Index
10/07 Verwaltungsgerichtshof;Norm
AVG §71 Abs1 Z1;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Novak sowie die Hofrätin Dr. Pollak und den Hofrat MMag. Maislinger als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Hahnl, über den Antrag des U, vertreten durch Mag. Franz Karl Juraczka, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Alser Straße 32/15, auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Erhebung einer Beschwerde gegen den Bescheid des unabhängigen Bundesasylsenates vom 15. Jänner 2008, Zl. 242.411/0/12E-XII/36/03, durch Unterbleiben der rechtzeitigen Verbesserung des Antrages auf Verfahrenshilfe, den Beschluss gefasst:
Spruch
Dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird stattgegeben.
Begründung
Der Wiedereinsetzungswerber, ein Staatsangehöriger von Nigeria, beantragte am 28. Juli 2003 Asyl. Der unabhängige Bundesasylsenat hat mit dem anzufechtenden Bescheid im Instanzenzug den Asylantrag gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) abgewiesen und die Zulässigkeit der Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Wiedereinsetzungswerbers nach Nigeria gemäß § 8 Abs. 1 AsylG festgestellt.
Der Wiedereinsetzungswerber beantragte mit am 28. Februar 2008 zur Post gegebenen Schriftsatz die Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen diesen Bescheid. Mit Verfügung vom 5. März 2008 wurde dem Wiedereinsetzungswerber aufgetragen, binnen zwei Wochen ein persönlich unterfertigtes, vollständig ausgefülltes, nicht mehr als vier Wochen altes Vermögensbekenntnis unter Beischließung der darin genannten erforderlichen Belege vorzulegen und anzugeben, aus welchen Gründen der anzufechtende Bescheid als unrichtig oder mangelhaft erachtet werde. Diese Verfügung wurde dem Vertreter des Wiedereinsetzungswerbers am 19. März 2008 zugestellt.
Mit am 25. April 2008 eingebrachten Schriftsatz beantragte der Wiedereinsetzungswerber die Wiedereinsetzung in die Frist zur Befolgung der Verfügung vom 5. März 2008. Die Aufnahme von Schriftstücken in der Kanzlei seines Vertreters sei derart strukturiert, dass alle Schriftstücke den Tageseinlaufstempel erhielten und sodann in der Postmappe Stück für Stück hintereinander in einzelnen Ablagetrennblättern gesammelt würden. Hiezu würden ergänzend die Akten herausgesucht und unter die jeweilige Tagespostmappe gelegt, um am selben Tag zur Postsitzung seinem Vertreter vorgelegt zu werden. Die Kanzleileiterin des Vertreters (Frau L), welche für die Auf- und Vorbereitung sowie Abstempelung und Ablegung in der Postmappe zuständig sei, sei in der Nacht vom 18. auf 19. März 2008 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt worden und habe ihren Dienst am 19. März 2008 nicht antreten können. Die sodann dienstälteste Mitarbeiterin des Vertreters (Frau M) habe daher am 19. März 2008 die postalischen Agenden der Verunfallten übernommen. Frau M habe die Postmappe vorbereitet, als ein Anruf von Frau L gekommen sei, mit der sie auch befreundet sei. Während dieses Telefonates habe Frau M das von ihr gerade bearbeitete Schriftstück (die Verfügung vom 5. März 2008) von ihrem Arbeitsplatz zu einem Nachbartisch (Telefontisch der Kanzlei) getragen. Bei diesem Telefonat habe Frau L mitgeteilt, dass eines ihrer Beine allenfalls amputiert werden müsse. Aus Bestürzung über dieses Gespräch habe Frau M die Verfügung nicht wieder zu ihrem Schreibtisch mitgenommen, sondern offenbar unbewusst auf den Stapel "Ablage" gelegt. Minuten später habe eine andere Mitarbeiterin des Vertreters auf diesen Ablage-Stapel einen Stoß ablagefertiger Schriftstücke und Akten gegeben, deren Ablage sie später habe vorkehren wollen. Am Tag des Einganges der Verfügung vom 5. März 2008 sei der Vertreter des Wiedereinsetzungswerbers durch Termine und Vorstellungsgespräche ausgelastet gewesen und habe erst nach Rückkehr vom Mittagessen erfahren, dass die Post bereits abgelegt sei. Er habe daher von der Verfügung zunächst keine Kenntnis erlangt. Erst bei einer Kontrolle am Samstag, 12. April 2008, habe festgestellt werden können, dass sich die Verfügung zwar mit dem Kanzleistempel versehen, aber ohne die formelle Postsitzung auch nur erreicht zu haben und daher ohne Fristeintragung, in einem Ablagestoß befunden habe. Ein derartiges Versehen sei Frau M, welche seit mehreren Jahren stets gewissenhaft ihre Arbeit verrichtet habe, bis dato nicht passiert. Ein Verschulden des Vertreters bestehe nicht, da dieser keine Möglichkeit gehabt habe, in diesen Vorgang, mit dem er nicht habe rechnen können, einzugreifen. Ein zusätzliches Überwachungsverschulden scheine im vorliegenden Fall nicht gegeben zu sein.
Dem Antrag sind eidesstattliche Erklärungen der Mitarbeiterinnen des Vertreters angeschlossen, in welchen diese Ausführungen jeweils aus der Sicht des Erklärenden bestätigt werden.
Gleichzeitig erstattete der Wiedereinsetzungswerber Vorbringen dazu, aus welchen Gründen er den anzufechtenden Bescheid als unrichtig erachte. Ein vom Wiedereinsetzungswerber vollständig ausgefülltes Vermögensbekenntnis wurde in der Folge vorgelegt.
Gemäß § 46 Abs. 1 VwGG ist einer Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen, wenn sie durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt.
Ein Verschulden des Bevollmächtigten ist dem Verschulden einer Partei selbst gleichzuhalten. Hingegen trifft das Verschulden eines Kanzleibediensteten des Parteienvertreters nicht schlechthin die Partei. Allerdings vermag ein Versehen eines Kanzleibediensteten für einen Rechtsanwalt und damit für die von ihm vertretene Partei nur dann ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darzustellen, wenn der Rechtsanwalt der ihm zumutbaren und nach der Sachlage gebotenen Überwachungspflicht gegenüber dem Kanzleiangestellten nachgekommen ist. Der bevollmächtigte Rechtsanwalt muss die Organisation seines Kanzleibetriebes so einrichten, dass die fristgerechte Setzung von mit Präklusion sanktionierten Prozesshandlungen sichergestellt wird. Dabei wird durch entsprechende Kontrolle dafür vorzusorgen sein, dass Unzulänglichkeiten durch menschliches Versagen aller Voraussicht nach auszuschließen sind (vgl. den hg. Beschluss vom 22. September 1998, Zl. 98/17/0157).
Im Interesse vernünftiger Rechtsschutzwahrung ist es aber nicht angezeigt, jedes in der Kanzlei eines berufsmäßigen Parteienvertreters unterlaufene Missgeschick dem Parteienvertreter mit Wirkung für die Partei als ein den Grad minderen Versehens übersteigendes Verschulden zuzurechnen, weil sich gerade aus der Vorschrift des zweiten Satzes der Bestimmung des § 46 Abs. 1 VwGG deutlich das gesetzgeberische Anliegen entnehmen lässt, den Rechtsschutz nicht aus formellen Gründen an Ereignissen scheitern zu lassen, die im Drange der Geschäfte auch eines ordnungsgemäßen Kanzleibetriebes eines berufsmäßigen Parteienvertreters fallweise vorkommen können und verstehbar sind (hg. Beschluss vom 11. Dezember 1996, Zl. 96/13/0173).
Ausgehend von dem dargestellten Sachverhalt, den der Verwaltungsgerichtshof durch die vorgelegten Bescheinigungsmittel in ausreichender Weise als glaubhaft gemacht ansieht, erweist sich der gestellte Antrag als berechtigt:
Das Verhalten der zuverlässigen langjährigen Mitarbeiterin des Vertreters des Wiedereinsetzungswerbers, diesem den in Rede stehenden Mängelbehebungsauftrag nicht vorzulegen, stellte sich aus der Sicht des Vertreters (und damit auch des Wiedereinsetzungswerbers) als unvorhergesehenes und unabwendbares Ereignis dar. Ein den minderen Grad des Versehens übersteigendes Verschulden der Mitarbeiterinnen des Vertreters oder eine - für die Versäumung kausale - mangelhafte Organisation der Kanzlei des Vertreters sind im vorliegenden Fall nicht erkennbar.
Wien, am 17. Juli 2008
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2008:2008200305.X00Im RIS seit
05.11.2008Zuletzt aktualisiert am
06.11.2008