des Eigentums (Art5 StGG), auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz (Art2 StGG) und auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art83 Abs2 B-VG) behauptet wird. Die näheren Ausführungen der Beschwerde beziehen sich allerdings vorwiegend auf die Anregung der beschwerdeführenden Gesellschaft auf amtswegige Prüfung der Gesetzmäßigkeit der SchutzgebietsV, gegen die der Verfassungsgerichtshof aus der Sicht des Beschwerdefalles keine Bedenken hegt.
Schließlich wendet sich die beschwerdeführende Gesellschaft offenbar auch gegen den angefochtenen Bescheid selbst. Die belangte Behörde habe es völlig verabsäumt, "andere Interessen" zu berücksichtigen. Es bestünden "massive Bundesinteressen sowohl nach dem Forstgesetz als auch insbesondere nach dem Berggesetz".
3. Die belangte Behörde legte die Verwaltungsakten sowie die Akten betreffend das Zustandekommen der SchutzgebietsV vor und erstattete eine Gegenschrift, in der sie die Abweisung der Beschwerde beantragt und u.a. ausführt, eine allenfalls vorliegende Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides könnte lediglich in der rechtswidrigen Auslegung der nachweislich einer verfassungskonformen Interpretation zugänglichen Verordnung zu finden sein.
4. Die beschwerdeführende Gesellschaft erstattete eine Replik und legte weitere Unterlagen vor.
II. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
1. Das Gebiet, das die beschwerdeführende Gesellschaft zur Erweiterung ihres Steinbruchs heranziehen will, liegt unbestrittener Maßen in dem durch die SchutzgebietsV geschützten Landschaftsteil. Die SchutzgebietsV ist gemäß §59 Abs9 lita des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftsentwicklung, LGBl. Nr. 22/1997, weiterhin in Geltung (vgl. zu einer ähnlichen Bestimmung im Stmk. Naturschutzgesetz 1976 VfSlg. 10.611/1985). Die §§3 und 4 der SchutzgebietsV lauten:
"§3
Im geschützten Landschaftsteil ist es verboten, Änderungen vorzunehmen, die geeignet sind, die Natur zu schädigen, das Landschaftsbild zu verunstalten oder den Naturgenuss zu beeinträchtigen. Insbesondere ist es verboten,
a)
Bauwerke zu errichten oder zu ändern,
b)
Bodenabbau zu betreiben,
c)
Ablagerungen vorzunehmen,
d)
Wege zu bauen,
e)
Lagerplätze einzurichten.
§4
(1) Die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Nutzung sowie die Ausübung der Jagd und Fischerei bleiben von den Vorschriften des §3 unberührt.
(2) In besonderen Fällen können Ausnahmen von den Vorschriften des §3 bewilligt werden, wenn hiedurch Natur- und Landschaftsschutzinteressen nicht beeinträchtigt werden oder wenn dies aus Gründen der Land- und Forstwirtschaft oder sonstiger öffentlicher Interessen geboten ist."
2. Das Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird durch den Bescheid einer Verwaltungsbehörde verletzt, wenn die Behörde eine ihr gesetzlich nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch nimmt oder in gesetzwidriger Weise ihre Zuständigkeit ablehnt (zB VfSlg. 9696/1983), etwa indem sie zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert (zB VfSlg. 10.374/1985, 11.405/1987, 13.280/1992, VfGH vom 30. September 2002, B423/01).
Die belangte Behörde hat als Berufungsbehörde den erstinstanzlichen Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass der Spruch zu lauten habe, dass der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft auf Erteilung einer Ausnahmebewilligung von der SchutzgebietsV als unzulässig zurückgewiesen wird. Dem legte die belangte Behörde eine Umdeutung des Antrags der beschwerdeführenden Gesellschaft in einen Antrag auf Abänderung der SchutzgebietsV zugrunde. Der Antrag der beschwerdeführenden Gesellschaft lässt jedoch keinen Zweifel darüber, dass er die Erteilung einer Ausnahme gemäß §4 Abs2 SchutzgebietsV vom Verbot des Bodenabbaues gemäß §3 litb der Verordnung begehrt.
Somit hat die belangte Behörde der beschwerdeführenden Gesellschaft zu Unrecht eine Sachentscheidung verweigert. Sie hätte entsprechend der von ihr selbst nicht bestrittenen Verpflichtung zur Mitberücksichtigung kompetenzfremder Ziele (vgl. VfSlg. 15.552/1999, S 728f) über das Vorliegen von - die Erteilung der Ausnahme ggf. gebietenden - "sonstigen öffentlichen Interessen" absprechen müssen.
3. Der angefochtene Bescheid war daher schon wegen Verletzung des Rechts der beschwerdeführenden Gesellschaft auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter aufzuheben.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §88 VfGG. In den zugesprochenen Kosten ist Umsatzsteuer in Höhe von 327 € und eine Eingabegebühr in Höhe von 181,68 € enthalten.
5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Auslegung eines Antrages, Naturschutz, Landschaftsschutz, Eingriffe bewilligungspflichtige, BodenabbauEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2003:B2206.2000Dokumentnummer
JFT_09969384_00B02206_00