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10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
FamLAG 1967 §8 Abs5;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Hargassner und die Hofräte Dr. Fuchs, Dr. Pelant, Dr. Mairinger und Mag. Novak als Richter, im Beisein des Schriftführers Dr. Unger, über die Beschwerde der S in W, vertreten durch Mag. Kurt Kadavy, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Porzellangasse 35/16, gegen den Bescheid des unabhängigen Finanzsenates, Außenstelle Wien, vom 24. April 2006, Zl. RV/0693-W/05, betreffend erhöhte Familienbeihilfe ab 1. Jänner 2003, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.
Der Bund hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von 991,20 EUR binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Die Beschwerdeführerin beantragte für ihren am 3. Dezember 1993 geborenen Sohn den Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe wegen erheblicher Behinderung ab Jänner 2003. Dem unter Verwendung des Formulars "Beih 3" gestellten Antrag vom 29. September 2003 war ein "Augenärztlicher Befundbericht" einer Fachärztin für Augenheilkunde angeschlossen, in dem ausgeführt wird, dass das linke Auge des Sohnes seit Geburt blind sei, wobei diese hochgradige Behinderung die Entwicklung des Kindes stark beeinträchtigt habe. Die Mutter müsse das Kind in eine Sonderschule bringen und ihm zahlreiche zusätzliche Förderungen zukommen lassen.
Diesem Antrag auf Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gab das Finanzamt mit Bescheid vom 24. Februar 2004 keine Folge. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass nach § 8 Abs. 5 FLAG Kinder nur dann als erheblich behindert anzusehen seien, wenn durch ihr Leiden oder Gebrechen ein Grad der Behinderung von mindestens 50 vH bestehe, oder wenn sie voraussichtlich dauernd außer Stande seien, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Da "laut fachärztlichem Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen vom 12. Jänner 2004 die Beeinträchtigung bei Ihrem Kind 40 vH beträgt, ist mangels der zitierten Anspruchsvoraussetzung ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe nicht mehr gegeben".
In der Berufung vom 24. März 2004 wies die Beschwerdeführerin darauf hin, dass sie bereits im Zeitraum Dezember 1993 (somit ab Geburt des Sohnes) bis März 2002 erhöhte Familienbeihilfe bezogen habe, wobei die Sehbehinderung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % bewertet worden sei. Da sich am Gesundheitszustand des Sohnes seit seiner Geburt in Bezug auf die gegenständliche Einschränkung nichts geändert habe, habe die Beschwerdeführerin die Weitergewährung der erhöhten Familienbeihilfe ab 1. Jänner 2003 beantragt. Abweichend von der bisherigen Einstufung sei nunmehr die Behinderung des Sohnes überraschend mit 40 % angenommen worden. Diese Einstufung sei jedoch in keiner Weise nachvollziehbar, zumal im Vergleich zu den Vorgutachten, welche eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von 50 % festgestellt hätten, sogar eine Verschlechterung des Krankheitsbildes eingetreten sei. Noch in der ärztlichen Bescheinigung vom 17. März 2000, welche zur Verlängerung des Bezuges der erhöhten Familienbeihilfe geführt habe, sei die Minderung der Erwerbsfähigkeit mit 50 % bewertet und das Erfordernis ständiger Therapie festgestellt worden. Zu verweisen sei auch auf den Befundbericht der Augenfachärztin, welcher im Gutachten zwar erwähnt, jedoch bei der Einstufung in keiner Weise berücksichtigt worden sei. In eventu werde ersucht, den Sohn neuerlich zu untersuchen und das vorliegende Gutachten zu ergänzen.
Mit Berufungsvorentscheidung vom 18. November 2004 wies das Finanzamt die Berufung als unbegründet ab. Laut einem "Fachärztlichen Sachverständigengutachten vom 16. November 2004", das in Kopie beiliege, sei für den Sohn ein Grad der Behinderung (angeborene Augenmissbildung) mit 40 vH festgestellt worden. Da das Kind lt. Gutachten auch nicht dauernd außer Stande sei, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen, lägen die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe nicht vor.
Im Antrag auf Entscheidung über die Berufung durch die Abgabenbehörde zweiter Instanz machte die Beschwerdeführerin geltend, dass der Sohn auf Grund der Erblindung des linken Auges auch an psychischen Belastungen zu leiden habe. Die begutachtende Ärztin habe ihr deshalb auch gesagt, dass sie "auch einen Termin für die psychologische Untersuchung machen würde". Die Beschwerdeführerin habe auf einen Brief "für den Termin" gewartet, habe aber nunmehr die Berufungsvorentscheidung bekommen, was sie "nicht verstehen" könne. Ihr Sohn gehe in eine Schule für Sehbehinderte und habe unter seiner Sehbehinderung auch psychisch schwer zu leiden. Die Beschwerdeführerin brachte einen fachärztlichen Befundbericht eines Facharztes für Neurologie über eine Untersuchung des Sohnes vom 20. Dezember 2004 bei, in dem eine Kontaktaufnahme mit dem Schulpsychologen wegen der Angaben der Mutter darüber, dass den Sohn die bestehende Erblindung seit Geburt schwer belaste, empfohlen wird.
Mit dem angefochtenen Bescheid gab die belangte Behörde der Berufung keine Folge. Nach einer Wiedergabe des Verfahrensganges und der in erster Instanz eingeholten Gutachten vom 12. Jänner und 16. November 2004 wird im angefochtenen Bescheid ausgeführt, die belangte Behörde habe das Bundessozialamt am 3. Juni 2005 um Erstellung eines weiteren Gutachtens ersucht. Im Hinblick auf die im Vorlageantrag erstmals angegebene psychische Belastung des Sohnes durch die Krankheit möge im Gutachten auch mitgeteilt werden, ob dadurch eine Änderung in der Einstufung des Behinderungsgrades bewirkt werde.
Dem sodann im angefochtenen Bescheid wiedergegebenen Sachverständigengutachten vom 26. Jänner 2006 (auf Grund einer Untersuchung des Sohnes am 13. Dezember 2005) ist neben der Behinderung infolge der "Blindheit links" mit einem Behinderungsgrad von 40 % auch eine "Anpassungsstörung mit depressiver Stimmung" mit einem Behinderungsgrad von 30 % zu entnehmen. Zur Rahmensatzbegründung in Bezug auf die "Anpassungsstörung mit depressiver Stimmung" wird im Gutachten noch ausgeführt: "3 Stufen über dem URS, da intensive Betreuung notwendig, kosmetische Belastungsfaktoren nicht korrigierbar und auch die Schulleistung beeinflusst ist". Nach den weiteren Ausführungen im Gutachten sei der Gesamtgrad der Behinderung mit 50 v.H. voraussichtlich "mehr als 3 Jahre anhaltend". Eine Nachuntersuchung sei in drei Jahren erforderlich. Die Anerkennung sei "ab der aktuellen Untersuchung 12/2005 möglich".
Das Sachverständigengutachten sei - so die weiteren Ausführungen im angefochtenen Bescheid - der Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 23. Februar 2006 zur Kenntnis gebracht worden. In ihrer - "offenbar irrtümlich an das Finanzamt gerichteten Stellungnahme" - habe die Beschwerdeführerin darauf verwiesen, dass ihr Sohn nicht erst seit Dezember 2005 an einem Auge blind sei, sondern seit seiner Geburt. Somit sei auch der Grad der Behinderung seit Geburt mit 50 % zu bemessen.
Im Erwägungsteil des angefochtenen Bescheides weist die belangte Behörde darauf hin, der Sohn der Beschwerdeführerin sei am 9. Jänner 2004 und am 15. November 2004 von zwei verschiedenen Fachärzten für Augenheilkunde und Optometrie untersucht worden. Beide Ärzte hätten den Grad der Behinderung mit 40 vH festgestellt. Unbestritten sei, dass die begutachtenden Ärzte in ihren schlüssigen Gutachten die Behinderung zutreffend unter die Richtsatzposition 618 "Verlust eines Auges" subsumiert hätten und hiefür der Grad der Behinderung von 40 % vorgesehen sei. Bei der am 13. Dezember 2005 durchgeführten dritten Untersuchung sei die erstmals im Vorlageantrag erwähnte psychische Belastung mitberücksichtigt worden, wodurch der untersuchende Arzt den Grad der Behinderung mit 50 vH festgesetzt habe, "dies jedoch erst ab Dezember 2005". Auch diese Beurteilung erscheine schlüssig, weil psychische Probleme wegen des Verlustes eines Auges "naturgemäß nicht schon bei der Geburt vorliegen, sondern erst in späterem Kindesalter auftreten". Da mit dem angefochtenen Bescheid über die Zuerkennung der erhöhten Familienbeihilfe ab Jänner 2003 abzusprechen gewesen sei, sei - zumal der Bescheid des Finanzamtes vor Dezember 2005 erlassen worden sei - die Berufung als unbegründet abzuweisen gewesen.
In der Beschwerde erachtet sich die Beschwerdeführerin in ihrem Recht auf Bezug erhöhter Familienbeihilfe für ihren Sohn verletzt. Verfahrensgegenständlich sei dabei nur der Zeitraum vom 1. Jänner 2003 bis 30. November 2005, weil die Beschwerdeführerin "vereinfachungshalber und in Befolgung der behördlichen Empfehlung gem. angefochtenen Bescheid" ab Dezember 2005 auf Grund des Gutachtens vom 26. Jänner 2006 (neuerlich) erhöhte Familienbeihilfe beantragt habe.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Beschwerde nach Aktenvorlage und Erstattung einer Gegenschrift durch die belangte Behörde erwogen:
Gemäß § 8 Abs. 5 FLAG gilt ein Kind als erheblich behindert, bei dem eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung im körperlichen, geistigen oder psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung besteht. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von voraussichtlich mehr als drei Jahren. Der Grad der Behinderung muss mindestens 50 % betragen, soweit es sich nicht um ein Kind handelt, das voraussichtlich dauernd außer Stande ist, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Für die Einschätzung des Grades der Behinderung sind die Vorschriften der §§ 7 und 9 Abs. 1 des Kriegsopferversorgungsgesetzes 1957, BGBl. 152 in der jeweils geltend Fassung, und die diesbezügliche Verordnung des Bundesministeriums für soziale Verwaltung vom 9. Juni 1965, BGBl. 150 in der jeweils geltenden Fassung, anzuwenden.
Zur im Beschwerdefall strittigen Frage des Zeitpunktes, ab dem eine Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin von 50 % vorlag, hat sich die belangte Behörde auf die Aussage im Sachverständigengutachten vom 26. Jänner 2006 gestützt, wonach die Anerkennung eines Gesamtgrades der Behinderung mit 50 vH "ab der aktuellen Untersuchung 12/2005 möglich" sei. Eine nähere Begründung für diese Annahme ist im Gutachten nicht enthalten, sodass ihr auch kein entsprechender Beweiswert zukam (vgl. z.B. das hg. Erkenntnis vom 15. Juni 2005, 2003/13/0068). Schon deshalb hätte die belangte Behörde eine Ergänzung des Sachverständigengutachtens zur Frage des Zeitpunktes des Eintritts der entscheidenden Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin veranlassen müssen (auch dem in den Verwaltungsakten einliegenden, an das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen gerichteten Ersuchen der belangten Behörde vom 3. Juni 2005 zur Gutachtenerstellung ist eine solche Fragestellung in Bezug auf den konkreten Eintritt der Behinderung im Übrigen nicht zu entnehmen). Den Ausführungen der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid, die Beurteilung im Sachverständigengutachten erscheine deshalb schlüssig, weil psychische Probleme wegen des Verlustes eines Auges "naturgemäß nicht schon bei der Geburt vorliegen, sondern erst in späterem Kindesalter auftreten", kann nicht gefolgt werden, weil eine psychische Erkrankung im "späteren Kindesalter" den Eintritt einer daraus resultierenden entscheidenden Behinderung jedenfalls vor Dezember 2005 nicht ausschließt. Eine bereits länger andauernde schwierige psychische Situation des Sohnes der Beschwerdeführerin ging außerdem aus dem Vorbringen der Beschwerdeführerin im Verwaltungsverfahren eindeutig hervor (vgl. z.B. das diesbezügliche Vorbringen im Vorlageantrag).
Der angefochtene Bescheid erweist sich daher als rechtswidrig infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. II Nr. 333/2003. Wien, am 9. Juli 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2006130148.X00Im RIS seit
18.08.2008Zuletzt aktualisiert am
01.01.2009